Leitsatz (amtlich)
Die einer Auslandsreise-Krankenversicherung zugrunde legenden Klauseln
„Als Ausland … gilt nicht das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt …”
und
„Keine Leistungspflicht besteht für Untersuchung und Behandlung zur Schwangerschaftsüberwachung, ferner für Entbindung und Schwangerschaftsabbruch und deren Folgen”
sind wegen Verstoßes gegen AGBG § 9 Abs. 1 unwirksam.
Normenkette
AVB für Auslandsreise-Krankenversicherung; AGBG § 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird – unter Zurückweisung der Revision der Beklagten – das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 14. Oktober 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I, 7. Zivilkammer, vom 11. Februar 1999 geändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an einem Vorstandsmitglied, zu unterlassen, beim Abschluß von Auslandsreise-Krankenversicherungen, ausgenommen gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes, folgende oder inhaltsgleiche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verwenden sowie sich auf diese Klauseln bei der Abwicklung derartiger, nach dem 1. April 1977 geschlossener Verträge zu berufen:
„Als Ausland im Sinne von Abs. 2 gilt nicht das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt …” (§ 1 Abs. 5 Satz 1 AVB)
und
„Nicht gewählt werden können Krankenhäuser, die auch Kuren bzw. Sanatoriumsbehandlungen durchführen oder Rekonvaleszenten aufnehmen.” (§ 4 Abs. 3 Satz 2 AVB)
sowie
„Keine Leistungspflicht besteht für Untersuchung und Behandlung zur Schwangerschaftsüberwachung, ferner für Entbindung und Schwangerschaftsabbruch sowie deren Folgen.” (§ 5 Abs. 1 Buchst. g AVB).
Dem Kläger wird die Befugnis zugesprochen, die Urteilsformel mit der Bezeichnung des verurteilten Verwenders auf Kosten der Beklagten im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges trägt die Beklagte zu 3/4, der Kläger zu 1/4. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der nach seiner Satzung die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrnimmt.
Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Versicherungsunternehmen. Sie bietet unter anderem eine Auslandsreise-Krankenversicherung an. Die von ihr für diese Versicherung aufgestellten und verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen Tarif R 14 (AVB) enthalten unter anderem folgende Klauseln:
„§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
…
(2) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Bei einem im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfall ersetzt er dort entstehende Aufwendungen für Heilbehandlung und erbringt sonst vereinbarte Leistungen.
(3) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen …
…
(5) Als Ausland im Sinne von Absatz (2) gilt nicht das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt oder in dem sie einen ständigen Wohnsitz hat. Besitzt eine versicherte Person sowohl die deutsche Staatsangehörigkeit als auch die eines anderen Staates oder ist sie Staatsangehörige eines EG-Staates, besteht Versicherungsschutz auch in dem Staatsgebiet, dessen ausländische Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt.
(6) Der Versicherungsschutz besteht für alle vorübergehenden Auslandsreisen, die von der versicherten Person innerhalb eines Versicherungsjahres angetreten werden. Die Dauer des einzelnen Auslandsaufenthaltes darf dabei jedoch einen Zeitraum von 6 Wochen (42 Tage) nicht überschreiten …
(7) Aufnahmefähig sind Personen bis zum vollendeten 70. Lebensjahr, deren ständiger Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland liegt.
…
§ 5 Einschränkungen der Leistungspflicht
(1) Keine Leistungspflicht besteht für
…
g) Untersuchung und Behandlung zur Schwangerschaftsüberwachung, ferner für Entbindung und Schwangerschaftsabbruch sowie deren Folgen.”
Der Kläger hat von der Beklagten verlangt, es zu unterlassen, die Klauseln der §§ 1 Abs. 5 Satz 1, 4 Abs. 3 Satz 2, 5 Abs. 1 c und 5 Abs. 1 g oder inhaltlich gleiche Klauseln unter Meidung eines Ordnungsgeldes oder von Ordnungshaft zu verwenden sowie sich auf diese Klauseln bei der Abwicklung von nach dem 1. April 1977 geschlossenen Verträgen zu berufen, es sei denn gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes.
Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der §§ 1 Abs. 5 Satz 1 und 4 Abs. 3 Satz 2 AVB stattgegeben; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er den Unterlassungsantrag zu § 5 Abs. 1 g AVB weiterverfolgt hat, und die Berufung der Beklagten sind erfolglos geblieben (NVersZ 2000, 74). Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seinen Berufungsantrag weiter; die Beklagte begehrt mit ihrer (insoweit zugelassenen) Revision die Abweisung des Unterlassungsanspruchs hinsichtlich § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg, während der Revision der Beklagten der Erfolg versagt bleibt.
A. Die Revision der Beklagten
I. Das Berufungsgericht erachtet § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB als unwirksam, weil die Klausel einer Kontrolle nach § 9 AGBG nicht standhalte. § 8 ABGB stehe ihrer Überprüfung nicht entgegen. Sie gehöre nicht zu dem engen, einer gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogenen Bereich der Leistungsbeschreibung, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden könne. Der wesentliche Vertragsinhalt werde bereits mit § 1 Abs. 2 AVB beschrieben; dieser Kernbereich werde allenfalls noch durch § 1 Abs. 3 AVB ergänzt. Dagegen schränke § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB das so beschriebene Hauptleistungsversprechen ein und sei deshalb kontrollfähig.
Die Klausel erweise sich als unwirksam, denn sie benachteilige einen Teil der ausländischen Versicherungsnehmer der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben in einer den Vertragszweck gefährdenden Weise unangemessen (§ 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Ausländische Staatsangehörige mit ständigem Wohnsitz in Deutschland bevorzugten als Urlaubsland ihr jeweiliges Heimatland. § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB verweigere solchen Versicherungsnehmern den Versicherungsschutz bei einer Reise in ihr Heimatland vollständig. Das benachteilige diese Versicherungsnehmer ausländischer Staatsangehörigkeit unangemessen, ohne daß sachgerechte Interessen der Beklagten ersichtlich seien, die in Abwägung mit den Interessen der betroffenen Versicherungsnehmer eine so schwerwiegende Einschränkung des Versicherungsschutzes rechtfertigen könnten.
II. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Unwirksamkeit der streitbefangenen Klausel festgestellt.
1. § 8 AGBG hindert – entgegen der Auffassung der Revision – ihre Kontrolle nicht.
a) § 8 AGBG beschränkt die Inhaltskontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG auf Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Die Vorschrift soll, so die Begründung des Regierungsentwurfs, weder eine Kontrolle der Preise oder Leistungsangebote ermöglichen, noch sollen Vorschriften anderer Gesetze modifiziert werden (BT-Drucks. 7/3919, S. 22). Da das Gesetz den Vertragspartnern grundsätzlich freistellt, Leistung und Gegenleistung im Vertrag frei zu bestimmen, unterliegen bloße Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (sogenannte Leistungsbeschreibung) der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz ebensowenig wie Vereinbarungen über das von dem anderen Teil zu erbringende Entgelt (ständige Rechtsprechung BGHZ 93, 358, 360 m.w.N.). Der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogene Leistungsbeschreibungen sind solche, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (st. Rspr. BGHZ 127, 35, 41; 141, 137, 141).
b) Art. 4 Abs. 2 der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (vom 5. April 1993, ABl.EG Nr. L 95, S. 29 ff.) führt – entgegen der Auffassung der Revision – im Ergebnis nicht zu einer Erweiterung dieses der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Bereichs (vgl. Römer, Festschrift aus Anlaß des 50jährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, S. 375, 382; Kieninger, VersR 1999, 951, 952; Basedow, NVersZ 1999, 349; a.A. Langheid, NVersZ 2000, 63 ff.). Das gilt auch dann, wenn § 8 AGBG in der Auslegung, die er durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfahren hat, im Schutze des Verbrauchers als weitergehend anzusehen sein sollte als Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie, der – soweit hier von Belang – den „Hauptgegenstand des Vertrages” von der Beurteilung der Mißbräuchlichkeit ausnimmt, sofern die Klausel klar und verständlich abgefaßt ist. Der Zweck der Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln, Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet anzugleichen, bezieht sich nur auf ein Schutzminimum (Römer, aaO). Denn nach Art. 8 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten; Art. 8 der Richtlinie gestattet damit ausdrücklich eine strengere Kontrolle vorformulierter Klauseln durch das nationale Recht (Basedow, NVersZ 1999, 349).
c) § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB gehört nicht zu dem engen Bereich, der durch § 8 AGBG einer Kontrolle entzogen ist. Gemäß § 1 Abs. 2 AVB bietet die Beklagte im Rahmen einer Auslandsreise-Krankenversicherung Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse; bei einem im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfall verspricht sie den Ersatz der dort entstehenden Aufwendungen für Heilbehandlung und das Erbringen sonst vereinbarter Leistungen. Versicherungsfall ist nach § 1 Abs. 3 AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob – wie das Berufungsgericht erwägt – nur § 1 Abs. 2 AVB oder erst die Gesamtheit der Regelungen in § 1 Abs. 2, 3 AVB den kontrollfreien Bereich der Leistungsbeschreibung ausmacht. Jedenfalls ist mit diesen Regelungen das Hauptleistungsversprechen bereits so beschrieben, daß der wesentliche Vertragsinhalt bestimmt werden kann. Aus der Verwendung des Begriffs „Ausland” in § 1 Abs. 2 AVB folgt entgegen der Revision nichts anderes. Er verdeutlicht die territoriale Reichweite einer „Auslandsreise”-Krankenversicherung in ihrem wesentlichen Kern. Denn gerade aus seiner Verwendung ergibt sich, daß kein Versicherungsschutz für Versicherungsfälle bei Reisen im „Inland” zugesagt werden soll, vielmehr nur für solche, die sich im davon räumlich abgegrenzten „Ausland” ereignen. Daß damit hinsichtlich der Reichweite der Auslandsreise-Krankenversicherung der wesentliche Vertragsinhalt nicht ausreichend bestimmt oder bestimmbar sei, ist nicht zu erkennen. Vor diesem Hintergrund gehört § 1 Abs. 5 AVB nicht mehr zu dem kontrollfreien Minimum, ohne das dem Vertrag über eine Auslandsreise-Krankenversicherung ein so wesentlicher Bestandteil fehlte, daß ihm die Wirksamkeit zu versagen wäre. Denn nach dieser Regelung soll als Ausland nicht das Staatsgebiet gelten, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt oder in dem sie einen ständigen Wohnsitz hat. Sie modifiziert damit das mit § 1 Abs. 2, 3 AVB gegebene Hauptleistungsversprechen in einschränkender Weise. Sie schließt Versicherungsschutz vollständig aus, wenn ein ausländischer Versicherungsnehmer in das Land reist, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und versagt Versicherungsschutz zudem solchen Versicherungsnehmern, die in ein ausländisches Staatsgebiet reisen und dort einen festen Wohnsitz unterhalten.
2. § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer wegen Verstoßes gegen das sich aus § 9 Abs. 1 AGBG ergebende Transparenzgebot unangemessen; er ist deshalb – wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht feststellt – unwirksam.
a) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, daß die Klausel in ihrer Formulierung klar und verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, daß die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen läßt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGHZ 136, 394, 401; 141, 137, 143). Diesen Erfordernissen entspricht § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB nicht, wobei hinsichtlich seiner Transparenz auf die gesamte Regelung des § 1 Abs. 5 AVB abzustellen ist, in die Satz 1 eingegliedert ist.
b) Mit ihrem Hauptleistungsversprechen sagt die Beklagte Versicherungsschutz bei im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfällen zu (§ 1 Abs. 2 Satz 2 AVB). Sie grenzt die territoriale Erstreckung der angebotenen Reisekrankenversicherung mithin lediglich dadurch ein, daß im Nichtausland, also im Inland, kein Versicherungsschutz versprochen wird. Die Beklagte sagt demgemäß – abgesehen von dieser Eingrenzung – grundsätzlich weltweite Auslandsdeckung zu. Daß sie ihr Hauptleistungsversprechen auch selbst so verstanden sehen will, ergibt sich im übrigen aus von ihr vorgelegten, mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verbundenen Hinweisen, die mit der Überschrift eingeleitet werden „Weltweit Versicherungsschutz auf Urlaubsreisen”. Bei der