Leitsatz (amtlich)

a) In § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB sind die vom Senat entwickelten Grundsätze zur therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung kodifiziert worden. Diese Grundsätze gelten inhaltlich unverändert fort; neu ist lediglich die Bezeichnung als Informationspflicht.

b) Der Umfang der Dokumentationspflicht ergibt sich aus § 630 f Abs. 2 BGB. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten.

c) Einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630 f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, kommt keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 630c, 630 f., § 823 Aa; ZPO § 286 B

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 06.02.2019; Aktenzeichen 5 U 29/18)

LG Aurich (Entscheidung vom 19.01.2018; Aktenzeichen 5 O 755/15)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 6.2.2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

Rz. 2

Die Beklagte ist Fachärztin für Augenheilkunde und betreibt eine Augenarztpraxis. Im November 2013 traten beim Kläger plötzlich schwarze Flecken im linken Auge auf. Am 4.11.2013 rief er deshalb in der Praxis der Beklagten an und schilderte seine Beschwerden. Er erhielt einen Termin für den 7.11.2013 und wurde darauf hingewiesen, er möge eine Fahrbegleitung mitbringen, da eine Untersuchung unter Pupillenerweiterung erfolgen werde. Am 7.11.2013 wurde der Kläger von der Beklagten augenärztlich untersucht. Anschließend erklärte ihm die Beklagte, dass es sich bei den Beschwerden um eine altersbedingte Erscheinung infolge einer Glaskörpertrübung handle. Er müsse sich keine Sorgen machen. Ein Termin für eine Wiedervorstellung wurde nicht vereinbart. Am 14.2.2014 stellte ein Optiker bei einem Sehtest einen Netzhautriss fest, weshalb sich der Kläger am 18.2.2014 erneut bei der Beklagten vorstellte. Diese diagnostizierte eine Netzhautablösung und wies den Kläger darauf hin, dass es sich um einen Notfall handle und er sich sofort ins Krankenhaus begeben müsse. Nach einer Untersuchung im Krankenhaus in Oldenburg wurde der Kläger nach Bremen überwiesen und dort operiert. In der Folge traten Komplikationen auf und er erblindete auf dem linken Auge.

Rz. 3

Der Kläger hat der Beklagten vorgeworfen, sie habe bei der Untersuchung am 7.11.2013 einen Netzhautriss übersehen. Sie habe versäumt, vor der Untersuchung eine Pupillenweitstellung zu veranlassen. Aus diesem Grund sei eine ordnungsgemäße Untersuchung des Augenhintergrunds nicht möglich gewesen. Sie sei durch ihren während der Behandlung im Behandlungszimmer spielenden Sohn abgelenkt worden, der ihr Bilder gezeigt und sie während der Behandlung angesprochen habe. Außerdem habe sie ihn nicht darauf hingewiesen, dass er sich bei weiteren Beschwerden erneut vorstellen und den Verlauf spätestens nach einem Jahr kontrollieren lassen müsse.

Rz. 4

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu. Behandlungsfehler der Beklagten könnten nicht festgestellt werden. Der Beklagten sei kein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Dem Kläger sei der Beweis seiner Behauptung, die Untersuchung vom 7.11.2013 sei ohne eine vorherige Weitstellung der Pupillen erfolgt, nicht gelungen. Zwar habe der Kläger nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei im Rahmen seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass seine Pupillen bei der Untersuchung vom 7.11.2013 nicht weit gestellt worden seien. Diese Angaben habe seine als Zeugin vernommene Ehefrau insoweit bestätigt, als sie bekundet habe, sie könne sich noch gut an den Termin erinnern. Es sei für sie schwierig gewesen, ihren Mann zu begleiten, da sie bei der Arbeit viel Stress gehabt habe. Tatsächlich sei dann aber der Kläger selbst zurückgefahren. Darüber habe sie sich seinerzeit gewundert. Die Weitstellung der Pupillen sei also offenbar nicht gemacht worden. Einschränkungen beim Fahren habe der Kläger nicht gehabt. Auch diese Aussage sei nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei.

