Leitsatz (amtlich)
a) Die für Ersatzansprüche der Kreispachtgeschädigten entwickelten Regeln (vgl. BGHZ 127, 285; 127, 297; 129, 282) gelten grundsätzlich auch, wenn ein Landwirtschaftsbetrieb unter Einschaltung des Rats der Gemeinde einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft zur Nutzung überlassen worden ist.
b) Zum Umfang der Verpflichtung eines Rechtsanwalts, Rechtsprechung und Schrifttum bei der Bearbeitung einer Angelegenheit aus einem sich neu entwickelnden Rechtsgebiet zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB §§ 591b, 675; LwAnpG § 51
Verfahrensgang
OLG Naumburg |
LG Magdeburg |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. März 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt den verklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten in Anspruch. Der Kläger war Eigentümer eines in der früheren DDR gelegenen landwirtschaftlichen Betriebs. Am 15. März 1954 unterzeichnete er folgendes als „Antrag” bezeichnete Schreiben:
„Ich möchte meinen 45 ha grossen Hof, mit totem und lebenden Inventar, der LPG F. in U., zur Verfügung stellen. Der Grund meines Antrags ist: Sollrückstände, Futtermangel und Mangel an Arbeitskräften.
Ich bitte meinem Antrag stattzugeben.”
Die LPG „F.” in U. (im folgenden: LPG) erklärte am gleichen Tage, daß sie sich verpflichtet sehe, die Wirtschaft zu übernehmen, da der Besitzer nach jahrelangen Erfahrungen nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen gegenüber dem Staat nachzukommen. Auch der Rat der Gemeinde U. befürwortete den Antrag,
„um damit eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung und Ablieferung zu gewährleisten.”
Der Rat des Kreises W. führte in einem Schreiben an den Rat der Gemeinde vom 2. April 1954 aus, dem Antrag könne nur stattgegeben werden, wenn hierfür einige im Einzelnen aufgeführte Voraussetzungen geschaffen würden. Weiter heißt es:
„(Der Kläger) als Besitzer seines landwirtschaftlichen Vermögens bleibt für die Sollrückstände voll verantwortlich.
Aus dem Antrag selbst, wie aus der Stellungnahme des Rates der Gemeinde und des Vorstandes der LPG geht eindeutig hervor, dass der Besitzer selbst nicht in der Lage ist seinen landwirtschaftlichen Grundbesitz ordnungsgemäss weiter zu bewirtschaften. Aus diesem Grunde kann der Rat des Kreises dem Abschluß eines Pachtvertrages zwischen dem Antragsteller und der LPG nicht zustimmen und muss in diesem Falle zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG ein Nutzungsvertrag nach den gesetzlichen Bestimmungen der VO vom 3.9.53 und den II. Durchführungsbestimmungen vom 5.2.1954 in Höhe der Grund- und Vermögenssteuern mit dem Antragsteller abgeschlossen werden. …”
Am 6. Juli 1954, genehmigt vom Rat des Kreises am 9. Juli 1954, schlossen der Rat der Gemeinde und die LPG „gemäss § 7 der Verordnung vom 3.9.1953 über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft” einen Nutzungsvertrag über den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers für die Dauer von fünf Jahren. In dem Vertragsformular heißt es:
„…
2.) Die Nutzungsübergabe erfolgt mit dem in der Anlage zu diesem Vertrage aufgeführten lebenden und toten Inventar.
3.) Der Nutzende verpflichtet sich, die übernommenen Flächen ordnungsgemäss zu bewirtschaften. Er geniesst die Vergünstigungen nach § 7 der o.a. Verordnung nebst den hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen.
4.) Als Nutzungsgebühr wird die Zahlung der Grund- und Vermögensteuer sowie die Zahlung eines Altenteils in Höhe von 150,– DM monatl. an Frau A. M., U. zugrunde gelegt.
