Leitsatz (amtlich)
Zur Wirksamkeit von Tarifänderungsklauseln in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung.
Normenkette
AGBG § 9; AKB § 9a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 22. Juli 1999 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 17. Februar 1998 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der nach seiner Satzung die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrnimmt.
Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen, das unter anderem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen anbietet. In ihren „Tarifbestimmungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (TB-KH, für bis zum 31. Dezember 1994 geschlossene Verträge) Stand: 1. Januar 1995” (im folgenden: TB-KH) verwendet die Beklagte unter anderem folgende Klausel:
„6 d Änderung der Tarifbestimmungen
(1) Der Versicherer ist berechtigt, die im Tarif vorgesehenen Gefahrenmerkmale durch andere zu ersetzen oder neue hinzuzufügen, wenn ein angemessenes Verhältnis von Versicherungsbeitrag und Versicherungsleistung gewährleistet ist und ein unabhängiger Treuhänder bestätigt, daß sie für die Art und Größe des Versicherungsrisikos bestimmend sind und den anerkannten Grundsätzen der Versicherungsmathematik und der Versicherungstechnik entsprechen.
(2) Änderungen nach Abs. 1 finden vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode an Anwendung, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Änderung einen Monat vor Inkrafttreten mitteilt und ihn schriftlich über sein Kündigungsrecht nach § 31 VVG belehrt.”
Für die ab 1. Januar 1995 geschlossenen Verträge enthalten ihre „Tarifbestimmungen für die Kraftfahrtversicherung (TB) Stand 01/95 und 01/96” (im folgenden: TB) unter anderem die Regelung:
„6 b Einführung neuer Gefahrenmerkmale
(1) Der Versicherer ist berechtigt, in der Kraftfahrzeug-Haftpflicht- und der Fahrzeugversicherung die im Tarif vorgesehenen Gefahrenmerkmale durch andere zu ersetzen oder neue hinzuzufügen, wenn ein angemessenes Verhältnis von Versicherungsbeitrag und Versicherungsleistung gewährleistet ist und ein unabhängiger Treuhänder bestätigt, daß sie für die Art und Größe des Versicherungsrisikos bestimmend sind und den anerkannten Grundsätzen der Versicherungsmathematik und der Versicherungstechnik entsprechen.
(2) Änderungen nach Abs. 1 finden vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode an Anwendung, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Änderung einen Monat vor Inkrafttreten mitteilt und ihn schriftlich über sein Kündigungsrecht nach § 9b AKB belehrt.”
Der Kläger hat von der Beklagten verlangt, es zu unterlassen, (u.a.) diese oder inhaltlich gleiche Klauseln unter Meidung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise von Ordnungshaft, in bezug auf Verträge über eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zu verwenden oder sich auf diese Klauseln in bezug auf bereits geschlossene Verträge zu berufen, es sei denn, gegenüber einem Kaufmann im Rahmen dessen Handelsgeschäftes.
Das Landgericht hat die gegen diese Klauseln gerichtete Klage abgewiesen, das Berufungsgericht (VersR 2000, 47) hat ihr insoweit stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
A. Das Berufungsgericht erachtet die Tarifbestimmungen der Nr. 6d TB-KH und der Nr. 6b TB für unwirksam. Bei den Tarifbestimmungen handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 AGBG. Sie hielten einer Kontrolle nach § 9 AGBG nicht stand, denn sie benachteiligten die Versicherungsnehmer der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Die Beklagte könne sich bei der von ihr für „Altfälle” verwendeten Klausel der Nr. 6d TB-KH nicht darauf berufen, daß diese in Einklang mit Art. 16 § 8 des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (BGBl. I S. 1630, 1667 – im folgenden: 3.DurchfG) stehe. Denn bei dieser Norm handele es sich um eine Übergangsvorschrift, die erkennbar nur die einmalige Änderung der Tarife für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode an im Auge habe, während Nr. 6d TB-KH Änderungen der Tarife zeitlich unbeschränkt zulasse. Unabhängig davon aber unterliege diese Tarifbestimmung der Kontrolle nach § 9 AGBG. Letzteres gelte auch für Nr. 6b TB, wobei insoweit Art. 16 § 8 3.DurchfG ohnehin nicht einschlägig sei.
