Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallbeteiligung. Psychische Gesundheitsbeeinträchtigung. Haftung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung auf das Miterleben eines schweren Unfalls zurückgeführt, so kommt eine Haftung des Schädigers regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Geschädigte nicht selbst unmittelbar an dem Unfall beteiligt war.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Pfälzischen OLG Zweibrücken vom 21.12.2005 wird auf Kosten des Klägers hinsichtlich eines Klagebetrages i.H.v. 598,50 EUR verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Das klagende Land verlangt von der beklagten Versicherung aus übergegangenem Recht Ersatz von Leistungen für zwei in seinem Dienst stehende Polizeibeamte, die nach einem Verkehrsunfall ein posttraumatisches Belastungssyndrom erlitten haben sollen.
[2] Am 21.12.2002 befuhr ein Versicherungsnehmer der Beklagten (nachfolgend: Schädiger) als "Geisterfahrer" die Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Er stieß frontal mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen, in dem sich eine vierköpfige Familie befand. Beide Pkw fingen im weiteren Verlauf Feuer und brannten völlig aus; sämtliche Insassen verbrannten.
[3] Auf dem Heimweg vom Nachtdienst näherten sich die Polizeibeamten H. und sein Beifahrer T. der Unfallstelle. Ihr Fahrzeug geriet bei dem Versuch, den Unfallfahrzeugen auszuweichen, gegen die Leitplanke, wobei T. eine HWS/BWS-Distorsion erlitt. Nach Behauptung des Klägers hat T. einen Rettungsversuch unternommen, der unstreitig abgebrochen worden ist, als die Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Sodann kam der Polizeibeamte D. zur Unfallaufnahme hinzu.
[4] Wegen der HWS/BWS-Distorsion war T. vom 23.12.2002 bis 2.1.2003 dienstunfähig. Der Kläger macht geltend, T. und D. hätten durch den Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Darauf führt der Kläger die mehrmonatige Dienstunfähigkeit des T. ab September 2003 und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des D. zurück.
[5] Die Beklagte hat Heilbehandlungskosten wegen der HWS/BWS-Distorsion des T. erstattet. Im Rechtsstreit hat der Kläger insoweit weitere Heilbehandlungskosten und insb. weiteren Schadensersatz und Feststellung einer Ersatzpflicht für alle künftigen Schäden aus dem Dienstunfall wegen der behaupteten posttraumatischen Belastungsstörungen begehrt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte lediglich hinsichtlich des Ersatzes weiterer Heilbehandlungskosten wegen der HWS/BWS-Distorsion Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[6] Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger nur wegen der Dienstunfähigkeit im Zusammenhang mit der HWS/BWS-Distorsion weiterer Schadensersatz zu (§§ 823 Abs. 1 BGB, 3 Nr. 1 PflVG, 98 LBG Rheinland-Pfalz).
[7] Wegen der behaupteten posttraumatischen Belastungssyndrome bestehe kein Schadensersatzanspruch. Auch wenn man durch den Unfall psychisch vermittelte Gesundheitsschädigungen mit Krankheitswert unterstelle, fielen diese nicht in den Schutzbereich der §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1 StVG; sie seien vielmehr Teil des allgemeinen Lebensrisikos, das jeder grundsätzlich selbst zu tragen habe. Vor diesem Hintergrund setze ein solcher Schadensersatzanspruch eine Sonderverbindung des psychisch geschädigten Dritten zu dem schrecklichen Ereignis voraus, die die Beobachtung des Geschehens gerade für ihn zu einer Belastung werden lasse. Für Polizeibeamte gehörten die mit der Berufsausübung verbundenen psychischen Belastungen infolge Wahrnehmung eines schrecklichen Geschehens indes zum allgemeinen Berufsrisiko als einem Unterfall des allgemeinen Lebensrisikos. Eine durch eine Rettungshandlung gesteigerte Gefahrenlage für die Polizeibeamten am Unfallort oder eine dadurch begründete Sonderverbindung zwischen dem Helfer und dem Opfer habe nicht vorgelegen.
II.
[8] 1. Soweit der Kläger geltend macht, die Klage sei zu Unrecht i.H.v. 598,50 EUR hinsichtlich der Dienstbezüge für die Zeit vom 23. bis 31.12.2002 abgewiesen worden, ist die Revision unzulässig, weil sie das Berufungsgericht insoweit nicht zugelassen hat.