…”
Der Vertrag enthielt in seinem Eingang den Zusatz: „gem. Verzichtserklärung des Eigentümers … (Kläger) ….”. Ihm war eine auf den 15. März 1954 datierte Liste des übergebenen toten und lebenden Inventars beigefügt.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 1958 teilte der Rat der Gemeinde dem Kläger mit, daß die LPG den Nutzungsvertrag gekündigt habe. Diese
„wäre bereit die Bewirtschaftung weiterhin durchzuführen, wenn der bestehende Vertrag eingehalten wird. Anderenfalls wird Ihnen der Hof einschließlich Wirtschaftsfläche nach Ablauf des Vertrages ab 1.10.1959 wieder zur Verfügung gestellt.”
Mit der „Einhaltung” des Vertrages war der Umstand gemeint, daß der Kläger unter anderem eine nicht ihm, sondern seinem Großvater gehörende Mühle nicht mit übergeben hatte.
Am 15. Juli 1959 richtete der Kläger folgendes Schreiben an den Rat der Gemeinde:
„Ich erkläre hiermit, dass ich auch weiterhin nicht in der Lage bin die Bewirtschaftung meines 39,– ha großen Betriebes auszuführen.
Unter Berücksichtigung einer Altenteilzahlung in Höhe von 150 DM monatlich an meine Großmutter Frau A. M. stelle ich meinen gesamten Betrieb einschließlich Wohnhaus, Mühle, Wirtschaftsgebäude sowie 39,82,82 ha landwirtschaftliche Nutzfläche weitere 5 Jahr dem Rat der Gemeinde zur Verfügung.”
Daraufhin genehmigte der Rat des Kreises am 1. September 1959 einen weiteren Nutzungsvertrag zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG, in dem auf die schon im Vertrag vom 6. Juli 1954 erwähnte Verordnung vom 3. September 1953 und die dazu ergangene Zweite Durchführungsbestimmung vom 5. Februar 1954 hingewiesen wurde. Er wurde für die Dauer von fünf Jahren geschlossen und sollte sich – wie schon der erste Vertrag – jeweils um ein Jahr verlängern, sofern er nicht vorher gekündigt wurde. Das Vertragsformular enthält unter Nummer 2 folgende Angaben:
„Inventar ist nicht mitübergeben worden.
Das in der Anlage II zu diesem Vertrage aufgeführte lebende und tote Inventar ist mitübergeben worden.”
Von diesem Text ist nichts gestrichen.
Im übrigen stimmt die Vertragsurkunde mit den Regelungen in Nummern 3 und 4 des Vertrags vom 6. Juli 1954 inhaltlich im wesentlichen überein.
Mit Schreiben vom 3. Juli 1990 kündigte der Kläger gegenüber der Gemeinde U.
„den seinerzeit durch die Gemeinde U. verfaßten LPG-Nutzungsvertrag vom 9.7.1954, der seither jährlich stillschweigend jeweils um ein Jahr verlängert wurde, nunmehr fristgemäß …”.
Unter dem 3. August 1990 antwortete die „Gemeindeverwaltung”:
„Der Nutzungsvertrag vom 01.09.1959 wurde von der Gemeinde U. ab sofort für ungültig erklärt.
Die Gemeinde U. gibt somit die durch die Erklärung von Herrn … (Kläger) vom 15.03.1954 erhaltene Verfügungsgewalt über sein Eigentum wieder an Herrn … (Kläger) zurück.”
Die Rechtsnachfolgerin der LPG übergab dem Kläger den Betrieb am 13. Februar 1992 ohne Inventar.
