Leitsatz (amtlich)
Bei unfreiwilligem Arbeitsplatzverlust kann sich der Unterhaltsschuldner auf die eigene Leistungsunfähigkeit nicht berufen, wenn er seine Leistungsunfähigkeit durch unterhaltsbezogene Mutwilligkeit herbeigeführt hat. Dies setzt voraus, daß er die Möglichkeit des Eintritts der Leistungsunfähigkeit als Folge seines Verhaltens erkennt und im Bewußtsein dieser Möglichkeit, wenn auch im Vertrauen auf den Nichteintritt jener Folge handelt.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Mannheim |
OLG Karlsruhe |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des Kindesunterhalts.
Der Kläger zu 1, geboren am 9. Februar 1984, und der Kläger zu 2, geboren am 15. November 1986, sind die Kinder des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe. Am 12. Oktober 1987 hatte sich der Beklagte in vollstreckbarer Urkunde des Jugendamts zu einem monatlichen Kindesunterhalt von je 202,50 DM verpflichtet; in einem gerichtlichen Vergleich vom 29. März 1988 hatte er sich verpflichtet, an jeden der Kläger – über den in der Jugendamtsurkunde titulierten Unterhalt hinaus – weitere 20 DM monatlich zu zahlen.
Der – seit 1994 wieder verheiratete – Beklagte ist gelernter Sanitätsinstallateur und zu 60 % schwerbehindert. Er war seit 1977 bei den Stadtwerken M., zuletzt im Werkschutz, beschäftigt. Die Stadtwerke kündigten das Arbeitsverhältnis wegen des Diebstahls von Betriebseigentum zum 31. August 1995. Aufgrund dieser Tat wurde der Beklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beklagte bezog seit dem 24. November 1995 Arbeitslosengeld, dessen Höhe zunächst 521,40 DM und seit dem 24. April 1996 540 DM wöchentlich betrug. Aufgrund einer bis zum 15. Februar 1998 befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erzielte er ein Arbeitseinkommen, und zwar für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1997 in Höhe von rund 2.603 DM, anschließend in Höhe von rund 2.260 DM monatlich.
Die Kläger haben beantragt, den Beklagten – in Abänderung der von ihnen erlangten Unterhaltstitel – zur Zahlung von weitergehendem Kindesunterhalt, und zwar in Höhe des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle, zu verurteilen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung die Jugendamtsurkunde in der Fassung des Vergleichs vom 29. März 1988 dahin abgeändert, daß der Beklagte
- an den Kläger zu 1 für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Dezember 1996 monatlich 402 DM und für die Zeit ab 1. Januar 1997 monatlich 392 DM und
- hinsichtlich des Klägers zu 2 an das Land Rheinland-Pfalz für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1996 monatlich 324 DM und für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 28. Februar 1998 monatlich 314 DM sowie an den Kläger zu 2 für die Zeit ab 1. März 1998 monatlich 314 DM
zu zahlen hat. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I.
Bei seiner Entscheidung ist das Oberlandesgericht von dem Arbeitsentgelt ausgegangen, das der Beklagte aus seiner Beschäftigung bei den Stadtwerken zuletzt bezogen hat und aus dem das Oberlandesgericht ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 4.781 DM (für 1995) ermittelt hat. Auch ohne Anpassung dieses Betrags an zwischenzeitliche Einkommenssteigerungen sei der Beklagte – unter Berücksichtigung laufender Verbindlichkeiten in Höhe von 358 DM, des seiner jetzigen Ehefrau geschuldeten Unterhalts sowie eines Selbstbehalts von 1.400 DM – zur Zahlung des ausgeurteilten Unterhalts für die Kläger leistungsfähig.
Der Beklagte könne sich gegenüber den Klägern nicht auf den Verlust seines früheren Arbeitsplatzes und die damit einhergehende Einkommenseinbuße berufen; denn er habe diesen Verlust verantwortungslos und leichtfertig verursacht. Der Diebstahl gegenüber seinem Arbeitgeber, der zu seiner Entlassung geführt habe, sei, wie die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe mit dreijähriger Bewährungsfrist zeige, schwerwiegend gewesen. Angesichts seiner behinderungsbedingten schlechten Arbeitsmarktchance und der allgemein schlechten Arbeitsmarktsituation im Bezirk M. habe sich dem Beklagten bei der Begehung seiner Straftat aufdrängen müssen, daß er im Falle einer Entdeckung, der sich üblicherweise anschließenden Kündigung und der dann folgenden Arbeitslosigkeit den Unterhalt für die Kläger und seine zweite Ehefrau kaum noch werde aufbringen können.
