Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, der früher als selbständiger Rechtsanwalt tätig war, fordert Rentenleistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Er behauptet, seinen Beruf seit Anfang 1998 aus Gesundheitsgründen nicht mehr ausüben zu können, denn er leide seit 1997 an sich fortlaufend verschlimmerndem Bluthochdruck, seit Anfang 1998 zudem an Depressionen mit körperlichen Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Beschwerden im Brustbereich und Konzentrationsmängeln. Schließlich hätten mehrere in den Jahren 1994 bis 2000 erlittene Unfälle bei ihm zu einem HWS-Syndrom geführt.
Die Beklagte bestreitet, dass beim Kläger eine Berufsunfähigkeit von zumindest 50% vorliege, wie sie § 1 Abs. 1 lit. b ihrer Versicherungsbedingungen für die begehrte Berufsunfähigkeitsrente voraussetzt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ergänzend zu den bereits vom Landgericht veranlassten neurologisch-psychiatrischen und internistischen Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers ein weiteres internistisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. und neurologisch-psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. W. eingeholt. Aufgrund dieser Beweisaufnahme hat sich das Berufungsgericht nicht davon überzeugen können, dass beim Kläger eine bedingungsgemäße, zumindest 50%-ige Berufsunfähigkeit vorliegt:
1. Es sei mit Hilfe von Medikamenten gelungen, die arterielle Hypertonie des Klägers so weit zu beherrschen, dass sie dessen Leistungs- und Arbeitsfähigkeit in keiner Weise mehr einschränke. Der Kläger weise infolge der Behandlung ein gutes Blutdruckprofil mit adäquatem Blutdruck- und Herzfrequenzverhalten, ferner gute Cholesterinwerte auf. Von einer nicht einstellbaren Hypertonie könne danach nicht die Rede sein. Dass die Hypertonie, solange sie früher unbehandelt geblieben sei, den Kläger zeitweise in erhöhtem Maße gesundheitlich beeinträchtigt habe, sei unerheblich. Der inzwischen eingetretene Behandlungserfolg zeige, dass insoweit keine dauerhafte Beeinträchtigung i.S. von § 2 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen vorgelegen habe.
2. Die psychische Symptomatik des Klägers schränke seine Berufsfähigkeit zu allenfalls 30% ein. Das ergebe sich aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. W.. Ihm zufolge liege eine an der Grenze zur Befindlichkeitsstörung angesiedelte Störung vor, deren Symptome in einer eher diffusen depressiven Verstimmung mit leichten Verlaufsschwankungen bestünden und deren einzelne Episoden nicht den Schweregrad einer mittelgradig rezidivierenden depressiven Störung erreichten. Diverse vom Sachverständigen Dr. W. durchgeführte Untersuchungen und Tests hätten zudem ergeben, dass die Konzentrationsfähigkeit des Klägers nur sehr gering beeinträchtigt sei. Dr. W. habe sich auch ausreichend mit den vom Kläger zur Akte gereichten privatärztlichen Stellungnahmen auseinandergesetzt. Soweit insbesondere der Diplom-Psychologe Kr. zu einem anderen Ergebnis gelangt sei, habe der Sachverständige Dr. W. ausgeführt, dass die von Kr. eingesetzten testpsychologischen Untersuchungen kein objektives Bild ergäben, weil sie zu stark auf die subjektive Sichtweise des Patienten, dessen Selbsteinschätzung und Selbstbewertung abstellten.
Schließlich lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. auch aus der beim Kläger beobachteten Affektlabilität keine nennenswerte Beeinträchtigung in Bezug auf seine Fähigkeit, als Rechtsanwalt zu arbeiten, herleiten. Die gegenteilige Feststellung einer schweren Depression, die der Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Diplom-Psychologe Dr. F. in seiner gutachtlichen Stellungnahme für das Versorgungswerk der Rechtsanwälte getroffen habe, sei - wie der Sachverständige Dr. W. nachvollziehbar begründet habe - nicht lege artis erfolgt.