Im Jahre 1991 beauftragte der Kläger den Beklagten mit der Geltendmachung seiner Rechte im Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Betrieb. Der Beklagte unterließ zunächst im Hinblick auf die unklare Rechtslage weitere Schritte und erhob erst im Dezember 1996 vor dem Landwirtschaftsgericht M. Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG auf Zahlung von 123.370,00 DM Schadensersatz wegen der Nichtrückgabe des Inventars. Diese Klage wurde mit Urteil vom 15. April 1997 rechtskräftig mit der Begründung abgewiesen, etwaige Ansprüche des Klägers seien verjährt.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen des Prozeßverlustes sowie ihm hierdurch entstandener Verfahrenskosten in Anspruch. Er macht ihm zum Vorwurf, daß er mit der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche gegen die LPG bis nach Verjährungseintritt zugewartet und ihn sodann nicht über das Prozeßrisiko der Verjährung belehrt habe. Seine auf Zahlung von zuletzt 149.070,55 DM nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe zwar schuldhaft seine anwaltlichen Pflichten verletzt, weil er bei der an der Rechtsprechung zu den sog. Kreispachtverträgen (BGHZ 127, 285; 127, 297; 129, 282) ausgerichteten Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG nicht berücksichtigt habe, daß nach dieser Rechtsprechung ein derartiger Anspruch spätestens am 31. Juli 1995 verjährt sei; der Kläger habe jedoch durch die Pflichtverletzung des Beklagten keinen Schaden erlitten, weil ihm kein Schadensersatzanspruch wegen des Verlusts des Inventars zugestanden habe. Im letztgenannten Punkt hält das Berufungsurteil der Revisionsprüfung nicht stand.
I.
Der Kläger hatte die rechtliche Möglichkeit, einen Anspruch auf Ersatz des von der LPG genutzten und ihm nicht zurückgegebenen Inventars durchzusetzen.
1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts stand der Kläger nicht nur zur LPG, sondern auch zu den staatlichen Behörden in keiner vertraglichen, die Nutzung seines Hofes betreffenden Beziehung. Vielmehr sei, so hat das Berufungsgericht ausgeführt, der „Antrag” des Klägers vom 15. März 1954 als Verzichtserklärung behandelt oder doch in eine solche umgedeutet worden. Eine derartige Umdeutung sei nicht schlechthin abwegig gewesen, denn der Kläger habe sich der „Bürde” des unter den damaligen Verhältnissen von ihm nicht mehr zu bewirtschaftenden Hofes entledigen wollen. Bei dieser tatrichterlichen Würdigung hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, wesentliche Teile des Prozeßstoffs nicht berücksichtigt; es ist auch von einem teilweise unzutreffenden Verständnis der damals geltenden einschlägigen Bestimmungen des DDR-Rechts ausgegangen. Die den „Verzicht” des Klägers betreffenden tatrichterlichen Feststellungen sind deshalb für das Revisionsgericht nicht bindend.
a) Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob nach seiner Meinung der „Verzicht” des Klägers für diesen den Verlust des Eigentums zur Folge gehabt haben soll. Das Eigentum am Grund und Boden konnte der Kläger nach den damals in der DDR noch geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht ohne Eintragung im Grundbuch verlieren. Dafür ist es gleichgültig, ob eine Eigentumsaufgabe (§ 928 Abs. 1 BGB) oder eine Übertragung des Eigentums auf die LPG oder eine staatliche Stelle in Betracht gezogen wird. Wenn der Kläger aber Eigentümer des Grundstücks blieb, galt das nach § 926 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 98 Nr. 2 BGB grundsätzlich auch für das lebende und tote Inventar. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß der Kläger sich unabhängig vom Grundeigentum einzig und allein des Inventars „entledigen” wollte.
b) Möglicherweise hat das Berufungsgericht gemeint, der Kläger habe auch dann keine vertraglichen Ansprüche aufgrund der Fremdnutzung des landwirtschaftlichen Betriebs erworben, wenn die Sachen in seinem Eigentum geblieben seien; dem Geschehensablauf im Jahre 1954 sei unter Berücksichtigung der damals geltenden Vorschriften zu entnehmen, daß im Verhältnis zum Kläger ein vertragsloser Zustand geherrscht habe. Auch in einer solchen Beurteilung kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden.
