Leitsatz (amtlich)
Ein einkommensschwacher Bürge ist wirtschaftlich nicht krass überfordert, wenn er die gesamte Bürgschaftsschuld voraussichtlich durch Verwertung des von ihm bewohnten Eigenheims zu tilgen vermag.
Normenkette
BGB §§ 765, 138 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 19. August 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil der Klägerin erkannt ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an den 16. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Ein Sohn der Beklagten, D. P., war Inhaber einer Gesellschaft für E. und A. GmbH (nachfolgend: GFE oder Hauptschuldnerin). Diese unterhielt bei der Klägerin Geschäftskonten. Nachdem die Kontokorrentverbindlichkeiten der GFE auf 110.000 DM angestiegen waren, unterzeichnete die damals 62jährige Beklagte – eine Hausfrau und Rentnerin – am 30. November 1992 eine von der Klägerin formularmäßig vorgefertigte Bürgschaftserklärung zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin aus der Geschäftsverbindung mit der GFE bis zum Höchstbetrag von 150.000 DM. Die Beklagte war zu dieser Zeit und ist hälftige Eigentümerin eines bebauten Grundstücks; die andere Hälfte gehört einer ungeteilten Erbengemeinschaft, an welcher die Beklagte wieder zur Hälfte beteiligt war. Sie wohnt auf dem Grundstück. Ihre Bürgschaftserklärung enthielt unter anderem folgende Zusätze:
„Ich … verpflichte mich gegen Rückgabe der Bürgschaftsurkunde, bis 31.12.1992 eine Grundschuld über TDM 150 auf dem Objekt … (es folgt die Bezeichnung des von der Beklagten bewohnten Hauses) … einzutragen …
…
Die Bürgin wurde auf die schwierige Situation der Gesellschaft hingewiesen.”
Nach Konkurseröffnung über das Vermögen der GFE übertrug D. P. seinen Anteil an der Erbengemeinschaft auf die Beklagte. Diese erklärte mit Anwaltsschreiben vom 11. April 1997 die Anfechtung ihrer Bürgschaftserklärung wegen arglistiger Täuschung.
Die Klägerin hat die Beklagte aufgrund der Bürgschaft auf Zahlung von 150.000 DM nebst Zinsen sowie gemäß den Vorschriften des Anfechtungsgesetzes auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den von D. P. übertragenen Anteil in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache stattgegeben, das Oberlandesgericht hat den Zahlungsanspruch abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Bürgschaftsforderung der Klägerin ausgeführt:
Die Bürgschaft sei wegen der strukturell ungleichen Verhandlungsstärke der Parteien und der außergewöhnlich starken Belastung der wirtschaftlich unerfahrenen Beklagten gemäß § 138 BGB nichtig. Die Beklagte habe kein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Bürgschaft gehabt. Ihre familiäre Bindung an ihren Sohn – den Inhaber der GFE – habe die Klägerin zu ihren Gunsten ausgenutzt.
Die Übernahme der Bürgschaft bedeute im Ergebnis einen Entzug der wirtschaftlichen Lebensgrundlage der Beklagten. Diese verfüge nur über geringe Renteneinkünfte, die wenig über dem Sozialhilfesatz lägen. Ihren einzigen Vermögensgegenstand stelle der Miteigentumsanteil an dem Einfamilienhaus dar, in welchem die Beklagte wohne und das sie im Falle künftiger finanzieller Notlage im Alter sichere. Aufgrund ihrer Renteneinkünfte sei die Beklagte kaum in der Lage, anderweitig eine wirtschaftlich erschwingliche Mietwohnung anzumieten.
