Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer in einem sogenannten Dieselfall (hier: Deliktszinsen).
2. Zu den Voraussetzungen einer auf den Ersatz künftiger Schäden gerichteten Feststellung bei einem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB.
Normenkette
BGB § 826; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 24.03.2020; Aktenzeichen 17 U 394/19) |
LG Heidelberg (Entscheidung vom 16.04.2019; Aktenzeichen 4 O 429/18) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Revision der Beklagten das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. März 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte darin zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % auf 17.741,18 € für die Zeit vom 26. März 2013 bis 30. Januar 2019 verurteilt worden ist. Die Berufung der Klägerin wird auch insoweit zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten und zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 57 % und die Beklagte zu 43 %. Die bis zum 16. August 2021 entstandenen Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 90 % und die Beklagte zu 10 %. Die danach entstandenen Kosten tragen die Klägerin zu 58 % und die Beklagte zu 42 %.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin erwarb am 25. März 2013 von einem Autohaus einen Pkw VW Touran Comfortline 2.0 TDI als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 34.400 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 Euro 5 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die über zwei unterschiedliche Betriebsmodi die Abgasrückführung steuerte. Im Modus 1, der beim Durchfahren des für die Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus automatisch aktiviert wurde, kam es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten wurden. Im normalen Straßenverkehr war der Modus 0 aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führte.
Rz. 2
Das Kraftfahrtbundesamt stufte die Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung ein und gab der Beklagten auf, die beanstandete Software bei den betroffenen Motoren zu entfernen. Die Klägerin ließ das Software-Update am 7. Oktober 2016 aufspielen.
Rz. 3
Die Klägerin verlangt Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, Delikts- und Prozesszinsen, Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz aller Schäden verpflichtet ist, die aus dem Kauf des Fahrzeugs aufgrund einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und noch entstehen werden, sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 19.330,31 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und den Annahmeverzug festgestellt. Auf die Berufung beider Parteien hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert, neu gefasst und die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen und Zurückweisung der weitergehenden Berufungen zur Zahlung von 17.741,18 € nebst Delikts- und Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz weiterer Schäden, die aus der Installation der Motorsteuerungssoftware resultieren, verpflichtet ist.
Rz. 5
Mit der vom Berufungsgericht unbeschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, soweit sie zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt und ihre Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden festgestellt worden ist. Die Klägerin hat ihre (unbeschränkt eingelegte) Revision mit am 16. August 2021 eingegangenem Schriftsatz zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter BeckRS 2020, 14354 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte nach §§ 826, 31 analog BGB ein Schadensersatzanspruch zu, da die Beklagte der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt habe. Neben einem Anspruch auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs stünden der Klägerin Deliktszinsen gemäß § 849 BGB zu. Die Klägerin habe Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr weiteren Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Installation der Software in der Motorsteuerung des im Fahrzeug verbauten Motors resultieren, bei der es sich nach Ansicht des Kraftfahrbundesamtes um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Der von der Klägerin zu weit formulierte Feststellungsantrag sei auslegungsfähig und hinreichend bestimmt. Es sei ausreichend, aber auch erforderlich, dass nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein erst künftig aus dem Rechtsverhältnis erwachsender Schaden angenommen werden könne. Die Klägerin habe ihr Feststellungsinteresse bereits erstinstanzlich unter anderem damit begründet, dass noch nicht sämtliche Schadenspositionen - z.B. Aufwendungen im Zusammenhang mit der Rückabwicklung - feststünden. Ohne die schädigende Handlung hätte die Klägerin mangels Erwerbs des Fahrzeugs keine Aufwendungen im Zusammenhang mit der Rückabwicklung des Vertrages. Solche seien ihr zwischenzeitlich aber durch die kostenpflichtige Abmeldung des Fahrzeugs entstanden.
II.
Rz. 8
Die Revision der Beklagten, die sich nur gegen die Verurteilung zur Zahlung von Deliktszinsen und die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden richtet, hat teilweise Erfolg.
Rz. 9
1. Die Revision der Beklagten beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht der Klägerin Deliktszinsen gemäß § 849 BGB auf einen Betrag von 17.741,18 € vom 26. März 2013 bis 30. Januar 2019 zugesprochen hat. Ein solcher Anspruch scheidet aus Rechtsgründen aus, da die Klägerin als Gegenleistung für die Kaufpreiszahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhielt (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; - VI ZR 397/19, VersR 2020, 1327 Rn. 20 ff.).
