Leitsatz (amtlich)
Die einem Lebensversicherungsvertrag zugrunde liegende Klausel „Den Inhaber des Versicherungsscheins können wir als berechtigt ansehen, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen” hält einer Kontrolle an § 9 AGBG stand.
Normenkette
AGBG § 9
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 7 O 15792/97) |
OLG München (Aktenzeichen 29 U 3536/98) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 19. November 1998 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts München I, 7. Zivilkammer, vom 9. April 1998 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Wahrnehmung und Förderung der Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung zählen. Das beklagte Versicherungsunternehmen verwendet beim Abschluß von Lebensversicherungsverträgen Allgemeine Versicherungsbedingungen, die – in Übereinstimmung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 der Musterbedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung 1986 (ALB 86), VerBAV 1986, 205 – folgende Klausel enthalten:
„Den Inhaber des Versicherungsscheins können wir als berechtigt ansehen, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen.”
Mit Schreiben vom 1. Juli 1997 beanstandete der Kläger diese Klausel. Die Beklagte lehnte es ab, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Der Kläger ist der Auffassung, die Klausel verstoße als Allgemeine Geschäftsbedingung gegen § 9 AGBG.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, bei neu abzuschließenden Lebensversicherungsverträgen diese oder eine inhaltsgleiche Klausel zu verwenden oder sich darauf bei der Abwicklung von nach dem 1. April 1977 geschlossenen Verträgen zu berufen; er hat ferner beantragt, ihm die Befugnis zur Veröffentlichung der Urteilsformel zuzusprechen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (VersR 1999, 1222). Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die vom Kläger beanstandete Klausel sei schon deshalb gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam, weil sie dem Transparenzgebot widerspreche. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erwecke die Klausel den Eindruck, daß die Beklagte den Inhaber des Versicherungsscheins nach ihrem Gutdünken als berechtigt ansehen könne, Leistungen in Empfang zu nehmen und sie bei einer Leistung an diesen ihren Pflichten aus dem Versicherungsvertrag stets genüge, sie also immer befreiend an den Inhaber des Versicherungsscheins leisten könne. Dieser durch die Klausel vermittelte Eindruck sei aber unzutreffend. Zwar solle der Versicherungsschein durch die Klausel zu einem Legitimationspapier im Sinne der §§ 4 VVG, 808 BGB ausgestaltet werden, in Rechtsprechung und Literatur sei aber anerkannt, daß eine Inhaberklausel den Versicherer dann nicht schütze, wenn er rechtsmißbräuchlich an den Inhaber des Versicherungsscheins leiste. Ein solches rechtsmißbräuchliches Verhalten liege unzweifelhaft vor, wenn der Versicherer von der mangelnden Berechtigung des Scheininhabers positive Kenntnis habe. Danach stelle sich die von der Beklagten verwendete Klausel nicht nur als unklar dar, sie eröffne vielmehr die Möglichkeit, daß einerseits der Versicherungsnehmer über seine Rechte und die Pflichten des Versicherers irregeführt werde, andererseits der Versicherer begründete Ansprüche unter Hinweis auf die Klausel ablehnen könne. Eine solche Klausel benachteilige den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Die Klausel erweise sich zudem als unwirksam, weil sie von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung abweiche (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG). Forderungen gegen den Versicherer könnten grundsätzlich nur vom materiell Berechtigten geltend gemacht werden. Nur dieser könne wirksam über die ihm zustehende Forderung verfügen; sie könne grundsätzlich nur ihm gegenüber erfüllt werden. Die Inhaberklausel, die den Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier mache, habe also nur Bedeutung, wenn ein anderer als der Urkundeninhaber Gläubiger der Forderung sei. Nur für diese Fälle bewirke die Ausgestaltung des Scheins als qualifiziertes Legitimationspapier den Schutz des Schuldners. Die von der Beklagten verwendete Inhaberklausel gebe aber nicht nur den Inhalt der gesetzlichen Regelung wieder. Denn sie bestimme, daß die Beklagte den Inhaber des Versicherungsscheins – nach ihrem Gutdünken – als berechtigt ansehen könne, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen. Unter den Begriff „verfügen” fielen dabei Rechtshandlungen wie die Kündigung des Versicherungsvertrages und Annahme des Rückkaufswertes, die Umwandlung der Versicherung in eine prämienfreie Versicherung aber auch der Abschluß eines Vergleichs über die Versicherungsforderung. Die beanstandete Klausel gehe also über die gesetzliche Regelung des Rechts einer Forderung hinaus. Sie weiche inhaltlich vom Leitbild des gesetzlichen Forderungsrechts so weitgehend ab, daß sie mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht mehr vereinbar sei. Der Versicherungsnehmer werde durch die Klausel bei einem unberechtigt verfügenden Inhaber des Versicherungsscheins nahezu schutzlos gestellt und dadurch in erheblichem Maße in Abweichung gegenüber den Leitgedanken des Forderungsrechts belastet.