Zur Einholung weiterer gutachtlicher Stellungnahmen hat sich das Berufungsgericht in Bezug auf die psychische Symptomatik des Klägers nicht veranlasst gesehen.
II. Das hält, soweit die Feststellungen des Berufungsgerichts zur psychischen Symptomatik des Klägers betroffen sind, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteil vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteile vom 23. September 1986 - VI ZR 261/85 - VersR 1987, 179 unter II 2 a; 9. Juni 1992 - VI ZR 222/91 - VersR 1992, 1015 unter II 2 c; 11. Mai 1993 - VI ZR 243/92 - VersR 1993, 899 unter II 2 a; 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93 - VersR 1994, 480 unter II 1 b; 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722 unter II 2 a).
2. Diese Vorgaben hat das Berufungsgericht hier missachtet.
a) Der Neurologe, Psychiater und Diplom-Psychologe Dr. F., dessen Gutachten der Kläger vorgelegt hat, war vom Rechtsanwaltsversorgungswerk bei der Prüfung der dortigen Rentenansprüche des Klägers beauftragt worden. Er hatte zur Vorbereitung seines Gutachtens den Diplom-Psychologen Kr. für ein psychologisches Zusatzgutachten hinzugezogen. Darin sind vor allem die Ergebnisse diverser Leistungstests, denen der Kläger unterzogen worden war, dahingehend ausgewertet worden, er leide an wiederholt auftretenden Angstattacken, einem starken depressiven Symptom, stark ausgeprägter "Affektinkontinenz", deutlich herabgesetzter Konzentrationsfähigkeit und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, schließlich leicht- bis mittelgradigen Merkfähigkeitsstörungen. Ergänzend zu diesen Testergebnissen hat Dr. F. im Rahmen seines Gutachtens eine schwere depressive Störung mit chronifiziertem Verlauf und begleitender Angstproblematik (phobische Symptome und Panikattacken) diagnostiziert und ausgeführt, auch eine medikamentöse Therapie lasse eine durchgreifende Verbesserung der "massiven Leistungsstörung" des Klägers und seine Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nicht erwarten. Dieser sei nach allem nicht mehr in der Lage, als Anwalt zu arbeiten.
b) Der vom Berufungsgericht beauftragte Sachverständige Dr. W. hat an den Schlussfolgerungen des Psychologen Kr. bemängelt, dass er dessen testpsychologische Untersuchungen für höchst problematisch halte, weil es dabei sehr stark auf die "subjektive Sichtweise" des Probanden ankomme. Es gehe vorwiegend um "Selbsteinschätzungen und Selbstbewertungen". Beim so genannten SMP-Test, der für Patienten schwerer zu durchschauen sei, zeige sich ein den übrigen Testergebnissen deutlich widersprechendes Bild. Darauf, dass der Diplom-Psychologe Kr. dem Kläger irgendwelche Aggravations- oder Simulationstendenzen ausdrücklich abgesprochen hatte, geht Dr. W. dabei aber nicht ein.
Am Gutachten von Dr. F. hat der Sachverständige Dr. W. beanstandet, die zugrunde liegende Exploration sei nicht ausreichend, weil "Angaben zum Tagesablauf, zu Schlafstörungen usw." fehlten. Dr. F. habe nur aus dem Zustand des Klägers, wie dieser sich bei der Untersuchung präsentiert habe, Schlussfolgerungen gezogen. Die niedergelegten Explorationsergebnisse genügten nicht, um eine schwere Depression festzustellen. Der psychopathologische Befund (lediglich 1/3 Seite) sei unzureichend, die Begutachtung nicht lege artis. Er, Dr. W., könne ihr nicht folgen. Das lässt offen, ob der gerichtlich bestellte Sachverständige ausreichend bedacht hat, dass das Gutachten von Dr. F. erkennbar auf den Ergebnissen der testpsychologischen Untersuchung aufbaut.
