Leitsatz (amtlich)
a) Ein Normadressat, der seine Leistungen nicht ausschließlich durch Tochterunternehmen anbietet, darf die über sein Tochterunternehmen geworbenen Kunden im Verhältnis zu anderen Kunden grundsätzlich nicht ungleich behandeln.
b) Eine in AGB festgelegte Vorleistungspflicht benachteiligt dann unangemessen, wenn mit ihr nicht lediglich sichergestellt werden soll, daß der Unternehmer sein Entgelt erhält, ehe er unwiederbringlich seine Leistung erbracht und jedes Druckmittel verloren hat.
Normenkette
GWB § 20 Abs. 1; AGBG § 9; BGB n.F. § 307
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 18. November 1999 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts als Kartellsenat zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Werbeagentur, die insbesondere auch in Telefonbüchern und Branchenverzeichnissen Werbetexte plaziert. Die Beklagte verlegt Telefonbücher für den norddeutschen Raum und vertreibt dort auch die „Gelben Seiten”, ein nach Branchen geordnetes Telefonbuch. Wenn die Klägerin für ihre Kunden Anzeigen schaltet, schließt sie mit der Beklagten im eigenen Namen Verträge ab. Diesen Verträgen liegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zugrunde. Ziffer 16 dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen lautet unter anderem wie folgt:
Zahlungsbedingungen: Der Rechnungsbetrag ist vor Erscheinen innerhalb 30 Tagen nach Rechnungserhalt ohne Abzug fällig, zahlbar unter Angabe der Auftragsnummer. …
Die Beklagte, die zunächst – wie andere Telefonbuchverlage auch – jedenfalls bei Werbeagenturen ihre Rechnungen erst bei Erscheinen des Telefonbuches fällig gestellt hatte, änderte ihre Praxis im Laufe des Rechtsstreits dergestalt, daß sie nunmehr gegenüber sämtlichen Kunden entsprechend der Regelung in Ziffer 16 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen verfährt. Zwischen der frühestmöglichen Bestellung einer Anzeige und dem Redaktionsschluß liegen 5 ½ bis 6 ½ Monate; das jeweilige Telefonbuch erscheint 2 ½ bis 4 ½ Monate später. Die Tochtergesellschaft der Beklagten, die Werbeagentur T., wirbt damit und praktiziert dies auch so, daß ihre Kunden erst nach Erscheinen der Telefonbücher eine Rechnung erhalten.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, daß sie berechtigt sei, die Vergütung erst bei Erscheinen der Telefonbücher, hilfsweise einen Monat nach dem von der Klägerin angegebenen Redaktionsschluß zu bezahlen. Sie hält die ihr von der Beklagten abverlangte Vorleistungspflicht für unzulässig. Eine Vorleistungspflicht verstoße gegen § 9 AGBG, weil diese mit dem Werkvertragsrecht nicht vereinbar sei. Die Praxis der Beklagten bedeute auch eine kartellrechtswidrige Behinderung, da die Tochtergesellschaft der Beklagten ihren Kunden erst nach Erscheinen der Telefonbücher eine Rechnung stelle. Dieses Verhalten verstoße gegen § 20 Abs. 1 GWB.
Das Landgericht hat die Klage – mit Ausnahme mittlerweile erledigter Teilanträge – abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben (OLG Hamburg WuW/E DE-R 424). Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie ihre Feststellungsanträge weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat die Fälligkeitsregelung in Ziffer 16 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nach § 9 AGBG als unwirksam angesehen und gleichfalls kartellrechtliche Ansprüche nach § 20 Abs. 1 GWB verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beklagte habe ein berechtigtes Interesse an einer Vorleistungsverpflichtung. Allein der Umstand, daß die Klausel bei frühzeitiger Auftragserteilung zu einer ganz erheblichen zeitlichen Vorleistung, nämlich bis zu acht Monaten vor Erscheinen des Telefonbuchs, führen könne, rechtfertige keine andere Betrachtung. In diesen Fällen habe es nämlich der Auftraggeber in der Hand, den Auftrag möglichst spät zu erteilen. Soweit die Beklagte in Schreiben um eine möglichst frühe Auftragserteilung unter Hinweis auf eine einwandfreie Abwicklung werbe, sei damit keine Verpflichtung für die Kunden verbunden. Vielmehr diene dies dazu, den Risiken und den fehlenden Korrekturmöglichkeiten bei einer späten Auftragserteilung entgegenzutreten. Die Klägerin behaupte demgegenüber selber nicht, daß spät erteilte Aufträge nicht mehr angenommen würden.