Einschränkung des Versicherungsschutzes durch § 1 Abs. 5 AVB knüpft die Beklagte zwar weiter an den Begriff Ausland an, beschreibt die Ausnahmen vom Versicherungsschutz aber nicht mehr nur territorial, sondern unter Hinzufügen von weiteren Kriterien, die an die Person des Versicherten, nämlich an seine Staatsangehörigkeit oder seinen ständigen Wohnsitz, anknüpfen. Diese Beschränkung des Versicherungsschutzes hebt die Beklagte aber sogleich durch § 1 Abs. 5 Satz 2 AVB teilweise wieder auf, indem sie Versicherungsnehmern mit Doppelstaatsbürgerschaft – also der deutschen und einer anderen Staatsbürgerschaft – und Versicherungsnehmern mit der Staatsangehörigkeit eines EG-Staates bei Reisen in das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt, Versicherungsschutz zusagt. Damit aber hat die Beklagte ein Regelungsgefüge geschaffen, das dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer die mit Satz 1 des § 1 Abs. 5 bestimmten Einschränkungen des Versicherungsschutzes in ihrer Reichweite wenn überhaupt, so erst nach Interpretation der gesamten Klausel unter Einschluß der Gegenausnahmen erkennbar macht. Der Kern der Beschränkung des Versicherungsschutzes, nämlich insbesondere der für Versicherungsnehmer mit ausländischer (nicht EG-)Staatsangehörigkeit bestimmte vollständige Ausschluß vom Versicherungsschutz bei Reisen in ihr Heimatland, wird den betroffenen Versicherungsnehmern nicht nur nicht klar und deutlich vor Augen geführt, sondern durch die Verknüpfung des territorialen Auslandsbegriffs mit dem personalen Kriterium der Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Gegenausnahmen vielmehr verdunkelt. Letzteres gilt auch, soweit die Beklagte den Ausschluß vom Versicherungsschutz daran bindet, daß der Versicherungsnehmer einen weiteren ständigen Wohnsitz in einem anderen Staatsgebiet als dem der Bundesrepublik Deutschland hat, der seinerseits zugleich die Voraussetzung für seine Aufnahme in die Versicherung darstellt (§ 1 Abs. 7 AVB). Wie sich aber dieser Ausschlußtatbestand zu den in § 1 Abs. 5 Satz 2 AVB geregelten Wiedereinschluß in den Versicherungsschutz verhält, bleibt für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon wegen der in der Klausel angelegten mehrfachen Differenzierungen unklar. Beispiele, die die Ausschlußklausel in ihren beiden Zielrichtungen erläutern und verständlich machen könnten, hat die Beklagte dem Versicherungsnehmer mit ihren Bedingungen nicht gegeben. Solche kann der Versicherungsnehmer im übrigen auch den mit den Bedingungen verbundenen Hinweisen nicht entnehmen. Der Umfang des Versicherungsschutzes, der sich unter Berücksichtigung des § 1 Abs. 5 AVB ergibt, ist deshalb für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht durchschaubar.
B. Die Revision des Klägers.
I. Das Berufungsgericht meint, die Klausel des § 5 Abs. 1g AVB sei gemäß § 8 AGBG nicht kontrollfähig. Sie korrespondiere mit dem Hauptleistungsversprechen der Beklagten in § 1 Abs. 2 AVB, wonach die Beklagte Versicherungsschutz für Krankheiten biete. Eine Schwangerschaft stelle aber keine Krankheit dar. Die Klausel nehme daher nur die vertragswesentliche Leistungsbeschreibung auf und stelle klar, daß Maßnahmen der Schwangerschaftsüberwachung, die Entbindung oder ein Schwangerschaftsabbruch nicht vom Leistungsumfang der Versicherung umfaßt seien. Die Kontrollfreiheit der Klausel entfalle auch nicht gemäß § 4 Abs. 2 der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, denn die Klausel sei nicht intransparent. Diesen Erwägungen folgt der Senat nicht.
II. Die Klausel des § 5 Abs. 1g AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 Abs. 1 AGB); sie ist deshalb unwirksam.
1. a) Vor der Prüfung, ob § 5 Abs. 1g AVB lediglich eine klarstellende Wiederholung des Hauptleistungsversprechens in § 1 Abs. 2 AVB enthält, ist der Inhalt der Klausel durch Auslegung zu ermitteln. Sie ist dabei so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85).