Beide Tarifbestimmungen verstießen gegen § 9 AGBG. Das von der Beklagten verwendete Tarifregelungswerk führe in zahlreichen möglichen, im einzelnen nicht vorhersehbaren Fällen dazu, daß Versicherungsnehmer nach Vertragsschluß durch Änderung vereinbarter Tarifbedingungen schlechter gestellt werden könnten. Wann das geschehe, sei nicht vorauszusehen; die Änderung könne jeden Versicherungsnehmer treffen. Entscheidend sei aber, daß der in beiden Tarifbestimmungen enthaltene generelle Vorbehalt, die im Tarif vorgesehenen Gefahrenmerkmale durch andere zu ersetzen oder neue hinzuzufügen, als nicht hinreichend konkretisiert erscheine, der Beklagten vielmehr eine Art Recht eingeräumt werde, Gefahrenmerkmale gleichsam zu erfinden und sie einseitig in bereits bestehende Versicherungsverhältnisse einzubauen. Solcher – unübersichtlicher und unüberschaubarer – einseitiger Tarifänderungsmöglichkeiten bedürfe es aber nicht, weil Verträge über Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungen ohnehin zum Ende des jeweiligen Versicherungsjahres gekündigt werden könnten. Das tariflich bestimmte Recht der Beklagten, Tarifänderungen durch Änderungen der Gefahrenmerkmale vorzunehmen, werde auch nicht dadurch unbedenklich, daß in beiden Tarifbestimmungen allgemein und formelhaft die Gewährleistung eines angemessenen Verhältnisses von Versicherungsbeitrag und Versicherungsleistung gefordert werde. Gleiches gelte für den Hinweis darauf, daß den anerkannten Grundsätzen der Versicherungsmathematik und -technik entsprochen werden müsse. Denn daß irgendwie geartete willkürliche Änderungen nicht in Betracht kommen könnten, sei selbstverständlich. Auch der Hinweis der Beklagten auf die Einschaltung eines unabhängigen Treuhänders gehe fehl, weil aus den Tarifbestimmungen nicht ersichtlich sei, wie ein solcher ausgewählt und beauftragt werde. Allein durch solche zusätzlichen Sicherheiten könne die durch die Klauseln geschaffene unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer nicht entschärft werden; letztlich führten die Regelungen nämlich zu einer Art Entmündigung der Versicherungsnehmer, die der Beklagten nicht mehr als gleichberechtigte Vertragspartner gegenüberstünden.
B. Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
I. Die Tarifänderungsklausel der Nr. 6d TB-KH ist wirksam.
1. Die von der Beklagten verwendete Tarifänderungsklausel für bis zum 31. Dezember 1994 geschlossene Verträge über eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ist zwar eine Tarifbestimmung, als solche aber als Allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten im Sinne des § 1 AGBG anzusehen (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 1994 – IV ZR 3/94 – VersR 1995, 328 unter II 1). Der Kontrolle nach dem AGB-Gesetz unterliegen jedoch nach § 8 AGBG solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht, die – als sogenannte deklaratorische Klauseln – nur das wiedergeben, was ohnehin gesetzlich geregelt ist (vgl. Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 9. Aufl. § 8 Rdn. 1, 30; Römer, NVersZ 1999, 97, 98).
Art. 16 § 8 3.DurchfG schafft eine gesetzliche Befugnis des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers zur Änderung der Tarife (Prämie und Tarifbestimmungen) unter den in der Vorschrift näher bezeichneten Voraussetzungen und Grenzen. Deshalb kommt es schon für die Kontrollbefugnis und den Kontrollumfang nach dem AGB-Gesetz darauf an, welche Bedeutung und welche Reichweite dieser Vorschrift zukommt.