Rz. 6

Den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau stehe aber entgegen, dass sich in der Dokumentation der Beklagten zum 7.11.2013 der Eintrag "Pup. in medikam. Mydriasis" finde. Zwar könne sich die Beklagte an die Untersuchung nicht erinnern. Der Dokumentation sei aber zu entnehmen, dass sie beidseits die vorderen Augenabschnitte und den Augenhintergrund nach einer Weitstellung der Pupillen untersucht habe. Der Umstand, dass die Beklagte zur Erstellung ihrer EDV-gestützten Dokumentation keine fälschungssichere Software verwendet habe, führe nicht dazu, dass der Dokumentation im Rahmen der Beweiswürdigung keine Bedeutung zukomme. Zwar verlange § 630 f Abs. 1 BGB die Verwendung einer fälschungssicheren Software, welche die ursprünglichen Einträge erhalte und gegen Änderungen sichtbar mache. Eine EDV-Dokumentation ohne Sicherung gegen Veränderungen sei nicht mehr zulässig. Ihr komme nicht der Beweiswert zu wie einer herkömmlichen schriftlichen Dokumentation ohne Änderungen, selbst wenn sie medizinisch plausibel sei und der Arzt nachvollziehbar darlege, dass eine nachträgliche Veränderung nicht erfolgt sei. Die Verwendung einer nicht fälschungssicheren Software führe aber nicht zur Beweislastumkehr gem. § 630h Abs. 3 BGB. Sie führe auch nicht dazu, dass der Dokumentation keine Indizwirkung zukomme. Der Gesetzgeber habe die Verwendung einer nicht fälschungssicheren Software bei der Dokumentation nicht mit der Folge einer Beweislastumkehr verknüpft. Weshalb dann, wenn der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darlege, dass die Behandlungsdokumentation nachträglich zu seinen Lasten geändert worden sei, dem Vorhandensein einer im Übrigen ordnungsgemäßen Dokumentation keinerlei Indizwirkung zukommen sollte, sei nicht ersichtlich. Im Streitfall seien greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der entsprechende Eintrag erst nachträglich erfolgt sein könnte, nicht ersichtlich.

Rz. 7

Ein Behandlungsfehler liege auch nicht in Gestalt einer unterlassenen Sicherungsaufklärung vor. Zwar sei es medizinisch geboten gewesen, den Kläger darüber aufzuklären, dass er sich bei einer Verschlechterung der Beschwerden sogleich bzw. nach Ablauf eines Jahres zu Kontrollzwecken bei einem Augenarzt vorzustellen habe. Eine unterbliebene Aufklärung wäre im vorliegenden Kontext als grob behandlungsfehlerhaft einzuordnen. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass die Beklagte die gebotene Belehrung unterlassen habe. Die Angaben der Parteien zu dieser Frage seien jeweils in sich widerspruchsfrei und inhaltlich nachvollziehbar. Es gebe keine Gründe, einer der Schilderungen mehr Glauben zu schenken als der anderen. Der Umstand, dass ein Hinweis auf die Kontrollbedürftigkeit nicht dokumentiert sei, rechtfertige nicht den Schluss, dass eine entsprechende Belehrung nicht erfolgt sei. Eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten erfolge nämlich nur dann, wenn eine aus medizinischen Gründen dokumentationspflichtige Maßnahme nicht aufgezeichnet worden sei. Demgegenüber sei eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich sei, auch aus Rechtsgründen nicht geboten. Eine Dokumentation der hier in Rede stehenden Sicherungsaufklärung sei aus medizinischen Gründen nicht veranlasst gewesen. Ihre Aufzeichnung sei ersichtlich für die weitere ärztliche Behandlung des Klägers ohne Bedeutung gewesen.

II.

Rz. 8

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Beurteilung nicht in jeder Hinsicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts können die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nicht verneint werden.

Rz. 9

1. Die Revision wendet sich allerdings ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei ein Behandlungsfehler in Gestalt einer unterlassenen therapeutischen Information des Klägers nicht vorzuwerfen.

