Leitsatz (amtlich)
Der persönliche Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht des Abfallerzeugers umfasst regelmäßig nicht den Besitzer eines Grundstücks, der das Grundstück zum Betrieb einer Abfallrecyclinganlage vermietet.
Normenkette
BGB § 683 S. 2, §§ 823, 1004; KrW-/AbfG §§ 10, 16
Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Urteil vom 11.07.2005; Aktenzeichen 7 U 131/04) |
LG Landau (Pfalz) (Entscheidung vom 22.07.2004; Aktenzeichen 2 O 83/04) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen OLG Zweibrücken vom 11.7.2005 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Aufwendungen i.H.v. 26.726,40 EUR in Anspruch, die ihr für die Entsorgung von Altreifenmaterial entstanden sind. Die Klägerin ist Leasingnehmerin eines Grundstücks, das sie an die Firma G. E. untervermietet und dieser im Sommer 2002 zum Betrieb einer Altautoreifenrecyclinganlage überlassen hatte. Auf dem Grundstück sammelten sich in der Folgezeit ca. 550 Tonnen Altreifen und geschredderte Reifenreste, die verschiedene Unternehmen dort anlieferten. Ein Teil davon, nämlich von der Firma L. gelieferte 319,39 Tonnen, stammt nach dem bestrittenen Vortrag der Klägerin von der Beklagten. Die Beklagte hatte im Sommer 2002 größere Mengen geschredderte Altreifenreste zur Entsorgung an die Firma R. S. weitergegeben, welche sich hierzu der Firma L. bediente, die ihrerseits die Altreifen an die Firma G. E. lieferte. In der Folgezeit kündigte die Klägerin ihrer Untermieterin wegen Zahlungsverzugs. Diese kam ihrer Pflicht zur Räumung des Grundstücks jedoch nicht nach. Das Landratsamt E. forderte deshalb die Klägerin mit Bescheid vom 30.6.2003 auf, das Reifenmaterial ordnungsgemäß zu entsorgen. Die Klägerin beauftragte hiermit ihrerseits die Firma L., welche die Altreifenreste gegen Zahlung des Klagebetrags entsorgte.
[2] Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[3] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die entsorgten Reifenteile von der Beklagten stammten, da ein Anspruch auf Kostenerstattung nicht gegeben sei.
[4] Soweit auf das Einbringen der Reifenteile auf das Grundstück abgestellt werde, sei ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Besitzstörung jedenfalls deshalb zu verneinen, weil diese Handlung nicht von der Beklagten, sondern von selbständigen Entsorgungsunternehmen vorgenommen worden sei. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, müsse deshalb abgelehnt werden, weil die Klägerin nicht in den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht einbezogen gewesen sei. In den Schutzbereich seien diejenigen nicht einbezogen, die ihrerseits selbst verkehrssicherungspflichtig seien und hinsichtlich der Verkehrssicherungspflicht sozusagen auf einer Stufe stünden. Dies gelte zunächst für die direkt an der "Entsorgungskette" beteiligten Firmen R. S., L. und G. E. Aber auch die Klägerin als Vermieterin der G. E. werde vom Schutzbereich nicht erfasst. Ein Anspruch ergebe sich nicht aus Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, da es an der Betriebsbezogenheit des Eingriffs fehle. Ein deliktischer Anspruch könne schließlich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 10 Abs. 4 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz - KrW-/AbfG) vom 6.10.1994 - BGBl. I, 2705 - hergeleitet werden, da keines der dort genannten Rechtsgüter betroffen gewesen sei.
[5] Ein auf die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gestützter Anspruch der Klägerin komme nur dann in Betracht, wenn die Beklagte im Innenverhältnis zur Klägerin dieser gegenüber verpflichtet gewesen sei, die Altreifenteile zu entfernen. Eine solche Verpflichtung der Beklagten könne aber entgegen einer Entscheidung des OLG Dresden (VersR 1995, 836) nicht dem § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB entnommen werden. Zivilrechtlich sei die Beklagte nicht als Störerin anzusehen. Darauf, ob die Beklagte nach dem polizeirechtlichen Störerbegriff verantwortlich gemacht werden könne, komme es nicht an. Der zivilrechtliche Störer dürfe mit dem polizeirechtlichen nicht gleichgesetzt werden.