2. a) Art. 16 § 8 3.DurchfG lautet:
„Auf die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehenden Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverhältnisse finden Änderungen der Tarife (Prämie und Tarifbestimmungen) für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung von Beginn der nächsten Versicherungsperiode an Anwendung, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Tarifänderungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede des alten und neuen Tarifs spätestens einen Monat vor Inkrafttreten mitteilt und ihn schriftlich über sein Kündigungsrecht belehrt. Das gleiche gilt für Versicherungsverhältnisse, die bis zum 31. Dezember 1994 zu den von der Aufsichtsbehörde vor dem 29. Juli 1994 genehmigten Versicherungsbedingungen geschlossen werden.”
b) Aus der Vorschrift ergibt sich zunächst, daß der Versicherer, sofern er mit Wirkung für die vor Inkrafttreten des Gesetzes (29. Juli 1994) und die bis zum 31. Dezember 1994 geschlossenen Verträge (im folgenden: Stichtagsaltverträge) eine Änderung der Tarife herbeiführen will, dies allein gestützt auf die gesetzliche Regelung – also ohne Tarifänderungsklausel – bewirken kann, wenn er den mit ihr bestimmten Anforderungen genügt. Das schließt jedoch nicht von vornherein aus, daß der Versicherer – gestützt auf Art. 16 § 8 3.DurchfG – ebenso berechtigt sein kann, zum Zwecke der Änderung der Tarife auch eine Tarifänderungsklausel in die Stichtagsaltverträge einzuführen, denn eine Tarifänderungsklausel betrifft materiell und von ihrem Regelungsziel her nichts anderes als eine „Änderung der Tarife”. Voraussetzung ist aber insoweit, daß Art. 16 § 8 3.DurchfG eine zeitlich und der Zahl nach unbeschränkte Befugnis des Versicherers zur Änderung der Tarife in Stichtagsaltverträgen begründet. Davon ist – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – auszugehen.
aa) Der Wortlaut des Art. 16 § 8 3.DurchfG vermag die Annahme, die Vorschrift gewähre dem Versicherer lediglich die Befugnis zu einer nur einmaligen Änderung der Tarife vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode an, nicht zu rechtfertigen. Denn das Merkmal „Beginn der nächsten Versicherungsperiode” ist – wie insbesondere Wandt (VersR 2000, 129, 132) zutreffend hervorgehoben hat – bereits Teil der Rechtsfolge der Regelung. Die Vorschrift bestimmt, daß Änderungen der Tarife – erfüllt der Versicherer die weiterhin genannten Voraussetzungen – vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode an wirksam werden. Die Wendung „vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode an” befristet demgemäß nicht die Änderungsbefugnis, sondern bestimmt den Zeitpunkt, zu dem die Tarifänderung in Stichtagsaltverträgen wirksam wird. Legt demnach schon der Wortlaut der Norm eine Auslegung dahin nahe, daß der Versicherer in bezug auf Stichtagsaltverträge zu mehrfachen Änderungen der Tarife berechtigt ist, so bestätigt insbesondere der Sinn und Zweck der Regelung eine solche Auslegung.
bb) Art. 16 § 8 3.DurchfG stellt eine Überleitungsvorschrift dar. Ihr Sinn und Zweck erschließt sich deshalb insbesondere auch aus der Betrachtung der Rechtslage, die vor ihrem Eingreifen bestand und die Übergangsregelung erforderlich machte.