Eine kartellrechtswidrige Diskriminierung nach § 20 Abs. 1 GWB bestehe nicht. Die Klägerin habe nicht einmal substantiiert vorgetragen, wie sich die Beklagte im Hinblick auf ihr Tochterunternehmen selbst verhalte. So könne dem Vortrag der Klägerin nicht entnommen werden, daß gerade die Beklagte den späten Zahlungszeitpunkt ermögliche und dies nicht nur eine Serviceleistung der Werbeagentur T. darstelle. Im übrigen sei es nicht unbillig, wenn ein Konzernunternehmen von der Konzernmutter gegenüber anderen Wettbewerbern bevorzugt werde. Sähe man die Beklagte und die Werbeagentur T. als unternehmerische Einheit an, dann handele die Werbeagentur T. in mittelbarer Stellvertretung für die Beklagte. Da die Kunden an die Werbeagentur T. direkt heranträten, stünden ihre Kunden nicht den Kunden der Klägerin gleich, weil diese sich durch die Klägerin mittelbar vertreten ließen. Es fehle dann an der Gleichartigkeit. Es sei nämlich ein grundlegender Unterschied, ob die unternehmerische Einheit in direkter Kundenbeziehung stehe oder ob die Kunden verdeckt über die Klägerin an die Beklagte heranträten. Zu berücksichtigen sei aber vor allem, daß, wenn man bei den von der Werbeagentur T. vermittelten Kunden mit der Fälligstellung warte, die Beklagte ein wirtschaftliches Risiko trage. Für sie bestehe dann die Gefahr, den Telefonbucheintrag zu bewirken, andererseits aber den Vergütungsanspruch nicht realisieren zu können. Es sei im Wettbewerb ein legitimes Mittel, durch günstige Fälligkeitsbedingungen um Kunden zu werben. Im Verhältnis zu ihren Kunden könne die Klägerin in gleicher Weise vorgehen.
II. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat einen kartellrechtlichen Anspruch nach § 20 Abs. 1 GWB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
a) Zutreffend und auch von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen, geht das Berufungsgericht von einer Normadressatenstellung der Beklagten im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB aus. Die Beklagte ist dieser Bewertung des Berufungsgerichts in der Revisionsinstanz mit Recht nicht entgegengetreten. Die Beklagte verlegt für einen umgrenzten räumlichen Bereich ausschließlich die sogenannten amtlichen Telefonbücher, wozu die „Gelben Seiten” zählen. Dieses Medium ist durch andere Werbemittel nicht zu ersetzen, weil es eine umfassende Gliederung nach Branchen enthält und praktisch in jedem Haushalt vorhanden ist. Es dient für den von ihm erfaßten Bereich einer vollständigen Gesamtübersicht über die Branchenmitglieder und stellt eine umfassende Auflistung der entsprechenden Fax- und Telefonnummern der Branchenangehörigen dar. Für die Sicherstellung der Ansprechbarkeit durch potentielle Kunden sind Telefonbücher von besonderer Bedeutung, weil sie in den einzelnen Haushalten – im Gegensatz zu anderen Werbemitteln – aufbewahrt und für den Bedarfsfall griffbereit gehalten werden. Auf diesem Markt für Werbeeinträge in Telefonbücher stehen sich die Beklagte als Anbieterin und die Klägerin als Nachfragerin gegenüber.
b) Durchgreifenden Bedenken begegnen jedoch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den – häufig nebeneinander vorliegenden (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1998 – KZR 1/97, WuW/E DE-R 201, 203 – Schilderpräger im Landratsamt) – Tatbestandsvarianten der Diskriminierung und der unbilligen Behinderungen. Zu Unrecht hat es das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang offengelassen, ob die Beklagte und die Werbeagentur T. als unternehmerische Einheit anzusehen sind. Die Klägerin hat schon im landgerichtlichen Verfahren unwidersprochen vorgetragen, daß die Werbeagentur T. – mit der Gelbe Seiten S. D. & Co. GmbH als persönlich haftender Gesellschafterin – eine Tochtergesellschaft der Beklagten ist. Die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat auf Nachfrage des Senats in der Revisionsverhandlung ausdrücklich bestätigt, daß die Beklagte Komplementärin der Werbeagentur T. ist. Allein die mit dieser Stellung der Beklagten verbundene Einflußmöglichkeit auf die Werbeagentur T. rechtfertigt die Annahme einer unternehmerischen Einheit zwischen der Beklagten und ihrem Tochterunternehmen.