Dem folgt der Senat nicht.
II. Die streitbefangene Klausel hält einer Kontrolle nach § 9 AGBG stand.
1. a) Vor der Prüfung der Klausel ist ihr Inhalt durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85). Eine Ausnahme erfährt dieser Grundsatz jedoch, wenn die Rechtssprache mit einem in den Bedingungen verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet; trifft das zu, so ist im Zweifel anzunehmen, daß auch die Bedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (Senatsurteil vom 5. Juli 1995 - IV ZR 133/94 - VersR 1995, 951 unter 2. b). Bei Berücksichtigung dieser Maßstäbe ergibt sich hier:
b) Der verständige Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus. Aus diesem ergibt sich für ihn zunächst, daß sich der Versicherer mit der Regelung das Recht einräumt, an den Inhaber des Versicherungsscheins die mit dem Versicherungsvertrag versprochene Leistung zu bewirken. Die Wendung „als berechtigt” ansehen verdeutlicht ihm darüber hinaus, daß der Versicherer mit einer Leistung an den Inhaber der Urkunde von seiner Leistungspflicht aus dem Vertrag frei werden will, denn andernfalls entfaltete die Klausel auch aus der Sicht des verständigen Versicherungsnehmers keinen Sinn. Weil die Klausel zudem nur bestimmt, daß der Versicherer den Scheininhaber als zur Empfangnahme der Leistung berechtigt ansehen kann, aber nicht muß, ergibt sich für den Versicherungsnehmer weiter, daß dem Inhaber des Versicherungsscheins kein Anspruch auf die Leistung zukommen soll. Die Klausel begründet danach zwar ein Recht des Versicherers zur befreienden Leistung an den Urkundeninhaber, aber keinen Anspruch des Inhabers des Versicherungsscheins auf diese.