Mit Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften (Durchführungsgesetz) ist in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die Bedingungsgenehmigung ebenso entfallen wie die bisher im Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) vorgesehene behördliche Genehmigung der Tarife und die darauf aufbauende Tarifverordnung des Bundesministers der Wirtschaft (vgl. Schwintowski, VersR 1994, 646; Lemor, Versicherungswirtschaft 1994, 1133). Mit dem Wegfall der behördlichen Genehmigung der Tarife ist zugleich dem bislang geltenden Regelungsgefüge zur Änderung der Tarife mit Wirkung für bestehende Verträge die Grundlage entzogen worden. Denn nach § 10 PflVG a.F. fand – nach Genehmigung einer Tarifänderung – „der geänderte Tarif auch auf die in diesem Zeitpunkt bestehenden Versicherungsverhältnisse von Beginn der nächsten Periode ab Anwendung”. Dieser gesetzlichen Vorschrift entsprach die vertragliche Regelung in § 9a Abs. 1 AKB 88 insoweit, als „Änderungen … der Tarife für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung … auf die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Versicherungsverhältnisse von Beginn der nächsten Versicherungsperiode ab Anwendung (finden), es sei denn, daß in dem Tarif oder bei der Erteilung der Genehmigung etwas anderes bestimmt wird”. § 9a AKB 88 setzte also die Tarifgenehmigung voraus und hat mit ihrem Wegfall die Grundlage verloren.
Bis zum Inkrafttreten des Dritten Durchführungsgesetzes gab es also – durch die Besonderheiten der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gerechtfertigte (Senatsurteil vom 1. März 1974 – IV ZR 195/72 – VersR 1974, 459) – Tarifänderungsregelungen, nach denen sich – genehmigte – Tarifänderungen ohne weiteres auf bestehende Verträge auswirkten, und zwar hinsichtlich jeder Änderung, solange der Versicherungsvertrag Bestand hatte. Das Inkrafttreten des Dritten Durchführungsgesetzes führte demgemäß – was Änderungen der Tarife anlangte – bei zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Versicherungsverhältnissen wegen des Wegfalls der Tarifgenehmigung zu einer Regelungslücke. Darauf, diese auszufüllen, ist Art. 16 § 8 3.DurchfG erkennbar gerichtet, wenn er dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer die Befugnis einräumt, Änderungen der Tarife (Prämie und Tarifbestimmungen) mit Wirkung für die Stichtagsaltverträge vorzunehmen. Das ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 12/6959 S. 115), in der es heißt:
„In der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung werden die Versicherer nach Wegfall der Tarifgenehmigung und Aufhebung der Tarifverordnung neue Tarifstrukturen entwickeln. Es ist deshalb notwendig, um einen ununterbrochenen Versicherungsschutz zu gewährleisten, eine Anpassungsmöglichkeit der bestehenden Versicherungsverhältnisse an neue Tarifstrukturen zu ermöglichen. Die Belange der Versicherungsnehmer werden dadurch gewahrt, daß ihnen zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Tarifänderung ein Kündigungsrecht zusteht.”
cc) Dieser Hintergrund der Überleitungsvorschrift stützt die Annahme, daß dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer mit ihr die Befugnis eingeräumt werden sollte, Änderungen der Tarife mit Wirkung für Stichtagsaltverträge vorzunehmen, solange diese Versicherungsverträge bestehen, die Befugnis sich also nicht nur in einer einmaligen Tarifänderung erschöpft. Die Tarifänderungsregelungen vor Inkrafttreten des Dritten Durchführungsgesetzes, die mehrfache Änderungen mit Wirkung für bestehende Versicherungsverhältnisse zuließen, fanden ihre Rechtfertigung in den Besonderheiten der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, die in erster Linie dem Schutz der Verkehrsopfer, aber auch der Bewahrung des Versicherungsnehmers vor existenzgefährdenden Haftpflichtansprüchen dient. Diesem Schutzzweck entsprach der dem Versicherer auferlegte Abschlußzwang, der es