Rz. 10

a) Zutreffend und von der Revision als ihr günstig nicht beanstandet ist das Berufungsgericht auf der Grundlage der Ausführungen der Sachverständigen davon ausgegangen, dass die Beklagte den Kläger nach Abschluss der augenärztlichen Untersuchung vom 7.11.2013 auf die Notwendigkeit hinweisen musste, sich bei einer Verschlechterung seiner Beschwerden sofort, spätestens aber nach Ablauf eines Jahres zu Kontrollzwecken bei einem Augenarzt vorzustellen. Das Berufungsgericht hat diese Verpflichtung der Beklagten zu Recht aus § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB abgeleitet, wonach der Behandelnde dem Patienten in verständlicher Weise sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände, insb. die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen erläutern muss. In dieser Bestimmung sind die vom Senat entwickelten Grundsätze zur therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung kodifiziert worden (vgl. BT-Drucks. 17/10488, 21 re. Sp.; BGH, Urt. v. 14.9.2004 - VI ZR 186/03 VersR 2005, 227, juris Rz. 13; v. 16.11.2004 - VI ZR 328/03 VersR 2005, 228, juris Rz. 7; v. 25.4.1989 - VI ZR 175/88, BGHZ 107, 222, juris Rz. 14, 17). Diese Grundsätze gelten inhaltlich unverändert fort; neu ist lediglich die Bezeichnung als Informationspflicht (BT-Drucks. 17/10488, 21 re. Sp. 2. Absatz).

Rz. 11

Die in § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB kodifizierte Pflicht zur therapeutischen Information ist Bestandteil der fachgerechten ärztlichen Behandlung. Sie soll den Erfolg der medizinischen Heilbehandlung durch begleitende Maßnahmen, insb. durch Information und Beratung des Patienten, sicherstellen (vgl. BT-Drucks. 17/10488, 21 re. Sp.; BGH, Urt. v. 25.4.1989 - VI ZR 175/88, BGHZ 107, 222, juris Rz. 14, 17; v. 14.9.2004 - VI ZR 186/03 VersR 2005, 227, juris Rz. 13; v. 16.6.2009 - VI ZR 157/08 VersR 2009, 1267 f., juris Rz. 7 ff.). Hierzu zählt auch die Verpflichtung des Arztes, den Patienten über die Dringlichkeit etwa erforderlicher ärztlicher Maßnahmen in Kenntnis zu setzen und ihn auf die mit ihrem Unterbleiben verbundenen Risiken hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 26.5.2020 - VI ZR 213/19 VersR 2020, 1052 m.w.N.). Versäumnisse auf diesem Gebiet sind Behandlungsfehler und deshalb grundsätzlich vom Patienten zu beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 14.9.2004 - VI ZR 186/03 VersR 2005, 227, juris Rz. 13; v. 16.6.2009 - VI ZR 157/08 VersR 2009, 1267, juris Rz. 8).

Rz. 12

b) Die Revision wendet sich nicht gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, es lasse sich nicht aufklären, ob die Beklagte den Kläger in der gebotenen Weise informiert hat, die Beweisaufnahme habe insoweit ein "non liquet" ergeben.

Rz. 13

c) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wirkt sich dieses "non liquet" zum Nachteil des für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweisbelasteten Klägers aus. Die Revision kann nichts zu ihren Gunsten daraus herleiten, dass die Beklagte eine Information des Klägers, wonach er bei fortschreitenden Symptomen sofort einen Augenarzt einschalten müsse, in der Patientenakte nicht dokumentiert hat. Dieser Umstand führt nicht zu einer Beweislastumkehr gem. § 630h Abs. 3 BGB.