II.
Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision mit Erfolg.
1. Nicht zu beanstanden ist der rechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, der die Rechtsprechung des Senats zutreffend wiedergibt: Danach kann ein unfreiwilliger, jedoch selbstverschuldeter Arbeitsplatzverlust unterhaltsrechtlich nicht den Fällen freiwilliger Aufgabe einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt werden. Die Berufung des Unterhaltspflichtigen auf seine Leistungsunfähigkeit verstößt vielmehr nur dann gegen Treu und Glauben, wenn das für den Verlust des Arbeitsplatzes ursächliche Verhalten des Unterhaltspflichtigen sich seinerseits als eine Verletzung seiner Unterhaltspflicht darstellt (Senatsurteil vom 9. Juni 1982 - IVb ZR 704/80 - FamRZ 1982, 913, 914). Für den erforderlichen unterhaltsrechtlichen Bezug insbesondere einer Straftat reicht es deshalb nicht aus, daß sie für den Arbeitsplatzverlust kausal geworden ist. Auch genügt nicht, daß sich der Arbeitsplatzverlust auf den Lebensstandard nicht nur des Täters, sondern auch seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen auswirkt; denn derartige Folgen treffen die Angehörigen auch in intakten Familien und werden in der Regel als durch die Wechselfälle des Lebens bedingt hingenommen. Es bedarf vielmehr einer auf den Einzelfall bezogenen Wertung dahin, ob die der Tat zugrundeliegenden Vorstellungen und Antriebe des Täters sich gerade auch auf die Verminderung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit als Folge seines strafbaren Verhaltens erstreckt haben (Senat aaO; Urteile vom 12. Mai 1993 - XII ZR 24/92 - FamRZ 1993, 1055, 1056 f.; vom 10. November 1993 - XII ZR 113/92 - FamRZ 1994, 240, 241).
2. Das Oberlandesgericht bejaht diese Voraussetzungen, weil es die gegen den Arbeitgeber gerichtete Straftat des Beklagten als so schwerwiegend erachtet, daß sich dem Beklagten – für den Fall der Entdeckung seiner Tat – die Möglichkeit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses aufdrängen mußte. Dem vermag der Senat nicht zu folgen:
a) Zunächst werden, worauf die Revision mit Recht hinweist, die rechtlichen Erwägungen des Oberlandesgerichts von seinen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. So folgert das Berufungsgericht das besondere Gewicht der vom Beklagten begangenen Straftat allein aus dem Umstand, daß die gegen den Beklagten verhängte Strafe auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die dreijährige Dauer der Bewährungsfrist läßt jedoch keinen verläßlichen Rückschluß auf die Schwere der Tat und das für sie gefundene Strafmaß zu. Der Tathergang sowie Art und Wert der vom Beklagten gestohlenen Sachen sind dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, weder die Strafakten beigezogen noch hat es sich mit dem Einwand des Beklagten auseinandergesetzt, sein damaliger Arbeitgeber habe die Entlassung von 450 Arbeitnehmern geplant und vor diesem Hintergrund das Vergehen „hochgespielt”. Es hat, worauf die Revision ebenfalls zutreffend hinweist, auch nicht festgestellt, ob die vom Arbeitgeber aufgrund der Straftat ausgesprochene Kündigung die Erfordernisse der §§ 21, 15 SchwerbG beobachtet hat und, würde man den Beurteilungsmaßstäben des Oberlandesgerichts folgen, auch insoweit für den Beklagten als Folge seines Fehlverhaltens vorhersehbar war.