seinerseits gebot, dem Versicherer ein kostendeckendes Beitragsaufkommen zu sichern. Letzterem trug eine Tarifänderungsmöglichkeit Rechnung, die gesetzlich in § 10 PflVG a.F. und vertraglich in § 9a AKB 88 ihren Niederschlag gefunden hatte (vgl. eingehend dazu Senatsurteil vom 1. März 1974 aaO). An dieser Ausgangslage – daß gerade die Besonderheiten der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung eine Veränderbarkeit der Tarife auch für bestehende Versicherungsverhältnisse erfordern – hat sich für die von Art. 16 § 8 3.DurchfG betroffenen Stichtagsaltverträge im Grundsatz nichts geändert. Das zeigt sich beispielhaft etwa darin, daß gemäß Art. 16 § 4 3.DurchfG grundsätzlich auch die Vorschriften des zum 21. Juli 1994 geänderten Pflichtversicherungsgesetzes auf bereits bestehende Versicherungsverhältnisse Anwendung finden. Die aufgrund des Pflichtversicherungsgesetzes erlassene Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung sieht in ihrem § 10 aber vor, daß unter anderem Änderungen der auch den Versicherungsumfang betreffenden Verordnung und Änderungen der Mindesthöhe der Versicherungssumme (vgl. § 4 PflVG) auf bestehende Versicherungsverträge Anwendung finden (vgl. Jacobsen in Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, KfzPflVV, § 10 Rdn. 4). Schon an dieser Besonderheit der Pflichtversicherung wird deutlich, daß sie auf der anderen Seite – der Seite des Versicherers – eine Veränderbarkeit der Tarife erfordert, um diese ihrerseits an die Entwicklung des Kraftverkehrs und der damit verbundenen Schäden anzugleichen. Demgemäß entspricht es Sinn und Zweck des Art. 16 § 8 3.DurchfG, dem Versicherer die Befugnis zu Änderungen der Tarife für Stichtagsaltverträge zu gewähren, solange diese Verträge bestehen.
Dem steht nicht entgegen, daß in der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf (aaO) die mit Art. 16 § 8 3.DurchfG gewährte Tarifänderungsbefugnis mit der Entwicklung neuer Tarifstrukturen durch die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer in Verbindung gebracht worden ist. Denn daraus ist lediglich zu entnehmen, daß die Stichtagsaltverträge gerade auch mit Blick auf die Einführung dieser neuen Strukturen Änderungen zugänglich gemacht werden sollten, nicht aber, daß die Änderungsbefugnis nur einmal gewährt und auf den Beginn der nächsten Versicherungsperiode befristet werden sollte.
Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, daß Art. 16 § 8 3.DurchfG dem Versicherer die Befugnis einräumt, Tarife von Stichtagsaltverträgen zu ändern, solange diese Versicherungsverhältnisse bestehen (Wandt, aaO und VersR 1997, 1219, 1220 f.; Feyock in Feyock/Jacobsen/Lemor, aaO PflVG Anh. I Rdn. 4 ff.; Lemor, aaO; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 17. Aufl. vor § 1 AKB, Rdn. 24). Die Vorschrift deckt demgemäß grundsätzlich auch die Einführung einer allgemeinen Tarifänderungsklausel in Stichtagsaltverträge, soweit eine solche Klausel den in der Vorschrift bestimmten weiteren Anforderungen genügt.
c) Art. 16 § 8 3.DurchfG bindet die Änderungsbefugnis des Versicherers für bis zum 31. Dezember 1994 geschlossene Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverträge lediglich daran, daß der Versicherer dem Versicherungsnehmer die Tarifänderungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede von altem und neuem Tarif spätestens einen Monat vor Inkrafttreten mitteilt und ihn schriftlich über sein Kündigungsrecht (Art. 16 § 5 3.DurchfG i.V. mit § 31 VVG) belehrt. Mitteilung der Änderung und Belehrung über das Kündigungsrecht allein sind demgemäß Voraussetzungen der Änderungsbefugnis, in deren Folge die Änderung beginnend mit der nächsten Versicherungsperiode Anwendung findet. Art. 16 § 8 3.DurchfG bindet die Änderungsbefugnis des Versicherers dagegen nicht an weitere inhaltliche Vorgaben etwa derart, daß erst bei deren Vorliegen das Recht zur Änderung der Tarife zur Entstehung gelangt.