Rz. 14

aa) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, bei der therapeutischen Information handle es sich um eine "Aufklärung" i.S.v. § 630 f Abs. 2 Satz 1 BGB und damit um einen generell aufzeichnungspflichtigen Umstand mit der Folge, dass dem Patienten unabhängig von der Frage, ob die Dokumentation aus medizinischer Sicht erforderlich war, eine Beweislastumkehr gem. § 630h Abs. 3 BGB zugutekomme. Mit dem Begriff der Aufklärung i.S.d. § 630 f Abs. 2 Satz 1 BGB ist lediglich die in § 630e BGB geregelte Selbstbestimmungsaufklärung, nicht hingegen die vom Senat bislang als therapeutische Aufklärung oder Sicherungsaufklärung bezeichnete therapeutische Information des Patienten gemeint. Der Gesetzgeber hat bewusst zwischen den in § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB geregelten Informationspflichten und den in § 630e BGB kodifizierten Aufklärungspflichten differenziert und zur Verdeutlichung eine ausdrückliche begriffliche Unterscheidung eingeführt (BT-Drucks. 17/10488, 21 re. Sp. 2. Absatz).

Rz. 15

bb) Aus dem Zweck der in § 630 f BGB geregelten Aufzeichnungspflicht folgt nichts anderes. Wie die Revision zu Recht ausführt, dient die Dokumentation in Anknüpfung an die bisherige Senatsrechtsprechung in erster Linie der Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf und damit der Therapiesicherung; durch die Aufzeichnung des Behandlungsgeschehens soll eine sachgerechte therapeutische Behandlung und Weiterbehandlung gewährleistet werden (vgl. BT-Drucks. 17/10488, 25 re. Sp., 26 li. Sp., S. 29 re. Sp.; BGH, Urt. v. 2.6.1987 - VI ZR 174/86 NJW 1988, 762, juris Rz. 12; v. 23.3.1993 - VI ZR 26/92 VersR 1993, 836, juris Rz. 9; v. 6.7.1999 - VI ZR 290/98 VersR 1999, 1282 Rz. 13). Darüber hinaus soll die Dokumentation - insb. im Zusammenspiel mit dem Anspruch des Patienten auf Einsichtnahme in die Krankenunterlagen (§ 630g BGB) - gewährleisten, dass der Arzt seiner Rechenschaftspflicht genügt, die sich aufgrund des Kenntnisvorsprungs gegenüber dem Patienten vor allem als Informationspflicht darstellt (vgl. BT-Drucks. 17/10488, 26 li. Sp., S. 29 re. Sp.; BGH, Urt. v. 27.6.1978 - VI ZR 183/76, BGHZ 72, 132, juris Rz. 28; BeckOK/BGB/Katzenmeier, 57. Edition, BGB § 630 f Rz. 4 m.w.N. [Stand: 1.2.2021]; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., BGB § 630 f Rz. 3).

Rz. 16

Soweit in der Gesetzesbegründung als eine letzte Funktion der Dokumentation die "faktische Beweissicherung" genannt wird (BT-Drucks. 17/10488, 26 li. Sp. 1. Absatz), werden damit lediglich die im unmittelbar sich daran anschließenden Satz näher beschriebenen Auswirkungen eines Dokumentationsversäumnisses - die in § 630h Abs. 3 BGB geregelte Beweislastumkehr - charakterisiert, nicht hingegen der Umfang der Dokumentationspflicht bestimmt. Dieser ergibt sich vielmehr aus § 630 f Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 17/10488, 26 li. Sp. 4. Absatz; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., BGB § 630 f Rz. 8; BeckOK/BGB/Katzenmeier, 57. Edition, BGB § 630 f Rz. 5, § 630h Rz. 48 [Stand: 1.2.2021]; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rz. B 202 f.; Wenzel/Weidinger, Patientenrechtegesetz, 2017, § 630 f BGB Rz. 837, 857; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rz. 297 ff.; jeweils m.w.N.). Danach sind diejenigen für die Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, die aus der fachlichen Sicht des Behandelnden für die Sicherstellung der derzeitigen oder einer künftigen Behandlung wesentlich sind bzw. sein können (BT-Drucks. 17/10488, 26 li. Sp. 4. Absatz; BGH, Urt. v. 2.6.1987 - VI ZR 174/86 NJW 1988, 762, juris Rz. 12). Hiermit sind ersichtlich solche Maßnahmen und Ergebnisse gemeint, deren Aufzeichnung geboten ist, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung für ihre künftigen Entscheidungen ausreichend zu informieren (vgl. BGH, Urt. v. 23.3.1993 - VI ZR 26/92 VersR 1993, 836, 837, juris Rz. 9; auch BT-Drucks. 17/10488, 26 li. Sp. 1. Absatz: "Dokumentation einer medizinisch wesentlichen Information oder Maßnahme"). Mit dem Hinweis auf die "fachliche Sicht" bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung bei Verneinung eines medizinischen Erfordernisses eine Dokumentation auch aus Rechtsgründen nicht geboten ist (vgl. Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Aufl., IX Rz. 50; ders. in BeckOK/BGB, 57. Edition, BGB § 630 f Rz. 5, § 630h Rz. 48 [Stand: 1.2.2021]; Wagner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., BGB § 630 f Rz. 1, 8; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rz. B 202 f.; Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. Rz. 506, 621; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rz. 299; jeweils m.w.N.; vgl. zur bisherigen Rechtsprechung: Senat, Urt. v. 2.6.1987 - VI ZR 174/86, NJW 1988, 762, juris Rz. 12; v. 23.3.1993 - VI ZR 26/92, VersR 1993, 836, juris Rz. 9; v. 6.7.1999 - VI ZR 290/98, VersR 1999, 1282 Rz. 13; v. 22.10.2009 - VI ZR 71/17, VersR 2020, 233 Rz. 9; OLG Koblenz GesR 2017, 731 f., juris Rz. 21).