Nach dem Inhalt der Regelung kann der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins aber nicht nur als berechtigt ansehen, Leistungen in Empfang zu nehmen, er kann ihn vielmehr als berechtigt ansehen, „über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen”. Daß dem Versicherer damit eine weiterreichende Berechtigung zugewiesen wird als diejenige, mit befreiender Wirkung an den Urkundeninhaber zu leisten, ergibt sich für den Versicherungsnehmer schon daraus, daß gerade diese konkret bezeichnete Berechtigung mit dem Zusatz „insbesondere” versehen ist und damit zugleich als ein Beispiel für ein Verfügen über Rechte aus dem Vertrag ausgewiesen wird. Dabei führt die Wendung „über Rechte … verfügen” den Versicherungsnehmer erkennbar in den Bereich der Rechtssprache. Daß es insoweit allein auf die rechtliche Bedeutung ankommen soll, verdeutlicht gerade das als Verfügung angesprochene Beispiel der Empfangnahme der Leistung, die umgangsprachlich nicht oder nur schwerlich mit dem Verfügen über ein Recht gleichgesetzt wird. Nach dem damit für die Auslegung maßgeblichen rechtlichen Verständnis des Verfügungsbegriffs erfaßt die Klausel das aktive Einwirken auf Rechte, mithin solche Rechtshandlungen des Inhabers des Versicherungsscheins, die die Rechte aus dem Versicherungsvertrag betreffen. Dazu rechnet nicht nur die als Beispiel benannte – grundsätzlich Verfügungsmacht voraussetzende – Empfangnahme der vertraglich versprochenen Leistung mit für den Schuldner befreiender Wirkung, sondern auch sonstige Rechtshandlungen wie die Kündigung des Versicherungsvertrages zur Erlangung des Rückkaufswertes (§ 176 VVG), der Antrag auf Umwandlung des Vertrages in eine prämienfreie Versicherung (§ 174 VVG) oder etwa auch die Abtretung oder Verpfändung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung (vgl. Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. ALB 86 § 11 Rdn. 3; Benkel/Hirschberg, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung, ALB § 11 Rdn. 6; Bruck/Möller/Winter, VVG 8. Aufl. Bd. V/2 Anm. C 334) sowie die Bezeichnung oder Änderung der Bezugsberechtigung (Senatsurteil vom 28. September 1988 - IVa ZR 126/87 - NJW-RR 1989, 21 unter 2).
c) In dieser Auslegung kommt der Klausel in zweierlei Hinsicht rechtliche Wirkung zu: Mit der dem Versicherer vertraglich eingeräumten Berechtigung, an den Inhaber des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, ohne aber diesem gegenüber zur Leistung verpflichtet zu sein, wird der Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier im Sinne des § 808 BGB (Senatsurteil vom 24. Februar 1999 - IV ZR 122/98 - NVersZ 1999, 365 unter 2 a). Daneben wird der Versicherer für berechtigt erklärt, den Urkundeninhaber hinsichtlich anderer Verfügungen über Rechte aus dem Versicherungsvertrag als berechtigt anzusehen. Dabei kommt dieser Seite der Berechtigung nur insoweit selbständige Bedeutung zu, als sie von der dem Inhaber eines qualifizierten Legitimationspapiers zukommenden Rechtsstellung nicht ohnehin erfaßt wird. Diese Differenzierung ist auch bei der Kontrolle der Klausel nach § 9 AGBG zu beachten.
2. Es verstößt nicht gegen § 9 AGBG, wenn der Versicherungsschein aufgrund der streitbefangenen Klausel zu einem qualifizierten Legitimationspapier im Sinne des § 808 BGB wird, der Versicherer also grundsätzlich auch dann von seiner Leistungspflicht befreit wird, wenn er an den Inhaber des Versicherungsscheins leistet, auch wenn dieser zum Empfang der Leistungen materiell nicht berechtigt ist.
a) Insoweit ist die Inhaltskontrolle nicht an § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG zu orientieren. Denn mit der durch die Klausel bewirkten Ausgestaltung des Versicherungsscheins zu einem qualifizierten Legitimationspapier wird nicht von einer „gesetzlichen Regelung” im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG abgewichen. § 4 VVG hindert eine solche Ausgestaltung nicht, er setzt sie vielmehr voraus und beschreibt ihre Wirkungen unter Hinweis auf § 808 BGB. Die Vorschrift des § 4 VVG will lediglich die Gestaltung des Versicherungsscheins zu einem reinen Inhaberpapier verhindern (vgl. Bruck/Möller/Winter, aaO; vgl. Römer in Römer/Langheid, VVG § 4 Rdn. 1). Darum aber geht es bei der streitbefangenen Klausel gerade nicht. Ebenso scheidet § 808 BGB als „gesetzliche Regelung” im dargestellten Sinne aus, denn dessen von § 362 BGB abweichende Auswirkungen bilden gerade den Ausgangspunkt für die Prüfung, ob schon die Ausgestaltung des Versicherungsscheins zu einem qualifizierten Legitimationspapier gegen § 9 AGBG verstößt. Als Maßstab der Inhaltskontrolle kommt daher § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AGBG in Betracht.
