Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungsersatzanspruch gegenüber Speditionsversicherer. Versicherungsinteresse der Wareninteressenten. Keine Versicherung des Eigenschadens. Keine objektive, auf die Vermeidung eines Versicherungsschadens gerichtete Rettungshandlung i.S.v. Nr. 4.1 SVS/RVS
Leitsatz (amtlich)
Entstehen dem Versicherungsnehmer zusätzliche Aufwendungen deshalb, weil er die von ihm geschuldete Leistung zunächst nicht ordnungsgemäß erbracht hat, stellen diese keine Rettungskosten im Sinne der Nr. 4.1 SVS/RVS dar.
Normenkette
VVG § 63; SVS/RVS Nr. 4.1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 7. Juni 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein Speditionsunternehmen, nimmt die Beklagte als Speditionsversicherer auf Ersatz von Aufwendungen in Anspruch. Dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag liegt der Speditions- und Rollfuhrversicherungsschein (SVS/RVS) in der Fassung von 1994 zugrunde.
Die Klägerin wurde im Juli 1997 von der ungarischen Firma R. beauftragt, zu festen Kosten 70 Tonnen aus Ma. stammenden schwarzen Pfeffer in H. auf Einwegpaletten zu verladen und per LKW nach M. zu transportieren. Dort sollte die Ware in der Bestrahlungsanlage der Firma Ga. entkeimt werden, um anschließend zur Endempfängerin nach B. verbracht und in handelsüblichen Mengen abgefüllt und verpackt zu werden. Die Palettenmaße waren mit 1,20 × 1,00 × 1,95 m vorgegeben; die Pfeffersäcke durften nicht über die Palettenränder hinausstehen. Für die Entladung des Sackgutes in H. und das Aufpacken auf die Paletten bediente sich die Klägerin der C. S. GmbH & Co KG. Den Transport nach M. übernahm die R. G. GmbH. Anläßlich der Anlieferung bei der Firma Ga. am 24. und 25. Juli 1997 wurde festgestellt, daß die Außenmaße der Paletten überschritten waren, so daß diese nicht in die Bestrahlungsanlage paßten. Da die ungarische Endempfängerin Schadensersatzansprüche wegen drohender Produktionsausfälle ankündigte, sollte die Lieferung nicht bis zum 8. August 1997 bei ihr eintreffen, wurde die Ware auf Veranlassung der Klägerin abgeladen, nach Zwischenlagerung in sogenannte Big Bags umgefüllt und in den richtigen Maßen palettiert. Sie konnte anschließend die Bestrahlungsanlage durchlaufen und rechtzeitig in B. angeliefert werden. Für die Umverpackung stellte die R. G. GmbH der Klägerin 46.316,40 DM in Rechnung, die die Klägerin gegenüber der Beklagten unter Berufung auf Nr. 4 SVS/RVS geltend macht. Die Klausel lautet:
„4.1
Die Versicherer ersetzen zusätzlich
die Aufwendungen zur Abwendung und Minderung eines ersatzpflichtigen Schadens, soweit sie den Umständen nach geboten waren, § 63 Versicherungsvertragsgesetz (VVG);
4.2
vom Spediteur oder Zwischenspediteur aus Anlaß einer Fehlleitung aufgewendete Beförderungsmehrkosten einschließlich notwendiger anderer Kosten, sofern sie zur Verhütung eines ersatzpflichtigen Schadens erforderlich waren.”