aa) Diese aus der Beklagten und der Werbeagentur T. bestehende unternehmerische Einheit behandelt die Klägerin unterschiedlich im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es dabei nicht auf einen Vergleich zwischen den Kunden der Klägerin und solchen der Werbeagentur T. an. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Klägerin selbst gegenüber den über die Werbeagentur T. akquirierten Kunden ungleich behandelt wird. Die Klägerin beauftragt nämlich die Telefonbucheinträge nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im eigenen Namen; ihr gegenüber wird Rechnung erteilt. Insoweit befindet sich die Klägerin auf derselben Handelsstufe wie andere Kunden der Beklagten auch, selbst wenn diese über die Werbeagentur T. als unselbständigen Unternehmensbestandteil der Beklagten die Telefonbucheinträge in Auftrag gegeben haben sollten. Deshalb bilden diese auf derselben Nachfragerebene angesiedelten Kunden der Werbeagentur T. im Verhältnis zur Klägerin die relevante Bezugsgruppe bei der Prüfung des Diskriminierungstatbestandes. Vergleicht man diese Kunden mit der Klägerin, zeigt sich die Ungleichbehandlung. Während die Beklagte gegenüber der Klägerin nämlich entsprechend der Regelung in Ziffer 16 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ihre Rechnung fällig stellt, erhalten die über die Werbeagentur T. gebundenen Inserenten überhaupt erst nach Erscheinen des Telefonbuches eine Rechnung. Die aus der Beklagten und ihrem Tochterunternehmen bestehende unternehmerische Einheit bevorzugt diese Kunden im Hinblick auf die Fälligstellung der Vergütung im Verhältnis zur Klägerin. Hierin liegt eine Diskriminierung der Klägerin im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann hier auch nicht das Merkmal der fehlenden Gleichartigkeit im Geschäftsverkehr ausgeschlossen werden. An dieses Erfordernis, wonach es sich um einen gleichartigen Unternehmen zugänglichen Geschäftsverkehr handeln muß, dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (BGH, Urt. v. 13.11.1990 – KZR 25/89, WUW/E 2683, 2686 – Zuckerrübenanlieferungsrecht). Es ist erfüllt, wenn die zum Vergleich herangezogenen Unternehmen im wesentlichen gleiche Funktionen ausüben (BGH, Urt. v. 19.3.1996 – KZR 1/95, WUW/E 3058, 3063 – Pay-TV-Durchleitung). Die Aufträge für die Telefonbucheintragungen werden von verschiedenen Unternehmen erteilt. Dies reicht aus, um die Gleichartigkeit im Sinne dieses Merkmals zu bejahen. Die Vielzahl von nachfragenden Unternehmen belegt, daß es sich hier um einen gleichartigen Unternehmen zugänglichen Geschäftsverkehr handelt. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Teil der Nachfrager über das Tochterunternehmen der Beklagten vermittelt wurde. Die Beklagte schließt daneben nämlich mit anderen Unternehmen – wie im übrigen auch mit der Klägerin – unmittelbar Verträge über Telefonbucheintragungen ab.
cc) Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB ist den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen. Soweit das Berufungsgericht sich auf den Gesichtspunkt stützt, die Bevorzugung des eigenen Tochterunternehmens stelle einen solchen Rechtfertigungsgrund dar, erweist sich diese Begründung nicht als tragfähig.
Allerdings hindert das Diskriminierungsverbot den Normadressaten grundsätzlich nicht daran, seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet (BGH, Urt. v. 17.3.1998 – KZR 30/96, WuW/E DE-R 134, 136 – Bahnhofsbuchhandel; Beschl. v. 25.10.1988 – KVR 1/87, WuW/E 2535, 2539 f. – Lüsterbehangsteine; Urt. v. 10.2.1987 – KZR 6/86, WuW/E 2360, 2366 – Freundschaftswerbung). Dies umfaßt grundsätzlich das Recht des Normadressaten, seinen Vertrieb auch über unternehmenseigene Tochtergesellschaften zu organisieren. Entschließt sich der Normadressat jedoch prinzipiell, seine Leistungen nicht nur durch von ihm beherrschte Tochterunternehmen anzubieten, trifft ihn die grundsätzliche Pflicht zur Gleichbehandlung gleichartiger Unternehmen. Eine Benachteiligung einzelner Abnehmer ist dann nur bei dem Vorliegen besonderer rechtfertigender Umstände möglich (vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 20 Rdn. 153).
