Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
Leitsatz (amtlich)
Eine Maßnahme des Dienstherren, die den Zugang des Richters zu seinem Dienstzimmer außerhalb der üblichen Bürozeiten beschränkt, verstößt gegen dessen richterliche Unabhängigkeit, wenn die Beschränkung nicht durch die Notwendigkeit eines geregelten und finanzierbaren Dienstbetriebs gerechtfertigt ist.
Normenkette
GG Art. 97 Abs. 1; DRiG §§ 25-26
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.12.2000) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Die Revision des Antragsgegners gegen das Urteil des Hessischen Dienstgerichtshofs für Richter bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 11. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt die Feststellung der Unzulässigkeit der zeitlichen Beschränkung des Zugangs zu seinem Dienstzimmer im Amtsgericht, weil er sich dadurch in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt sieht.
Der Antragsteller ist als Richter beim Amtsgericht in F. tätig. Sein regelmäßiger Sitzungstag ist der Montag. Ihm ist das Dienstzimmer 3… im Gerichtsgebäude E. zugeteilt worden.
Zu seinem Dienstzimmer hat er gegenwärtig montags bis freitags von 6.30 Uhr bis 18.30 Uhr durch die Eingänge der Gebäude E. bzw. B. Zutritt. Zwischen 18.30 Uhr und 21.00 Uhr kann das Gebäude an Werktagen durch einen Hinterausgang betreten und verlassen werden. Der Hinterausgang ist mit einem Magnetkartenschloß versehen und kann mittels Codekarte, die auf Antrag vom Landgericht F. vergeben wird, geöffnet werden. An Wochenenden und Feiertagen ist der Zugang jeweils von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr möglich. In den übrigen Zeiten ist das Gebäude geschlossen. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben mit den an sie ausgegebenen Codekarten die Möglichkeit, das Gebäude C., in dem die Staatsanwaltschaft untergebracht ist, jederzeit zu betreten.
Der Antragsteller beantragte am 22. September 1998, ihm jederzeit Zu- und Abgang zum Justizgebäude E. zu gewähren. Dies lehnte der Präsident des Landgerichts F. am 14. Oktober 1998 ab. Den Widerspruch des Antragsstellers wies die Präsidentin des Oberlandesgerichts F. am 29. März 1999 zurück.
Auf die hiergegen gerichtete Klage des Antragstellers hob das Verwaltungsgericht F. die Bescheide auf und verurteilte das beklagte Land, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Ein neuer Bescheid des Landgerichtspräsidenten ist bislang noch nicht ergangen.
Mit seiner vor dem Dienstgericht für Richter erhobenen Klage begehrt der Antragsteller die Feststellung, daß die zeitliche Beschränkung des Zugangs zu seinem Dienstzimmer wegen Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit unzulässig sei. Er ist der Ansicht, aus der Freiheit des Richters, seine dienstliche Tätigkeit ohne Bindung an feste Dienststunden an Gerichtsstelle oder an einem anderen Ort zu verrichten, folge die Pflicht der Justizverwaltung, ihm eine Tätigkeit im Gerichtsgebäude ohne zeitliche Beschränkung zu ermöglichen. Sicherheits- und Brandschutzerwägungen rechtfertigten eine Beschränkung nicht. Die Kosten für eine zeitlich unbeschränkte Codekarte seien minimal. Für ihn sei der unbeschränkte Zugang gerade auch an Wochenenden zur Vorbereitung der Sitzung am Montag notwendig.