II.
[6] Die hiergegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg.
[7] 1. Die Beklagte hat nicht nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Rechts der Klägerin zum mittelbaren Besitz an dem vermieteten Grundstück Schadensersatz dafür zu leisten, dass sie Reifenteile zur Entsorgung an die Firma R. S. weitergegeben hat, die sie über die Firma L. der Mieterin G. E. der Klägerin überlassen hat.
[8] a) R. S. und L. waren selbständige Entsorgungsunternehmen und mangels Weisungsgebundenheit keine Verrichtungsgehilfen der beklagten Abfallerzeugerin. Das Verhalten dieser Firmen ist der Beklagten daher nicht über § 831 BGB zurechenbar (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1975 - VI ZR 43/74, VersR 1976, 62, 64; OLG Düsseldorf v. 13.7.1995 - 10 U 5/95, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.3.1996 - VI ZR 272/95; dasselbe RuS 1997, 194, 195 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.11.1996 - VI ZR 136/96; Wilmowsky, NuR 1991, 253, 257), so dass sich insoweit die Frage eines Auswahl- und Überwachungsverschuldens der beauftragten Firma R. S. nicht stellt.
[9] b) Das Berufungsgericht hat auch im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten verneint.
[10] aa) Zwar hat ein Produzent von Industrieabfällen, die ohne besondere Vorkehrungen eine Quelle von Umweltgefahren sind, die allgemeine Verkehrssicherungspflicht, im Rahmen des Zumutbaren und Verkehrsüblichen das Erforderliche zu tun, damit sich diese (potentiellen) Gefahren nicht zum Schaden Dritter auswirken können. Dabei nehmen die Anforderungen an die Sorgfalt bei Lagerung und Vernichtung mit der Gefährlichkeit der Abfallstoffe zu (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1975 - VI ZR 43/74, VersR 1976, 62, 64; OLG Hamm, VersR 1988, 804 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 10.5.1988 - VI ZR 236/87; OLG Stuttgart v. 17.1.1990 - 4 U 51/89, VersR 1991, 1375, 1376 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 9.10.1990 - VI ZR 54/90; OLG Düsseldorf v. 13.7.1995 - 10 U 5/95, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.3.1996 - VI ZR 272/95).
[11] bb) Der Abfallproduzent muss die Entsorgung nicht stets selbst übernehmen. Nach ständiger Rechtsprechung können Verkehrssicherungspflichten delegiert werden. Wer sie übernimmt, wird seinerseits deliktisch verantwortlich, während sich die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich (allein) Verantwortlichen auf Auswahl- und Überwachungspflichten verengt. Deren Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei wiederum eine erhöhte Gefährlichkeit ebenso wie ein verringerter Einfluss des Produzenten auf den mit der Entsorgung bzw. Verwertung beauftragten Unternehmer aufgrund dessen Selbständigkeit zu einer gesteigerten Sorgfaltspflicht des Delegierenden führt (vgl. BGH, Urt. v. 9.11.1982 - VI ZR 129/81, VersR 1983, 152; v. 12.3.1985 - VI ZR 215/83, MDR 1986, 44 = VersR 1985, 666, 667; v. 17.1.1989 - VI ZR 186/88, MDR 1989, 532 = VersR 1989, 526 m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 22.7.1999 - III ZR 198/98, BGHZ 142, 227, 233 = MDR 1999, 1316). Der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens sind allerdings durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch die Selbständigkeit und Weisungsunabhängigkeit des Beauftragten Grenzen gesetzt. Eine Kontrolle auf Schritt und Tritt kann nicht verlangt werden (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1975 - VI ZR 43/74, VersR 1976, 62, 64; v. 12.3.1985 - VI ZR 215/83, MDR 1986, 44 = VersR 1985, 666, 667; v. 30.9.1986 - VI ZR 247/85, RuS 1987, 130, 131). Diese Grundsätze - von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist - gelten auch, wenn der Abfallerzeuger ein selbständiges Unternehmen mit der Entsorgung beauftragt. Ihn treffen dann abgestufte Auswahl- und