Auf seiten der Klägerin habe ein besonders verwerfliches Gewinnstreben insoweit vorgelegen, als sie ihre eigenen Interessen gegenüber einer wirtschaftlich gänzlich unterlegenen und im Hinblick auf verwandtschaftliche Beziehungen in einer seelischen Zwangslage befindlichen Person rücksichtslos durchgesetzt habe. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang, daß zum Zeitpunkt des Bürgschaftsverlangens die GmbH des Sohnes der Beklagten bereits völlig überschuldet und dies der Klägerin auch bewußt gewesen sei; denn die seitens der Klägerin gewährten Kredite hätten sich zu diesem Zeitpunkt auf mindestens 150.000 DM belaufen. Hierbei sei es der Klägerin nicht um eine im Ergebnis allenfalls noch zu billigende Absicherung künftig noch zu gewährender Kredite, sondern lediglich um die Absicherung bereits bestehender Forderungen gegangen, die im Fall der Kreditkündigung unwiederbringlich verloren gewesen wären. Im Ergebnis sei die Klägerin seinerzeit bestrebt gewesen, ein schon damals konkursreifes Geschäftsunternehmen durch Erlangung von Fremdverpflichtungen noch für eine gewisse Zeit am Leben zu erhalten, um so die Absicherung ihrer eigenen Forderungen gegenüber diesem Unternehmen sicherzustellen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Klägerin bereits klar gewesen oder hätte ihr jedenfalls bewußt sein müssen, daß die Gesellschaft im Ergebnis nahezu bankrott war.
Schließlich erscheine die Bürgschaftsübernahme deshalb sittenwidrig, weil die Bürgschaftsbedingungen die Bürgin außerordentlich belasteten. Die Bürgschaft umfasse außer der Hauptsumme Zinsen, Provisionen und Kosten auch insoweit, als dadurch der Höchstbetrag von 150.000 DM überschritten werde. Die Bürgschaft sei zudem nicht zeitlich begrenzt gewesen. In Nr. 4 sei vorgesehen, daß bis zur vollständigen Befriedigung der Bank alle Zahlungen des Bürgen als Sicherheitsleistung dienten und erst nach vollständiger Befriedigung der Bank deren Ansprüche gegen den Hauptschuldner in Höhe der Leistung auf den Bürgen übergehen sollten. Darüber hinaus sei die Bank gemäß Nr. 5 befugt, den Erlös von Sicherheiten sowie Zahlungen des Hauptschuldners oder anderer Verpflichteter zunächst auf den Betrag ihrer Ansprüche anzurechnen, der die Bürgschaftssumme übersteigt. Zusätzlich sehe Nr. 8 einen Verzicht auf die Einreden der Anfechtbarkeit und Aufrechenbarkeit sowie der Vorausklage vor. Ferner werde auf die Rechte aus § 776 BGB verzichtet. Außerdem solle die Bank berechtigt sein, dem Hauptschuldner weitere Kredite zu gewähren, mit ihm Stundung zu vereinbaren und einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich über die verbürgte Forderung gegen den Hauptschuldner abzuschließen, ohne die Zustimmung des Bürgen hierzu einzuholen. Nach alledem habe für die Bürgin theoretisch überhaupt keine Aussicht bestanden, daß – insbesondere bei Hingabe weiterer Kredite – der Schuldbetrag gemäß Bürgschaftserklärung überhaupt einmal vom Hauptschuldner habe getilgt werden können.
II.
Damit hat das Berufungsgericht – wie die Revision zutreffend rügt – die rechtlichen Voraussetzungen verkannt, unter denen eine Bürgschaft sittenwidrig ist.
§ 138 Abs. 2 BGB scheidet von vornherein aus, weil diese Vorschrift einenLeistungsaustausch voraussetzt; ein einseitiges Verpflichtungsgeschäft wie die Bürgschaft genügt dafür nicht (Senatsurt. v. 7. Juni 1988 – IX ZR 245/86, NJW 1988, 2599, 2602; Staudinger/Sack, BGB 13. Bearb. § 138 Rn. 176; Erman/Palm, BGB 10. Aufl. § 138 Rn. 13; Palandt/Heinrichs, BGB 60. Aufl. § 138 Rn. 66; vgl. BGHZ 106, 269, 271 f).
Die Voraussetzungen des § 138Abs. 1 BGB sind ebenfalls nicht erfüllt. Mit seiner gegenteiligen Auffassung hat das Berufungsgericht einseitig auf einzelne, die Beklagte belastende Umstände abgestellt, ohne sie in Beziehung zum Zweck des Rechtsgeschäfts zu setzen oder ausgleichende Umstände zu berücksichtigen. Eine besonders schwerwiegende Störung der Vertragsparität ist nicht festzustellen.
