Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt vom 1. April 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als im Verhältnis zur Beklagten zu 1 zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1 (künftig: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte am 1. Juni 2015 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q5 3.0 V6 TDI, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA 896 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Rz. 3
Der Kläger hat von der Beklagten und ihrer Konzernmutter (Beklagte zu 2) die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat allein im Verhältnis zur Beklagten zugelassenen Revision verfolgt der Kläger insoweit seinen Berufungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Der Kläger könne seinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Einem solchen Anspruch stehe bereits die Tatsache entgegen, dass die Regelungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellten. Aber auch ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe dem Kläger auf Grundlage seines Vorbringens nicht zu. Der Kläger habe für seine Behauptung, auch das in seinem Fahrzeug verbaute Aggregat enthalte vergleichbar dem Motortyp EA 189 eine unzulässige Abschaltlogik, keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt, so dass seine Vermutung als Behauptung "ins Blaue hinein" zu bewerten und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sei. Eine sittenwidrige Schädigung des Klägers folge auch nicht aus seinem Vortrag zum sogenannten Thermofenster, dessen Vorliegen hier zugunsten des Klägers als wahr unterstellt werden könne. Selbst wenn man unterstelle, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sei, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände, welche der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe.
II.
Rz. 7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
Rz. 8
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.
Rz. 9
a) Das Berufungsgericht durfte den Vortrag des Klägers zu einer im Fahrzeug des Klägers enthaltenen "Umschaltlogik" vergleichbar dem den sog. Dieselskandal auslösenden Motortyp EA 189 als prozessual unbeachtlich behandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2023 - VII ZR 629/21, juris Rn. 11 f. mwN). Es hat greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise, welche eine sittenwidrige Schädigung begründen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 2023 - VIa ZR 149/23, juris Rn. 10), nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
Rz. 10
b) Ebenso rechtsfehlerfrei und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass durch die hier revisionsrechtlich zugunsten des Klägers zu unterstellende Implementierung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ("Thermofenster") alleine, selbst wenn diese als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sein sollte, noch keine sittenwidrige Schädigung begründet werde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12 mwN). Gegen diese zutreffende Würdigung erhebt die Revision keine Einwände.
Rz. 11
2. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Rz. 12
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters getroffen.
III.
Rz. 13
Die angefochtene Entscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann eine deliktische Haftung der Beklagten wegen jedenfalls fahrlässiger Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausgeschlossen werden. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 14
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen zu haben.
Fischer |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16208966 |