3. Stellt nach dieser Auslegung von Art. 16 § 8 3.DurchfG die streitbefangene Klausel der Nr. 6d TB-KH nur eine inhaltliche Wiedergabe dessen dar, was der Gesetzgeber mit Art. 16 § 8 3.DurchfG ohnehin geregelt hat, wäre die Klausel gemäß § 8 AGBG einer Inhaltskontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG entzogen. Dafür spricht, daß Nr. 6d Abs. 1 TB-KH im Kern nicht mehr als die Befugnis des Versicherers zu einer Änderung des Tarifs mit Wirkung für Stichtagsaltverträge regelt, und Abs. 2 der Klausel entsprechend Art. 16 § 8 3.DurchfG die Voraussetzungen einer wirksamen Änderung – nämlich deren Mitteilung binnen bestimmter Frist und die Belehrung über das Kündigungsrecht – sowie den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung bestimmt. Die Frage kann indessen hier auf sich beruhen. Denn selbst wenn man in Nr. 6d Abs. 1 TB-KH eine Art. 16 § 8 3.DurchfG ergänzende oder modifizierende Klausel sieht, der Inhaltskontrolle also unterwirft, ist eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers und mithin ein Verstoß gegen § 9 AGBG nicht festzustellen. Die Klausel entspricht vielmehr den wesentlichen Grundgedanken der Regelung, die der Gesetzgeber mit Art. 16 § 8 3.DurchfG getroffen hat.
Soweit Nr. 6d Abs. 1 TB-KH den Versicherer für berechtigt erklärt, die im Tarif vorgesehenen Gefahrenmerkmale durch andere zu ersetzen oder neue hinzuzufügen, stellt die Wahrnehmung dieses Rechts nichts anderes dar als eine Tarifänderung, die Art. 16 § 8 3.DurchfG dem Versicherer in bezug auf Stichtagsaltverträge erlaubt, solange diese Verträge Bestand haben. Da Art. 16 § 8 3.DurchfG die Tarifänderungsbefugnis des Versicherers über die fristgebundene Mitteilung der Änderung und die Belehrung über das Kündigungsrecht hinaus nicht an inhaltliche Voraussetzungen bindet oder etwa auf bestimmte Tarifmerkmale begrenzt, führt Nr. 6d Abs. 1 TB-KH nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers über die gesetzliche Regelung hinaus. Die Beklagte macht mit Nr. 6d Abs. 1 TB-KH von der gesetzlichen Befugnis vielmehr nur und insoweit Gebrauch, als sie die Änderung des Tarifs auf das Ersetzen oder das Hinzufügen neuer Gefahrenmerkmale begrenzt. Der Bestimmung besonderer Umstände, die die Änderungsbefugnis auslösen, bedurfte es entsprechend Art. 16 § 8 3.DurchfG nicht. Erst recht stellt es keine Abweichung zum Nachteil des Versicherungsnehmers dar, wenn Nr. 6d Abs. 1 TB-KH die Änderungsbefugnis an die Gewährleistung eines angemessenen Verhältnisses von Beitrag und Versicherungsleistung und an die Bestätigung eines unabhängigen Treuhänders darüber knüpft, daß die Gefahrenmerkmale für die Art und Größe des versicherten Risikos bestimmend sind und den anerkannten Grundsätzen der Versicherungsmathematik und -technik entsprechen. Denn diese ergänzenden Voraussetzungen bewirken keine Benachteiligung der Interessen des Versicherungsnehmers, sie sind vielmehr im Ansatz darauf gerichtet, die Interessen beider Parteien einem sachgerechten Ausgleich zuzuführen.
Nr. 6d TB-KH erweist sich demgemäß als wirksam.
II. Die Tarifänderungsklausel der Nr. 6b TB hält – soweit sie auf Verträge über eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Anwendung findet – einer Kontrolle nach § 9 AGBG stand.