Hier bietet die Beklagte Telefonbuchinserate sowohl selbst als auch – verbunden mit einer werblichen Beratung – über ihre Tochtergesellschaft, die Werbeagentur T., an. Maßgeblich ist mithin, ob ein sachlicher Grund dafür besteht, die Kunden, die über diese – mit der Beklagten zu einer unternehmerischen Einheit verbundenen Werbeagentur – inserieren, gegenüber der Klägerin besser zu stellen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung anhand einer umfassenden Interessenabwägung der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzungen des Kartellgesetzes zu bestimmen (BGH WuW/E DE-R 134, 135 – Bahnhofsbuchhandel).
Die hierfür angeführten Gründe des Berufungsgerichts überzeugen schon deshalb nicht, weil das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang allein darauf abgestellt hat, daß die Klägerin als Werbeagentur tätig ist. Dieser Gesichtspunkt ist nicht tragfähig, weil – wie ausgeführt – die Klägerin selbst Vertragspartei geworden ist. Es geht deshalb nicht um die Frage, inwieweit die Beklagte ihre eigene Werbeagentur gegenüber anderen Werbeagenturen – zu denen die Klägerin zählt – bevorzugen darf. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Klägerin als Beteiligte eines auf Telefonbuchinserate gerichteten Vertrages im Verhältnis zu anderen Kunden deshalb schlechter gestellt werden darf, weil sie eine Werbeagentur ist und hinter ihr die von den Telefonbucheinträgen tatsächlich Betroffenen stehen. Eine solche Diskriminierung wäre mit den Zielsetzungen des Kartellrechts nicht vereinbar. Sie würde darauf hinauslaufen, daß der Normadressat in seiner Konditionengestaltung danach unterscheidet, mit welchen Personen seine Vertragspartner wiederum kontrahieren bzw. welche Leistungen sie diesem gegenüber erbringen. Für einen derartigen Durchgriff auf die in den nachgelagerten Märkten tätigen Unternehmen ist ein sachlich gerechtfertigter Grund nicht ersichtlich.
Aus diesen Gründen kann der weitere vom Berufungsgericht angeführte Gesichtspunkt gleichfalls keine Rechtfertigung bilden, wonach die Beklagte ein legitimes Interesse daran habe, in Kontakt zu den hinter der Klägerin stehenden Unternehmen zu kommen, um so deren Bonität einschätzen und daran individuelle Fälligkeitsregelungen knüpfen zu können. Maßgeblich kann für die Beklagte nur die Bonität ihres Vertragspartners sein. Dies ist aber die Klägerin. Nur wenn hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit der Klägerin selbst Zweifel bestünden, könnte die Beklagte zur Sicherung des Erhalts der Gegenleistung den Fälligkeitszeitpunkt vorverlagern. Solche Sicherungsmaßnahmen bildeten dann auch einen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung gegenüber solchen Kunden, bei denen entsprechende Bonitätsprobleme nicht bestehen. Ob hier Anhaltspunkte bei der Klägerin vorhanden sind, war zwar Gegenstand von streitigen Erörterungen im landgerichtlichen Verfahren, wurde dann aber wegen des anderen rechtlichen Ausgangspunktes im Berufungsverfahren nicht weiterverfolgt. Der Beklagten, die als Normadressatin die Voraussetzungen eines sachlich gerechtfertigten Grundes darlegen muß und hierfür auch die Beweislast trägt (BGH WuW/E 2683, 2687 – Zuckerrübenanlieferungsrecht), ist insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben.