Überwachungspflichten, die nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sind und umso strenger werden, je gefährlicher die Abfälle für die Umwelt sind und je geringer die Gewähr ist, dass das eingeschaltete Unternehmen die erforderlichen Sicherheitsvorschriften beachtet (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1975 - VI ZR 43/74, VersR 1976, 62, 64 f.; OLG Düsseldorf v. 13.7.1995 - 10 U 5/95, VersR 1995, 1363, 1364 f. mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.3.1996 - VI ZR 272/95; Wilmowsky, NuR 1991, 253, 257; vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1974, 285, 286). Dass der Beauftragte im Besitz der erforderlichen abfallrechtlichen Genehmigungen ist, ist Voraussetzung für eine entlastende Pflichtendelegation, kann den Abfallerzeuger aber entgegen einer gelegentlich vertretenen Ansicht (vgl. Dombert, PHI 1992, 42, 45 f.; Ekrutt, NJW 1976, 885 f.; ähnlich Klingelhöfer, VersR 2002, 530, 538; Wilmowsky, NuR 1991, 253, 257; a.A. Birn, NJW 1976, 1880 f.; vgl. auch OLG Hamm, VersR 1988, 804 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 10.5.1988 - VI ZR 236/87) nicht ohne weitere Umstände entlasten (vgl. auch BGH, Urt. v. 31.5.1994 - VI ZR 233/93, MDR 1994, 889 = VersR 1994, 996, 997 m.w.N.). Eines näheren Eingehens auf diese Frage bedarf es hier jedoch aus den nachfolgenden Erwägungen nicht.
[12] cc) Ob die Beklagte mit Beauftragung der Firma R. S. und bei der nicht näher festgestellten weiteren Abwicklung des Geschäfts ihren Auswahl- und Überwachungspflichten nachgekommen ist, durfte das Berufungsgericht zu Recht unbeantwortet lassen. Diese Verkehrssicherungspflichten hatten nach den besonderen Umständen des Streitfalls nämlich nicht den (Schutz-) Zweck, die Klägerin vor denjenigen Schäden zu bewahren, deren Ausgleich sie nun verlangt (zur Eingrenzung von Verkehrssicherungspflichten über den Schutzzweck vgl. BGH, Urt. v. 27.1.1987 - VI ZR 114/86, MDR 1987, 656 = NJW 1987, 2671, 2672; Soergel/Spickhoff, BGB, 13. Aufl., § 823 Rz. 28).
[13] (1) Es ist bereits fraglich, ob der bei der Klägerin entstandene Schaden seiner Art nach vom Schutzzweck der der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht erfasst ist. Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht eines Produzenten von Industrieabfällen soll verhindern, dass sich Umweltgefahren zum Schaden Dritter auswirken (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1975 - VI ZR 43/74, VersR 1976, 62, 64). Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen haben ihre Ursache darin, dass ihre Untermieterin ihrer Räumungspflicht nicht nachgekommen ist. Räumungskosten wären deshalb auch dann angefallen, wenn G. E. keinen Abfall, sondern Wirtschaftsgüter gelagert hätte. Damit haben sich nicht die von den geschredderten Altreifen ausgehenden Umweltgefahren verwirklicht, sondern das allgemeine Risiko eines Vermieters, dass der Mieter die ihm überlassene Sache nicht in ordnungsgemäßem Zustand zurückgibt und seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt (vgl. OLG Düsseldorf, RuS 1997, 194 f. mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.11.1996 - VI ZR 136/96). In derartigen Fällen wird es deshalb regelmäßig an einem inneren Zusammenhang des Schadens mit der vom Abfallerzeuger geschaffenen Gefahrenlage fehlen.
[14] (2) Jedenfalls umfasst der persönliche Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht die Klägerin.
[15] (a) Bereits die Firma R. S. war nicht in diesen Schutzbereich einbezogen, soweit ihr als Entsorger die gefahrlose Beseitigung des Abfalls übertragen wurde (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1984 - VI ZR 49/83, MDR 1985, 311 = VersR 1985, 243, 244 zur Streupflicht). Der Entsorger ist selbst Teil der Gefahr, für die der Abfallerzeuger in gewissem Umfang verantwortlich bleibt; er wird nicht selbst geschützt.