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Klausel nur, soweit sie auf Verträge über eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Anwendung findet. Die Klausel betrifft solche Verträge, die ab dem 1. Januar 1995 geschlossen worden sind. Damit unterfällt diese Tarifänderungsklausel nicht dem Anwendungsbereich von Art. 16 § 8 3.DurchfG.
Nr. 6b TB stellt – ebenso wie Nr. 6d TB-KH – eine Allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten im Sinne des § 1 AGBG dar; als solche unterliegt sie – worüber die Parteien auch nicht streiten – der Kontrolle nach § 9 AGBG.
2. Die Tarifänderungsklausel der Nr. 6b TB hält dieser Kontrolle stand. Dabei kann es auf sich beruhen, ob – wie die Beklagte meint – der Vorschrift des Art. 16 § 8 3.DurchfG in diesem Rahmen Leitbildfunktion (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) zukommt, die Klausel also in erster Linie an dieser gesetzlichen Bestimmung zu messen ist. Denn selbst wenn man das verneint, ist nicht festzustellen, daß die Tarifänderungsklausel den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 9 Abs. 1 AGBG).
a) Die mit der streitbefangenen Klausel eröffnete Möglichkeit, den Tarif in bestehenden Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverträgen durch das Ersetzen oder das Hinzufügen neuer Gefahrenmerkmale zu ändern, entspricht berechtigten Interessen des Versicherers, die sich aus den Besonderheiten und dem Charakter der Versicherung als Pflichtversicherung ableiten. Sie dient in erster Linie dem Schutz der Geschädigten, der Verkehrsopfer, daneben aber auch dem Schutz des Versicherten vor einer Existenzgefährdung durch gegen ihn gerichtete Haftpflichtansprüche. Dieser Ausrichtung der Versicherung entspricht es, daß nicht nur der Halter des Kraftfahrzeugs zu ihrem Abschluß verpflichtet ist (§ 1 PflVG), sondern auch das Versicherungsunternehmen einem weitgehenden Kontrahierungszwang unterworfen ist (§ 5 Abs. 4 PflVG), ihm also eine Risikoauswahlmöglichkeit nur in sehr engen Grenzen eingeräumt ist. Zur Sicherstellung eines dem Zweck der Pflichtversicherung entsprechenden Schutzes hat zudem der Umfang des zu gewährenden Versicherungsschutzes öffentlich-rechtlichen Vorgaben (§ 4 PflVG i.V. mit den Vorschriften der Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung – KfzPflVV –) zu entsprechen, die sich unter anderem über den sachlichen Deckungsumfang, über zulässige Ausschlüsse, über die Vereinbarkeit von Obliegenheiten verhalten, aber auch Mindestversicherungssummen festlegen. Nach § 10 KfzPflVV finden darauf bezogene Änderungen auch auf bestehende Versicherungsverhältnisse Anwendung.
Dieser am Schutz des Geschädigten, gleichermaßen aber auch an den Interessen des Versicherungsnehmers ausgerichteten Ausgestaltung des Versicherungsschutzes steht das – auch aus Sicht des Versicherungsnehmers – berechtigte Interesse des Versicherers gegenüber, für diesen Versicherungsschutz angemessene Prämien zu erlangen. Dieses Interesse bedingt die Änderbarkeit von Prämien und Tarifbestimmungen mit Wirkung für bereits bestehende Verträge. Das zeigt sich schon daran, daß – wie dargelegt – auch die Ausgestaltung des Versicherungsschutzes durch Eingriffe des Gesetz- und Verordnungsgebers mit Wirkung für bestehende Verträge geändert werden kann. Es zeigt sich aber auch mit Blick auf die Gestaltung der Tarifbestimmungen – und hier insbesondere auf die Gefahrenmerkmale –, die insbesondere der ständigen Fortentwicklung des Kraftverkehrs und den dadurch bedingten Änderungen bei Zahl und Art der vom Versicherungsschutz erfaßten Schäden Rechnung tragen müssen. Denn erst aus der Entwicklung der Schäden kann der Versicherer erkennen, welche Gefahrenmerkmale für die Bemessung der Prämie von Bedeutung sind. Demgemäß entspricht auch die streitbefangene Tarifänderungsklausel berechtigten Interessen des Versicherers.