Das Dienstgericht für Richter hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Berufung des Antragstellers hat der Dienstgerichtshof für Richter dem Antrag stattgegeben. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt:
Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers sei durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht entfallen, da die Zugangsregelung unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit ausdrücklich nicht Gegenstand dieser Entscheidung gewesen sei. Die zeitliche Beschränkung der Zugangsmöglichkeit zu seinem Dienstzimmer greife in die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers ein. Richter seien mit Rücksicht auf die ihnen eingeräumte sachliche Unabhängigkeit nicht zur Einhaltung allgemein festgesetzter Dienststunden verpflichtet. Sie seien vielmehr befugt, ihren eigenen Arbeitsrhythmus zu bestimmen. Die beschränkte Zugangsmöglichkeit des Antragstellers zu seinem Dienstzimmer stelle sich insoweit als erhebliche Einschränkung dieser Befugnis dar. Der Antragsteller habe nachvollziehbar und unwidersprochen dargelegt, daß er insbesondere für die Vorbereitung seiner montäglichen Sitzungen nicht alle erforderlichen Akten, Beiakten, Gesetzestexte und Fachbücher in seine Privatwohnung verbringen könne. Wenngleich der Zugang zum Dienstzimmer wöchentlich immerhin für 78,5 Stunden gewährleistet sei, werde der Antragsteller durch die Beschränkung des Zugangs während der übrigen Zeit daran gehindert, sich nach seinem eigenen Arbeitsrhythmus zeitnah und intensiv auf die Verhandlungen vorzubereiten. Diese Einschränkung werde weder durch Gründe des Brandschutzes noch durch Sicherheitsüberlegungen gerechtfertigt. Auch verursache die Einräumung der zeitlich unbegrenzten Zugangsmöglichkeit keine erheblichen Kosten. Die Kosten der Umprogrammierung der Codekarte oder der Aushändigung eines Schlüssels seien so geringfügig, daß ihnen jedenfalls im Vergleich zum Verfassungsrang der richterlichen Unabhängigkeit keine maßgebliche Bedeutung zukomme.
Mit seiner – zugelassenen – Revision begehrt der Antragsgegner die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision (§ 80 Abs. 2 DRiG, § 68 Abs. 2 HRiG), über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, §§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 Satz 1, 141 Satz 1 VwGO), ist unbegründet.
I.
Der Prüfungsantrag des Antragstellers ist zulässig.
1. Das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers trotz des bereits durchgeführten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht. Nach § 71 Abs. 3 DRiG in Verbindung mit § 126 Abs. 1 BRRG ist zwar für alle Streitigkeiten aus dem Richterdienstverhältnis unmittelbar kraft Bundesrechts der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dies gilt aber nicht, soweit der Richter eine Beeinträchtigung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch eine Maßnahme der Dienstaufsicht nach § 26 Abs. 3 DRiG geltend macht. Die vom Gesetzgeber nebeneinander in verschiedenen Rechtswegen mit unterschiedlichen Rechtsschutzzielen zugelassenen Rechtsbehelfe sind der in § 17 Abs. 2 GVG vorgesehenen Konzentration der Prüfungsbefugnis bei dem zuerst angerufenen Gericht (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG, § 90 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 83 DRiG) nicht zugänglich. Es handelt sich vielmehr um zwei verschiedene Streitgegenstände, auf die § 17 Abs. 2 GVG keine Anwendung findet (BGH, Urteil vom 10. August 2001 – RiZ (R) 5/00, NJW 2002, 359 f. m.w.Nachw.).
2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Weigerung des Präsidenten des Landgerichts, dem Antragsteller uneingeschränkt Zugang zu seinem Dienstzimmer zu gewähren, als Dienstaufsichtsmaßnahme angesehen. Das Dienstgericht des Bundes hat den Begriff „Maßnahme der Dienstaufsicht” im Hinblick auf den Zweck des § 26 Abs. 3 DRiG, den Richtern gegenüber den Dienstaufsichtsbehörden einen möglichst umfassenden Rechtsschutz zu gewähren, von jeher weit gefaßt. Es genügt jede Einflußnahme der dienstaufsichtsführenden Stelle, die sich auch nur mittelbar auf die Tätigkeit des Richters auswirkt (st.Rspr., siehe etwa BGH, Urteile vom 10. Januar 1985 – RiZ (R) 7/84, BGHZ 93, 238, 241 und vom 16. November 1990 – RiZ 2/90, BGHZ 113, 36, 38). Daß eine Beschränkung der Zugangsmöglichkeit zum Dienstzimmer geeignet ist, die dienstliche Tätigkeit des Richters zu beeinflussen, ist offensichtlich.
II.