Das Landgericht hat der Klage unter Abzug eines Eigenanteils gemäß Nr. 15.1 SVS/RVS in Höhe von 41.316,40 DM stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat zur vollen Klagabweisung geführt. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Aufwendungsersatzanspruch mit folgender Begründung versagt: Ein solcher Anspruch setze voraus, daß die Aufwendungen zur Abwendung und Minderung eines „ersatzpflichtigen” Schadens getroffen worden seien. Es müsse also ein Schaden eingetreten sein oder gedroht haben, der von dem vom Versicherer übernommenen Risiko gedeckt werde. Gegenstand des versicherten Verkehrsvertrages sei zwar auch die Verpackung des Transportgutes (Nr. 1.1 SVS/RVS) gewesen. Versichert sei dabei aber nicht das Eigeninteresse der Klägerin als Frachtführerin, sondern allein dasjenige des Eigentümers oder sonstigen Wareninteressenten. Dieser habe deshalb keinen Schaden erlitten, weil die Klägerin eine von ihr zu vertretende Leistungsstörung des Frachtvertrages behoben und durch die Umverpackung die vertraglich geschuldete, für eine Behandlung in der Sterilisationsanlage geeignete äußere Beschaffenheit des Transportguts hergestellt habe. Die dadurch bewirkte Abwendung eines Schadens beim Versicherten sei lediglich eine Reflexwirkung der Erfüllung der vertraglichen Leistungspflicht und deshalb keine objektive, auf die Vermeidung eines Versicherungsschadens gerichtete Rettungshandlung im Sinne von Nr. 4.1 SVS/RVS i.V. mit § 63 VVG. Besondere, über die gewöhnlichen Kosten einer vertraglich geschuldeten Umverpackung hinausgehende Aufwendungen zur Schadensabwehr seien nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht entstanden.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Speditionsversicherung nach dem SVS/RVS ist eine Schadensversicherung (BGHZ 49, 160, 165; Koller, Transportrecht 4. Aufl. 2000 § 29 ADSp Rdn. 2; Voit in Prölss/Martin, 26. Aufl. Nr. 2 SVS/RVS Rdn. 2, 3). Gegenstand des Versicherungsvertrages sind Verkehrsverträge, also Speditions-, Fracht- und Lagerverträge, unter Einschluß der im Speditionsgewerbe üblichen Vereinbarungen, so z.B. auch über die Verpackung und das Ver- und Entladen von Gütern (Nr. 1.1 SVS/RVS). Die Versicherung wird gemäß Nr. 2 SVS/RVS für fremde Rechnung genommen und ersetzt nach den §§ 39, 41a ADSp a.F. die Haftung des Spediteurs, auch soweit er die Rechte und Pflichten eines Frachtführers (§§ 413, 429 ff. HGB a.F.) hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1990 – I ZR 138/89 – VersR 1991, 480 unter II 3 a; Schmidt, VersR 1986, 629, 630). Versichert ist in dem durch Nr. 3 SVS/RVS näher beschriebenen Umfang das Interesse, daß den Versicherten aus dem Transport oder im Zusammenhang damit kein Sach- oder Vermögensschaden trifft (vgl. BGHZ 49, 160, 165; Voit, aaO Rdn 3). Nach Nr. 2 SVS/RVS versichert sind neben dem Auftraggeber des Spediteurs oder Frachtführers auch sonstige Dritte, denen das versicherte Interesse zum Zeitpunkt des Schadensereignisses zugestanden hat. Das sind solche Wareninteressenten, die zu dem beförderten Gut derart in rechtlicher Beziehung stehen, daß sie im Versicherungsfall aufgrund dieser rechtlichen Beziehung einen Nachteil erleiden (Koller, aaO Ziff. 1 SpV Rdn. 2).
2. a) Das Berufungsgericht hat keine näheren Feststellungen dazu getroffen, ob die in Budapest ansässige Endempfängerin als Wareninteressentin anzusehen ist. Zugunsten der Klägerin ist daher für das Revisionsverfahren zu unterstellen, daß die Empfängerin der Ware Versicherte gemäß Nr. 2 SVS/RVS gewesen ist. Ihr ist jedoch kein Vermögensschaden im Sinne der Nr. 3.1.3 SVS/RVS entstanden. Denn die Klägerin hat durch die von ihr veranlaßte Umverpackung sichergestellt, daß die Ware in M. bestrahlt werden und danach fristgerecht in U. eintreffen konnte.
b) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin die ihr daraus erwachsenen Aufwendungen nicht erstattet verlangen kann. Zwar sieht Nr. 4.1 SVS/RVS vor, daß Aufwendungen zur Abwendung eines ersatzpflichtigen Schadens zu ersetzen sind. Darunter fallen jedoch – auch unter Berücksichtigung des in Bezug genommenen § 63 VVG – nicht die Aufwendungen, die beim Versicherungsnehmer entstehen, um die seinem Auftraggeber geschuldete Leistung vertragsgemäß zu erbringen.
Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85). Die Klägerin hat die Speditionsversicherung abgeschlossen, um sich gegenüber Auftraggeber und sonstigen Wareninteressenten auf die Haftungsbefreiung gemäß § 41a ADSp a.F. berufen zu können. Nr. 2 SVS/RVS bestimmt ausdrücklich, daß die Versicherung für fremde Rechnung genommen wird. Dieser auf fremde Interessen gerichtete Zweck der Versicherung widerspricht einem Verständnis der Nr. 4 SVS/RVS dahin, daß der Versicherungsnehmer die Kosten einer – zunächst fehlgeschlagenen – Vertragserfüllung vom Versicherer ersetzt verlangen kann. Denn durch die ordnungsgemäße Erbringung der vertraglichen Leistung und die Herbeiführung des dem Auftraggeber geschuldeten Erfolgs wird regelmäßig ein sonst ersatzpflichtiger Schaden abgewendet. Könnte der Versicherungsnehmer die Kosten, die zur Behebung einer in seinen Verantwortungsbereich fallenden Leistungsstörung erforderlich sind, vom Versicherer ersetzt verlangen, liefe dies auf eine Versicherung eigener Interessen hinaus, zu der der Versicherer ausweislich der vereinbarten Bedingungen grundsätzlich nicht bereit ist. Vielmehr können allein unter den Voraussetzungen der Nr. 4.2 SVS/RVS bestimmte Aufwendungen – nämlich Beförderungsmehrkosten – ersetzt verlangt werden, die Folge einer vertraglichen Nicht- oder Schlechterfüllung sind (vgl. Oeynhausen, Speditionsversicherung und Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen (1989), S. 46; Schmidt, aaO S. 632). Unter diese vertragliche Bestimmung fallen die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen jedoch unstreitig nicht.
Nur bei einem solchen Verständnis der Klausel in Nr. 4.1 SVS/RVS bekommt zudem die nachfolgende Regelung in Nr. 4.2 Sinn. Der Versicherer verspricht darin dem Versicherungsnehmer den Ersatz der aus Anlaß einer Fehlleitung aufgewendeten Beförderungsmehrkosten einschließlich notwendiger anderer Kosten, sofern sie zur Verhütung eines ersatzpflichtigen Schadens erforderlich waren. Dieses besondere Deckungsversprechen wäre überflüssig, wenn der Versicherer ohnehin die Mehrkosten für die Nachbesserung der vertraglich geschuldeten Leistung zu tragen hätte. Die Regelung hat daher erkennbar Ausnahmecharakter (Voit, aaO Nr. 4 SVS/RVS Rdn. 2). Das Verbringen der Ware an den vertraglich vereinbarten Ort ist originäre Vertragspflicht des Frachtführers, für die er die vorgesehene Vergütung als Gegenleistung erhält. Der Frachtvertrag ist Werkvertrag, der nicht die Dienste des Frachtführers zum Gegenstand hat, sondern das Eintreffen der Ware am bestimmungsgemäßen Ziel (Staudinger/Peters, [2000] Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB Rdn. 28, 72). Wie der vertraglich geschuldete Erfolg herbeigeführt wird, ist Sache des Frachtführers. Ist die selbst oder über einen Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) erbrachte Beförderungsleistung nicht ordnungsgemäß, gehen die aufgrund eines erneuten Erfüllungsversuchs entstehenden Kosten zu seinen Lasten. Der aus der Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrages erwachsene Eigenschaden ist nicht versichert.
Unterschriften
Terno, Seiffert, Ambrosius, Wendt, Dr. Kessal-Wulf
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.01.2002 durch Heinekamp Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BGHR 2002, 453 |
NJW-RR 2002, 1180 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2002, 491 |
NVersZ 2002, 285 |
VersR 2002, 436 |
ZfS 2002, 390 |
TranspR 2002, 205 |