Rz. 10
2. Soweit sich die Revision gegen die Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht der Beklagten richtet, ist sie unbegründet. Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist.
Rz. 11
a) Wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, ein Teil des Schadens bei Klageerhebung also schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, kann der Kläger in vollem Umfange Feststellung der Ersatzpflicht begehren. Der Kläger kann in einem solchen Falle nicht hinsichtlich des bereits entstandenen Schadens auf eine Leistungsklage verwiesen werden. Er ist also nicht gehalten, sein Klagebegehren in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag aufzuspalten. Der Kläger muss dann auch nicht nachträglich seinen Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag abändern, wenn dies aufgrund der Schadensentwicklung im Laufe des Rechtsstreits möglich würde, weil sich der Anspruch beziffern ließe (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, juris Rn. 25 mwN).
Rz. 12
b) Darauf kann die Klägerin ihr Feststellungsinteresse im Streitfall stützen.
Rz. 13
aa) Da die Beklagte nach Abschluss des Kaufvertrages über das Fahrzeug gemäß § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist, kommt es darauf an, ob weitere ersatzfähige Schäden möglich sind.
Rz. 14
In Fällen, in denen es um erst künftig erwachsende reine Vermögensschäden geht, hängt die Zulässigkeit der Feststellungsklage grundsätzlich von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab. Grund dafür ist der Schutz des möglichen Schädigers, dem nicht ein Rechtsstreit über gedachte Fragen aufgezwungen werden soll, von denen ungewiss ist, ob sie jemals praktische Bedeutung erlangen könnten. Dies betrifft indes Fälle, in denen es ausschließlich um befürchtete künftige Vermögensschäden geht, eine Leistungsklage also noch gar nicht in Betracht kommt. Sie betrifft nicht Fälle, in denen ein Vermögens(teil)schaden bereits entstanden ist und der Eintritt weiterer Vermögensschäden im Rahmen der noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung erwartet wird. In diesen Fällen genügt die Möglichkeit eines künftigen weiteren Schadenseintritts für die Zulässigkeit der Feststellungsklage. Dies gilt unabhängig davon, ob diese isoliert für alle Schäden oder neben einer Leistungsklage nur für künftige, noch nicht bezifferbare Schäden erhoben wird. Dem Beklagten wird dann nicht ein Rechtsstreit über nur theoretische Fragen aufgezwungen, vielmehr hat die Frage einer Schadensersatzpflicht durch den Eintritt eines Teilschadens bereits praktische Bedeutung erlangt. Auf der anderen Seite kann im Hinblick auf den Grundsatz der Schadenseinheit schon mit Eintritt einer ersten Vermögenseinbuße die Verjährung von Ansprüchen wegen späterer Schadensfolgen zu laufen beginnen. Daher dürfen zum Schutz des Geschädigten die Hürden für die Erhebung einer Feststellungsklage zwar nicht zu hoch angesetzt werden. An der Möglichkeit weiterer Schäden fehlt es allerdings, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen. Dann ist der Kläger wegen des bereits eingetretenen Schadens auf die vorrangige Leistungsklage beschränkt. Welche weiteren Schäden zu befürchten sind, hat der Kläger darzulegen (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, juris Rn. 28 mwN).
Rz. 15
bb) Das Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich aus der Belastung mit Aufwendungen, die nach ihrem Vortrag in Betracht kommen. Die Klägerin hat bereits erstinstanzlich unter anderem vorgetragen, dass noch Transport-, Stand- sowie An- und Abmeldekosten entstehen könnten. Solche Aufwendungen könnten im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig sein, für dessen Geltendmachung sich die Klägerin entschieden hat (vgl. dazu Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, juris Rn. 33). Insoweit liegt dieser Fall anders als im Verfahren VI ZR 397/19, wo es an entsprechendem konkretem Vortrag fehlte.
Seiters |
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von Pentz |
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Klein |
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Allgayer |
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Linder |
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Fundstellen
NJW 2022, 1093 |
WM 2022, 387 |
JZ 2022, 165 |
MDR 2022, 362 |
VRS 2021, 253 |
VersR 2022, 593 |