b) Die Ausgestaltung des Versicherungsscheins als Urkunde im Sinne des § 808 BGB führt nicht zu einer Gefährdung des Vertragszwecks (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) einer Lebensversicherung. Befreiende Wirkung kommt der Leistung des Schuldners regelmäßig zwar nur dann zu, wenn er an den materiell berechtigten Forderungsinhaber leistet. Wenn die Klausel demgegenüber die Leistungsberechtigung des Schuldners erweitert, so liegt darin keine wesentliche Beeinträchtigung von solchen Rechten oder Pflichten, die sich gerade aus der Natur eines Lebensversicherungsvertrages, ihrem typischen Vertragszweck, ableiteten. Denn der mit dem Lebensversicherungsvertrag versprochene und geschuldete Versicherungsschutz bleibt von einer solchen Regelung unberührt; sie betrifft Einzelheiten der Leistungsbewirkung, die auch in anderen vertraglichen Verhältnissen – wie § 808 BGB zeigt – vereinbart werden können.
c) Die durch die Klausel bewirkte Erweiterung der Leistungsberechtigung des Versicherers benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 Abs. 1 AGBG). Sie dient zwar allein dem Interesse des Schuldners und damit des Versicherers. Dieser Umstand allein läßt jedoch noch keinen Schluß auf eine damit verbundene unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers zu. Eine solche ergibt sich aber auch aus den Folgewirkungen der Erweiterung der Leistungsberechtigung des Versicherers nicht. Die Leistung an den Inhaber der Urkunde befreit den Versicherer von seiner Verbindlichkeit. Das ist selbstverständlich, wenn die Forderung – wie das regelmäßig der Fall sein wird – auch dem Inhaber des Versicherungsscheins zusteht (§ 362 BGB). Bedeutung kommt der Erweiterung der Leistungsberechtigung also nur für den Ausnahmefall zu, in dem der Urkundeninhaber nicht zugleich Inhaber der Forderung ist. Und nur für diesen Fall bezweckt und bewirkt die Ausgestaltung des Versicherungsscheins zu einem qualifizierten Legitimationspapier den Schutz des Schuldners, wenn er an den Urkundeninhaber leistet; denn ihm wird das Risiko der Doppelzahlung und der Uneinbringlichkeit seiner Kondiktion gegen den vermeintlichen Gläubiger abgenommen (MünchKomm/Hüffer, BGB 3. Aufl. § 808 Rdn. 12). Insoweit ist aber andererseits zu berücksichtigen, daß es zu einer Leistung des Versicherers an den nicht berechtigten Inhaber des Versicherungsscheins nur kommen kann, wenn sich der Versicherungsnehmer selbst der Kontrolle über den Versicherungsschein – ob freiwillig oder unfreiwillig – begeben hat. Denn im Regelfall steht der erweiterten Leistungsberechtigung des Schuldners einerseits die Kontrolle des Gläubigers über die Urkunde andererseits gegenüber. Der Gläubiger – hier der Versicherungsnehmer – hat es in der Hand, ob er den Versicherungsschein weitergibt oder nicht. Schon diese Steuerungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers mindert sein Risiko, daß der Versicherer durch eine Leistung an den materiell nicht berechtigten Urkundeninhaber von seiner Leistungspflicht befreit werden könnte. Verliert der Versicherungsnehmer unfreiwillig die Kontrolle über den Versicherungsschein, kann er sich jedenfalls ab Kenntnis vom Verlust durch Anzeige beim Versicherer vor Nachteilen zu schützen suchen. Denn die Legitimationswirkung der Urkunde greift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann nicht ein, wenn der Schuldner die mangelnde Verfügungsberechtigung des Schuldners positiv kennt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat (Senatsurteil vom 24. Februar 1999 aaO). Die durch die Klausel herbeigeführte erweiterte Leistungsberechtigung des Versicherers kann sich nach alledem zwar unter besonderen Umständen auch nachteilig für den Versicherungsnehmer auswirken und die Durchsetzung seines Anspruchs aus dem Vertrag gefährden, indessen ist darin keine derart ins Gewicht fallende Beeinträchtigung seiner Interessen zu erkennen, daß von einer den Grundsätzen von Treu und Glauben widerstreitenden unangemessenen Benachteiligung ausgegangen werden könnte. Dem Ergebnis dieser Abwägung entspricht es, daß auch das Versicherungsvertragsgesetz die Ausgestaltung des Versicherungsscheins als qualifiziertes Legitimationspapier nicht aus Gründen des Schutzes des Versicherungsnehmers hindert, es vielmehr mit § 4 VVG lediglich dessen Gestaltung als reines Inhaberpapier unterbinden wollte (vgl. Römer aaO; Bruck/Möller/Winter aaO).