1. Die Beklagte stand zwar dem Inhaber der Hauptschuldnerin – ihrem Sohn – persönlich nahe. Sie mag auch keinen eigenen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil aus der Übernahme der Bürgschaft erlangt haben. Das allein genügt jedoch nicht, um das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu begründen. Vielmehr kommt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des IX. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs eineVermutung dafür, daß das Kreditinstitut als Gläubiger die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Bürgen in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, nur dann in Betracht, wenn einkrasses Mißverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen besteht (BGHZ 125, 206, 211; 136, 347, 351; 137, 329, 333 f; BGH, Urt. v. 14. November 2000 – XI ZR 248/99, WM 2001, 402, 403 f.). Daran fehlt es hier.
Zwar bezog die Beklagte 1996 nur ein monatliches Renteneinkommen von 1.592,53 DM. Der pfändbare Teil davon hätte nicht einmal ausgereicht, um die laufenden Zinszahlungen auf eine Hauptsumme von 150.000 DM zu decken. Jedoch war das Hausgrundstück, welches der Beklagten wirtschaftlich zu 3/4 und ihren beiden Söhnen zu je 1/8 gehörte, bei Abgabe der Bürgschaftserklärung unstreitig jedenfalls 200.000 DM wert. Damit deckte der Anteil der Beklagten die Hauptsumme der Bürgschaft wertmäßig voll ab. Das schließt eine Überforderung aus: Der Einsatz des letzten vorhandenen Vermögensguts zur Sicherung der Verbindlichkeiten eines nahen Angehörigen ist nicht ohne weiteres sittlich verwerflich. § 138 Abs. 1 BGB hat – entgegen der Auffassung der Beklagten – sogar dann nicht regelmäßig den Zweck, das Eigenheim eines Bürgen auf Dauer zu erhalten, wenn dessen Einkommen die Pfändungsfreibeträge nur in begrenztem Umfang übersteigt. Ebensowenig schützt die Norm die Möglichkeit eines dauerhaften mietfreien Wohnens. Soweit ein Anspruch auf Sozialhilfe gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG nicht die vorherige Verwertung des vom Hilfesuchenden bewohnten Hauses voraussetzt, kann daraus – anders als die Revisionserwiderung meint – kein Einwand gegenüber privaten Gläubigern abgeleitet werden.
Die Beklagte hätte allenfalls durch die auf die Hauptschuld anfallenden Zinsen von 5 % über dem Diskontsatz überfordert werden können. Jedoch hatte sie sich in der Bürgschaftsurkunde zugleich verpflichtet, eine Grundschuld auf ihrem Wohnhaus einzutragen; dafür sollte sie die Bürgschaftsurkunde zurückgeben können. Dies entspricht dem eigenen Vortrag der Beklagten, die Klägerin sei in erster Linie an dem Hausgrundstück als Sicherheit interessiert gewesen; erst als sie erfahren habe, daß die Beklagte zu 3/4 Grundstückseigentümerin sei, habe sie zunächst deren Bürgschaft verlangt. Diesem Begehren hat, soweit dargetan, weder die Beklagte noch ihr Sohn D. P., welcher allein die Verhandlungen mit der Klägerin führte, widersprochen. Danach hätte die Beklagte gegen Bestellung der Grundschuld bei vertragsgerechtem Verhalten jede persönliche Zahlungspflicht vermieden. Dann wäre zu ihren Lasten auch keine über 150.000 DM hinausgehende Zinsbelastung entstanden. Ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hätte die eingegangene Verpflichtung voll abgedeckt.
2. Eine Bürgschaft, die – wie die vorliegende – den Bürgen nicht finanziell kraß überfordert, kann nur aufgrund besonders erschwerender und dem Kreditinstitut zurechenbarer Umstände das Gepräge der Sittenwidrigkeit erlangen (BGHZ 120, 272, 276; 132, 328, 329 f, 134, 325, 327; 136, 347, 350 f; 137, 329, 332 f). Daran fehlt es hier ebenfalls.