Richtig ist allerdings, daß die LPG den Betrieb nicht aufgrund eines zwischen ihr und dem Kläger abgeschlossenen Pachtvertrags zur Nutzung erhalten hat. Solche Verträge mit Eigentümern landwirtschaftlicher Betriebe waren in § 2 der Verordnung über die Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft vom 3. September 1953 (GBl. DDR S. 983; Bewirtschaftungsverordnung) und in § 2 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 5. Februar 1954 (GBl. DDR S. 225) vorgesehen. Sie bedurften nach Art. VI des Gesetzes Nr. 45 des Kontrollrats vom 20. Februar 1947 der Genehmigung durch die zuständigen deutschen Behörden und wurden später durch § 2 der Verordnung über die einheitliche Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen und die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 20. Januar 1955 (GBl. DDR S. 97) dahin umgestaltet, daß anstelle der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft der zuständige Rat des Kreises und damit der Staat in sie eintrat (sog. Kreispachtverträge). Einen solchen Vertrag mag der Kläger seinerzeit angestrebt haben; er ist aber wegen der durch den Rat des Kreises am 2. April 1954 ausgesprochenen Versagung der Genehmigung nicht zustande gekommen.
Aus den im Schreiben des Rats des Kreises vom 2. April 1954 genannten Gründen hat anstelle des Klägers der Rat der Gemeinde den Nutzungsvertrag mit der LPG geschlossen. Rechtsgrundlage hierfür waren § 7 der Bewirtschaftungsverordnung und § 7 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung (aaO). Nach diesen Vorschriften konnten die Räte der Gemeinden Grundstücke aus den „Betrieben der örtlichen Landwirtschaft” unter anderem Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Wege von Nutzungsverträgen zur Verfügung stellen. Ein Betrieb der örtlichen Landwirtschaft umfaßte neben volkseigenen Kreis- und Gemeindebetrieben auch solche „Betriebe, die von ihren Eigentümern bis zum 30. September 1953 nicht zurückgenommen worden sind und die sich in der Nutzung der Gemeinden befinden” (§ 6 Abs. 1 der Bewirtschaftungsverordnung). Es kann mit dem Berufungsgericht davon ausgegangen werden, daß der Hof des Klägers unter Hinweis auf seine „Verzichtserklärung” dem „Betrieb der örtlichen Landwirtschaft” einverleibt und sodann vom Rat der Gemeinde der LPG zur Nutzung überlassen worden ist.
Damit war indessen für den Kläger nicht, wie das Berufungsgericht offenbar angenommen hat, notgedrungen ein Eigentumsverlust (s. dazu oben I 1 a) oder ein dem in den Wirkungen gleichkommender Rechtsverlust verbunden. Das zeigt schon die Regelung in § 2 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung; danach konnten mit „Eigentümern von Betrieben, die sich in Nutzung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft befinden, … Nutzungsverträge für die Dauer von mindestens fünf Jahren” abgeschlossen werden; den Abschluß eines solchen Vertrages konnte der Eigentümer beim Rat des Kreises „anbieten”. Ein derartiger Vertrag ist zwar mit dem Kläger nicht ausdrücklich und jedenfalls nicht in schriftlicher Form geschlossen worden. Die – vom Berufungsgericht nicht gewürdigten – Umstände dieses Falles zeigen jedoch in ihrer Gesamtheit, daß die Beteiligten damals nicht von einem vertragslosen Zustand, sondern von einem zumindest pachtähnlichen Rechtsverhältnis zwischen dem Rat der Gemeinde und dem Kläger ausgegangen sind. Das wird schon darin deutlich, daß im Schreiben des Rats des Kreises vom 2. April 1954 davon gesprochen wird, daß „zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG ein Nutzungsvertrag nach den