Rz. 17

cc) Nach diesen Grundsätzen führt der Umstand, dass die Beklagte eine Information des Klägers über die Kontrollbedürftigkeit seiner Beschwerden nicht dokumentiert hat, nicht zu einer Beweislastumkehr. Die Revision hat keine Verfahrensrüge gegen die Feststellung des Berufungsgerichts erhoben, dass eine Dokumentation der geschuldeten therapeutischen Information im Streitfall aus medizinischer Sicht nicht erforderlich war.

Rz. 18

2. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei ein Befunderhebungsfehler nicht vorzuwerfen.

Rz. 19

a) Nach den auf die Ausführungen der Sachverständigen gestützten Feststellungen des Berufungsgerichts war es angesichts der vom Kläger geschilderten Beschwerden in der konkreten Behandlungssituation zwingend geboten, eine Untersuchung des Augenhintergrunds unter Pupillenweitstellung vorzunehmen. Diese Feststellung nimmt die Revision als ihr günstig hin.

Rz. 20

b) Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht den Kläger als beweisbelastet dafür angesehen, dass diese medizinisch gebotene Untersuchung unterblieben ist und der Beklagten der behauptete Behandlungsfehler unterlaufen ist.

Rz. 21

c) Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht aber zu der Annahme gelangt, der Kläger habe nicht bewiesen, dass die augenärztliche Untersuchung ohne eine vorherige Weitstellung der Pupillen erfolgt sei. Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht der mit einer - nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machenden - Software erstellten Dokumentation der Beklagten im Rahmen der Beweiswürdigung eine positive Indizwirkung beigemessen hat.

Rz. 22

aa) Grundsätzlich ist die Würdigung der Beweise allerdings dem Tatrichter vorbehalten. Dieser ist insb. grundsätzlich darin frei, welche Beweiskraft er Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst. Revisionsrechtlich ist seine Würdigung jedoch darauf zu überprüfen, ob er alle Umstände vollständig berücksichtigt und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt u.a. dann vor, wenn der Tatrichter Tatsachen Indizwirkungen zuerkennt, die sie nicht haben (vgl. Senat, Urt. v. 22.1.1991 - VI ZR 97/90, VersR 1991, 566, juris Rz. 13; v. 3.2.1998 - VI ZR 356/96, VersR 1998, 634, juris Rz. 11; BGH, Urt. v. 14.1.1993 - IX ZR 238/91 NJW 1993, 935, juris Rz. 21).

Rz. 23

bb) So verhält es sich im Streitfall. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht der mit einer - nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machenden - Software erstellten elektronischen Dokumentation der Beklagten eine Indizwirkung dahingehend beigemessen, dass die für den 7.11.2013 dokumentierte Untersuchung des Augenhintergrunds unter Weitstellung der Pupillen tatsächlich erfolgt ist.