[9] Das Berufungsgericht hat zum Ausdruck gebracht, dass es die Revision nur zur Klärung der Frage zulassen will, ob die Polizeibeamten die unterstellten psychisch vermittelten Gesundheitsbeeinträchtigungen entschädigungslos hinnehmen müssen. Zwar enthält der Tenor des Berufungsurteils eine solche Einschränkung nicht. Es genügt jedoch, dass sich die Einschränkung mit ausreichender Deutlichkeit aus den Entscheidungsgründen ergibt (vgl. Senat, Urt. v. 19.10.2004 - VI ZR 292/03, BGHReport 2005, 315 = MDR 2005, 334 = VersR 2005, 84, 86; ebenso BGHZ 48, 134, 136; 153, 358, 360 f.). Hat das Berufungsgericht über mehrere selbständige prozessuale Ansprüche entschieden und ist die Rechtsfrage, deretwegen es die Revision zugelassen hat, nur für einen von ihnen erheblich, so ist in der Angabe des Zulassungsgrundes regelmäßig die eindeutige Beschränkung der Zulassung der Revision auf diesen Anspruch zu sehen (vgl. Senat, Urt. v. 19.10.2004 - VI ZR 292/03 -, a.a.O.; BGHZ 48, = BGHReport 2005, 315 = MDR 2005, 334 a.a.O.; 153, 358, 361 f.).
[10] Nach ständiger Rechtsprechung kann das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffes beschränken, auf den auch die Partei selbst ihre Revision begrenzen könnte (vgl. BGH v. 25.3.1980 - VI ZR 61/79, BGHZ 76, 397, 398 f. = MDR 1980, 663; v. 9.12.2003 - VI ZR 404/02, BGHReport 2004, 545 = CR 2004, 624 = BGH v. 9.12.2003 - VI ZR 402/02, VersR 2004, 525; v. 19.10.2004 - VI ZR 292/03, BGHReport 2005, 315 = MDR 2005, 334 - a.a.O.). Der Teil des Prozessstoffs, für den die Zulassung ausgesprochen wird, muss vom restlichen Prozessstoff abtrennbar sein; im Falle einer Zurückverweisung darf die Änderung dieses Teils nicht in die Gefahr eines Widerspruchs zu dem nicht anfechtbaren Teil geraten (vgl. Senat, Urt. v. 19.10.2004 - VI ZR 292/03, BGHReport 2005, 315 = MDR 2005, 334 -, a.a.O.; BGH, Urt. v. 4.6.2003 - VIII ZR 91/02, BGHReport 2003, 1165 = MDR 2003, 1248 = NJW-RR 2003, 1192, 1194; v. 23.9.2003 - XI ZR 135/02, BGHReport 2003, 1413 m. Anm. Assies = MDR 2004, 105 = NJW 2003, 3703). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Dienstunfähigkeit vom 23. bis 31.12.2002 beruhte allein auf der erlittenen HWS/BWS-Distorsion und somit auf einer andersartigen Gesundheitsbeeinträchtigung und Schadensursache als das behauptete posttraumatische Belastungssyndrom.
[11] 2. Soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche wegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms abgelehnt hat, hält das Berufungsurteil der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat insoweit zu Recht Schadensersatzansprüche der Polizeibeamten T. und D. verneint, weil es sowohl für Ansprüche aus § 823 BGB als auch aus §§ 7, 18 StVG an dem erforderlichen haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang fehlt.
[12] a) Durch ein Unfallgeschehen ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert können eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. z.B. BGH v. 30.4.1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344 = MDR 1996, 886 m.w.N.; v. 16.1.2001 - VI ZR 381/99, MDR 2001, 448 = BGHReport 2001, 234 = VersR 2001, 874, 875). Im Streitfall ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass die vom erkennenden Senat an eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne dieser Vorschrift gestellten Anforderungen (vgl. BGH BGHZ 56, 163, 165 f.; 132, 341, 344; v. 31.1.1984 - VI ZR 56/82, MDR 1984, 657 = VersR 1984, 439; v. 4.4.1989 - VI ZR 97/88, MDR 1989, 805 = VersR 1989, 853, 854) erfüllt sind, weil nach den Ausführungen des Berufungsgerichts eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung der Polizisten schlüssig dargetan ist und das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob die für eine Gesundheitsschädigung i.S.d. § 823 BGB erforderliche Erheblichkeitsschwelle überschritten ist.
