Leitsatz (amtlich)
Zur Abrechnung auf Neuwagenbasis bei Beschädigung eines fabrikneuen Fahrzeugs (Bestätigung BGH, Urt. v. 9.6.2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242).
Normenkette
BGB § 249 Gb; ZPO § 287 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des OLG Frankfurt mit Sitz in Darmstadt vom 6.6.2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 14.11.2017 in Anspruch, für den die Beklagten unstreitig dem Grunde nach voll einstandspflichtig sind.
Rz. 2
Der Kilometerstand des von dem Kläger für einen Kaufpreis i. H. v. 37.181 EUR neu erworbenen, am 25.10.2017 erstmals zugelassenen und bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs Mazda CX-5 betrug am Unfalltag 571 Kilometer. Der Kläger holte ein Gutachten der DEKRA ein, das Reparaturkosten von 5.287,43 EUR brutto und eine Wertminderung von 1.000 EUR ausweist.
Rz. 3
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung von 37.923,32 EUR nebst Zinsen (Kosten für einen Neuwagen i. H. v. 37.181 EUR, Sachverständigenkosten i. H. v. 712,32 EUR und eine Kostenpauschale i. H. v. 30 EUR). Das LG hat der Klage i. H. v. 37.918,32 EUR nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen wegen eines Teilbetrags der Kostenpauschale abgewiesen. Das OLG hat das Urteil auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.180,54 EUR (Reparaturkosten netto i. H. v. 4.443,22 EUR, Sachverständigenkosten i. H. v. 712,32 EUR, Wertminderung i. H. v. 1.000 EUR sowie Kostenpauschale i. H. v. 25 EUR) nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Rz. 4
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den von ihm geltenden gemachten Anspruch auf Neuwagenentschädigung i. H. v. 31.787,78 EUR weiter. Mit in der Revisionsinstanz erstmals gestelltem Hilfsantrag begehrt er die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger gegen Vorlage einer Originalrechnung den Rechnungsbetrag bis zu einer maximalen Höhe des Listenpreises des Herstellers für ein identisch ausgestattetes Fahrzeug Mazda CX-5 (Typ: [...]), welcher über den Betrag von 6.180,54 EUR hinausgeht, Zug um Zug gegen Übereignung des Pkw Mazda [...] zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 5
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Kläger könne Schadensersatz im Hinblick auf den Neuwagenpreis nicht geltend machen. Der Kläger habe unstreitig keinen Neuwagen angeschafft. Nach der Rechtsprechung des BGH könne ein Geschädigter, dessen neues Fahrzeug erheblich beschädigt worden sei, den Schaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft habe. Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis sei unzulässig. Für die Abrechnung auf Neuwagenbasis genüge auch nicht, dass der Kläger vortrage, bisher eine Neuanschaffung nur aus finanziellen Gründen unterlassen zu haben.
II.
Rz. 6
Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 7
1. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters und revisionsrechtlich lediglich daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 29.10.2019 - VI ZR 45/19 NJW 2020, 144 Rz. 8 m. w. N.). Solche Fehler zeigt die Revision nicht auf und sind auch nicht ersichtlich.
Rz. 8
a) In zutreffender Anwendung der Senatsrechtsprechung geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Eigentümer eines fabrikneuen Fahrzeugs mit einer Laufleistung von nicht mehr als 1.000 km im Falle dessen - hier mangels Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten der Revision zu unterstellender - erheblicher Beschädigung (nur dann) berechtigt ist, Ersatz der Kosten für die Beschaffung eines Neufahrzeugs zu verlangen, wenn er ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug erworben hat (BGH, Urt. v. 9.6.2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rz. 16 ff.; Almeroth in MünchKommStVR, 2017, BGB § 249 Rz. 231; Ekkenga/Kuntz in Soergel, BGB, 13. Aufl., § 249 Rz. 169; J.W. Flume in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 249 Rz. 236 ff.; Funk/Froitzheim in BeckOK StVR, Stand 1.7.2020, BGB § 251 Rz. 15; Kuhnert in NK-GVR, 2. Aufl., § 251 BGB Rz. 13; Sanden/Völtz, Sachschadenrecht des Kraftverkehrs, 9. Aufl., Rz. 192; Böhme/Biela/Tomson, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 26. Aufl., Kap. 4 Rz. 42; Lemcke, NJW-Spezial 2013, 457, 458; Richter in Himmelreich/Halm, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 6. Aufl., Kapitel 4, Rz. 672; vgl. auch Oetker in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 251 Rz. 26). Daran hält der Senat fest. Soweit die Rechtsprechung des Senats vereinzelt Kritik erfahren hat (Gsell NJW 2009, 2994 ff.; vgl. auch Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 3.7.2020, § 249 BGB Rz. 82), erweist sich diese entgegen der Ansicht der Revision nicht als durchgreifend. Die Erwägung, ein repariertes Unfallfahrzeug bleibe wertmäßig hinter einem Neuwagen zurück (Gsell NJW 2009, 2994, 2996), lässt den Anspruch auf Ersatz des Minderwertes unberücksichtigt. Gründe, die bei der Beschädigung eines Neuwagens für die Aufgabe des Wirtschaftlichkeitspostulats (vgl. nur BGH, Urt. v. 7.6.2005 - VI ZR 192/04, BGHZ 163, 180, 184, juris Rz. 8) und des Bereicherungsverbots sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.