a) Das Berufungsgericht hat zwar gemeint, die Klägerin habe eine aus familiärer Bindung herrührende subjektive Zwangslage der Beklagten „ersichtlich zu ihren Gunsten … ausgenutzt”. Für einen solchen Vorwurf fehlt aber die tatsächliche Grundlage. Die Klägerin war grundsätzlich berechtigt, weitere Kredite nur gegen die Stellung von Sicherheiten zur Verfügung zu halten oder zu stellen. Die Beklagte hat sich ausschließlich von ihrem eigenen Sohn, dem Inhaber der Hauptschuldnerin, zur Übernahme der Bürgschaft bewegen lassen, ohne daß hierzu Näheres vorgetragen wäre. In der Entgegennahme der Bürgschaft allein liegt keine unlautere Einwirkung der Klägerin auf die Willensbildung der Beklagten.
Zwar mag die Beklagte die Bürgschaft aus Sorge um das finanzielle Wohlergehen ihres Sohnes abgegeben haben. Dies gibt dem Vertrag aber noch kein anstößiges Gepräge. Die Bank, die mit dem Verlangen nach einer Bürgschaft eigene berechtigte Sicherungsinteressen wahrnimmt, handelt damit schon objektiv nicht unlauter, solange sie nicht die emotionale Zwangslage des Bürgen in rechtlich verwerflicher Weise begründet oder ausnutzt (Senatsurt. v. 23. Januar 1997 – IX ZR 55/96, WM 1997, 465, 466).
Eine außergewöhnliche geschäftliche Unerfahrenheit brauchte die Klägerin bei der 1930 geborenen Beklagten nicht vorauszusetzen. Aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung mußte ihr das Risiko einer Bürgschaft wenigstens im allgemeinen bekannt sein. Aus diesen für sie ersichtlichen Umständen brauchte die Klägerin nicht den Schluß zu ziehen, daß die Beklagte sich bei ihrer Entscheidung nicht von rationalen Erwägungen hätte leiten lassen.
b) Rechtserheblich könnte zwar die Annahme des Berufungsgerichts sein, die Klägerin habe der Beklagten eine hoffnungslose Lage der Hauptschuldnerin verschwiegen (vgl. BGHZ 125, 206, 217). Dann hätte die Klägerin sich in der Tat nur eine zusätzlich mithaftende Person gesucht, ohne daß die von der Beklagten erhoffte Hilfe für ihren Sohn sich noch hätte auswirken können. Eine unter solcher Täuschung zustande gekommene Bürgschaft wäre sittenwidrig.
aa) Soweit das Berufungsgericht es allerdings ausreichen läßt, der Klägerin habe „bekannt sein müssen”, daß die Hauptschuldnerin im Ergebnis nahezu bankrott gewesen sei, ist schon der rechtliche Ansatz fehlerhaft. Eine auf bloß leichter Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis wesentlicher Tatsachen reicht nicht für den Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens aus. Allenfalls wer sichgrob fahrlässig der Kenntnis wesentlicher Tatsachen verschließt, kann damit sittenwidrig handeln (BGHZ 10, 228, 233; 20, 43, 52).
bb) Im übrigen dringt gegen die Annahme eines Vorsatzes und sogar einer Fahrlässigkeit der Klägerin die Verfahrensrüge der Revision durch. Die Klägerin hat nach ihrer eigenen Darstellung nur eine „schwierige” wirtschaftliche Lage der GFE gekannt und die Beklagte darauf in der Bürgschaftsurkunde selbst auch ausdrücklich hingewiesen. Im übrigen hatte die Klägerin behauptet, der Sohn der Beklagten habe ihr – der Klägerin – die schwierige Lage der Hauptschuldnerin verheimlicht. Unstreitig hat er ihr sogar ein Schreiben seines Steuerberaters vom 5. April 1993 vorgelegt, aus dem sich eine positive Entwicklung des Betriebes ergab. Erstmals im April 1994 – also fast 1½ Jahre nach Übernahme der hier fraglichen Bürgschaft – hat der Sohn der Beklagten die Klägerin nach deren Behauptung darüber informiert, daß die Liquidation der Hauptschuldnerin beschlossen sei.