In der Sache selbst hat das Berufungsgericht dem Prüfungsantrag zu Recht stattgegeben. Die Zugangsbeschränkung beeinträchtigt den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit und ist deshalb unzulässig.
1. Nach der Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes ist der Richter zur Einhaltung allgemein festgesetzter Dienststunden nicht verpflichtet. Aus seiner Unabhängigkeit – Art. 97 GG – folgt, daß er seine Arbeit nicht innerhalb fester Dienstzeiten zu erledigen braucht, sondern sie im Interesse einer sachgerechten Bearbeitung der seiner Entscheidung unterliegenden Fälle entsprechend seinem individuellen Arbeitsrhythmus selbst einteilen kann. Dies führt dazu, daß er nicht verpflichtet ist, seine Arbeit an Gerichtsstelle zu erledigen (BGH, Urteil vom 16. November 1990 aaO S. 40 f.). Eine Verpflichtung, die Arbeit außerhalb der Gerichtsstelle zu erledigen, ist hiermit selbstredend nicht verbunden. Vielmehr ist es dem Richter unbenommen, im Gericht zu arbeiten, wenn dies seiner individuellen Arbeitsgestaltung entspricht. Es ist Sache der Justizverwaltung, ihm hierfür die sachlichen Voraussetzungen – etwa ein Dienstzimmer – zur Verfügung zu stellen (Kissel, GVG 3. Aufl., § 1 Rdn. 155, § 22 Rdn. 36).
2. Für die Frage, zu welchen Zeiten ihm dieses Dienstzimmer zur Verfügung stehen muß, ist zunächst wiederum der aus der richterlichen Unabhängigkeit folgende Grundsatz maßgeblich, daß der Richter seine Arbeit nicht innerhalb fester Dienstzeiten zur erledigen braucht und zur Einhaltung allgemein festgesetzter Dienststunden nicht verpflichtet ist (BGH, Urteil vom 16. November 1990 aaO m.w.Nachw.). Die Befugnis des Richters, sich die Arbeitszeit entsprechend seinem individuellen Arbeitsrhythmus einzuteilen, besteht grundsätzlich auch dann, wenn der Richter seine Arbeit an Gerichtsstelle erledigt. Allerdings weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, daß der Richter in diesem Fall bei der Erledigung seiner Aufgaben in gewisser Weise in die Behördenorganisation eingebunden ist und daher auch auf die Eigengesetzlichkeiten des allgemeinen Gerichtsbetriebs (Dienststunden der Bediensteten, Arbeitsschutz, Überstundenregelung, allgemeine Personalausstattung) Rücksicht nehmen muß (Kissel aaO § 22 Rdn. 36).
Der Revision ist daher darin beizupflichten, daß nicht jede Maßnahme des Dienstherrn, die den Zugang des Richters zu den ihm zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln außerhalb der üblichen Bürozeiten beschränkt, eine in unzulässiger Weise in die richterliche Unabhängigkeit eingreifende Maßnahme der Dienstaufsicht ist. Ein unzulässiger Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit liegt vielmehr nur dann vor, wenn die Beschränkung nicht durch die Notwendigkeit eines geregelten und finanzierbaren Dienstbetriebs gerechtfertigt ist.
3. Das Berufungsgericht hat danach zu Recht einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit bejaht. Das Interesse an einem geregelten und finanzierbaren Dienstbetrieb rechtfertigt die vom Antragsteller beanstandete Zugangsbeschränkung nicht.
a) Dabei kann die von der Revision in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage offen bleiben, ob die Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit überspannt wird, wenn man dem Richter im Einzelfall einen nach Maßgabe des § 26 Abs. 3 DRiG einklagbaren Leistungsanspruch gegen die Justizverwaltung auf Schaffung und Bereitstellung sämtlicher sachlicher, institutioneller und personeller Ausstattung zubilligt, die der Richter zur Ausschöpfung seiner richterlichen Unabhängigkeit für erforderlich oder wünschenswert hält. Auf diese grundsätzliche Frage kommt es nicht an, weil der vom Antragsteller begehrte uneingeschränkte Zugang zu seinem Dienstzimmer innerhalb der bereits vorhandenen Organisationsstrukturen möglich ist und ihm nach den für die Zuteilung vorhandener Arbeitsmittel geltenden Grundsätzen gewährt werden muß.