3. Die streitbefangene Klausel hält aber auch insoweit einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand, als der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins – weitergehend – als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen.
Insoweit ist zunächst zu unterscheiden zwischen solchen Rechtshandlungen, die dem Inhaber des Versicherungsscheins als eines qualifizierten Legitimationspapiers schon nach § 808 BGB zukommen, und sonstigen Rechten, auf die sich die Legitimationswirkung der Urkunde von vornherein nicht bezieht.
a) Die Legitimationswirkung des § 808 Abs. 1 Satz 1 BGB erstreckt sich auf die vertraglich versprochenen Leistungen (BGHZ 64, 278, 280). Dagegen vermittelt ein qualifiziertes Legitimationspapier dem Inhaber grundsätzlich nicht das Recht, Willenserklärungen abzugeben, die für den Gläubiger des verbrieften Rechts verbindlich sind. Lediglich insoweit als zur Empfangnahme der in der Urkunde versprochenen Leistungen Willenserklärungen erforderlich sind, kann auch der Inhaber der Urkunde diese abgeben, weil andernfalls die Legitimationswirkung der Urkunde hinfällig wäre (vgl. BGHZ 64, 278, 287; allgemein: RGRK-Steffen, BGB 12. Aufl. § 808 Rdn. 58; weitergehend Staudinger/Marburger, BGB 12. Aufl. § 808 Rdn. 27).
Vertraglich versprochene Leistung ist bei einer Lebensversicherung aber nicht nur die Leistung der Versicherungssumme im Versicherungsfall. Vertraglich versprochen ist auch die Leistung des Rückkaufswertes nach Kündigung des Vertrages (vgl. § 4 ALB 86 und § 176 VVG). Denn das Recht auf den Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme (BGHZ 45, 162, 167 m.w.N.). Demgemäß erstreckt sich die Legitimationswirkung eines Versicherungsscheins als Urkunde im Sinne des § 808 BGB auch auf das Kündigungsrecht, um den Rückkaufswert zu erlangen. Der Versicherer kann den Inhaber des Versicherungsscheins deshalb schon nach § 808 BGB als zur Kündigung berechtigt ansehen, wenn dieser die Auszahlung des Rückkaufswertes erstrebt. Einen Verstoß gegen § 9 AGBG begründet diese dem Versicherer mit der Klausel eröffnete Möglichkeit schon aus den zuvor dargelegten Gründen nicht; es geht insoweit bei Lichte betrachtet erneut um den Empfang der vertraglich versprochenen Leistung, wenn auch hier in der Form des Rückkaufswertes.