Die übrigen tatsächlichen Umstände, welche der Klägerin bekannt waren, ließen nicht die Annahme zu, daß der Versuch zur Rettung der GFE von vornherein aussichtslos gewesen sei; dies hat bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt, ohne daß sich das Berufungsgericht damit im einzelnen auseinandergesetzt hätte. Die Hauptschuldnerin hatte zwar im Jahre 1991 hohe Verluste erlitten und war demzufolge finanziell überschuldet, doch führt die Beklagte selbst dies nur auf den Ausfall eines holländischen Kunden zurück. Für das Jahr 1992 – in dem die Bürgschaft übernommen wurde – weist die Bilanz dagegen einen Jahresüberschuß von 18.571,71 DM aus. Die bei der Bürgschaftsübernahme aktuellsten Daten deuteten also nicht ohne weiteres auf eine Sanierungsunfähigkeit hin. Zu einer Fortführungsprognose für die GFE ist nichts dargetan. Wird eine Sanierung ernsthaft angestrebt, kann auch schon das Aufrechterhalten bereits gewährter Kredite eine Gegenleistung sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn im Falle der sofortigen Kündigung wenigstens noch Teile der zuvor ausgereichten Kredite zurückgeholt werden könnten.
c) Endlich begründen die einzelnen Rechtsfolgeregelungen, welche die Klägerin formularmäßig für die Bürgschaft vorgesehen hat, keine Sittenwidrigkeit der Bürgschaft insgesamt.
Nach §§ 3, 9 ff AGBG wird die Wirksamkeit und Zulässigkeit formularmäßiger Vertragsbedingungen grundsätzlich selbständig geprüft. Sogar wenn danach einzelne Klauseln unwirksam sein sollten, wird der Vertrag im übrigen regelmäßig mit dem nicht zu beanstandenden Inhalt – ergänzt durch die gesetzlichen Vorschriften – aufrechterhalten (§ 6 Abs. 1 und 2 AGBG); für die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 AGBG ist hier nichts dargetan.
Die Verwendung unangemessener formularmäßiger Klauseln könnte allenfalls dann zu einer Sittenwidrigkeit des gesamten Vertrages gemäß § 138 Abs. 1 BGB führen, wenn der Vertrag insgesamt aus sittlich verwerflicher Gesinnung so einseitig abgefaßt wurde, daß nur der eine Vertragsteil seine Rechte durchsetzt, während wesentliche, berechtigte Belange des anderen Teils mißachtet werden (vgl. BGHZ 136, 347, 355 f). Dafür liegt hier nichts vor.
aa) Im einzelnen verweist das Berufungsgericht auf die mögliche, den vereinbarten Höchstbetrag der Bürgschaft überschreitende Belastung mit Zinsen, Provisionen und Kosten. Das entspricht jedoch im Kern der gesetzlichen Regelung des § 767 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB, die zudem gerade im vorliegenden Falle die Beklagte nicht zu belasten brauchte (s.o. 1). Ebensowenig gehört die – vom Berufungsgericht vermißte – zeitliche Begrenzung der Bürgschaft zu deren gesetzlichen Normalinhalt.
bb) Weiter hat das Berufungsgericht auf Nr. 4 der allgemeinen Bürgschaftsbedingungen abgestellt. Danach dienen alle Zahlungen des Bürgen bis zur vollständigen Befriedigung der Bank nur als Sicherheitsleistung; deshalb gehen ihre Ansprüche gegen den Hauptschuldner grundsätzlich erst nach vollständiger Befriedigung der Bank auf den Bürgen in Höhe seiner Leistung über. Derartige Klauseln hat der Senat früher allgemein gebilligt (BGHZ 92, 374, 378 ff). Deren Zulässigkeit mag dann zweifelhaft sein, wenn die Bürgschaft nicht sämtliche Forderungen der Bank aus der Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner sichert (vgl. Fischer WM 1998, 1705, 1712 f). Für den vorliegenden Fall hat diese mögliche Einschränkung keine Bedeutung. Denn die Bürgschaft der Beklagten haftete der Klägerin – bis zum Höchstbetrag – für alle Verbindlichkeiten der GFE. Im übrigen betrifft die Rechtsfrage nur die Abwicklung der Bürgschaft nach teilweiser Erfüllung, nicht aber den Kern des schutzwürdigen Interesses von Bürgen.