Rz. 24

(1) Elektronische Dokumente sind gem. § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gegenstand des Augenscheinsbeweises. Ihr konkreter Beweiswert unterliegt der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 371a ZPO, Rz. 1; BeckOGK/U. Walter, BGB § 630 f Rz. 5 [Stand: 1.4.2020]; Wenzel/Weidinger, Patientenrechtegesetz, 2017, § 630 f BGB Rz. 854; vgl. auch BGH, Urt. v. 3.2.1998 - VI ZR 356/96 VersR 1998, 634, juris Rz. 10 f.).

Rz. 25

(2) Bis zum Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes wurde einer elektronisch erstellten Dokumentation in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich auch dann, wenn sie nachträgliche Änderungen nicht sichtbar machte, der volle Beweiswert eingeräumt, sofern die Dokumentation medizinisch plausibel war und der Arzt nachvollziehbar darlegte, keine Änderungen vorgenommen zu haben (vgl. OLG Hamm, VersR 2006, 842, juris Rz. 16; OLG Oldenburg, MedR 2011, 163 juris Rz. 19; OLG Naumburg, GesR 2012, 762 juris Rz. 19: "kann bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt werden"; OLG Köln, GesR 2012, 434 juris Rz. 46; OLG Frankfurt, Urt. v. 13.1.2015 - 8 U 141/13, juris Rz. 9; OLG Dresden, Beschl. v. 4.1.2018 - 4 U 1079/17, juris Rz. 10).

Rz. 26

(3) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, ist diese Auffassung unter Geltung der mit dem Patientenrechtegesetz eingeführten §§ 630a ff. BGB nicht mehr haltbar. Eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, genügt nicht den Anforderungen des § 630 f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Nach diesen Bestimmungen sind Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen. Ziel dieser Neuregelungen ist es, eine fälschungssichere Organisation der Dokumentation sicherzustellen. Deshalb muss im Falle einer elektronisch geführten Patientenakte die eingesetzte Softwarekonstruktion gewährleisten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar werden (BT-Drucks. 17/10488, 26 li. Sp. 3. Absatz; BeckOGK/U. Walter, BGB § 630 f Rz. 4 ff. [Stand: 1.4.2020]; BeckOK/BGB/Katzenmeier, 57. Edition, BGB § 630h Rz. 46 [Stand: 1.2.2021]; ders. in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Aufl., IX Rz. 53; K. Schmidt in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK/BGB, 9. Aufl., § 630 f Rz. 40; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rz. 307; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rz. B 204; Wenzel/Weidinger, Patientenrechtegesetz, 2017, § 630 f BGB Rz. 852 f.; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rz. D 441, P 79; vgl. auch § 10 Abs. 5 MBO-Ä).

Rz. 27

(4) Anders als in der Literatur zum Teil vertreten wird (BeckOK/BGB/Katzenmeier, 57. Edition, BGB § 630h Rz. 46 [Stand: 1.2.2021]; Glanzmann in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl., BGB § 630 f Rz. 16; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rz. D 441), führt die Verwendung einer nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machenden Software allerdings nicht zur Vermutung des § 630h Abs. 3 BGB (so auch Wenzel/Weidinger, Patientenrechtegesetz, 2017, § 630 f BGB Rz. 857). In dieser Bestimmung ist die bisherige Rechtsprechung zur Beweislastumkehr bei Dokumentationsversäumnissen kodifiziert worden. Im Einklang mit dieser knüpft sie beweisrechtliche Folgen nur daran, dass der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630 f BGB nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder die Patientenakte nicht aufbewahrt hat. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, erstreckt sich die Vermutung damit auf die unterbliebene, lückenhafte, nicht zeitnahe, nicht auffindbare oder entgegen § 630 f Abs. 3 BGB nicht aufbewahrte Dokumentation (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 80. Aufl., § 630h Rz. 6). Den Fall, dass die medizinische Maßnahme zwar elektronisch dokumentiert, die Dokumentation aber mit einer nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machenden Software erstellt wurde, regelt die Bestimmung dagegen nicht. Dies entspricht auch der Auffassung der Revision.

