Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallersatztarif. Erstattung durch gegenerische Haftpflichtversicherung
Leitsatz (redaktionell)
Einen Autovermieter trifft bei Vermietung eines Unfallersatzwagens eine Aufklärungspflicht darüber, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung den Unfallersatztarif möglicherweise nicht in vollem Umfang erstattet, wenn der angebotene Tarif deutlich über dem Normaltarif auf dem örtlich relevanten Markt liegt.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2, § 249
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 15.07.2005; Aktenzeichen 16 S 11842/04) |
AG Nürnberg (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen 21 C 4640/04) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg Fürth vom 15. Juli 2005 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 27. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Tatbestand
Die Klägerin, eine Autovermieterin, macht gegen die Beklagte rückständige Miete für die Überlassung eines Mietwagens geltend.
Nach einem Verkehrsunfall am 30. Juli 2003, bei dem der Pkw der Beklagten beschädigt worden war, mietete diese am gleichen Tag von der Klägerin einen Ersatzwagen zum Unfallersatztarif.
Mit Rechnung vom 28. April 2003 machte die Klägerin insgesamt 3.141,17 EUR geltend.
Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, dessen volle Haftung für den Unfallschaden nicht streitig ist, zahlte 979,92 EUR, den Betrag, der bei Zugrundelegung des von der Klägerin über das Internet angebotenen Tarifs angefallen wäre. Die Differenz von 2.161,26 EUR verlangt die Klägerin von der Beklagten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 2.161,26 EUR verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, ein gewerbliches Mietwagenunternehmen sei nicht verpflichtet, ungefragt auf eigene günstigere Tarifgestaltungen oder gar auf mögliche Schwierigkeiten bei der Schadensregulierung im Zusammenhang mit dem sogenannten Unfallersatztarif hinzuweisen. Der Beklagten stehe deshalb kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht zu. Der Mietvertrag verstoße auch nicht gegen § 138 Abs. 1, 2 BGB. Für die Ausnutzung einer Schwächesituation, wie sie § 138 Abs. 2 BGB verlange, liege kein Anhaltspunkt vor. Für eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB fehle es an der verwerflichen Gesinnung.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
a) Im Ergebnis richtig ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag nicht wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) nichtig ist. Der Senat hat sich – nach Erlass des Berufungsurteils – in seinen Entscheidungen vom 10. Januar 2007 – XII ZR 72/04 – NJW 2007, 1447 und vom 7. Februar 2007 – XII ZR 125/04 – NJW 2007, 2181 mit der Frage der Sittenwidrigkeit von Mietverträgen bei Vereinbarung eines Unfallersatztarifs befasst. Danach können die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.ä.) einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, wenn sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind. Eine Sittenwidrigkeit kann sich grundsätzlich nicht schon daraus ergeben, dass der Unfallersatztarif über dem sogenannten Normaltarif liegt. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob der im Einzelfall verlangte Unfallersatztarif den auf dem Markt üblichen Unfallersatztarif in sittenwidriger Weise übersteigt. Die Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass unter diesem Gesichtspunkt bei Berücksichtigung der Risiken des Vermieters die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist.
b) Mit Erfolg macht die Revision aber geltend, dass das Berufungsgericht zu Unrecht eine Aufklärungspflicht verneint hat. Der Senat hat – nach Erlass des Berufungsurteils – eine Aufklärungspflicht gegenüber den Interessenten eines Unfallersatzwagens bejaht (Senatsurteile vom 28. Juni 2006 – XII ZR 50/04 – NJW 2006, 2618 f.; vom 10. Januar 2007 – XII ZR 72/04 – aaO; vom 7. Februar 2007 – XII ZR 125/04 – aaO; vom 27. Juni 2007 – XII ZR 53/05 – NJW 2007, 2759; vom 24. Oktober 2007 – XII ZR 155/05 –). Zwar muss der Vermieter nicht über den gespaltenen Tarifmarkt, d.h. weder über die eigenen verschiedenen Tarife noch über günstigere Angebote der Konkurrenz aufklären; es ist grundsätzlich Sache des Mieters, sich zu vergewissern, ob die ihm angebotenen Vertragsbedingungen für ihn von Vorteil sind oder nicht. Bietet der Vermieter dem Unfallgeschädigten aber einen Tarif an, der deutlich über dem Normaltarif auf dem örtlich relevanten Markt liegt, und besteht deshalb die Gefahr, dass die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners nicht den vollen Tarif übernimmt, so muss er den Mieter darüber aufklären. Danach ist es erforderlich, aber auch ausreichend, den Mieter deutlich und unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung den angebotenen Tarif möglicherweise nicht in vollem Umfang erstattet.
c) Danach steht dem Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus c.i.c. (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Satz 1, 249 BGB) zu, den er der geltend gemachten Mietzinsforderung entgegenhalten kann (Senatsurteil vom 10. Januar 2007 aaO). Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, auf die das Landgericht Bezug genommen hat, hätte die Beklagte bei ausreichender Aufklärung ein Kraftfahrzeug zu einem Tarif von 979,92 EUR angemietet und sich damit Kosten in Höhe der Klageforderung erspart.
Unterschriften
Hahne, Sprick, Fuchs, Ahlt, Vézina
Fundstellen