gesetzlichen Bestimmungen … in Höhe der Grund- und Vermögenssteuern mit dem Antragsteller” abgeschlossen werden müsse. Diese Ausdrucksweise ist zwar rechtlich unscharf; sie läßt aber doch hinreichend deutlich erkennen, daß der Kläger in irgendeiner Form in das Nutzungsverhältnis einbezogen war. Bestätigt wird dies durch die Übernahme der an sich vom Kläger geschuldeten Grund- und Vermögensteuern – das entsprach der Regelung in Nr. 3 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Bewirtschaftungsverordnung vom 30. September 1953 (GBl. DDR S. 1013), wonach die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften die Grund- und Vermögensteuern zu übernehmen hatten, gleichzeitig aber von deren Entrichtung an den Staat befreit wurden – und der Altenteilszahlungen zugunsten der Frau A. M. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war letzteres durch die Bestimmungen der von ihm selbst herangezogenen Anordnung über die Zahlung von Nutzungsgebühren für freie Betriebe und Flächen vom 7. August 1954 (ZentrBl S. 423) gedeckt. Dort ist in Nr. 7 von der Befugnis der Räte der Kreise die Rede, über die Zahlung einer Nutzungsgebühr „an andere Personen als den Eigentümer” zu entscheiden. Schließlich bringt auch die vom Berufungsgericht zu Unrecht für seine gegenteilige Ansicht angeführte Bestimmung in Nr. 6 jener Anordnung zum Ausdruck, daß Flächen und Betriebe, die von den Räten der Gemeinde – im dortigen Zusammenhang an private Bauern – „in Nutzung gegeben” worden waren, damit nicht aus der Rechtszuständigkeit des Eigentümers ausschieden; denn dort heißt es, daß „den Eigentümern dieser Betriebe oder Flächen in jedem Falle die eingezogenen Nutzungsgebühren unter Abzug einer (vom Rat der Gemeinde einbehaltenen) Verwaltungsgebühr von 10 % gutzubringen” seien.
Diese rechtliche Beurteilung wird durch die spätere, vom Berufungsgericht ebenfalls außer Betracht gelassene Verfahrensweise bestätigt. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1958 unterrichtete der Gemeindebürgermeister den Kläger, daß die LPG den Nutzungsvertrag zum 30. September 1959 gekündigt habe; gleichzeitig wies er daraufhin, daß dem Kläger „der Hof einschließlich Wirtschaftsfläche … ab 1.10.1959 wieder zur Verfügung gestellt” werde, wenn bestimmte Voraussetzungen für die weitere Bewirtschaftung durch die LPG (insbesondere Übergabe auch der Mühle) nicht erfüllt würden. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 15. Juli 1959, er stelle seinen gesamten Betrieb für weitere fünf Jahre dem Rat der Gemeinde zur Verfügung. Am 1. September 1959 wurde sodann ein erneuter Nutzungsvertrag zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG vom Rat des Kreises genehmigt. Daraus ergibt sich mit aller Deutlichkeit, daß sämtliche Beteiligten weder von einem Eigentumsverlust noch von einem Verzicht auf sonstige vergleichbare Rechte des Klägers, sondern von einer zeitlich befristeten, pachtähnlichen Überlassung des Betriebs an den Rat der Gemeinde ausgingen.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehen in den Fällen der sog. Kreispachtverträge keine Ansprüche des Eigentümers gegen die heutigen Landkreise oder das jeweilige Bundesland; die jetzt zuständige Kreisbehörde hat jedoch dem Eigentümer einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegen die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, in deren Nutzung sich der Betrieb befand, (bzw. deren Rechtsnachfolger) abzutreten, wobei in der Entgegennahme einer Kündigung durch die Kreisbehörde in der Regel eine entsprechende stillschweigende Abtretung zu