Entscheidungsstichwort (Thema)
Patentgericht. Sachverstand einschlägigen Fachmanns. Sachverständigengutachten. Erfordernis im Einzelfall
Leitsatz (amtlich)
Auf sachverständige Hilfe wird auch ein in Patentsachen erfahrenes Gericht vor allem dann zurückgreifen müssen, wenn zweifelhaft und auf andere Weise nicht zu klären ist, wie der einschlägige Fachmann im Patentanspruch oder in der Beschreibung verwendete technische Begriffe versteht. Ob und in welchem Umfang die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Normenkette
ZPO § 144 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 09.03.2000) |
LG Düsseldorf |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das am 9.3.2000 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Düsseldorf aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 401 528 (Klagepatents 1), das eine Vorrichtung zur Halterung von Geflügelkörpern während ihrer Bearbeitung betrifft. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 6.4.1994 im Amtsblatt bekannt gemacht. Patentanspruch 1 und der mittelbar hierauf zurückbezogene Patentanspruch 3 lauten:
"1. Haltevorrichtung (1) zur Halterung von entweideten Geflügelkörpern (28) oder Teilen davon während der Bearbeitung, mit einem Stützkörper (2), auf welchen das Bearbeitungsgut aufschiebbar ist und der mit einer dasselbe wenigstens an der Innenkontur des Brustbeins (29) stützenden Stützfläche (5) sowie mit steuerbaren Mitteln zum Fixieren des Bearbeitungsgutes ausgestattet ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Mittel zum Fixieren eine Klemmvorrichtung (7) aus einem gegen den Stützkörper (2) bewegbaren Klemmhebel (9) umfassen, der in seiner Aktivstellung einen das Bearbeitungsgut gegen die Beschickungsrichtung hinterfassenden Anschlag bildet.
3. Haltevorrichtung nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Innenkontur des Ringsegments (11) als Segment einer Spirale geformt ist, deren Mittelpunkt die Achse (10) ist."
Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1 und 2 der Klagepatentschrift) verdeutlichen die Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.
Die Klägerin ist des weiteren Inhaberin des denselben Gegenstand betreffenden deutschen Patents 39 18 345 (Klagepatents 2), dessen Erteilungshinweis am 3.9.1992 veröffentlicht worden ist. Patentanspruch 1 des Klagepatents 2 lautet:
"Haltevorrichtung zur Halterung von entweideten Geflügelkörpern oder Teilen davon, zur Bearbeitung mit einem Stützkörper, auf welchen das Bearbeitungsgut aufschiebbar ist und der mit einer dasselbe wenigstens an der Innenkontur des Brustbeins stützenden Stützfläche sowie mit steuerbaren Klemm-Mitteln zum Fixieren des Bearbeitungsgutes ausgestattet ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Klemm-Mittel einen gegen den Stützkörper (2) bewegbaren und mit diesem eine Zange bildenden Klemmhebel (9) umfassen, der in seiner Aktivstellung einen das Bearbeitungsgut hinterfassenden Anschlag bildet."
Der Wortlaut des Patentanspruchs 3 entspricht dem des Patentanspruchs 3 des Klagepatents 1.
Die Beklagte zu 1) stellt her und vertreibt über die Beklagte zu 2) in der Bundesrepublik Deutschland Haltevorrichtungen für entweidete Geflügelkörper, deren nähere Ausgestaltung sich aus den nachstehenden Abbildungen ergibt.
Diese Haltevorrichtungen sind Gegenstand der von der Beklagten zu 1) in den Niederlanden eingereichten Patentanmeldung 1 003 626 und des darauf erteilten Patents.
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung, Schadensersatz und Vernichtung in Anspruch. Sie ist der Auffassung, die Beklagten machten mit der Herstellung und dem Vertrieb dieser Haltevorrichtungen wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents 1, hilfsweise von der Lehre des Klagepatents 2, Gebrauch.