b) Der Richter hat einen Anspruch darauf, daß er bei der Zuteilung der vorhandenen, für die Arbeit erforderlichen personellen und sächlichen Mittel in ermessensfehlerfreier Weise berücksichtigt wird (Kissel aaO § 1 Rdn. 155). Werden ihm die für seine richterliche Tätigkeit notwendigen Mittel nicht in dem möglichen Maße zur Verfügung gestellt, kann eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit vorliegen (Kissel aaO § 22 Rdn. 36). So ist es hier: Obwohl der Antragsteller nachvollziehbar begründet hat, daß und weshalb es für ihn erforderlich ist, sein Dienstzimmer auch außerhalb der Öffnungszeiten des Gerichts benutzen zu können, und obwohl die technischen Voraussetzungen für einen unbeschränkten Zutritt des Richters zu seinem Dienstzimmer auch tatsächlich vorhanden sind, wird dieser dem Antragsteller ohne ausreichenden Grund verwehrt.
aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Zugangsmöglichkeit zum Gerichtsgebäude für 78,5 Stunden pro Woche für den Antragsteller entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht ausreichend ist, da sie es ihm nicht ermöglicht, sich entsprechend seinem Arbeitsrhythmus zeitnah und intensiv auf die montäglichen Sitzungen vorzubereiten. Seine Sitzungsvorbereitung wird vielmehr durch die an den Wochenenden geltenden Beschränkungen der Zugangsmöglichkeit zum Gericht erheblich erschwert.
bb) Zutreffend ist auch, daß dem Antragsteller der uneingeschränkte Zutritt zu seinem Dienstzimmer ohne technischen und finanziellen Aufwand durch eine bloße Umprogrammierung der Codekarte gewährt werden kann.
cc) Gesichtspunkte, die einem uneingeschränkten Zutrittsrecht des Antragstellers entgegenstehen, hat das Berufungsgericht zu Recht nicht feststellen können. Auch der Antragsgegner macht nicht geltend, dem Antragsteller könne mangelndes Verantwortungsbewußtsein unterstellt werden. Was die Sicherheits- und Brandschutzgesichtspunkte anbelangt, hat das Berufungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, es sei nichts dafür ersichtlich, daß durch die Anwesenheit eines auch nach Auffassung des Antragsgegners verantwortungsbewußten Richters im Gebäude eine Steigerung der Gefährdungslage eintritt. Soweit der Antragsgegner geltend gemacht hat, er müsse für den Fall, daß der Antragsteller uneingeschränkten Zutritt zu seinem Dienstzimmer erhalte, eine Erweiterung der Rufbereitschaft des Hausmeisters vorsehen, überzeugt auch das nicht. Wenn sich der Richter außerhalb der üblichen Zutrittszeiten im Gebäude aufhält, ist er im Falle einer Notfallsituation auf die üblichen Möglichkeiten, Hilfe herbeizuholen, verwiesen. Mit seinen Einwänden berücksichtigt der Antragsgegner nicht ausreichend, daß es nicht darum geht, die Öffnungszeiten des Gerichtsgebäudes generell zu erweitern, sondern nur darum, dem Antragsteller auch außerhalb der Öffnungszeiten die Möglichkeit zu geben, zu seinem Dienstzimmer zu gelangen.
dd) Daß die Gewährung uneingeschränkten Zutritts zum Gerichtsgebäude hier möglich ist, wird schließlich auch durch die für die Staatsanwälte getroffene Regelung belegt. Ihnen hat der Präsident des Landgerichts als Hausherr ein solches Zutrittsrecht für ihr Gebäude eingeräumt. Weshalb für Richter und den Zutritt zum Amtsgerichtsgebäude etwas anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4.090,34 EUR (entspricht 8.000 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Unterschriften
Nobbe, Solin-Stojanović, Kniffka, Joeres, Mayen
Fundstellen
Haufe-Index 884331 |
BGHR |
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