Normenkette
VVG § 5a aF
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 22.12.2020; Aktenzeichen 12 U 200/20) |
LG Heidelberg (Entscheidung vom 04.06.2020; Aktenzeichen 2 O 354/19) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 12. Zivilsenat - vom 22. Dezember 2020 aufgehoben, das Urteil des Landgerichts Heidelberg - 2. Zivilkammer - vom 4. Juni 2020 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 48.643,50 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - auf Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrages und Herausgabe von Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch.
Rz. 2
Die Rentenversicherung wurde aufgrund eines am 17. Dezember 2004 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten gestellten Antrags des Klägers nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Die Beklagte übersandte dem Kläger den Versicherungsschein vom 29. Dezember 2004 nebst Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen. Der Versicherungsschein enthielt auf der zweiten Seite eine umrahmte Widerspruchsbelehrung mit folgendem Inhalt:
"Der Vertrag gilt auf Grundlage dieses Versicherungsscheines, den darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und den ebenfalls für den Vertragsabschluß maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 30 Tagen in Textform widersprechen.
Der Lauf dieser 30-tägigen Frist beginnt, wenn Ihnen die oben genannten Unterlagen - einschließlich dieser Belehrung über das Widerspruchsrecht - vollständig vorliegen.
Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an die auf dem Deckblatt angegebene Anschrift."
Rz. 3
In § 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen findet sich unter der Überschrift "Können Sie dem Abschluß des Versicherungsvertrags widersprechen?" in Absatz 1 folgende Formulierung:
"Sie können innerhalb von 30 Tagen dem Abschluß der Versicherung schriftlich widersprechen."
Rz. 4
Nachdem der Kläger mehrere Beiträge in Folge nicht bezahlt hatte, wurde der Vertrag zum 1. April 2008 beitragsfrei gestellt. Mit Schreiben vom 20. Juni 2019 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages, den die Beklagte zurückwies.
Rz. 5
Mit der Klage verlangt er - soweit für die Revision noch von Belang - von der Beklagten Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge und Herausgabe von Nutzungen abzüglich Risikobeiträgen, insgesamt 48.643,50 €, sowie Nebenforderungen von 150 € jeweils nebst Zinsen.
Rz. 6
Nach Auffassung des Klägers ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil er noch im Jahr 2019 den Widerspruch rechtzeitig erklärt habe. Die Widerspruchsfrist sei nicht in Gang gesetzt worden, da die Widerspruchsbelehrung nicht ordnungsgemäß sei. Zudem sei die Verbraucherinformation unvollständig, weil Angaben zur Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds fehlten.
Rz. 7
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Rz. 8
Das Landgericht hat der Klage entsprechend den zuletzt gestellten Anträgen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Rz. 10
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Bereicherungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zu. Er habe dem Vertrag wirksam nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. widersprochen. Die Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein entspreche allerdings den Anforderungen des § 5a VVG a.F. Insbesondere sei sie durch die Umrahmung auf Seite 2 des Versicherungsscheins hinreichend drucktechnisch hervorgehoben. Auch in inhaltlicher Hinsicht sei die Belehrung ausreichend. Jedoch fehle eine Angabe über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds), welche erstmals in § 10a VAG i.V.m. Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage Teil D zum VAG in der ab dem 21. Dezember 2004 gültigen Fassung gefordert gewesen sei. Danach sei die Beklagte verpflichtet, Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche der Versicherten (Sicherungsfonds) zu machen. Eine solche Angabe sei unstreitig nicht erfolgt. Auf den weiteren Einwand des Klägers, die Angaben zu Rückkaufswerten in der Verbraucherinformation seien unzureichend, komme es demnach nicht an. Dieser greife im Übrigen nicht. Die von § 10a VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b), c) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. geforderte Angabe der Rückkaufswerte, der Leistungen aus prämienfreier Versicherung und des Ausmaßes, in dem diese Leistungen garantiert seien, sei hier mit der Rückkaufswerttabelle auf Seite 5 des Versicherungsscheins erfolgt.
Rz. 11
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
Rz. 12
1. Dahinstehen kann, ob - wie die Revisionserwiderung meint - die Revision bezüglich der Verjährungseinrede der Beklagten mangels Zulassung der Revision unstatthaft ist.
Rz. 13
2. Die Revision ist unabhängig von der Verjährungsfrage begründet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts konnte der Kläger den Widerspruch nicht noch im Jahr 2019 wirksam erklären.