Ob der Inhaber des Versicherungsscheins nach § 808 BGB auch zur Abgabe einer Umwandlungserklärung (vgl. § 174 VVG) als berechtigt angesehen werden kann, ob auch eine solche Erklärung zum Empfang einer vertraglich versprochenen Leistung führen würde, kann offenbleiben. Denn die Klausel verstößt auch nicht insoweit gegen § 9 AGBG, als der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins auch als berechtigt ansehen kann, über Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, soweit es dabei nicht unmittelbar um den Empfang einer vertraglich versprochenen Leistung geht.
b) Als Prüfungsmaßstab kommt hier allein § 9 Abs. 1 AGBG in Betracht; §§ 4 VVG, 808 BGB stellen auch in diesem Zusammenhang keine gesetzlichen Regelungen im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG dar, mit deren wesentlichen Grundgedanken die streitbefangene Klausel – soweit sie nicht den Empfang der Leistung betrifft – nicht zu vereinbaren sein könnte. § 4 Abs. 1 VVG betrifft den hier in Rede stehenden Tatbestand nicht (Benkel/Hirschberg, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung, § 11 ALB Rdn. 6); er will – wie dargelegt – nur die Ausgestaltung des Versicherungsscheins zum reinen Inhaberpapier unterbinden. § 808 BGB beschreibt eine besondere Ausformung des Schuldnerschutzes bei Erbringung der vertraglich versprochenen Leistung. Er betrifft demgemäß den Glauben des Schuldners an andere Verfügungen des Inhabers des Versicherungsscheins, soweit sie nicht unmittelbar dem Empfang der vertraglich versprochenen Leistungen dienen, von vornherein nicht. Darauf, daß mit dieser Ausgestaltung der Klausel eine Vertragszweckgefährdung (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) einhergehen könnte, stellt schon das Berufungsgericht – mit Recht – nicht ab.
c) Nimmt man die hier noch in Rede stehenden Verfügungen in den Blick, so ist ihnen gemeinsam, daß sich eine Einwirkung auf das Recht aus dem Versicherungsvertrag infolge einer solchen Verfügung unabhängig vom Versicherungsschein vollzieht. Das gilt für die Abtretung oder Verpfändung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung, aber auch für die Bestimmung oder Änderung des Bezugsrechts. Voraussetzung für die materielle Wirksamkeit der Verfügung ist nicht die Inhaberschaft am Versicherungsschein, sondern die materielle Forderungsinhaberschaft des Verfügenden. Denn eine Forderung kann durch den Abtretungsempfänger nicht gutgläubig erworben werden, ein gutgläubiger Erwerb des Pfandrechts durch einen Dritten kommt nicht in Betracht, weil das verpfändete Recht selbst – die Forderung – nicht gutgläubig erworben werden kann. Für die Bestimmung oder Änderung des Bezugsrechts gilt im Ergebnis nichts anderes. Denn durch die Ausübung dieses Rechts verfügt der Versicherungsnehmer über seinen versicherungsvertraglich begründeten Leistungsanspruch, also über eine Forderung (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1988 - IVa ZR 126/87 - NJW-RR 1989, 21 unter 2). Wenngleich der Versicherer nach Maßgabe der streitbefangenen Klausel den Inhaber des Versicherungsscheins auch als zu solchen Verfügungen berechtigt ansehen kann, bleibt das für die materielle Forderungsinhaberschaft des Versicherungsnehmers ohne Bedeutung. Sie bleibt beim Versicherungsnehmer auch dann, wenn der in dieser Weise Verfügende zwar Inhaber des Versicherungsscheins, nicht aber Inhaber der Forderung ist. Jedenfalls unter diesem Blickwinkel ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Versicherungsnehmers nicht festzustellen, seine unangemessene Benachteiligung nicht zu besorgen. Erbringt der Versicherer dem vermeintlichen Abtretungsempfänger, Pfändungsgläubiger oder Bezugsberechtigten die vertragliche Leistung, hängt deren befreiende Wirkung wiederum davon ab, daß jener auch Inhaber des Versicherungsscheins ist. Daß mit letzterem zwar eine Gefährdung der Interessen des Versicherungsnehmers verbunden sein kann, die aber dennoch nicht den Grad einer unangemessenen Benachteiligung erreicht, ist bereits festgestellt worden. Diese Gefährdung aber wird nicht dadurch in besonderem Maße erhöht, daß der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins auch zu den genannten Verfügungen als berechtigt ansehen kann. Zwar mag es in Einzelfällen zu Schwierigkeiten in der Durchsetzung des Anspruchs des materiell Berechtigten kommen, wenn dieser nicht (mehr) im Besitz des Versicherungsscheins ist; daß solche aber gerade durch diese Ausgestaltung der Klausel ein Ausmaß und eine Häufigkeit erreichen, daß der Versicherungsnehmer – wie das Berufungsgericht meint – „schutzlos” gestellt würde, ist – auch unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur zu der in ihrem wesentlichen Inhalt bereits seit 1932 durchgehend verwendeten Klausel (vgl. § 13 ALB 1932, VerAfP 1932, 115) – nicht zu erkennen. Die Klausel führt daher auch insoweit zu keiner unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers.
