Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Entscheidung vom 15.11.2022; Aktenzeichen 24 U 941/22) |
LG Stuttgart (Entscheidung vom 25.02.2022; Aktenzeichen 29 O 464/21) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. November 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger erwarb im März 2019 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 250 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermo-fenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), durch die eine verzögerte Aufwärmung des Motoröls zu niedrigeren Stickoxidemissionen führt.
Rz. 3
Der Kläger hat in erster Instanz die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Klageantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat den Klageanträgen zu 1 und 3 teilweise entsprochen, den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisions-verfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle insoweit an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.
II.
Rz. 7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
Rz. 8
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Repräsentanten indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des Klägers verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - VII ZR 602/21, juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom 20. April 2022 - VII ZR 720/21, juris Rn. 25; Beschluss vom 21. September 2022 - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
Rz. 9
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Rz. 10
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
Rz. 11
Die Einwände der Revisionserwiderung führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie geben dem Senat weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorab-entscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 27 ff.).
III.
Rz. 12
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rz. 13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Menges |
|
Möhring |
|
Götz |
|
Rensen |
|
Vogt-Beheim |
|
Fundstellen
Dokument-Index HI15989239 |