3. Das Berufungsgericht, das weder den Diplom-Psychologen Kr. noch Dr. F., dessen Anhörung der Kläger ausdrücklich beantragt hatte, angehört hat, hat seine Beweiswürdigung darauf beschränkt, die Äußerungen Dr. W. über das testpsychologische Gutachten des Psychologen Kr. und das Gutachten von Dr. F. weitgehend wörtlich wiederzugeben und danach festzustellen, dass Dr. W. die seinen Ergebnissen widersprechenden Feststellungen des Dr. F. "eingehend beurteilt" habe und mit "nachvollziehbarer Begründung" zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Diagnose Dr. F. von Dr. W. Explorationsergebnissen nicht gestützt werde und Dr. F. Begutachtung nicht lege artis erfolgt sei. Demgegenüber überzeugten die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen den Senat in jeder Hinsicht, insbesondere weil sie auch weitere privatgutachtliche Stellungnahmen mit überzeugender Begründung in allen Punkten widerlegten. Ein Obergutachten sei nach allem nicht veranlasst.
Damit hat sich das Berufungsgericht letztlich ohne eigene Begründung dem gerichtlich bestellten Gutachter angeschlossen, indem es dessen Ausführungen für überzeugend erklärt und der Gegenseite keine Gelegenheit zur Erwiderung eingeräumt hat (vgl. zur Unzulässigkeit einer solchen Vorgehensweise BGH, Urteil vom 23. September 1986 - VI ZR 261/85 - VersR 1987, 179 unter II 2 a). Eigene Sachkunde, die den Gutachterstreit beilegen könnte, hat es dabei nicht ansatzweise erkennen lassen. Insbesondere bleibt offen, aus welchen Erwägungen das Berufungsgericht die Kritik Dr. W. an den durch den Psychologen Kr. durchgeführten Tests teilt. Weder machen die Gründe des Berufungsurteils deutlich, worin sich die vom Psychologen Kr. und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen verwendeten Tests unterscheiden, noch ist nachvollziehbar erläutert, wodurch sich der so genannte SMP-Test, dem der Sachverständige Dr. W. eine besondere Aussagekraft zuschreibt, von anderen Tests abheben soll. Stattdessen werden lediglich ungeprüft die Behauptungen des gerichtlich bestellten Gutachters übernommen, die dieser aufgestellt hatte, nachdem er erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2006 mit dem Gutachten von Dr. F. konfrontiert worden war und lediglich im Rahmen einer kurzen Sitzungsunterbrechung Gelegenheit erhalten hatte, dieses durchzulesen.
Inwieweit etwa die von ihm im Gutachten von Dr. F. vermissten Feststellungen zu Tagesablauf und Schlafstörungen unabdingbar für die Diagnose einer schweren Depression sind und was die Ausführungen Dr. W. im Übrigen vorzugswürdig erscheinen lässt, wird vom Berufungsgericht ebenfalls nicht nachvollziehbar und von eigener Sachkunde getragen dargelegt.
4. Die Annahme des Berufungsgerichts, die psychologischen Beeinträchtigungen des Klägers führten allenfalls zu einer Berufsunfähigkeit von 30%, beruht deshalb auf verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen. Das Berufungsgericht wird im weiteren Verfahren die aufgezeigten Widersprüche in den Gutachten näher aufzuklären haben, gegebenenfalls unter weiterer sachverständiger Beratung. Wegen des für die Beurteilung des Eintritts von Berufsunfähigkeit maßgeblichen Zeitpunkts wird auf das Senatsurteil vom 7. Februar 2007 (IV ZR 232/03 - r+s 2007, 206 unter Tz. 11) hingewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 2962182 |
NJW-RR 2009, 35 |
IBR 2009, 178 |
ZAP 2009, 1147 |
VersR 2008, 1676 |
ZfS 2009, 167 |
VK 2008, 202 |
VRA 2009, 19 |
r+s 2009, 86 |
DS 2009, 193 |
R&P 2009, 96 |