Wenn der Versicherungsnehmer bei Durchsicht der Bedingungen der Beklagten zu § 5 Abs. 1g AVB gelangt, hat er bereits zur Kenntnis genommen, daß ihm die Beklagte Versicherungsschutz verspricht, wenn er sich im Ausland unvorhergesehen wegen Krankheit oder Unfallfolgen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung unterziehen muß (§ 1 Abs. 2, 3 AVB). § 5 AVB will demgegenüber, wie seiner Überschrift zu entnehmen ist, Einschränkungen dieser – durch § 4 AVB im Umfang näher erläuterten – Leistungspflicht regeln. Schon dieser Zusammenhang macht dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer deutlich, daß mit der Klausel auch Fälle erfaßt werden sollen, in denen zwar grundsätzlich eine Leistungspflicht besteht, der Versicherer aber gleichwohl nicht leisten will. Vor diesem Hintergrund versteht der Versicherungsnehmer den mit § 5 Abs. 1g AVB geregelten Leistungsausschluß „für Untersuchung und Behandlung zur Schwangerschaftsüberwachung, ferner für Entbindung und Schwangerschaftsabbruch” dahin, daß in diesem Zusammenhang vorgenommene medizinisch notwendige Heilbehandlungen den Versicherer selbst dann nicht zur Leistung verpflichten, wenn diese – unvorhergesehen – (§ 1 Abs. 2 AVB) in Anspruch genommen worden sind. Der Wortlaut der Klausel steht einem solchen Verständnis nicht entgegen. Denn auch Untersuchungen und Behandlungen zur Schwangerschaftsüberwachung können bei plötzlichen und damit unvorhergesehenen Komplikationen – insoweit also wegen Krankheit – medizinisch notwendig werden. Beginnende Früh- oder Fehlgeburten können unvorhergesehen eine Entbindung erforderlich machen, und selbst ein Schwangerschaftsabbruch kann unvorhergesehen aus medizinischen Gründen geboten sein. § 5 Abs. 1g AVB schließt damit eine Leistungspflicht der Beklagten generell aus, wenn die medizinisch notwendige Heilbehandlung im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, einer Entbindung oder einem Schwangerschaftsabbruch steht.
b) Mit diesem Inhalt modifiziert § 5 Abs. 1g AVB das mit § 1 Abs. 2 AVB gegebene Hauptleistungsversprechen in einschränkender Weise. Die Klausel ist daher durch § 8 AGBG einer Kontrolle nach § 9 AGBG nicht entzogen. § 4 Abs. 2 der Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ändert daran – wie bereits zuvor unter A. I., 1. b) dargelegt – nichts. Auf die vom Berufungsgericht erwogene Prüfung des Hauptleistungsversprechens am Transparenzgebot kommt es insoweit nicht an.
2. § 5 Abs. 1g AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 Abs. 1 AVB). Mit dem Leistungsausschluß für jegliche notwendige Heilbehandlung im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Entbindung und Schwangerschaftsabbruch geht sie über die als berechtigt anzuerkennenden Interessen der Beklagten zum Nachteil des Versicherungsnehmers hinaus. Die Beklagte will mit der Auslandsreise-Krankenversicherung Versicherungsschutz nur bei „unvorhergesehen” eintretenden Versicherungsfällen gewähren. Dem entspricht es zwar, wenn sie bei Untersuchungen und Behandlungen im Rahmen einer aus medizinischer Sicht unbeeinträchtigt verlaufenden Schwangerschaft ebensowenig leisten will, wie für eine Entbindung, die im vorausbestimmten Zeitraum stattfindet, oder für einen Schwangerschaftsabbruch, der von vornherein geplant ist. Diesem Interesse ist aber – soweit es hier überhaupt um Krankheiten im Sinne des § 1 Abs. 2 AVB geht – schon mit der Beschränkung der Leistungspflicht auf unvorhergesehen eintretende Versicherungsfälle Rechnung getragen. Der mit § 5 Abs. 1g AVB bestimmte vollständige Ausschluß der Leistungspflicht bei in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, Entbindung oder einem Schwangerschaftsabbruch unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfällen geht über dieses Interesse hinaus. Er führt zu einer einseitigen Begünstigung der Beklagten und zugleich zu einer Vernachlässigung des berechtigten Interesses des Versicherungsnehmers, auch in solchen Ausnahmesituationen, für die er die Versicherung nimmt, Versicherungsschutz zu erhalten.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Prof. Römer, Terno, Seiffert, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.11.2000 durch Heinekamp Justizsekretär als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 507837 |
NJW 2001, 1132 |
BGHR 2001, 119 |
EWiR 2001, 293 |
JR 2001, 416 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2001, 450 |
VersR 2001, 184 |
ZfS 2001, 223 |
RdW 2001, 50 |
KVuSR 2001, 72 |