[13] b) Gleichwohl hat das Berufungsgericht im Ergebnis eine Haftung ohne Rechtsfehler verneint. Die geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom sind nicht unmittelbar durch das Falschfahren auf der Autobahn und den dadurch verursachten Zusammenstoß mit dem Gegenverkehr verursacht. Im Unterschied zu dem von T. erlittenen und gesondert zu beurteilenden Gesundheitsschaden in Form einer HWS/BWS-Distorsion beruhen sie auch nicht auf einer Handlung zur Vermeidung einer Kollision mit dem falsch fahrenden Fahrzeug. Sie sind vielmehr auf eine psychisch vermittelte Schädigung zurückzuführen, die nach dem Vorbringen des Klägers nicht Folge einer HWS/BWS-Verletzung ist, sondern dadurch entstanden ist, dass die Polizeibeamten mit ansehen mussten, wie die Insassen der beteiligten Unfallfahrzeuge verbrannten, ohne helfend eingreifen zu können. Unter diesen Umständen kann ein solcher Gesundheitsschaden dem Schädiger nicht zugerechnet werden.
[14] aa) Der erkennende Senat hat eine Haftpflicht des Unfallverursachers in Fällen anerkannt, in denen der Geschädigte als direkt am Unfall Beteiligter infolge einer psychischen Schädigung eine schwere Gesundheitsstörung erlitten hat (vgl. Senat, Urt. v. 12.11.1985 - VI ZR 103/84, MDR 1986, 487 = VersR 1986, 240, 241; v. 9.4.1991 - VI ZR 106/90, MDR 1992, 32 = VersR 1991, 704, 705; v. 16.3.1993 - VI ZR 101/92, MDR 1993, 1066 = VersR 1993, 589, 590). Maßgeblich für die Zurechnung war in diesen Fällen, dass der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte (vgl. Senat, Urt. v. 12.11.1985 - VI ZR 103/84, MDR 1986, 487 = VersR 1986, 240, 242). Solche Umstände sind hier nicht gegeben, vielmehr waren die Polizeibeamten an dem eigentlichen Unfallgeschehen, das zu ihrer psychischen Schädigung geführt haben soll, nämlich der Kollision zwischen dem "Geisterfahrer" und dem Pkw der Familie nicht beteiligt.
[15] bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision angesprochenen Gesichtspunkt einer Herausforderung zu einer Rettungshandlung. Insoweit hat der Senat entschieden, dass jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbst gefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein kann, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist (vgl. BGHZ 57, 25, 28 ff.; 63, 189, 191 ff.; 70, 374, 376; 101, 215, 219 ff.; 132, 164, 166 ff.). Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insb. in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand der (vorläufigen) Festnahme durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diese Personen dadurch in vorwerfbarer Weise zu einer sie selbst gefährdenden Verfolgung herausgefordert hat, wobei sie dann infolge der gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben (vgl. BGH v. 12.3.1996 - VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164, 166 f. = MDR 1996, 586; v. 3.7.1990 - VI ZR 33/90, MDR 1991, 232 = VersR 1991, 111, 112 m.w.N.).
[16] Im Unterschied zu diesen Fällen haben die Geschädigten hier keinen Schaden bei einem sie selbst gefährdenden Verhalten erlitten, zu dem sie sich aufgrund einer durch die "Geisterfahrt" des Schädigers bestehenden gesteigerten Gefahrenlage herausgefordert fühlen durften. Der vom Kläger behauptete Rettungsversuch des T. wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls abgebrochen, als die Fahrzeuge in Flammen aufgingen, und hat als solcher zu keinem Gesundheitsschaden des Polizeibeamten geführt.
[17] cc) Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Polizeibeamten wie zufällige Zeugen des Verkehrsunfalls behandelt hat. Der Senat hat in seinem Urteil vom 12.11.1985 (VI ZR 103/84, MDR 1986, 487 = a.a.O.) offen gelassen, ob auch völlig fremde, mit den eigentlichen Unfallbeteiligten nicht in einer näheren Beziehung stehende Personen bei besonders schweren Unfällen Schadensersatz für eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung erhalten können. Diese Frage ist aus den oben dargelegten Gründen zu verneinen. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, ob es sich bei den Geschädigten um Polizeibeamte oder andere Personen handelt, die zufällig das Unfallgeschehen miterleben. In beiden Fällen ist eine Schädigung, die aus der bloßen Anwesenheit bei einem schrecklichen Ereignis herrührt, dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen.
[18] 3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1770420 |
BGHZ 2008, 263 |
NJW 2007, 2764 |
BGHR 2007, 920 |
EBE/BGH 2007 |
JR 2008, 205 |
ZAP 2007, 826 |
JA 2007, 812 |
JZ 2007, 1154 |
JuS 2008, 375 |
NZV 2007, 510 |
VRS 2007, 191 |
VersR 2007, 1093 |
VuR 2007, 350 |
ZfS 2007, 626 |
NJW-Spezial 2007, 352 |
NPA 2008 |
RÜ 2007, 419 |
RÜ 2007, 468 |
SVR 2008, 14 |
VRR 2007, 341 |
ZGS 2007, 244 |
r+s 2007, 388 |