Dem steht nicht entgegen, daß der Versicherer eine Änderung von Prämie oder Tarifbestimmungen auch mit einer Änderungskündigung Rechnung tragen könnte. Jedenfalls in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung überwiegt demgegenüber das Interesse – auch des Versicherungsnehmers – an einem ununterbrochen fortbestehenden Versicherungsschutz (vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf zu Art. 16 § 8 3.DurchfG aaO), der mit der Tarifänderungsklausel gewahrt bleibt.
b) Die Klausel führt auch nicht zu einer so einseitigen Bevorzugung der Interessen des Haftpflichtversicherers, daß unter diesem Blickwinkel von einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers auszugehen wäre. Eine solche einseitige Interessenwahrnehmung ergibt sich – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – insbesondere nicht aus der offenen Ausgestaltung der Klausel, die ohne Benennung von Gefahrenmerkmalen im einzelnen deren Austausch oder das Hinzufügen neuer erlaubt. Denn die Vielzahl möglicher, vielfach differenzierter Gefahrenmerkmale (vgl. dazu auf der Grundlage des bis zum 29. Juli 1994 geltenden Rechts Jacobsen in Feyock/Jacobsen/Lemor, aaO AKB § 9a Rdn. 3) und die von der Schadensentwicklung abhängige Ausprägung neuer Gefahrenmerkmale machen eine erschöpfende Aufzählung aller denkbaren Gefahrenmerkmale in einer Änderungsklausel, die dennoch die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers wahrt, kaum möglich. Das gilt erst recht, wenn die Klausel zudem auch erst aus der Schadens- oder Marktentwicklung abzuleitende Voraussetzungen für eine Tarifänderung abstrakt benennen soll. Der Versicherungsnehmer wird deshalb bei einer solchen Sachlage durch eine nur den Gegenstand der möglichen Änderung bezeichnende Änderungsklausel nicht unangemessen benachteiligt, zumal seinen berechtigten Interessen durch die Regelung in Nr. 6b Abs. 2 TB Rechnung getragen wird. Sie hindert das Wirksamwerden einer Tarifänderung innerhalb des Jahres, für den der Vertrag über eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ohnehin (zunächst) abgeschlossen wird (vgl. § 5 PflVG), weil die Änderung erst mit Beginn der nächsten Versicherungsperiode Anwendung findet. Sie verlangt für das Wirksamwerden der Änderung deren Mitteilung, also den Hinweis auf den Unterschied von altem und neuem Tarif, binnen bestimmter Frist und macht die Änderung dadurch für den Versicherungsnehmer durchschaubar. Sie schützt zudem den Versicherungsnehmer, der sich gegen die Änderung zur Wehr setzen will, durch die als Wirksamkeitserfordernis ausgestaltete Belehrung über sein Kündigungsrecht. Im übrigen unterliegen auch aufgrund der Änderungsklausel eingeführte Tarifbedingungen ihrerseits der Inhaltskontrolle.
c) In einer Gesamtabwägung dieser Umstände ist deshalb nicht festzustellen, daß die Klausel der Nr. 6b TB zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG führt.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Prof. Römer, Terno, Seiffert, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 31.01.2001 durch Heinekamp Justizsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit
Fundstellen
BGHR 2001, 412 |
NJW-RR 2001, 743 |
Nachschlagewerk BGH |
DAR 2001, 268 |
MDR 2001, 805 |
NVersZ 2001, 284 |
NZV 2001, 207 |
VRS 2001, 291 |
VersR 2001, 493 |
ZfS 2001, 261 |