[16] (b) Ob sich dieser Ausschluss aus dem Schutzbereich unter dem Aspekt der Übertragung der Verkehrssicherungspflicht stets bei weiteren Entsorgern innerhalb der "Entsorgungskette" fortsetzt, kann offen bleiben. Die Klägerin wird vom Schutzzweck der Verkehrssicherungspflicht bereits deshalb nicht erfasst, weil sie sich der Umweltgefahr freiwillig ausgesetzt hat.
[17] Sie hat ihrer Untermieterin das Grundstück zum Betrieb einer Altautoreifenrecyclinganlage zur Nutzung überlassen. Dies setzt das vorübergehende Lagern von Altreifen zwingend voraus. Die Klägerin hat also die von den geschredderten Altreifen ausgehenden Umweltgefahren aus wirtschaftlichem Eigeninteresse freiwillig in Kauf genommen und sich dadurch selbst außerhalb des Schutzbereichs der dem Abfallerzeuger für den Abfall obliegenden Verkehrssicherungspflicht gestellt. Mit dieser Eröffnung einer Gefahrenquelle ist sie nicht mehr ein Dritter, den der Abfallerzeuger durch besondere Vorkehrungen vor den erkennbaren Umweltgefahren des Abfalls schützen muss (vgl. OLG Düsseldorf v. 13.7.1995 - 10 U 5/95, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.3.1996 - VI ZR 272/95; OLG Düsseldorf, RuS 1997, 194 f. mit Nichtannhmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.11.1996 - VI ZR 136/96; vgl. ferner OLG Hamm v. 16.2.2000 - 13 U 163/99, OLGReport Hamm 2001, 27 = VersR 2002, 1298; OLG Stuttgart, TranspR 1998, 488, 489 f.). An diesem Einverständnis der Klägerin, das den Schutz vor den Umweltgefahren der Altreifenteile ausschließt, hat sich nichts dadurch geändert, dass durch die Zahlungsunfähigkeit des Untermieters oder etwa vorhandener Unzulänglichkeiten in der Handhabung des Recyclinggeschäfts die Altreifen nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft und - wie die Revision meint - vertrags- und vorschriftswidrig gelagert wurden. Darin hat sich lediglich eine wirtschaftliche Gefahr verwirklicht, der typischerweise jeder Vermieter eines Industriegrundstücks ausgesetzt ist (vgl. OLG Düsseldorf v. 13.7.1995 - 10 U 5/95, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.3.1996 - VI ZR 272/95; OLG Düsseldorf, RuS 1997, 194, 195 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.11.1996 - VI ZR 136/96). Die Verkehrssicherungspflicht des Abfallerzeugers schützt nicht das Vertrauen eines Vermieters in die fachliche Eignung bzw. in die fortdauernde wirtschaftliche Gesundheit und Existenz des in der Entsorgungsbranche tätigen Vertragspartners und damit letztlich in die ordnungsgemäße Erfüllung der eingegangenen vertraglichen Pflichten.
[18] 2. An denselben Erwägungen zum Schutzzweck scheitert auch ein Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG. Der Streitfall gibt daher keine Veranlassung zu prüfen, ob und bejahendenfalls zum Schutz welcher Rechtsgüter § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG überhaupt als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden kann (verneinend Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl., § 10 Rz. 32 a.E.; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Kap. 15 Rz. 5; a.A. noch zu § 2 AbfG OLG Hamm v. 8.2.1990 - 6 U 143/89, VersR 1991, 676, 677; OLG Düsseldorf v. 13.7.1995 - 10 U 5/95, VersR 1995, 1363, 1364 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.3.1996 - VI ZR 272/95; OLG Düsseldorf, RuS 1997, 194, 195 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats v. 19.11.1996 - VI ZR 136/96; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearbeitung, § 823 Rz. G 43).
[19] 3. Der Hauptangriff der Revision, dass die Beklagte ggü. der Klägerin jedenfalls gem. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Beseitigung der Reifenteile verpflichtet gewesen sei, bleibt gleichfalls ohne Erfolg. Der Umstand, dass die Klägerin mit der Räumung des Grundstücks nicht nur dessen erneute wirtschaftliche Nutzung nach dem Scheitern des Mietverhältnisses ermöglichte, sondern als sog. Zustandsstörerin auch einer abfallrechtlichen Anordnung des Landratsamtes E. nachkam, begründet auch dann keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenerstattung, wenn die Beklagte als Verhaltensstörerin von der Ordnungsbehörde gleichfalls hätte zur Räumung verpflichtet werden können.