b) Vor allem begegnet die angefochtene Entscheidung durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die bloße Vorhersehbarkeit des Arbeitsplatzverlustes, auf die das Oberlandesgericht maßgeblich abstellt, für sich genommen kein geeignetes Kriterium bietet, um den unterhaltsrechtlichen Bezug einer vom Unterhaltsschuldner begangenen Straftat zu begründen. Die nachteiligen Folgen, die eine Straftat für den beruflichen Werdegang des Straftäters mit sich bringen kann, werden nämlich bei vernünftiger Betrachtung stets auf der Hand liegen; sie dürften sich zudem auch nicht ohne weiteres auf besonders schwerwiegende Straftaten beschränken lassen. Die Gefahren, die eine Straftat für die künftige Stellung des Täters im Arbeitsleben mit sich bringt, hängen zudem von sehr unterschiedlichen Faktoren ab. So verweist etwa das Berufungsgericht auf die erschwerte Vermittelbarkeit des schwerbehinderten Beklagten auf einem örtlich ohnehin besonders angespannten Arbeitsmarkt. Beide Aspekte mögen sich bei vernünftiger Betrachtung aufdrängen; ihre Vorhersehbarkeit begründet jedoch keine im Vergleich zu anderen Unterhaltsschuldnern gesteigerte unterhaltsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten bei unfreiwilligem Verlust seines Arbeitsplatzes. Anderenfalls ließen sich auch eine besonders geschickte Tatausführung, welche die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung und damit eines Arbeitsplatzverlusts des Unterhaltsschuldners vorhersehbar vermindert, die schwere Ersetzbarkeit des Unterhaltsschuldners als Arbeitskraft oder auch die bisherige Nachsicht seines Arbeitgebers, die das Risiko seiner Kündigung als Folge der Straftat verringern, unterhaltsrechtlich zu Gunsten des Unterhaltsschuldners in Ansatz bringen, wenn diese Erwartungen fehlschlagen. Das kann nicht richtig sein und verdeutlicht, daß die bloße Vorhersehbarkeit der aus der Straftat erwachsenden Folgen, auch wenn sie evident sind, als Anknüpfungspunkt für den unterhaltsrechtlichen Bezug der Straftat nicht ausreicht.
Dem Unterhaltsschuldner ist die Berufung auf die eigene Leistungsunfähigkeit vielmehr nur dann versagt, wenn er seine Leistungsunfähigkeit durch unterhaltsbezogene Mutwilligkeit herbeigeführt hat, die nicht nur vorsätzliches oder absichtliches, sondern auch leichtfertiges Handeln umfaßt. Dies hat der Senat für den von § 1579 Nr. 3 BGB erfaßten Fall einer vom Unterhaltsgläubiger selbst verursachten Bedürftigkeit wiederholt entschieden (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 1981 - IVb ZR 593/80 - FamRZ 1981, 1042, 1044 f. und vom 14. Dezember 1983 - IVb ZR 38/82 - FamRZ 1984, 364, 367 f.). Für den gesetzlich nicht besonders geregelten Fall der vom Unterhaltsschuldner selbst verursachten Leistungsunfähigkeit können – schon im Hinblick auf den nur von § 242 BGB eingeschränkten Grundsatz des § 1603 Abs. 1 BGB – keine geringeren Anforderungen gelten. Bei Leichtfertigkeit, die gewöhnlich bewußte Fahrlässigkeit sein wird, ergibt sich damit das Erfordernis, daß der Unterhaltsschuldner die Möglichkeit des Eintritts der Leistungsunfähigkeit als Folge seines Verhaltens erkennt und im Bewußtsein dieser Möglichkeit, wenn auch im Vertrauen auf den Nichteintritt jener Folge handelt, wobei er sich unter grober Mißachtung dessen, was jedem einleuchten muß, oder in Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit gegen den Unterhaltsgläubiger über die erkannte Möglichkeit nachteiliger Folgen für seine Leistungsfähigkeit hinwegsetzt (vgl. Senat aaO).
3. Danach kann das Berufungsurteil im Umfange seiner Anfechtung nicht bestehenbleiben. Eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich; das Oberlandesgericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob der Beklagte den Verlust seines Arbeitsplatzes und seine damit einhergehende Leistungsunfähigkeit durch eine in diesem Sinne unterhaltsbezogene Mutwilligkeit herbeigeführt hat. Die Sache war daher an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Verhandlung wird das Oberlandesgericht erforderlichenfalls zu prüfen haben, ob § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG im Rahmen des Forderungsübergangs nach § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG analog anzuwenden ist und es ausschließt, dem Beklagten fiktive Einkünfte auch insoweit zuzurechnen, als mit der Klage verlangt wird, die auf den Unterhaltsanspruch des Klägers zu 2 zu leistenden Beträge infolge des Anspruchsübergangs an das Land zu leisten (vgl. Senatsurteil vom 22. September 1999 - XII ZR 250/97 - FamRZ 2000, 221, 223).
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Hahne, Gerber, Wagenitz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.04.2000 durch Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 541442 |
Nachschlagewerk BGH |