sehen ist (BGHZ 127, 285, 288 ff; 127, 297, 305 ff; 129, 282, 288). Das kann dem Grundsatz nach nicht anders sein, wenn in das Nutzungsverhältnis nicht der Rat des Kreises, sondern, wie hier, der Rat der Gemeinde eingeschaltet war; denn auch dieser war nicht anders als der Rat des Kreises im System des „demokratischen Zentralismus” ein nachgeordnetes Staatsorgan mit bestimmten Verwaltungszuständigkeiten. Im Streitfall war die LPG nach den Nutzungsverträgen vom 6. Juli 1954 und 1. September 1959 (dort jeweils Nr. 3) dem Rat der Gemeinde gegenüber zu einer – nach den in der DDR jeweils geltenden Maßstäben – ordnungsmäßigen Wirtschaftsführung verpflichtet (vgl. BGHZ 127, 297, 315). Der Rat der Gemeinde war seinerseits im Verhältnis zum Kläger als Pächter im Sinne des § 596 BGB anzusehen (vgl. BGHZ 127, 297, 312-314). Nach der Einführung der Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der ehemaligen DDR durch Gesetz vom 17. Mai 1990 (GBl. DDR S. 255) fielen die Räte der Gemeinden und der Kreise weg. Nach der neuen Kommunalverfassung ist bei Kreispachtverhältnissen der Landkreis (Landrat) als „zuständige Kreisbehörde” im Sinne des § 51 LwAnpG (BGHZ 121, 88, 90; 127, 297, 317 f; vgl. auch Urt. v. 16. Juni 2000 – LwZR 13/99, WM 2000, 1764, 1765) verpflichtet, in Abwicklung der früheren Rechtsverhältnisse zugunsten des Staates entstandene Schadensersatzansprüche an den Eigentümer abzutreten (BGHZ 127, 297, 314 f).
Es kommt hier nicht darauf an, ob dasselbe für die unter Mitwirkung des Rats der Gemeinde zustande gekommenen Nutzungsverhältnisse gilt oder ob in einem solchen Fall nunmehr die Gemeinde für die Abwicklung zuständig wäre. Im letzteren Fall wäre schon in der Entgegennahme der Kündigung des Klägers durch die Gemeinde U. und der im Schreiben der „Gemeindeverwaltung” vom 3. August 1990 ausgesprochenen „Ungültigerklärung” des Nutzungsvertrags eine stillschweigende Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die LPG bzw. deren Rechtsnachfolgerin zu sehen (vgl. BGHZ 127, 297, 318). Sicherheitshalber hätte auch die Abtretungserklärung des zuständigen Landkreises rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung herbeigeführt werden können und müssen (s. dazu unten I 3, II). Der Landkreis hat später die Abtretung mit Schreiben vom 24. März 1997 nur im Hinblick auf die damals bereits eingetretene Verjährung abgelehnt.
3. Wie in den Fällen der Kreispachtverträge (vgl. dazu im einzelnen BGHZ 127, 297, 315 ff) kam danach für den Kläger ein aus dem Vertragsverhältnis zwischen dem Rat der Gemeinde und der LPG oder deren Rechtsnachfolgerin hergeleiteter Schadensersatzanspruch wegen Nichtrückgabe des Inventars in Betracht. Die Erhaltungspflichten waren durch die Nutzungsverträge vom 6. Juli 1954 und 1. September 1959 auf die LPG übertragen. Dazu gehörte die Verpflichtung, das überlassene Inventar in den Grenzen ordnungsmäßiger Wirtschaftsführung zu erhalten und eine Schätzwertdifferenz bei Rückgabe auszugleichen („eisernes Inventar”; vgl. BGHZ 127, 297, 315). Da das Inventar bei der Rückgabe des Betriebs an den Kläger am 13. Februar 1992 unstreitig nicht mehr vorhanden war, stand diesem – aus dem Recht des Rats der Gemeinde oder des Rats des Kreises – ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 104, 105 Abs. 2 des Vertragsgesetzes zu. Dieser Anspruch verjährte in sechs Monaten nach Rückgabe des Hofs an den Kläger. Die Verjährung war jedoch wegen der zunächst ungeklärten Rechtslage bis zum 31. Januar 1995 gehemmt, so daß sie – erst – am 31. Juli 1995 eintrat (vgl. BGHZ 129, 282, 287 ff).