Rz. 9
b) Von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger kein Neufahrzeug erworben hat.
Rz. 10
aa) Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ist die mit dem erhöhten Schadensausgleich einhergehende Anhebung der "Opfergrenze" des Schädigers allein zum Schutz des besonderen Interesses des Geschädigten am Eigentum und an der Nutzung eines Neufahrzeugs gerechtfertigt. Dies gilt aber nur dann, wenn der Geschädigte im konkreten Einzelfall tatsächlich ein solches Interesse hat und dieses durch den Kauf eines Neufahrzeugs nachweist. Nur in diesem Fall ist die Zuerkennung einer den Reparaturaufwand (zzgl. des merkantilen Minderwerts) übersteigenden und damit an sich unwirtschaftlichen Neupreisentschädigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot zu vereinbaren (BGH, Urt. v. 9.6.2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rz. 26).
Rz. 11
bb) Entgegen der Ansicht der Revision folgt ein anderes Ergebnis nicht aus dem Einwand des Klägers, er habe einen Erwerb aus finanziellen Gründen unterlassen. Unbeschadet der Frage der Relevanz dieses Gesichtspunkts ist der diesbezügliche streitige Vortrag im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19.7.2018 substanzlos, nicht unter Beweis gestellt und bereits deshalb nicht erheblich.
Rz. 12
c) Schließlich greift auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe übersehen, dass der Geschädigte einen Neuwagenkauf nachholen könne und deshalb die Klage nur derzeit unbegründet sei, nicht durch. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass der Kläger keinen Neuwagen gekauft hat und es damit an einer Anspruchsvoraussetzung für die Kostenerstattung fehle. Mit der Frage, wie zu entscheiden ist, wenn der Kläger einen Neuwagen kauft, hat sich das Berufungsgericht nicht befasst. Ein solcher neuer Sachverhalt wird von der Rechtskraft der klageabweisenden Entscheidung nicht erfasst (vgl. BGH, Urt. v. 9.6.2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rz. 27).
Rz. 13
2. Mit dem in der Revisionsinstanz erstmals gestellten Hilfsantrag hatte sich der Senat inhaltlich nicht zu befassen, weil er unzulässig ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.5.1957 - II ZR 250/55, BGHZ 24, 279, 285; v. 7.11.1957 - II ZR 280/55, BGHZ 26, 31, 37; v. 18.9.1958 - II ZR 332/56, BGHZ 28, 131, 137; v. 21.12.1960 - VIII ZR 145/59, NJW 1961, 777, juris Rz. 26; v. 28.9.1989 - IX ZR 180/88 WM 1989, 1873, juris Rz. 11).
Fundstellen
Haufe-Index 14185454 |
NJW 2020, 3591 |
JR 2022, 472 |
ZIP 2020, 2188 |
DAR 2020, 681 |
DAR 2021, 309 |
JZ 2020, 726 |
JuS 2021, 266 |
MDR 2020, 12 |
MDR 2020, 1504 |
VRS 2020, 113 |
VersR 2020, 1547 |
GV/RP 2021, 325 |
KomVerw/LSA 2021, 217 |
NJW-Spezial 2020, 714 |
RÜ 2020, 765 |
RdW 2020, 731 |
SVR 2021, 14 |
VRR 2021, 9 |
r+s 2020, 723 |
ACE-VERKEHRSJURIST 2020, 19 |
FuBW 2021, 100 |
FuHe 2021, 133 |
FuNds 2021, 163 |
GRZ 2021, 95 |
KomVerw/B 2021, 231 |
KomVerw/MV 2021, 221 |
KomVerw/S 2021, 209 |
KomVerw/T 2021, 212 |
UE 2020, 4 |