cc) Gemäß Nr. 5 der Allgemeinen Bürgschaftsbedingungen war die Bank befugt, den Erlös von Sicherheiten sowie Zahlungen des Hauptschuldners zunächst auf den Betrag ihrer Ansprüche zu verrechnen, der die Bürgschaftssumme übersteigt. Dies entspricht – bis zur Grenze des § 776 BGB (dazu unten) – im wesentlichen der gesetzlichen Regelung des § 366 Abs. 2 BGB. Allenfalls bei einer ausdrücklichen Bestimmung des Leistenden im Sinne von § 366 Abs. 1 BGB könnte das anders sein. Dann ist jedoch zweifelhaft, ob das Kreditinstitut als Gläubiger vertraglich verpflichtet wäre, eine solche Leistung anzunehmen (vgl. § 367 Abs. 2 BGB). Wer für eine fremde Kreditschuld Sicherheiten gibt, kann von dem Sicherungsnehmer, der noch weitere Forderungen gegen den Schuldner hat, grundsätzlich keine vorrangige Verrechnung von Teilleistungen gerade auf die von ihm abgesicherte Verbindlichkeit verlangen (BGH, Urt. v. 29. April 1997 – XI ZR 176/96, WM 1997, 1247, 1249 f.).
dd) Endlich hat das Berufungsgericht auf Nr. 8 der Allgemeinen Bürgschaftsbedingungen abgestellt. Danach verzichtet der Bürge auf die Einreden der Anfechtbarkeit und Aufrechenbarkeit (§ 770 BGB) sowie der Vorausklage (§ 771 BGB) und auf die Rechte aus § 776 BGB. Ferner soll die Bank auch ohne Zustimmung des Bürgen berechtigt sein, dem Hauptschuldner weitere Kredite zu gewähren, mit ihm Stundung zu vereinbaren oder einen Vergleich über die Hauptschuld abzuschließen.
Soweit danach in gesetzliche Rechte des Bürgen eingegriffen wird, ist der Eingriff jedenfalls nicht so schwerwiegend, daß er nicht durch eine Inhaltskontrolle gemäß § 9 AGBG für sich angemessen gelöst werden könnte. Der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) ist gerade das Wesen jeder selbstschuldnerischen Bürgschaft und insoweit nicht zu beanstanden. Der Verzicht auf die Rechte aus §§ 770 und 776 BGB mag – entgegen anderslautender früherer Rechtsprechung (BGHZ 78, 137, 141 ff; 95, 357 ff; Senatsurt. v. 7. November 1985 – IX ZR 40/85, WM 1986, 95, 97; v. 13. Dezember 1990 – IX ZR 79/90, WM 1991, 558, 559) – nicht unbedenklich sein. Den formularmäßigen Verzicht jedenfalls auf die Rechte aus § 776 BGB hält der Senat nunmehr für unwirksam (Urt. v. 2. März 2000 – IX ZR 328/98, WM 2000, 764, 767 f., z.V.b. in BGHZ; v. 6. April 2000 – IX ZR 2/98, WM 2000, 1141, 1144). In jedem Falle kann aber die Unwirksamkeit derartiger formularmäßiger Einschränkungen durch die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften, die abbedungen werden sollten, vollwertig ausgeglichen werden.
Daran ändert es nichts, daß die Klägerin befugt blieb, der GFE weitere Kredite zu gewähren. Dazu wäre sie auch ohne besondere Klarstellung gegenüber der Bürgin grundsätzlich berechtigt. Diese haftete nicht für solche Kredite, die nicht Anlaß für ihre Verbürgung waren. Ihre schutzwürdigen Belange könnten allenfalls bei einer dadurch mit bewirkten wirtschaftlichen Überforderung verletzt werden. Daran fehlt es hier (s.o. 1).
ee) Erfüllt danach keine einzelne der formularmäßigen Bedingungen die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB, gilt dies auch nicht für das formularmäßige Klauselwerk als Ganzes. Soweit die vorformulierten Vertragsbedingungen die Rechtsausübung des Bürgen über das gesetzliche Maß hinaus einschränken, betreffen sie nicht den Kernbereich des Bürgschaftsinhalts, so daß nicht auf eine verwerfliche Gesinnung der Klägerin zu schließen ist. Im Ergebnis reicht § 6 Abs. 1 und 2 AGBG aus, um den gesetzlich gebotenen Schutz des Bürgen zu gewährleisten.