[20] a) Soweit die Revision eine Verpflichtung der Beklagten zur Räumung des Grundstücks aus § 1004 BGB herleiten will (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 8.3.1990 - III ZR 81/88, BGHZ 110, 313, 315 = MDR 1990, 903; BGH, Urt. v. 22.7.1999 - III ZR 198/98, BGHZ 142, 227, 237 = MDR 1999, 1316; Urt. v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, BGHReport 2005, 770 = MDR 2005, 745 = VersR 2005, 839 m.w.N.; Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 3. Aufl., § 3 Rz. 106; vgl. auch Bamberger/Fritzsche, BGB, § 1004 Rz. 76; Seiler in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 677 Rz. 34), ist bereits fraglich, ob der Anwendungsbereich dieser Vorschrift überhaupt eröffnet ist. Die Klägerin ist nicht Eigentümerin des Grundstücks, sondern lediglich Leasingnehmerin. Soweit sich die Klägerin auf Besitzverletzung beruft, ist eine Anwendbarkeit des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verneinen. Insoweit verschafft jedoch § 862 BGB dem Besitzer einen vergleichbaren Schutz wie § 1004 BGB dem Eigentümer (vgl. BGH, Urt. v. 23.2.2001 - V ZR 389/99, BGHZ 147, 45, 50 = BGHReport 2001, 364 m. Anm. Lorenz = MDR 2001, 802; Joost in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 862 Rz. 1; Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1004 Rz. 5; Staudinger/Bund, BGB, Neubearbeitung 2000, § 862 Rz. 1; Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2006, § 1004 Rz. 87) und geht insb. von einem nahezu identischen Störerbegriff aus (Joost in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 862 Rz. 9; Staudinger/Bund, BGB, Neubearbeitung 2000, § 858 Rz. 14).
[21] b) Es ist - entgegen der Ansicht der Revision - auch nicht zu entscheiden, ob die Beklagte hinsichtlich der Lagerung von Altreifen auf dem Grundstück zivilrechtlich als Störerin angesehen werden kann. Im vorliegenden Fall scheidet eine etwaige Verpflichtung der Beklagten zur Beseitigung der Störung durch den Reifenabfall jedenfalls im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 254 BGB aus (vgl. BGH, Urt. v. 8.3.1990 - III ZR 81/88, BGHZ 110, 313, 317 = MDR 1990, 903; BGH, Urt. v. 19.10.1995 - IX ZR 82/94, BGHZ 131, 95, 101 = MDR 1996, 356; Urt. v. 21.10.1994 - V ZR 12/94, MDR 1995, 146 = NJW 1995, 395, 396; OLG Dresden v. 24.4.1995 - 2 U 169/95, OLGReport Dresden 1995, 144 = VersR 1995, 836, 837; Bamberger/Fritzsche, BGB, § 1004 Rz. 68; Oetker in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 254 Rz. 25; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 254 Rz. 28 sowie die zahlreichen Nachweise bei Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2006, § 1004 Rz. 157, selbst a.A.).