Das LG hat der Klage überwiegend stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angegriffene Haltevorrichtung verletze zwar nicht das Klagepatent 1, jedoch seien sämtliche Merkmale des weiter gefassten Anspruchs 1 des Klagepatents 2 wortlautgemäß verwirklicht. Der Vernichtungsanspruch sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt.
Beiden Parteien haben diese Entscheidung mit der Berufung angefochten. Unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin hat das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision der Klägerin. Sie erstrebt Aufhebung des angefochtenen Urteils, Zurückweisung der Berufung der Beklagten und Stattgabe der Anschlussberufung. Die Beklagten bitten um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. 1. Das Klagepatent 1 betrifft eine Vorrichtung zur Halterung von entweideten Geflügelkörpern oder Teilen davon während der Bearbeitung.
a) Haltevorrichtungen dieser Art sind Bestandteile z. B. von Filetieranlagen, mit denen das Geflügelfleisch von den Skelettknochen abgelöst wird. Zu diesem Zweck sind die Haltevorrichtungen der eigentlichen Schneidstation vorgeschaltet. Ihre Aufgabe besteht darin, das bereits ausgeweidete Geflügel auf seinem weiteren Verarbeitungsweg derart zu fixieren, dass ein möglichst hoher Fleischanteil gewonnen werden kann, ohne dass die Schneidmesser mit den vergleichsweise kleinen und zerbrechlichen Knochen in Kontakt geraten und diese zersplittern.
Nach den einleitenden Erläuterungen der Klagepatentschrift sind Haltevorrichtungen für Geflügelkörper in vielfachen Ausführungen bekannt. Verwiesen wird beispielsweise auf Haltevorrichtungen für Brustkappen von Geflügelkörpern gemäß der deutschen Patentschrift 34 44 430 sowie den europäischen Patentanmeldungen 0 254 332 und 0 336 162. An diesen Vorrichtungen bemängelt das Klagepatent 1, dass sie ausschließlich für Brustkappen geeignet seien, nämlich für solche Geflügelkörper, bei denen der Rückgratbereich entfernt sei, dass das von Hand vorzunehmende Aufsatteln der Brustkappe umständlich und Zeit raubend sei und dass die Halterung sicherheitstechnisch problematisch und ergonomisch unbefriedigend sei (Sp. 1 Z. 11 - Sp. 2 Z. 33).
b) Das Berufungsgericht hat es als das durch das Klagepatent 1 zu lösende Problem angesehen, eine Haltevorrichtung zur Verfügung zu stellen, die einfach zu beschicken und universell, d. h. für beliebige Ausgangsprodukte einsetzbar ist, und mit der darüber hinaus eine exakte Positionierung erreicht werden kann, um eine präzise maschinelle Bearbeitung bzw. eine Fleischgewinnung mit höchster Ausbeute zu ermöglichen (Sp. 2 Z. 34 - 41).
Das Berufungsgericht hat die Merkmale der erfindungsgemäßen Lösung wie folgt gegliedert:
(1) Haltevorrichtung zur Halterung von entweideten Geflügelkörpern oder Teilen davon während der Bearbeitung.
(2) Die Haltevorrichtung ist ausgestattet mit
(a) einem Stützkörper,
(aa) auf den das Bearbeitungsgut aufschiebbar ist und
(bb) der mit einer das Bearbeitungsgut wenigstens an der Innenkontur des Brustbeins stützenden Stützfläche versehen ist,
und
(b) steuerbaren Mitteln zum Fixieren des Bearbeitungsgutes.
(3) Die Mittel zum Fixieren des Bearbeitungsgues umfassen eine Klemmvorrichtung aus einem gegen den Stützkörper bewegbaren Klemmhebel.
(4) Der Klemmhebel bildet in seiner Aktivstellung einen das Bearbeitungsgut gegen die Beschickungsrichtung hinterfassenden Anschlag.
2. Das Klagepatent 2 betrifft dieselbe Erfindung. Das Berufungsgericht hat die Merkmale wie folgt gegliedert:
(1) Haltevorrichtung zur Halterung von entweideten Geflügelkörpern und Teilen davon zur Bearbeitung.
(2) Die Haltevorrichtung ist ausgestattet mit
(a) einem Stützkörper,
(aa) auf den das Bearbeitungsgut schiebbar ist
und
(bb) der mit einer das Bearbeitungsgut wenigstens an der Innenkontur des Brustbeins stützenden Stützfläche versehen ist,
und
(b) steuerbaren Klemm-Mitteln zum Fixieren des Bearbeitungsgutes.
(3) Die Klemm-Mittel umfassen einen Klemmhebel, der
(a) gegen den Stützkörper bewegbar ist,
(b) mit dem Stützkörper eine Zange bildet
und
(c) in seiner Aktivstellung einen das Bearbeitungsgut hinterfassenden Anschlag bildet.
3. Das Berufungsgericht hat entsprechend der Beschreibung der beiden Klagepatentschriften die Vorteile der erfindungsgemäßen Klemmeinrichtung darin gesehen, dass sie in der deaktivierten Stellung ein unbehindertes Beschicken der Stützkörper gestatte, eine automatische Positionierung des Geflügelkörpers bewirke und dessen sichere Fixierung gewährleiste.
Das Berufungsgericht hat ferner erläuternd ausgeführt: Zum Verständnis der Erfindung sei zum einen wesentlich, dass die erwähnten Vorzüge der Klemmvorrichtung zugewiesen seien, und zum anderen, dass die Klemmvorrichtung (d. h. der Klemmhebel) den Geflügelkörper nicht nur sicher fixieren, sondern darüber hinaus auch automatisch auf dem Stützkörper positionieren solle. Damit die Klemmvorrichtung imstande sei, das Bearbeitungsgut in eine für die weitere Verarbeitung exakte Position zu verbringen, sehe Patentanspruch 1 in den Merkmalen (3) und (4) zwei Anweisungen vor, wonach der Klemmhebel in seiner Aktivstellung einen das Bearbeitungsgut hinterfassenden Anschlag bilde und der Klemmhebel gegen den Stützkörper bewegbar sei. Durch diese Maßnahmen werde gewährleistet, dass der Klemmhebel, sobald er aktiviert werde, das Bearbeitungsgut an seinem (in Aus- bzw. Förderrichtung des Stützkörpers gesehen) vordersten Ende erfasse (hintergreife) und der Geflügelkörper, indem sich der Klemmhebel gegen den Stützkörper bewege, auf den Stützkörper aufgeschoben und so im Zuge der Klemmbewegung des Hebels auf der Stützfläche zurechtgelegt werde. Dass der Klemmhebel "gegen den Stützkörper bewegbar" sein solle, mache dem Fachmann deutlich, dass der Klemmhebel nicht nur eine vertikal gerichtete Klemmbewegung, sondern darüber hinaus eine der Förderbewegung des Stützkörpers konträre horizontale Bewegung auszuführen habe. Die Erstere bewirke eine Fixierung des Geflügelkörpers auf dem Stützkörper; die horizontale Gegenbewegung ermögliche eine (vorausgehende) Positionierung des Bearbeitungsgutes auf dem Stützkörper. Dementsprechend sei auch im Beschreibungstext des Klagepatents 1 (Sp. 5 Z. 49 - Sp. 6 Z. 2) das in den Figuren 1 und 2 gezeigte Ausführungsbeispiel erläutert. Vor Erreichen der Klemmstellung bewirke danach die Anordnung der Innenkontur der Ringsegmente des Klemmhebels auf einer Spiralbahn in Bezug auf die Achse, dass der Geflügelkörper mit fortschreitendem Auftauchen des Klemmhebels weiter auf den Stützkörper aufgeschoben werde. Auf welche Weise im Einzelnen die geforderte Doppelbewegung des Klemmhebels verwirklicht werde, sei - mangels näherer Vorgaben im Patentanspruch - dem Belieben des Fachmanns überlassen. Möglich sei es deshalb auch, beide Bewegungen - die senkrechte Klemmbewegung und die der Förderrichtung des Stützkörpers entgegengesetzte Horizontalbewegung - einander überlagern zu lassen. In jedem Fall aber müsse zu der reinen Klemmbewegung eine dazu senkrechte Bewegung hinzutreten, die den Klemmhebel in die Lage versetze, den Geflügelkörper zum Zwecke der richtigen Positionierung auf dem Stützkörper (vor seiner endgültigen Fixierung) zu verschieben.
Das Klagepatent 2 stelle hinsichtlich der Merkmale (3a) und (3b) dieselben Anforderungen. Deshalb könne für das Klagepatent 2 sinngemäß auf die Erläuterungen zum Klagepatent 1 verwiesen werden.
4. Diese Auffassung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ und der wortgleichen Regelung des § 14 PatG wird der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Nach den Grundsätzen, die der Senat hierzu entwickelt hat (BGH v. 29.4.1986 - X ZR 28/85, BGHZ 98, 12 [18 f.] = MDR 1986, 1023 - Formstein; v. 14.6.1988 - X ZR 5/87, BGHZ 105, 1 [10] = MDR 1989, 62 - Ionenanalyse; v. 17.3.1994 - X ZR 16/93, BGHZ 125, 303 [309 f.] = MDR 1995, 64 - Zerlegvorrichtung für Baumstämme; v. 12.3.2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149 [153] = BGHReport 2002, 735 - Schneidmesser I), dient die Auslegung der Patentansprüche nicht nur der Behebung von Unklarheiten, sondern auch zur Erläuterung der darin verwendeten technischen Begriffe sowie der Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung. Abzustellen ist dabei auf die Sicht des Fachmanns, von dessen Verständnis bereits die Bestimmung des Inhalts der Patentansprüche einschließlich der dort verwendeten Begriffe abhängt und das auch die Feststellung des über den Wortlaut hinausgehenden Umfangs des von den Patentansprüchen ausgehenden Schutzes beeinflusst. Bei der Prüfung der Frage, ob die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung benutzt wird, ist daher zunächst unter Zugrundelegung dieses Verständnisses der Inhalt der Patentansprüche festzustellen, d. h. der dem Anspruchswortlaut vom Fachmann beigelegte Sinn zu ermitteln. Macht die angegriffene Ausführungsform von dem so ermittelten Sinngehalt eines Patentanspruchs Gebrauch, dann wird die unter Schutz stehende Erfindung benutzt. Bei einer vom Sinngehalt der Patentansprüche abweichenden Ausführung kann eine Benutzung dann vorliegen, wenn der Fachmann auf Grund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mithilfe seiner Fachkenntnisse als für die Lösung des der Erfindung zu Grunde liegenden Problems gleichwirkend auffinden konnte. Dabei fordert es das gleichgewichtig neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot der Rechtssicherheit, dass der durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs bildet; diese hat sich an den Patentansprüchen auszurichten. Für die Zugehörigkeit einer vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichenden Ausführung zum Schutzbereich genügt es hiernach nicht, dass sie (1.) das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln löst und (2.) seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden. Ebenso wie die Gleichwirkung nicht ohne Orientierung am Patentanspruch festgestellt werden kann, müssen (3.) darüber hinaus die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht.
Eine Auslegung, die der Senat als solche selbst vornehmen bzw. überprüfen kann (BGH, Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, MDR 1999, 1215 = GRUR 1999, 909 [911] - Spannschraube, m. w. N.) setzt jedoch Feststellungen voraus, wie der Fachmann die in den Patentansprüchen verwendeten Begriffe unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen versteht und welche konkreten Vorstellungen er mit ihnen verbindet (BGH v. 14.6.1988 - X ZR 5/87, BGHZ 105, 1 [10] = MDR 1989, 62 - Ionenanalyse). Feststellungen über diese Grundlagen der Auslegung liegen im Bereich der Tatsachenfeststellungen des Tatrichters und binden im Revisionsverfahren (§ 561 Abs. 2 ZPO a. F.), soweit keine zulässigen und begründeten Revisionsangriffe erhoben sind (BGH, Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, MDR 1999, 1215 = GRUR 1999, 909 [911] - Spannschraube).
b) Entgegen der Ansicht der Revision kann nicht angenommen werden, dass das Berufungsgericht sich bei der Auslegung des Patentanspruchs 1 von dem im angefochtenen Urteil zitierten Beschreibungstext hat leiten lassen, der - für den Fachmann erkennbar - lediglich eine bevorzugte Ausführungsform der Klagepatente betrifft, die ihrerseits Gegenstand von Anspruch 3 der Klageschutzrechte ist. Es mag zwar sein, dass das Berufungsgericht durch die wörtliche Wiedergabe des das spezielle Ausführungsbeispiel nach Anspruch 3 betreffenden Beschreibungstextes den Anschein fehlerhaften Rückgriffs auf ein Ausführungsbeispiel erzeugt hat. Das Berufungsgericht hat aber, wie der Kontext der Urteilsbegründung, insbesondere der Bezug auf die allgemeine Darstellung zum Stand der Technik, die Angaben zur Aufgabenstellung (Sp. 2 Z. 34 - 41) sowie zu Vorteilen der im Hauptanspruch geschützten Lehre (Sp. 2 Z. 48 - 53) deutlich macht, den in den Entscheidungsgründen zitierten Beschreibungstext des Klagepatents 1 (Sp. 5 Z. 49 - Sp. 6 Z. 2) ersichtlich lediglich als Beleg für seine Auffassung herangezogen, nach der Lehre des Patentanspruchs 1 habe der Klemmhebel nicht nur eine vertikal gerichtete Klemmbewegung, sondern darüber hinaus eine der Förderbewegung des Stützkörpers konträre horizontale Bewegung auszuführen, wobei es mangels näherer Vorgaben im Patentanspruch 1 dem Belieben des Fachmanns überlassen bleibe, auf welche Weise im Einzelnen die geforderte Doppelbewegung des Klemmhebels verwirklicht werde.
c) Mit Erfolg rügt die Revision hingegen, das Berufungsgericht habe im Gegensatz zu den Feststellungen des LG eine erforderliche Doppelbewegung des Klemmhebels angenommen, ohne sachverständigen Rat einzuholen.
Das LG hat in tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass nach dem Verständnis des Fachmanns der Klemmhebel, der nach Merkmal (4) des Klagepatents 1 (Merkmal (3) (c) des Klagepatents 2) in seiner Aktivstellung einen das Bearbeitungsgut gegen die Beschickungsrichtung hinterfassenden Anschlag bilden soll, bei seiner Bewegung aus der deaktiven, nicht klemmenden Stellung in seine Aktivstellung auch eine automatische Positionierung des Bearbeitungsgutes bewirken kann, wobei mangels Vorgaben in das Belieben des Fachmanns gestellt ist, auf welche Weise der Klemmhebel diese automatische Positionierung herbeiführt. Im Gegensatz dazu hat das Berufungsgericht angenommen, nach dem Verständnis des Fachmanns müsse in jedem Fall zu der reinen vertikal gerichteten Klemmbewegung des Klemmhebels, welche die Fixierung des Bearbeitungsgutes auf dem Stützkörper sichere, eine dazu senkrechte Bewegung hinzutreten, welche den Klemmhebel in die Lage versetze, den Geflügelkörper zum Zwecke der richtigen Positionierung auf dem Stützkörper (vor seiner endgültigen Fixierung) zu verschieben. Während das Berufungsgericht meint, die Merkmale (3) machten dem Fachmann deutlich, dass die Erfindung mehr voraussetze als nur eine - wie auch immer geartete - Bewegung des Klemmhebels in Richtung auf den Stützkörper hin, setzt das vom LG festgestellte Verständnis des Fachmanns keine Doppelbewegung zum Fixieren und Positionieren des Geflügelkörpers voraus.