III.
Das danach rechtsfehlerhafte Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
1. Die Beklagte bestreitet nicht, daß die Kontokorrentverbindlichkeiten, deren Ausgleich die Klägerin nun verlangt, Anlaß für die Verbürgung gaben.
2. Die Beklagte hat ihre Bürgschaftserklärung nicht gemäß § 123 Abs. 1 BGB wirksam angefochten. Insoweit braucht nicht entschieden zu werden, ob die Beklagte die Anfechtung am 11. April 1997 noch rechtzeitig im Sinne von § 124 Abs. 1 und 2 BGB erklärt hat. Sie hat dazu vorgetragen, erst nach der Verurteilung ihres Sohnes D. P. wegen Konkursverschleppung – am 14. März 1997 – erfahren zu haben, daß zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung die GFE schon konkursreif gewesen sei.
Jedenfalls steht nicht fest, daß die Klägerin die Beklagte vorsätzlich über die Konkursreife der GFE getäuscht hätte.
a) Insoweit kann der Klägerin nicht das Wissen des Sohnes D. P. der Beklagten zugerechnet werden (§ 123 Abs 2 BGB). Denn dieser handelte im eigenen Interesse als Inhaber der Hauptschuldnerin, nicht als Erklärungsgehilfe der Klägerin.
b) Aus den oben zu II 2 b dargelegten Gründen steht es auch nicht fest, daß die Klägerin selbst eine mögliche Konkursreife der GFE gekannt hätte. Dann brauchte sie über eine solche auch nicht aufzuklären.
3. Aus denselben Gründen hat die Klägerin nicht vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt. Sie hat die Beklagte ausdrücklich „auf die schwierige Situation der Gesellschaft hingewiesen”. Daß die Lage der GFE nicht nur schwierig, sondern sogar hoffnungslos gewesen sein soll, wußte sie nach ihrer Darstellung nicht und brauchte sie auch nicht zu wissen.
IV.
Der Senat kann in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Zwar hat die Klägerin eine Kenntnis der hoffnungslosen Lage der GFE (s.o. II 2 b, III) im maßgeblichen Zeitpunkt von Anfang an bestritten. Gegenteiliges hat auch die darlegungsbelastete Beklagte für bestimmte Vertreter der Klägerin zu keiner Zeit substantiiert vorgetragen. Im Gegenteil hat sie zugestanden, ihr Sohn D. P. habe versucht, die Klägerin über die wahre wirtschaftliche Lage der GFE im Unklaren zu lassen (S. 8 der Klageerwiderung vom 1.7.97 = Bl. 37 GA). Wenn er sie „nicht überzeugen” konnte, folgt daraus nicht ihre Kenntnis des Gegenteils. Dementsprechend hat das Landgericht in seinem Urteil (S. 15 f) ausgeführt, es könne nicht eine arglistige Täuschung der Beklagten und insbesondere nicht eine wirtschaftliche Gefährdung des Unternehmens erkennen, welche über die der Beklagten bekannten Umstände hinausgegangen sei. Dennoch hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Klägerin sei zum Zeitpunkt des Bürgschaftsverlangens „bekannt und bewußt” gewesen, daß die GFE bereits völlig überschuldet gewesen sei. Mit Rücksicht hierauf hält der Senat es im Hinblick auf § 139 Abs. 1 ZPO für unvermeidlich, den Parteien durch eine Zurückverweisung der Sache Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben.
Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.04.2001 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 604648 |
DB 2001, 1930 |
DStR 2001, 1622 |
DStZ 2001, 718 |
NJW 2001, 2466 |
BGHR 2001, 671 |
EWiR 2001, 755 |
JurBüro 2001, 666 |
KTS 2001, 469 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1330 |
WuB 2001, 1017 |
WuB 2001, 1063 |
ZAP 2001, 1013 |
ZIP 2001, 1190 |
DNotZ 2001, 694 |
JA 2002, 1 |
MDR 2001, 1180 |
ZBB 2001, 280 |