Rz. 14
a) Der Beginn der hier maßgeblichen, in § 5a Abs. 1 Satz 2 VVG a.F. bestimmten 30-tägigen Widerspruchsfrist setzt gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. voraus, dass dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., darunter die Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F., vollständig vorliegen und er ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist. Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Rz. 15
aa) Ohne Rechtsfehler und auch von der Revisionserwiderung - zu Recht - nicht angegriffen, hat das Berufungsgericht die dem Kläger im Versicherungsschein erteilte Widerspruchsbelehrung so gewürdigt, dass sie formell und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen genügte und durch den unzutreffenden Hinweis auf die Form des Widerspruchs in den Versicherungsbedingungen nicht in Frage gestellt wurde. Weiterhin hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und vom Kläger unbeanstandet die nach Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b), c) und d) der Anlage Teil D zum Versicherungsaufsichtsgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I 3416, in Kraft getreten am 21. Dezember 2004, im Folgenden: VAG a.F.) geforderten Angaben in der Verbraucherinformation zu den Rückkaufswerten, den Leistungen aus prämienfreier Versicherung und über das Ausmaß, in dem diese Leistungen garantiert sind, als ausreichend angesehen.
Rz. 16
bb) Ein Widerspruchsrecht des Klägers ergibt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht daraus, dass die Verbraucherinformation keine "Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds)" gemäß Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage Teil D zum VAG a.F. enthielt, obwohl alle Lebensversicherer nach § 124 Abs. 1 VAG a.F. verpflichtet waren, einem Sicherungsfonds anzugehören, der dem Schutz der Ansprüche ihrer Versicherungsnehmer, der versicherten Personen, Bezugsberechtigten und sonstiger aus dem Versicherungsvertrag begünstigter Personen diente.
Rz. 17
(1) Ebenso wie in dem durch das Senatsurteil vom 10. Februar 2021 (IV ZR 32/20, VersR 2021, 437) abgeschlossenen Revisionsverfahren kann auch hier dahinstehen, ob - wie die Beklagte meint - eine Verpflichtung eines Lebensversicherers zur Information über die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds mit der hier einschlägigen Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG 2002 L 345 S. 1 ff.) unvereinbar ist. Weiterhin kann wie auch in dem vorgenannten Rechtstreit offenbleiben, ob eine Mitteilung über die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds nicht möglich war, solange er tatsächlich noch nicht existierte (vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 2021 aaO Rn. 16). Selbst wenn die dem Kläger überlassene Verbraucherinformation inhaltlich unvollständig war, weil sie keine Angaben über die Zugehörigkeit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds) gemäß Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage Teil D zum VAG a.F. enthielt, ergibt sich daraus kein (fortbestehendes) Widerspruchsrecht des Klägers.
Rz. 18
(2) Die Ausübung des Widerspruchsrechts ist rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB, wenn hiermit eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse des Versicherungsnehmers ausgenutzt wird. Die Gewährung eines Widerspruchsrechts ist kein Selbstzweck. Kein Widerspruchsrecht besteht, wenn die vollständige und zutreffende Information ihrer Art nach dem Versicherungsnehmer keinen Anlass hätte geben können, vom Abschluss des Vertrages abzusehen, weil sie ihn im Vergleich mit der unvollständigen bzw. unzutreffenden Information begünstigt. Dies hat der Senat in dem Urteil vom 10. Februar 2021 (aaO Rn. 17 m.w.N.) bereits entschieden. Anders als die Revisionserwiderung meint, unterscheidet sich die hier gegebene Fallkonstellation nicht wesentlich von derjenigen, die der vorgenannten Entscheidung zugrunde lag. Zwar hatte der dortige Versicherer fälschlich die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds verneint, während die dem hiesigen Kläger von der Rechtsvorgängerin der Beklagten erteilte Verbraucherinformation keine Angaben zur Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds enthielt. Allerdings hat der Senat schon in dem vorgenannten Urteil (aaO) ausdrücklich darauf abgestellt, ob die vollständige und zutreffende Information den Versicherungsnehmer im Vergleich mit der unvollständigen bzw. unzutreffenden Information begünstigt.
Rz. 19
Auch hier verfolgt der Kläger mit der Ausübung des Widerspruchsrechts kein schützenswertes Eigeninteresse; er beruft sich vielmehr nur auf eine formale Rechtsposition. Die vollständige und zutreffende Information über die Verpflichtung der Rechtsvorgängerin der Beklagten zur - von der Aufsichtsbehörde überwachten (§ 125 VAG a.F.) - Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds) hätte einem Interessenten schon ihrer Art nach keinen Anlass geben können, vom Vertragsschluss abzusehen, weil es sich um eine für ihn ausschließlich vorteilhafte Einrichtung handelt (vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 2021 aaO Rn. 18 m.w.N.).
Rz. 20
b) Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, ist hier nicht entscheidungserheblich. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells ist es dem ordnungsgemäß belehrten Kläger, der sich aus den genannten Gründen nicht auf eine Unvollständigkeit der Verbraucherinformation berufen kann, nach Treu und Glauben verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben: Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 32-42; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 42 ff.; Beschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR 3280/14, juris Rn. 30 ff.).
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen
Haufe-Index 15319566 |
NJW-RR 2022, 1117 |