2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 9 AGBG – jetzt ohne inhaltliche Änderung § 307 BGB n.F. – begegnen gleichfalls durchgreifenden Bedenken. Auch insoweit bedarf der Rechtsstreit weiterer Aufklärung.
a) Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, daß solche Vorleistungsklauseln nicht schlechthin unzulässig sind. Die hier zu beurteilenden Vereinbarungen über die Aufnahme einer Werbeanzeige in ein Telefonbuch hat es dabei zutreffend als Werkvertrag qualifiziert (vgl. BGH, Urt. v. 5.11.1991 – X ZR 91/90, NJW 1992, 1450, 1451). Bei Werkverträgen besteht allerdings nach der gesetzlichen Regelung (§ 641 Abs. 1, § 646 BGB) eine Vorleistungspflicht des Unternehmers. Damit liegt zwar eine Abweichung von einer gesetzlichen Leitbestimmung vor. Nicht jede Abweichung von einer gesetzlichen Leitbestimmung führt aber zur Unwirksamkeit der Klausel. Diese kann durch höherrangige Interessen des Verwenders, die in der Natur des konkreten Schuldverhältnisses liegen, gerechtfertigt sein (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.1992 – VII ZR 7/92, NJW 1992, 3158, 3161 m.w.N.). So hat die Rechtsprechung die Festlegung einer Vorleistungspflicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sogar gegenüber einem Verbraucher dann als zulässig angesehen, wenn für sie ein sachlich gerechtfertigter Grund besteht (BGHZ 141, 108, 114 f.) und die Erbringung der Gegenleistung gesichert ist.
Ob es bei der Verwendung von solchen Klauseln gegenüber einem Unternehmen auch eines sachlich gerechtfertigten Grundes bedarf, kann der Senat hier offenlassen. Ein solcher besteht nämlich in den Besonderheiten des Vertragsverhältnisses, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Mit ihrer Aufnahme in das Telefonbuch entfaltet die Anzeige ihre Werbewirkung bis zur Auflage eines neuen Telefonbuches. Damit erreicht der Besteller wirtschaftlich sein Ziel, das er mit der Aufgabe des Inserates verfolgt hat. Im Falle seiner späteren Nichtzahlung verfügt der Verlag über kein Druckmittel mehr. Während ansonsten bei einem Werkvertrag im Falle der Nichtzahlung dem Werkunternehmer verschiedene Möglichkeiten zur Sicherung seines Vermögensanspruchs eingeräumt sind und er im Verzugsfalle in die Lage versetzt wird, die erbrachte Werkleistung rückgängig zu machen (§ 323 Abs. 1, § 346 Abs. 1 BGB n.F.), ist dem Telefonbuchverleger diese Möglichkeit aus tatsächlichen Gründen verschlossen. Ihm verbleibt letztlich nur die mühevolle, zudem kostenintensive und häufig erfolglose Beitreibung der Inseratskosten. Das in der Praxis wesentlich effektivere Mittel der Drohung mit dem Entzug des für kleinere Betriebe häufig wichtigen Werbeträgers kann der Telefonbuchverlag nicht einsetzen. Andererseits muß er seine Leistung vollumfänglich erbringen, also den Druck- bzw. Fotosatz der Anzeige erstellen.
Entgegen der Auffassung der Revision reicht die in § 321 BGB n.F. vorgesehene Unsicherheitseinrede nicht aus, um in der Praxis die Rechtsstellung des Telefonbuchverlegers durchgreifend zu verbessern. Er wird nämlich faktisch nicht über die Möglichkeit verfügen, jeweils die finanzielle Situation bei der großen Menge seiner Anzeigenkunden zu beobachten, um gegebenenfalls Maßnahmen nach § 321 BGB n.F. ergreifen zu können. Da dem Telefonbuchverleger auch keine anderen gleichwertigen Sicherungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, rechtfertigen die aufgezeigten, von der Typik eines Werkvertrages abweichenden Besonderheiten bei einem Inseratsauftrag für ein Telefonbuch grundsätzlich eine Vorleistungspflicht des Auftraggebers.
b) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen läßt sich jedoch nicht abschließend beurteilen, ob die Klausel in Ziffer 16 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen die an sich sachlich gerechtfertigte Vorleistungspflicht angemessen regelt. Bei der Überprüfung solcher Klauseln gilt auch im Individualprozeß ein überindividuell generalisierender Maßstab (BGH, Urt. v. 23.6.1988 – VII ZR 117/87, NJW 1988, 2536, 2537). Bei dieser Betrachtung kommt es auf die Verhältnisse des Einzelfalls nicht an; maßgeblich ist vielmehr, daß eine unangemessene Benachteiligung des Geschäftspartners von vornherein ausgeschlossen ist (BGH, Urt. v. 7.7.1992 – XI ZR 274/91, NJW 1992, 2626).