Rz. 28

(5) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630 f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, aber auch keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist (OLG Frankfurt, Urt. v. 13.1.2015 - 8 U 141/13, juris Rz. 9; K. Schmidt in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK/BGB, 9. Aufl., § 630 f Rz. 40; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rz. B 204; Glanzmann in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 3. Aufl., BGB § 630 f Rz. 16). Anders als bei der herkömmlichen hand- oder maschinenschriftlichen Dokumentation, bei der nachträgliche Änderungen durch Streichung, Radierung, Einfügung oder Neufassung regelmäßig auffallen, bietet die mit Hilfe einer - nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machenden - Software geführte elektronische Dokumentation jedem Zugriffsberechtigten die Möglichkeit, den bisher aufgezeichneten Inhalt in kurzer Zeit, mit geringem Aufwand und fast ohne Entdeckungsrisiko nachträglich zu ändern. Darüber hinaus besteht die Gefahr der versehentlichen Löschung oder Veränderung des Inhalts (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rz. B 204). Einer solchen Dokumentation fehlt es an der für die Annahme einer Indizwirkung erforderlichen Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit (vgl. Senat, Urt. v. 3.2.1998 - VI ZR 356/96, VersR 1998, 634, 635, juris Rz. 11; BGH, Urt. v. 14.1.1993 - IX ZR 238/91 NJW 1993, 935 juris Rz. 21; vgl. auch Senat, Urt. v. 14.3.1978 - VI ZR 213/76, VersR 1978, 542, juris Rz. 25: "allgemeine Vertrauenswürdigkeit der Aufzeichnung"). Sie rechtfertigt nicht den ausreichend sicheren Schluss, die dokumentierte Maßnahme sei tatsächlich erfolgt (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1993 - IX ZR 238/91 NJW 1993, 935 juris Rz. 21).

Rz. 29

Anders als das Berufungsgericht meint, gilt dies auch dann, wenn der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darlegt, dass die Dokumentation nachträglich zu seinen Lasten geändert worden ist. Einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630 f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, fehlt es gerade deshalb an der Zuverlässigkeit, weil sie Veränderungen so zulässt, dass sie unbemerkt bleiben. Der Patient steht insoweit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs. Er wird deshalb regelmäßig nicht in der Lage sein, Anhaltspunkte für eine - bewusste oder versehentliche - nachträgliche Abänderung der elektronischen Dokumentation vorzutragen. Bei dieser Sachlage erhöht der Umstand, dass es insoweit an Vortrag des Patienten fehlt, den Indizwert - die abstrakte Beweiskraft - der Dokumentation nicht (vgl. auch BGH, Urt. v. 14.1.1993 - IX ZR 238/91 NJW 1993, 935 juris Rz. 21).

Rz. 30

(6) Dies bedeutet nicht, dass eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, bei der Beweiswürdigung vollständig unberücksichtigt zu bleiben hat. Sie bildet vielmehr einen tatsächlichen Umstand, den der Tatrichter bei seiner Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer umfassenden und sorgfältigen, angesichts der fehlenden Veränderungssicherheit aber auch kritischen Würdigung zu unterziehen hat (§ 286 ZPO).

Rz. 31

(7) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Zwar hat es die Dokumentation der Beklagten in einer Gesamtschau mit anderen für und gegen eine erfolgte Weitstellung der Pupillen sprechenden Umständen gewürdigt. Mit der Begründung, es seien keine greifbaren Anhaltspunkte für eine nachträgliche Veränderung ersichtlich, hat es der Dokumentation jedoch eine positive Indizwirkung und damit eine abstrakte Beweiskraft beigemessen, die ihr nach dem Vorstehenden nicht zukommt.

III.

Rz. 32

Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14531462

BGHZ 2022, 331

NJW 2021, 2364

ZAP 2021, 742

ArztR 2021, 270

JZ 2021, 443

MDR 2021, 936

MedR 2024, 361

VersR 2021, 968

GesR 2021, 434

MMR 2021, 5

MMR 2021, 728

PflR 2021, 785

GuP 2021, 218

KRS 2021, 329

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