Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz nach Verkehrsunfall. Abrechnung auf Reparaturkostenbasis. Integritätsinteresse. Sechsmonatige Weiternutzung des reparierten Fahrzeugs. Übersteigen des Wiederbeschaffungswerts durch Reparaturkosten

 

Leitsatz (amtlich)

Der Geschädigte kann auch nach einer vollständigen und fachgerechten Reparatur zum Ausgleich eines Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt, Reparaturkosten im Regelfall nur verlangen, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt.

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Urteil vom 30.08.2007; Aktenzeichen 5 S 63/07)

AG Oberhausen (Urteil vom 23.05.2007; Aktenzeichen 31 C 28/07)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Duisburg vom 30.8.2007 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG Oberhausen vom 23.5.2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 14.9.2006, bei dem die alleinige Haftung des Beklagten dem Grunde nach außer Streit steht. Der vom Kläger beauftragte Sachverständige schätzte die Reparaturkosten auf 5.574,89 EUR, den Wiederbeschaffungswert auf 4.400 EUR und den Restwert auf 800 EUR, jeweils einschließlich Mehrwertsteuer. Der Kläger ließ das Auto bei einer Fachwerkstatt reparieren, die am 29.9.2006 einen Betrag i.H.v. 5.650,62 EUR in Rechnung stellte. Im November 2006 veräußerte der Kläger sein Fahrzeug. Er verlangt von dem Beklagten, der lediglich 3.505,88 EUR zahlte, die restlichen Reparaturkosten und außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 148,33 EUR ersetzt.

[2] Das AG hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 94,12 EUR nebst Zinsen und Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 46,41 EUR verurteilt. Das LG hat dieses Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten zur Zahlung weiterer 2.050,62 EUR nebst Zinsen und Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. weiteren 101,92 EUR verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte, die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

[3] Entgegen der Auffassung des AG, das eine sechsmonatige Weiternutzung des reparierten Fahrzeugs als erforderlich angesehen hat, um das für eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis erforderliche Integritätsinteresse nachzuweisen, ist das Berufungsgericht der Auffassung, dem Kläger stehe der in Rechnung gestellte Reparaturbetrag zu. Dieser liege innerhalb der Grenze von 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Eine weitere Nutzung von mindestens sechs Monaten nach dem Unfall sei nicht erforderlich. Der BGH stelle bei einer fachgerechten Reparatur nicht auf eine nachfolgende längere Nutzung des Fahrzeugs durch den Geschädigten ab. Soweit der Beklagte eine vollständige Reparatur bestreite, sei dies nicht hinreichend substantiiert.

II.

[4] Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Geschädigte kann auch nach einer vollständigen und fachgerechten Reparatur zum Ausgleich eines Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt, Reparaturkosten im Regelfall nur verlangen, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt.

[5] 1. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats hat der Geschädigte unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs (vgl. BGH BGHZ 115, 364, 371; 162, 161, 166; 162, 170, 173). Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, steht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot aber nur im Einklang, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen. Sein für den Zuschlag von bis zu 30 % ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2007 - VI ZR 89/07, VersR 2008, 134, 135; v. 27.11.2007 - VI ZR 56/07, VersR 2008, 135, 136). Nach Erlass des Berufungsurteils hat der Senat für Fälle, bei denen eine Reparatur in Eigenregie erfolgt ist, entschieden, dass der Geschädigte zum Ausgleich eines Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt, Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert) auch bei vollständiger und fachgerechter Reparatur im Regelfall nur verlangen kann, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall sechs Monate weiter nutzt (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2007 - VI ZR 89/07 -, a.a.O.; v. 27.11.2007 - VI ZR 56/07 -, a.a.O.).

[6] Die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen und auf Reparaturkostenbasis abrechnen zu können, ist für die im Streitfall gegebene Fallgestaltung, in der eine konkrete Abrechnung aufgrund einer in einer Fachwerkstatt erfolgten vollständigen und fachgerechten Reparatur erfolgt, nicht anders zu beurteilen. Auch hier trifft der aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgende Grundsatz zu, dass allein ein Integritätsinteresse am Behalten des vertrauten Fahrzeugs die Erstattung des höheren Reparaturaufwandes rechtfertigt, wenn bei der Reparatur der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs überschritten wird. Ist dies nicht - etwa durch eine Weiternutzung von sechs Monaten - nachgewiesen, kann der Geschädigte mithin im Regelfall nur den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangen (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.2007 - VI ZR 56/07 -, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 3.3.2008 - I-1 W 6/08, juris Rz. 21 f.; Heß/Burmann, NJW-Spezial 2007, 207 f. und 2008, 170 f.; Eggert/Ernst, Verkehrsrecht aktuell 2008, 28; Schneider, jurisPR-VerkR 2/2008 Anm. 2 und 3; Staab NZV 2007, 279, 280 f.; Praxishinweis, Verkehrsrecht aktuell 2008, 21; Wittschier, NJW 2008, 898 f.; a.A. OLG Celle, NJW 2008, 928).

[7] 2. Dies steht nicht in Widerspruch zu den Senatsurteilen v. 5.12.2006 - VI ZR 77/06, VersR 2007, 372 f. und vom 15.2.2005, BGHZ 162, 161 und 162, 170. In dem Urteil vom 5.12.2006 kam es auf das Integritätsinteresse nicht an, weil der Geschädigte einen Schaden tatsächlich hat reparieren lassen, der den Wiederbeschaffungswert nicht überstiegen hat. Ihm waren die Kosten für die Wiederherstellung des Fahrzeugs in jedem Fall entstanden und sie waren vom Wert des Fahrzeugs auch gedeckt. In den den Entscheidungen vom 15.2.2005 zugrunde liegenden Fällen hatte der jeweilige Kläger das Fahrzeug weiter genutzt. Es ging daher nur um die Frage, unter welchen sonstigen Voraussetzungen bei einer Weiternutzung des Fahrzeugs ein Reparaturaufwand von bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert erstattet verlangt werden kann.

[8] 3. Der Kläger hat keine besonderen Umstände dargelegt, die ausnahmsweise ein Integritätsinteresse trotz der nicht ausreichenden Weiternutzung begründen könnten, sondern nur darauf hingewiesen, dass er ein wirtschaftliches Interesse an der Durchführung der Reparatur gehabt habe, um bei der Neuanschaffung eines Fahrzeugs einen angemessenen Preis für das verunfallte Fahrzeug zu erhalten. Der Senat kann daher gem. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des AG zurückzuweisen. Der Kläger kann entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wegen seines fehlenden Integritätsinteresses an einer Reparatur nur Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands verlangen.

[9] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2004223

NJW 2008, 2183

BGHR 2008, 898

EBE/BGH 2008

JurBüro 2008, 557

ZAP 2008, 944

DAR 2008, 517

MDR 2008, 857

NZV 2008, 447

VRS 2008, 1

VersR 2008, 937

ZfS 2008, 504

KfZ-SV 2008, 27

NJW-Spezial 2008, 393

VRA 2008, 109

VRR 2008, 304

ZGS 2008, 274

r+s 2008, 307

DS 2008, 227

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge