Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses bei internen Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit
Leitsatz (redaktionell)
Das Rechtsmittelgericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Dies gilt auch im Beschwedeverfahren des einstweiligen Rechtschutzes. Eine Ausnahme besteht nur dann, wen das erstinstanzliche Gericht eine nach § 17a Abs.3 S. 2 GVG notwendige Vorabentscheidung unterlassen hat.
Normenkette
GVG § 17a Abs. 5, § 2 S. 3
Verfahrensgang
OLG Rostock (Beschluss vom 16.12.2003; Aktenzeichen 8 W 183/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Rostock v. 16.12.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 2.000 EUR
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dem Antragsgegner (Land Mecklenburg-Vorpommern) bestimmte Behauptungen in Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft in einem gegen die Antragsteller eingeleiteten Ermittlungsverfahren zu untersagen. Die angerufene Zivilkammer hat das Verfahren formlos an eine Strafkammer desselben LG abgegeben, diese hat unter Hinweis auf die §§ 23 und 25 EGGVG die Sache an einen Strafsenat des OLG verwiesen. Der Strafsenat wiederum hat sich für unzuständig erklärt und das Verfahren im Einverständnis der Parteien an eine Zivilkammer des LG zurückgegeben. Das LG hat daraufhin durch Beschluss den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aus Sachgründen zurückgewiesen. Hiergegen haben die Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Das OLG (Zivilsenat) hat die Entscheidung des LG aufgehoben, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren nunmehr an das VGH verwiesen. Mit der vom OLG als "Beschwerde" zugelassenen Rechtsbeschwerde erstreben die Antragsteller die Aufhebung dieses Beschlusses.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die nach § 17a Abs. 4 S. 4 GVG zum BGH führende Beschwerde ist nach der Zivilprozessreform eine Rechtsbeschwerde oder jedenfalls als solche zu behandeln (BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 27/02, BGHZ 152, 213 [214 f.] = MDR 2003, 285 = BGHReport 2003, 202; Beschl., BGHZ 155, 365 [368], m.w.N.). Der Umstand, dass im Verfahren der einstweiligen Verfügung gegen ein Berufungsurteil die Revision gem. § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht statthaft wäre und deshalb auch eine Rechtsbeschwerde gegen eine in Beschlussform erlassene Entscheidung grundsätzlich nicht gegeben ist (BGH v. 10.10.2002 - VII ZB 11/02, BGHZ 152, 195 ff. = BGHReport 2003, 148 = BGHReport 2003, 641 = MDR 2003, 827; v. 27.2.2003 - I ZB 22/02, BGHZ 154, 102 [103 ff.] = MDR 2003, 529 = BGHReport 2003, 628; Beschl. v. 16.9.2003 - VIII ZB 40/03, BGHReport 2003, 1362 = MDR 2004, 108 = NJW 2003, 3565), steht im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung über die Frage des Rechtsweges der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde im Fall des § 17a Abs. 4 S. 4 GVG nicht entgegen (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.2002 - I ZB 24/02, BGHReport 2003, 833 = NJW 2003, 1194; zur früheren Rechtslage Beschl. v. 30.9.1999 - V ZB 24/99, MDR 1999, 1521 = NJW 1999, 3785; Beschl. v. 5.4.2001 - III ZB 48/00, MDR 2001, 951 = BGHReport 2001, 524 = NJW 2001, 2181).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Das Beschwerdegericht sieht sich an einer Prüfung, ob der zu den Zivilgerichten beschrittene Rechtsweg zulässig ist, weder durch die vorausgegangenen Abgaben und Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit noch durch die inhaltlichen Beschränkungen des § 17a Abs. 5 GVG gehindert. Die formlose Abgabe durch den Strafsenat des OLG an das LG entfalte diesem gegenüber ebenso wenig Bindungswirkung wie umgekehrt der Verweisungsbeschluss der Strafkammer gegenüber dem Strafsenat. Dementsprechend habe die Zivilkammer nach Rückgabe der Sache Anlass gehabt, sich mit den auch im Beschluss des Strafsenats angesprochenen erheblichen Zweifeln an der Zulässigkeit des Zivilrechtswegs auseinander zu setzen. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war das LG deswegen auch ohne Rüge der Parteien gem. § 17a Abs. 3 S. 1 GVG von Amts wegen verpflichtet, vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden. Außerdem sei es erforderlich gewesen, dem Antragsgegner rechtliches Gehör zu gewähren. Die Beteiligung der Generalstaatsanwaltschaft in dem vor dem 1. Strafsenat des OLG geführten Verfahren reiche nicht aus; die Frage der Rechtswegzuständigkeit behandelten dort weder der Hinweis des Senatsvorsitzenden noch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft. Sei es somit dem Antragsgegner mangels Beteiligung im erstinstanzlichen Verfahren nicht möglich gewesen, zur Frage des zulässigen Rechtswegs und damit zugleich des gesetzlichen Richters Stellung zu nehmen, so dürfe ihm die Zulässigkeitsrüge in der Rechtsmittelinstanz nicht aus formellen Gründen nach § 17a Abs. 5 GVG abgeschnitten werden.
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Es ist schon zweifelhaft, ob die Zivilgerichte nicht bereits wegen der "Abgabe" des Verfahrens durch den Strafsenat an die Zivilkammer in entsprechender Anwendung des § 17a Abs. 2 S. 3 GVG gehindert sind, die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs nunmehr zu verneinen. § 17a GVG ist auch im Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren anwendbar (BGH, Beschl. v. 5.4.2001 - III ZB 48/00, MDR 2001, 951 = BGHReport 2001, 524 = NJW 2001, 2181 [2182]; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., vor §§ 17-17b GVG Rz. 11, m.w.N.).
Bisher ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, inwieweit die §§ 17 ff. GVG im Verhältnis zwischen dem besonderen Rechtsweg für die Anfechtung von Justizverwaltungsakten (§§ 23 ff. EGGVG) und den sonstigen Zuständigkeiten innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten, insbesondere, ob auf der Grundlage der §§ 23 ff. EGGVG erfolgte Verweisungsbeschlüsse eine Weiterverweisung nach § 17a Abs. 2 S. 3 GVG innerhalb der ordentlichen Gerichte hindern. Vor allem die Strafgerichte und die strafprozessuale Literatur verneinen teils eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften überhaupt (OLG Frankfurt v. 20.1.1997 - 3 VAs 26/96, NStZ-RR 1997, 246; NJW 1998, 1165; OLG Hamburg NStZ 1995, 252; OLG Stuttgart wistra 2002, 38 [39]; a.A. KG GA 1985, 271 [272 f.]; OLG Karlsruhe v. 14.8.1987 - 4 VAs 11/87, NJW 1988, 84 [85]; OLG Saarbrücken v. 7.2.1994 - Vollz (Ws) 20/93, NJW 1994, 1423 [1424 f.]), teils jedenfalls eine derartige Bindungswirkung (OLG Karlsruhe v. 4.7.1994 - 2 VAs 5/94, MDR 1995, 88; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 25 EGGVG Rz. 2; Löwe/Rosenberg/Böttcher, StPO, 25. Aufl., § 25 EGGVG Rz. 3).
Die Frage muss hier nicht entschieden werden.
aa) Sind die §§ 17 ff. GVG insoweit auch auf interne Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit anwendbar, so war zwar der Strafsenat des OLG an die Verweisung durch die Strafkammer gebunden und durfte die Sache nicht mehr an eine Zivilkammer des LG zurückverweisen. Die tatsächlich erfolgte formlose "Abgabe" an diese wäre in diesem Fall als Rückverweisung zu verstehen und wäre rechtswidrig gewesen. Gleichwohl hätte dies die Zivilgerichte gebunden (vgl. BGH, Beschl. v. 24.2.2000 - III ZB 33/98, BGHZ 144, 21 [23 ff.]; Beschl. v. 26.7.2001 - X ARZ 69/01, BGHReport 2001, 937 = NJW 2001, 3631 [3633]; Beschl. v. 12.3.2002 - X ARZ 314/01, BGH-Report 2002, 749 [750]). Eine Weiterverweisung an das VGH durch das Beschwerdegericht war dann aus diesem Grunde ausgeschlossen.
bb) Andernfalls wäre dem Beschwerdegericht eine Überprüfung des vom LG in seiner erneuten Entscheidung stillschweigend bejahten Zivilrechtswegs gem. § 17a Abs. 5 GVG verwehrt gewesen. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Diese Beschränkung gilt grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (BFH v. 28.10.1997 - VII B 40/97, FR 1998, 112 = WM 1997, 2344 [2347]; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 17a GVG Rz. 15; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 17a GVG Rz. 18; a.A. VGH Kassel NJW 1995, 1170 [1171]; Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 17a GVG Rz. 27). Gerade in einem auf rasche Erledigung angelegten Verfahren besteht kein Anlass, den Streit der Parteien über Zuständigkeitsfragen ohne zwingende Gründe über die im Hauptsacheverfahren zulässigen gerichtlichen Prüfungsmöglichkeiten hinaus zu verlängern.
(1) § 17a Abs. 5 GVG gilt allerdings nicht, wovon das Beschwerdegericht im Ansatz zutreffend ausgeht, wenn das erstinstanzliche Gericht eine nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG notwendige Vorabentscheidung unterlassen hat (BGH v. 23.9.1992 - I ZB 3/92, BGHZ 119, 246 [250] = MDR 1993, 802; Urt. v. 25.2.1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367 [370 ff.] = MDR 1994, 206; v. 30.6.1995 - V ZR 118/94, BGHZ 130, 159 [163] = MDR 1996, 139; Beschl. v. 26.2.1998 - III ZB 25/97, NJW 1998, 2745; v. 18.11.1998 - VIII ZR 269/97, MDR 1999, 373 = NJW 1999, 651). Unter den hier gegebenen Umständen war eine Vorabentscheidung des LG aber nicht geboten. Keine der Parteien hatte bis dahin die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs gerügt, im Gegenteil entsprach die Abgabe der Sache an die Zivilkammer auch dem damaligen Antrag des Antragsgegners. Mangels einer Rüge lag es nunmehr im Ermessen des LG, ob es - bei eigenen Zweifeln - über die Zulässigkeit des Rechtswegs gleichwohl vorab entscheiden wollte (s. BGH v. 12.11.1992 - V ZR 230/91, BGHZ 120, 204 [206] = MDR 1993, 140). Diese Ermessensentscheidung ist im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht zu überprüfen (a.A. wohl Boin, NJW 1998, 3747 [3748]). Im vorliegenden Fall liegt überdies ein Ermessensfehler des LG im Gegensatz zur Ansicht des OLG schon deshalb fern, weil auch der Strafsenat des OLG für die hier gestellten Anträge eine Zuständigkeit der Zivilgerichte bejaht und keinen Anlass für eine Verweisung an das VGH gesehen hatte.
(2) Es mag ferner sein, dass eine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 5 GVG auch dann entfällt, wenn dem Gegner vor der erstinstanzlichen Sachentscheidung kein rechtliches Gehör gewährt worden ist (insoweit zutreffend Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 17a Rz. 27; ebenso OLG Frankfurt v. 14.8.1995 - 1 W 29/95, OLGReport Frankfurt 1995, 247 [248]). Davon kann entgegen der Auffassung des OLG im vorliegenden Fall indes keine Rede sein. Der 1. Strafsenat des OLG hatte mit Verfügung seines Vorsitzenden dem Antragsgegner förmlich Gelegenheit gegeben, zur Zuständigkeit des Strafsenats und der beabsichtigten Rückverweisung an die Zivilkammer Stellung zu nehmen. Darauf hatte die Generalstaatsanwaltschaft eine Abgabe an die zuständige Zivilkammer des LG beantragt und sich in der Begründung auch mit den teilweise abweichenden Entscheidungen des BVerwG in NJW 1984, 2233 und NJW 1989, 412 (BVerwG v. 27.4.1984 - 1 C 10/84, NJW 1984, 2233; NJW 1989, 412) auseinander gesetzt, auf die das OLG seine Verweisung an das VGH jetzt stützt und auf die im Übrigen bereits die Strafkammer hingewiesen hatte. Damit war dem Antragsgegner in der Rechtswegfrage hinreichende Möglichkeit zur Äußerung gegeben worden. Das bezieht sich zugleich auf die anschließende Entscheidung des LG in dem vor der Zivilkammer fortgesetzten Verfahren.
c) Infolgedessen kann der angefochtene Beschluss nicht bestehen bleiben, ohne dass es noch auf die für die Zulassungsentscheidung maßgebenden Rechtswegfragen ankommt. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das OLG gibt diesem Gelegenheit, nunmehr über die Beschwerde der Antragsteller in der Sache zu befinden.
Fundstellen