II.
Der infolge der Verjährung des Ersatzanspruchs gegen die LPG eingetretene Rechtsverlust des Klägers beruht, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat und auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel zieht, auf einer schuldhaften Verletzung der Anwaltspflichten des Beklagten.
1. Der Rechtsanwalt hat seine Tätigkeit für den Mandanten in erster Linie an der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszurichten; denn diese hat richtungweisende Bedeutung für Entwicklung und Anwendung des Rechts (BGH, Urt. v. 30. September 1993 – IX ZR 211/92, NJW 1993, 3323, 3324). Der Anwalt muß sich deshalb über die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur anhand der amtlichen Sammlungen, sondern auch der einschlägigen Fachzeitschriften unterrichten (BGHZ 85, 252, 259 ff; Urt. v. 10. Dezember 1957 – VIII ZR 243/56, NJW 1958, 825). Eine Pflicht des Rechtsanwalts, darüber hinaus die veröffentlichte Instanzrechtsprechung und das Schrifttum sowie hierbei insbesondere die Aufsatzliteratur heranzuziehen, besteht zwar grundsätzlich nur in beschränktem Maße; strengere Anforderungen sind jedoch zu stellen, wenn ein Rechtsgebiet ersichtlich in der Entwicklung begriffen und (weitere) höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist. Dann muß ein Anwalt, der eine Angelegenheit aus diesem Bereich zu bearbeiten hat, auch Spezialzeitschriften in angemessener Zeit durchsehen (vgl. BGH, Beschl. v. 20. Dezember 1978 – IV ZB 115/78, NJW 1979, 877). Ihm muß dabei freilich insgesamt ein „realistischer Toleranzrahmen” zugebilligt werden (Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, 1989, Rn. 149; Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung, 1999, Rn. 576).
2. Der Beklagte war nach dem für die Revisionsinstanz als richtig zu unterstellenden Vortrag des Klägers seit 1991 in dieser Angelegenheit beauftragt. Er hatte sich wegen der infolge des Umbruchs in der ehemaligen DDR entstandenen unklaren Rechtslage zunächst abwartend verhalten und insbesondere von einer Klageerhebung abgesehen, ohne jedoch das Mandat zu beenden. In dieser Situation, die sich jederzeit durch einschlägige Gerichtsentscheidungen ändern konnte, war der Beklagte zur Wahrung der Interessen des Klägers verpflichtet, die Rechtsentwicklung besonders sorgfältig zu beobachten; dabei mußte er insbesondere auch die für die Rechtsmaterie dieses Falles einschlägigen Fachzeitschriften im Auge behalten. In zwei Urteilen vom 4. November 1994 entschied der Bundesgerichtshof, daß der Eigentümer eines Kreispachtbetriebs zwar gegen die jeweilige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft keinen Schadensersatzanspruch aus eigenem Recht habe, daß er sich aber vom zuständigen Landkreis als unterer Landesbehörde etwaige Schadensersatzansprüche wegen Nichtrückgabe oder Verschlechterung der Pachtsache abtreten lassen könne (BGHZ 127, 285; 127, 297). Der Beklagte hat, wie sein späterer Prozeßvortrag in dem für den Kläger geführten Rechtsstreit gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG zeigt, aus diesen Entscheidungen zu Recht den Schluß gezogen, daß die Annahme entsprechender Rechtsfolgen für einen unter Mitwirkung des Rats der Gemeinde geschlossenen Pachtvertrag zumindest nahelag und daß darauf eine Klage für den Kläger gestützt werden konnte. In dem Urteil BGHZ 127, 297, das ab Januar 1995 in den Fachzeitschriften veröffentlicht wurde (ZIP 1995, 79 [13. Januar 1995]; AgrarR 1995, 15 [Januar 