4. Die streitbefangene Klausel ist schließlich auch nicht wegen Verstoßes gegen das sich aus § 9 AGBG ergebende Transparenzgebot unwirksam.
a) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten eines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen (BGHZ 136, 394, 401; Senatsurteil vom 24. März 1999 - IV ZR 90/98 - NVersZ 1999, 360 unter I, 3 b). Das schließt es ein, daß dem Versicherungsnehmer mit der Klausel die Rechtslage nicht unzutreffend dargestellt und dem Verwender damit die Möglichkeit eröffnet wird, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die Klausel abzuwehren (BGHZ 104, 82, 92). Dagegen verlangt das Transparenzgebot nicht, aus dem Gesetz oder aus der Rechtsnatur eines Vertrages folgende Rechte ausdrücklich zu regeln oder den Vertragspartner darüber zu belehren (BGHZ 133, 25, 32). Nach diesen Grundsätzen verstößt die Klausel nicht gegen das Transparenzgebot.
b) Die Klausel enthält keine unzutreffende Darstellung der Rechtslage. Wie dargelegt, ergibt sich für den verständigen Versicherungsnehmer aus ihr, daß der Versicherer zwar berechtigt ist, an den Inhaber des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, daß aber andererseits kein Anspruch des Urkundeninhabers auf diese Leistung besteht. Das beschreibt die rechtlichen Wirkungen der Inhaberklausel zutreffend (§ 808 Abs. 1 BGB). Zwar gilt nach der Rechtsprechung eine Ausnahme von der befreienden Wirkung der Leistung an den Urkundeninhaber jedenfalls dann, wenn der Versicherer die mangelnde Verfügungsbefugnis des Inhabers des Versicherungsscheins positiv kennt oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung bewirkt hat (Senatsurteil vom 24. Februar 1999 aaO). Diese Ausnahme in der Inhaberklausel anzuführen, gebietet das Transparenzgebot aber nicht. Denn sie gründet sich auf eine – in ihrer Reichweite noch nicht vollständig geklärte – Auslegung des § 808 BGB (vgl. MünchKomm/Hüffer, BGB 3. Aufl. § 808 Rdn. 14 f.) oder auf die Anwendung des § 242 BGB, folgt also unmittelbar aus gesetzlichen Regelungen. Daß sich daraus aber im Einzelfall Abweichungen von dem in der Klausel dargestellten Grundsatz ergeben können, bedarf der besonderen Hervorhebung auch unter dem Blickwinkel der Transparenz nicht. Der Bedingungsgeber ist insbesondere nicht gehalten, die Wirkungen der Inhaberklausel weitergehend zu erläutern, als dies der Gesetzgeber mit § 808 BGB für geboten erachtet hat.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Dr. Schlichting, Terno, Seiffert, Ambrosius
Fundstellen
Haufe-Index 538841 |
NJW 2000, 2103 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2000, 831 |
NVersZ 2001, 259 |
VersR 2000, 709 |
ZfS 2000, 303 |