[22] Ebenso wenig wie der Beseitigungsanspruch aus §§ 862, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an ein schuldhaftes Verhalten des Störers anknüpft, setzt die Mitverantwortlichkeit des Gestörten i.S.d. § 254 BGB einen Schuldvorwurf voraus (vgl. BGH, Urt. v. 8.3.1990 - III ZR 81/88, BGHZ 110, 313, 317 = MDR 1990, 903 m.w.N.). Es genügt vielmehr, dass er die Störung selbst ermöglicht und im Verhältnis der Parteien die entscheidende Ursache gesetzt hat. Das trifft hier zu. Die Klägerin hat die vorübergehende Verbringung von geschredderten Altreifenteilen auf das Grundstück durch dessen Vermietung zum Betrieb einer Altautoreifenrecyclinganlage erst ermöglicht. Damit hat sie im Verhältnis der Parteien eine entscheidende Ursache für ihre späteren Aufwendungen gesetzt. Die spätere Entwicklung, die durch die Kündigung des Untermietverhältnisses veranlasst wurde, hat nicht die Beklagte, sondern die Untermieterin der Klägerin zu verantworten. Die Verletzung mietvertraglicher Pflichten der Untermieterin liegt - wie bereits im Zusammenhang mit der Prüfung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Abfallerzeugers ausgeführt - nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten. Darin liegt auch der wesentliche Unterschied zu dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des OLG Dresden (OLG Dresden v. 24.4.1995 - 2 U 169/95, OLGReport Dresden 1995, 144 = VersR 1995, 836) zugrunde lag. Die dortige Klägerin war lediglich Lagerhalterin und nicht Entsorgerin (OLG Dresden v. 24.4.1995 - 2 U 169/95, OLGReport Dresden 1995, 144 = VersR 1995, 836, 837) und der Abfall, dessen Entsorgungskosten sie ersetzt verlangte, war bei ihr nicht als Abfall, sondern als Farben und Lacke/Gefahrgüter für eine bestimmte Vertragszeit eingelagert worden. Im hier zu entscheidenden Streitfall hat die Klägerin dagegen die (eingetretene) Gefahr, mit den Entsorgungskosten für die Reifenteile belastet zu werden, dadurch ermöglicht, dass sie die Nutzung des Grundstücks für eine Altreifenrecyclinganlage selbst eröffnet hat.
[23] 4. Schließlich scheiden auch sonstige Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aus.
[24] a) Ein allgemeiner zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch des in Anspruch genommenen Störers gegen andere Pflichtige entsprechend § 426 BGB wird von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur wegen fehlender Vergleichbarkeit der Sachverhalte zu Recht abgelehnt (BGH, Urt. v. 18.9.1986 - III ZR 227/84, BGHZ 98, 235, 239 f. = MDR 1987, 122; BGH, Urt. v. 8.3.1990 - III ZR 81/88, BGHZ 110, 313, 318 = MDR 1990, 903; Urt. v. 11.6.1981 - III ZR 39/80, MDR 1982, 121 = VersR 1981, 980, 982; OLG Düsseldorf v. 13.7.1989 - 18 U 42/89, NVwZ 1989, 993, 997; OLG Stuttgart v. 10.8.1994 - 4 U 75/94, NJW-RR 1996, 850, 851 mit Nichtannahmebeschluss des BGH v. 24.4.1996 - XII ZR 203/94; LG Trier, UPR 1994, 118; Bockwoldt, Rechtmäßigkeit und Kostentragungspflicht polizeilichen Handelns, 2003, S. 220 ff., 225; Hoeft, Die Entschädigungsansprüche des Störers im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, 1995, S. 258 ff., 262; Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 3. Aufl., § 3 Rz. 105; Knoche, Altlasten und Haftung, 2001, S. 104 ff., 110; Jochum, NVwZ 2003, 526, 529; Johlen, DStR 1994, 1897, 1900; Papier, NVwZ 1986, 256, 263; Schwachheim, NVwZ 1988, 225 ff., 227; Schwerdtner, NVwZ 1992, 141, 143; a.A. Haller, ZUR 1996, 21, 25 f.; Haibt/Rinne, ZIP 1997, 2113, 2115 f.; Kloepfer/Thull, DVBl. 1989, 1121, 1125 f.; Kohler-Gehrig, NVwZ 1992, 1049 ff.; Leinemann, VersR 1992, 25, 28 ff.; Raeschke-Kessler, DVBl. 1992, 683, 690; Seibert, DÖV 1983, 964 ff., 974; Stickelbrock, AcP 197, 456, 503 f.).
[25] b) Es besteht auch kein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus §§ 683 Satz 2, 679, 670 BGB oder aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.