1995]; VIZ 1995, 165 [10. März 1995]; DtZ 1995, 88 [15. März 1995]) führte der Bundesgerichtshof u.a. aus, daß sich Pachtverhältnisse aufgrund von Verträgen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik geschlossen worden waren, von diesem Zeitpunkt an nach den §§ 581 bis 597 BGB richteten (BGHZ 127, 297, 312). Das lenkte den Blick auf die Vorschrift des § 591 b BGB, wonach Ersatzansprüche des Verpächters in einer Frist von sechs Monaten nach Rückgabe der Pachtsache verjähren. Diese naheliegende Konsequenz wurde auch tatsächlich in einem im Januarheft der Zeitschrift „Agrarrecht” erschienenen Aufsatz von Wenzel gezogen (AgrarR 1995, 1, 8 f). Der Beklagte hätte deshalb nach dem Grundsatz des sichersten Weges (vgl. BGH, Urt. v. 4. Juni 1996 – IX ZR 51/95, WM 1996, 1824, 1825) von dieser kurzen Verjährungsfrist ausgehen müssen. Zwar wäre die sechsmonatige Frist seit der Rückgabe des Hofs an den Kläger im Jahr 1992 inzwischen längst verstrichen gewesen. Es mußte sich jedoch der Gedanke aufdrängen, daß die Verjährung nicht beginnen konnte, bevor der Eigentümer den Anspruch frühestens geltend machen konnte (so ausdrücklich Wenzel aaO). Dies führte später zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. April 1995, wonach die Verjährung bis zum 31. Januar 1995 (angenommener Zeitpunkt der Veröffentlichung der oben erwähnten Urteile vom 4. November 1994) als gehemmt anzusehen ist (BGHZ 129, 282, 289 f). Daß dieses Urteil erst ab Juni 1995 in den Fachzeitschriften abgedruckt wurde (ZIP 1995, 949; AgrarR 1995, 205; WM 1995, 1151), ist nach dem oben Gesagten ohne Bedeutung. Der Beklagte hätte auf der Grundlage des Wissensstands, den er sich in den ersten Monaten des Jahres 1995 hätte verschaffen müssen, noch ausreichend Zeit gehabt, die zur Verjährungsunterbrechung erforderlichen Maßnahmen (s.o. I 2 a.E.) rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung am 31. Juli 1995 zu treffen.
III.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und muß deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird nunmehr die notwendigen Feststellungen zur Höhe des dem Kläger durch die Pflichtverletzung des Beklagten entgangenen Anspruchs zu treffen haben. Der Umfang, in dem eine rechtzeitige Klage gegen die Rechtsnachfolgerin der LPG Erfolg gehabt hätte, wird auch darüber entscheiden, zu welchem Anteil der Beklagte dem Kläger die Kosten des wegen der bei Klageerhebung bereits eingetretenen Verjährung nutzlosen Prozesses zu ersetzen hat. Ein Ersatzanspruch besteht insoweit grundsätzlich nur in Höhe der Quote, in der die Kosten bei rechtzeitiger Klageerhebung dem Kläger nicht auferlegt worden wären. Eine etwaige in dem Prozeß geltend gemachte Zuvielforderung dürfte dem Beklagten nicht anzulasten sein, weil er sich grundsätzlich auf die Angaben des Klägers zum Wert der Inventargegenstände verlassen durfte.
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich mit der Behauptung des Beklagten, das Mandat habe nicht durchgehend bis 1996 bestanden, sondern sei bereits im Jahre 1992 – vorübergehend – beendet worden, und der im Zusammenhang damit erhobenen Verjährungseinrede zu befassen.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.09.2000 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556389 |
DStR 2000, 1924 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 2431 |
ZAP-Ost 2000, 716 |
ZAP 2000, 1449 |
AgrarR 2001, 116 |
MDR 2001, 116 |
NJ 2001, 99 |
MittRKKöln 2001, 153 |
BRAK-Mitt. 2001, 18 |