Diesen Widerspruch der tatrichterlichen Feststellungen, die das hier maßgebliche Verständnis des Fachmanns betreffen, hat das Berufungsgericht nicht auflösen können. Zwar hat das Berufungsgericht das Klagepatent selbstständig auszulegen. Auch ist ein in Patentverletzungssachen erfahrenes Gericht nicht stets gehalten, sich bei der Auslegung einer Patentschrift sachverständiger Hilfe zu bedienen. Vor allem wenn die Parteien ihren Standpunkt zum technischen Sachverhalt eingehend dargelegt und damit eine tragfähige Grundlage für eine eigene Beurteilung durch das Gericht geschaffen haben, kann sich die Hinzuziehung eines Sachverständigen erübrigen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 12.7.1990 - X ZR 121/88, BGHZ 112, 140 [150] = MDR 1991, 146 - Befestigungsvorrichtung II). Das Gericht muss dann Feststellungen zum technischen Sachverhalt in den Entscheidungsgründen treffen und die für seine Überzeugungsbildung tragenden Gesichtspunkte in der Begründung nachvollziehbar darlegen. Auf sachverständige Hilfe wird ein Gericht allerdings vor allem dann zurückgreifen müssen, wenn zweifelhaft und auf andere Weise nicht zu klären ist, wie der einschlägige Fachmann im Patentanspruch oder in der Beschreibung verwendete technische Begriffe versteht (BGH, Urt. v. 27.10.1998 - X ZR 56/96, NJW-RR 1999, 546 [548] - Sammelförderer). Ob und in welchem Umfang die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab.
Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Da es für die Beurteilung der Klageschutzrechte entscheidend auf das Verständnis des Fachmanns ankommt, durfte das Berufungsgericht ein von den Feststellungen des LG abweichendes Verständnis des Fachmanns nicht annehmen, ohne sich mit diesen Feststellungen auseinander zu setzen und zugleich darzulegen, worauf seine abweichende Erkenntnis beruht. Waren andere Möglichkeiten der insoweit erforderlichen sachlichen Klärung nicht gegeben, so musste es sich sachverständigen Rates bedienen. Mangels hinreichender Aufklärung kann deshalb das angefochtene Urteil bereits aus diesem Grunde keinen Bestand haben.
II. 1. Das Berufungsgericht hat eine Verletzung beider Klageschutzrechte verneint. Es hat ausgeführt, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre der Klageschutzrechte keinen Gebrauch. Bei ihr erfolge keine automatische Positionierung des Bearbeitungsgutes mithilfe eines Klemmhebels. Der Geflügelkörper werde vielmehr von Hand auf dem Stützkörper positioniert, wobei die schräg aus der Stützfläche vorstehenden Haltedorne in den Geflügelkörper eindringen würden. Die Bewegung des Klemmhebels könne den Geflügelkörper infolgedessen nicht mehr auf dem Stützkörper verschieben oder positionieren. Die Zinken des Klemmhebels dienten ausschließlich dazu, den zu bearbeitenden Geflügelkörper in seiner durch das Bedienungspersonal manuell festgelegten Position auf dem Stützkörper zu fixieren. Nach der in der deutschen Übersetzung der niederländischen Patentschrift 1 003 626 dargestellten Funktions- und Wirkungsweise erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform keine automatische Positionierung des Bearbeitungsgutes auf dem Stützkörper. Die Klemmvorrichtung bewirke vielmehr allein, dass der zu bearbeitende Geflügelkörper sicher fixiert werde. Die angegriffene Ausführungsform leiste damit nicht dasjenige, was nach dem Inhalt der Klagepatentschriften Aufgabe der erfindungsgemäßen Lösung sei.
2. Auch dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.
a) Bei seinen Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass die wortlautgemäße Verwirklichung des Merkmals (3), wonach der Klemmhebel gegen den Stützkörper bewegbar sein soll, unstreitig ist; denn die Beklagten haben vorgetragen, bei der angegriffenen Ausführungsform sei der Klemmhebel schwenkbar gelagert, bei seiner Aktivierung werde eine Schwenkung in der Relativbewegung zwischen den beiden die Halterung bewirkenden Bauteilen durchgeführt. Die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung verwerteten Zeichnungen über die angegriffene Ausführungsform verdeutlichen, dass der Klemmhebel zur Fixierung des Bearbeitungsgutes "gegen den Stützkörper" bewegt wird.
b) Mit Erfolg rügt die Revision weiter als verfahrensfehlerhaft, das Berufungsgericht habe auch hinsichtlich des Merkmals (4) des Klagepatents 1 nicht ohne sachverständige Hilfe lediglich auf Grund der deutschen Übersetzung der niederländischen Patentschrift der Beklagten zu 1 (Anlage W 12) die Arbeits- und Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform feststellen und auf dieser Grundlage die Benutzung der Lehre der Klagepatente verneinen dürfen. Die Klägerin hat zur Arbeits- und Funktionsweise der Haltevorrichtung der Beklagten vorgetragen, auf Grund manueller Aufsattlung des Geflügels auf den Stützkörper erfolge noch keine exakte und abschließende Positionierung des Bearbeitungsgutes. Diese werde vielmehr erst durch die Klemmpressung des freien Endes bzw. der Zinken des Klemmhebels bewirkt, wenn auf Grund von dessen Verschwenkung das Vorderende der Brustbeinplatte gegen den vorderen Sattelteil des Modul-Stützkörpers unter Spreizung des Skeletts formanpassend fixiert werde. Zum Beweis hierfür hat die Klägerin Sachverständigenbeweis angeboten.
Dieser auch aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Behauptung hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen, zumal das LG in Kenntnis der Zeichnungen und der niederländischen Patentschrift zudem Feststellungen getroffen hat, nach denen auch das Merkmal (3) (c) des Klagepatents 2 (= Merkmal (4) des Klagepatents 1) wortlautgemäß verwirklicht ist. Das LG hat nämlich festgestellt, der Klemmhebel der angegriffenen Ausführungsform wirke in der Art eines fest klemmenden Zangenhebels auf das Bearbeitungsgut ein, drücke dieses gegen den Stützkörper bzw. das Modul und fixiere es dort. Darüber hinaus erfolge auch bei der angegriffenen Ausführungsform, wenn der Klemmhebel aus seiner deaktiven, nicht klemmenden Stellung in seine Aktivstellung gebracht werde, noch eine gewisse Positionierung des Bearbeitungsgutes. Dieses werde, nachdem es von Hand aufgesattelt worden sei, durch die Klemmhebelbeaufschlagung sodann jedoch weiter auf den Stützkörper gedrückt, wobei es infolge der Kraftbeaufschlagung fest auf die Haltestifte gepresst werde, die dann weiter in das Bearbeitungsgut eindrängen. Dementsprechend werde in der niederländischen Patentschrift der Beklagten zu 1) (Seiten 5 und 23 der deutschen Übersetzung der Anlage gemäß W 12) ausgeführt, dass der Geflügelkörper auf die Stifte gepresst und von diesen aufgespießt werde. Das Aufspießen auf die Stifte stabilisiere den Geflügelkörper auf dem Modul und verhindere auf diese Weise Verschiebungen oder Verdrehungen während der Bearbeitung. Hierin läge eine Positionierung des Bearbeitungsgutes auf Grund der Einwirkung des Klemmhebels, was für die Verwirklichung des Merkmals ausreichen könnte.
Angesichts dieser Feststellungen des LG durfte das Berufungsgericht nicht ohne Auseinandersetzung mit diesen und ohne sachverständigen Rat eine wortlautgemäße Verwirklichung der Klageschutzrechte verneinen.
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1101304 |
BGHR 2004, 469 |
EBE/BGH 2004, 4 |
GRUR 2004, 413 |
MDR 2004, 584 |
IIC 2004, 696 |
Mitt. 2004, 188 |