[26] aa) Wird von mehreren polizeirechtlichen Störern nur einer in Anspruch genommen, kann er im Allgemeinen einen Aufwendungsersatzanspruch gegen weitere - nicht in Anspruch genommene - Störer nicht aus Geschäftsführung ohne Auftrag geltend machen. Mit der Beseitigung der Störung besorgt er regelmäßig nur ein eigenes und nicht zugleich auch ein Geschäft des anderen Störers (vgl. Urt. v. 11.6.1981 - III ZR 39/80, MDR 1982, 121 = VersR 1981, 980, 981 f.; OLG Düsseldorf v. 13.7.1989 - 18 U 42/89, NVwZ 1989, 993, 997; OLG Stuttgart v. 10.8.1994 - 4 U 75/94, NJW-RR 1996, 850 mit Nichtannahmebeschluss des BGH v. 24.4.1996 - XII ZR 203/94; Bamberger/Fritzsche, BGB, Rz. 76; zustimmend mit teils abweichender Begründung Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 3. Aufl., § 3 Rz. 106; Hoeft, Die Entschädigungsansprüche des Störers im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, 1995, S. 257; Knoche, Altlasten und Haftung, 2001, S. 111 f.; Staudinger/Wittmann, BGB, 13. Bearbeitung, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rz. 37; Haller, ZUR 1996, 21, 25; Johlen, DStR 1994, 1897, 1901; Kloepfer/Thull, DVBl. 1989, 1121, 1123 f.; Papier, NVwZ 1986, 256, 263).
[27] Ein Anspruch aus § 683 Satz 2 BGB könnte allerdings dann zu bejahen sein, wenn die Klägerin zugleich auch ein fremdes Geschäft geführt, nämlich eine Verpflichtung der Beklagten erfüllt hätte (vgl. BGH, Urt. v. 18.9.1986 - III ZR 227/84, BGHZ 98, 235, 240 = MDR 1987, 122). Dass sie durch die Beseitigung der geschredderten Altreifen der ihr gegenüber ergangenen Polizeiverfügung nachkam, steht der Annahme einer Fremdgeschäftsführung nicht entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 8.3.1990 - III ZR 81/88, BGHZ 110, 313, 314 f. = MDR 1990, 903). Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Geschäftsführung i.S.d. § 677 BGB möglich ist, wenn der Handelnde vornehmlich zur Wahrnehmung eigener Belange und nur nebenbei im Interesse eines Anderen tätig wird. Insbesondere hindert der Umstand, dass der Geschäftsführer einer eigenen öffentlich-rechtlichen Pflicht nachkommt, nicht die Annahme, dass er damit zugleich das privatrechtliche Geschäft eines Dritten besorgt (vgl. BGH, BGHZ 40, 28, 30; BGHZ 63, 167, 169 f.; BGHZ 65, 354, 357 f.; vgl. auch BGH, Urt. v. 15.12.1977 - III ZR 159/75 - NJW 1978, 1258 f.; Seiler in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 677 Rz. 9 m.w.N.; Staudinger/Wittmann, BGB, 13. Bearbeitung, Rz. 23).
[28] bb) Hat die Klägerin mit der Räumung des Grundstücks zugleich eine Verpflichtung der Beklagten erfüllt, kommt daneben ein Ausgleichsanspruch nach § 812 BGB in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 22.7.1999 - III ZR 198/98, BGHZ 142, 227, 237, 238 f. = MDR 1999, 1316; Urt. v. 21.10.1994 - V ZR 12/94, MDR 1995, 146 = NJW 1995, 395, 396; v. 1.12.1995 - V ZR 9/94, MDR 1996, 359 = VersR 1996, 759, 760 m.w.N.; v. 4.2.2005 - V ZR 142/04, BGHReport 2005, 770 = MDR 2005, 745 = VersR 2005, 839; Medicus in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1004 Rz. 90; ablehnend Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2006, § 1004 Rz. 159, beide m.w.N.).
[29] cc) Einer Anwendung der §§ 683 Satz 2, 812 BGB steht jedoch entgegen, dass hier - wie bereits zu Ziff. 3 ausgeführt - kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Beseitigung der Störung bestand. Die Klägerin hat mit der Beseitigung der Altreifenteile weder ein Geschäft der Beklagten geführt noch eine Verpflichtung der Beklagten erfüllt, sondern lediglich die ihr auferlegte Verwaltungsanordnung befolgt.
Fundstellen
Haufe-Index 1620401 |
NJW 2006, 3628 |
BGHR 2006, 1528 |
NZM 2007, 140 |
ZfIR 2007, 151 |
MDR 2007, 270 |
MuA 2007, 83 |
VersR 2007, 76 |
AbfallR 2006, 296 |
r+s 2007, 34 |
IR 2007, 20 |
altlasten spektrum 2007, 91 |