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen läßt sich allerdings nicht abschließend klären, ob eine gegebenenfalls bis zu acht Monaten vor Erscheinen des Telefonbuches liegende Fälligkeit noch angemessen ist. Eine solche nach vorn geschobene Fälligkeitsregelung kann – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – grundsätzlich nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, daß der Kunde ja entsprechend lange mit der Anzeigenaufgabe zuwarten könne. Vielmehr wird – was bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Regel ist – der Kunde die Geschäftsbedingung nicht kennen; deshalb wird er seine Auftragserteilung auch nicht daran ausrichten. Maßgebend für die Beurteilung der Zeitspanne bis zum Erscheinen des Telefonbuchs unter dem Gesichtspunkt des § 9 AGBG ist daher, in welchem Maße das Sicherungsbedürfnis der Beklagten als Verwenderin der Allgemeinen Geschäftsbedingungen berücksichtigt werden durfte, und ob umgekehrt die jeweilige Klausel die Interessen der Auftraggeber schon unangemessen beeinträchtigt.
Die besondere Interessenlage bei Telefonbucheinträgen bedingt, daß die Beklagte bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Leistung nicht mehr rückgängig machen kann, die Vergütung vereinnahmt haben will. Der insoweit relevante Stichtag wird regelmäßig der Redaktionsschluß sein, bis zu dem die Beklagte in die Struktur des Telefonbuches redaktionell eingreifen und nicht bezahlte Inserate auch wieder herausnehmen kann. Nach dem Redaktionsschluß verliert sie jegliches Druckmittel gegenüber den Inseratskunden. Vom zeitlichen Ablauf her betrachtet, muß es der Beklagten deshalb möglich sein, die Fälligkeit schon erheblich vor diesem Zeitpunkt festzulegen. Dabei ist zugunsten der Beklagten folgender Zeitbedarf zu berücksichtigen: Nach Eintritt der Fälligkeit muß ihr zugebilligt werden, zunächst den Zahlungseingang zu überprüfen und im Falle der Nichtzahlung die Rücktrittsmöglichkeit nach § 323 Abs. 1 BGB n.F. zu ergreifen, die wiederum grundsätzlich eine angemessene Fristsetzung verlangt. Auch nach Ablauf dieser Frist ist der Beklagten eine weitere Überlegungsfrist einzuräumen, innerhalb deren sie einen Rücktritt gegebenenfalls prüfen kann.
Welche Fristen hier im einzelnen anzunehmen sein werden, hängt von noch tatrichterlich zu klärenden Vorfragen ab. So fehlen bislang Feststellungen zu der – die Länge der Fristen beeinflussenden – Größenordnung der im Raum stehenden Inseratskosten ebenso wie zu abrechnungstechnischen oder buchhalterischen Gesichtspunkten. Diese letztgenannten Umstände spielen nicht nur eine Rolle für die Bemessung der Überprüfungsfristen. Kann nur mit erheblichem abrechnungstechnischem Zusatzaufwand bei solchen Auftraggebern, die sehr frühzeitig den Inseratsauftrag erteilen, die Werklohnforderung zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig gestellt werden, kann dies dazu führen, die Fälligkeitsregelung in Ziffer 16 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen insgesamt als angemessen anzusehen, selbst wenn ein wenige Wochen später liegender Fälligkeitszeitpunkt an sich die Interessen der Beklagten noch ausreichend wahren könnte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die vorfinanzierten Gelder ausreichend gesichert sind und für den Vorleistenden kein Insolvenzrisiko besteht (vgl. BGH NJW 1992, 3158, 3163).
III. Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Es ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit im Hinblick auf die vorgenannten Gesichtspunkte zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit besteht für die Parteien auch Gelegenheit, noch zu dem erstmals in der Revisionsinstanz von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB vorzutragen, für dessen Prüfung bislang eine ausreichende tatsächliche Grundlage fehlt.
Unterschriften
Hirsch, Goette, Ball, Bornkamm, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 892971 |
BGHR 2003, 446 |
BGHR |
NJW-RR 2003, 834 |
GRUR 2003, 542 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 2012 |
WRP 2003, 1244 |
WuW 2003, 395 |