Entscheidungsstichwort (Thema)
Ergänzungspflegschaft: Bestellung eines Ergänzungspflegers für Kinder, gegen deren Mutter ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts anhängig ist
Leitsatz (amtlich)
Ergänzungspflegschaft: Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Kinder einer Kindesmutter, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts anhängig ist.
Normenkette
BGB § 1626 Abs. 1, § 1629 Abs. 1, § 1909 Abs. 1 S. 1; StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 2; FamFG § 151 Nr. 5
Verfahrensgang
AG Bernau (Beschluss vom 23.10.2009) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des AG Bernau vom 23.10.2009 aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt/O. auf Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Beteiligten zu 1. und 2. zurückgewiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegen die Mutter der minderjährigen Beteiligten zu 1. und 2. - K. B. (geboren am ...1.1993) und S. B. (geboren am ...12.1995) - ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts (§ 212 StGB) anhängig. Die Polizei hat beide Jugendliche am 6.10.2009 nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht vernommen. Am 7.10.2009 regte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/O. zur Sicherung des Beweises die richterliche Vernehmung von K. und S. an. Bei ihrer Vernehmung am 8.10.2009 durch die Ermittlungsrichterin am AG Bernau machte K. nach Belehrung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und erklärte, nicht aussagen zu wollen. Auf den von der Staatsanwaltschaft Frankfurt/O. gestellten Antrag hin hat das AG im schriftlichen Verfahren und nach Anhörung des Jugendamts am 23.10.2009 die Bestellung eines Ergänzungspflegers für K. und S. beschlossen mit dem Aufgabenkreis "Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Einwilligung in die Vernehmung und Ausübung eines beschränkten Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Zuführung zur Vernehmung und zu Untersuchungen". Gegen diese Entscheidung hat die Mutter Beschwerde eingelegt.
II. Im Hinblick auf den verfahrenseinleitenden Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt/O. vom 7.10.2009 ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers als Kindschaftssache dem Familiengericht zugewiesen (§ 151 Nr. 5 FamFG) und verfahrensrechtlich nach neuem Recht zu beurteilen. Die Beschwerde der Mutter gem. §§ 58 ff. FamFG ist statthaft und zulässig. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gem. § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB um einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht handelt, das beiden Eltern nach §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB gemeinsam zusteht. Das Rechtsmittel der danach beschwerdebefugten Mutter (vgl. hierzu auch OLG Naumburg OLGReport Naumburg 2006, 392) hat in der Sache Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, ob sich aus den an das AG Bernau gerichteten Schreiben der Staatsanwaltschaft Frankfurt/O. der Antrag ergibt, eine Ergänzungspflegschaft nicht nur für die jüngere S., sondern auch für die kurz vor Vollendung des 17. Lebensjahres stehende K. einzurichten. Entgegen der Auffassung des AG liegen jedenfalls die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gem. § 1909 Abs. 1 BGB im Hinblick auf K. nicht vor.
Besitzt ein minderjähriger Zeuge nicht die Verstandesreife, um die Bedeutung und Tragweite eines ihm wegen seiner Verwandtschaft nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu begreifen, so darf er gem. § 52 Abs. 2 StPO nur mit Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter aussagen. Hier sind die Eltern jedoch von der Vertretung bei der Zustimmung gem. § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO ausgeschlossen, weil sich das Ermittlungsverfahren gegen die Mutter richtet. Fehlt die Einsicht des minderjährigen Zeugen in die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts, so bedarf es bei einer Ausübung dieses Rechts eines Ergänzungspflegers. Voraussetzung ist allerdings, dass der Minderjährige aussagebereit ist. Erklärt er selbst, nicht aussagen zu wollen, so bleibt es dabei. Denn auch ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Minderjähriger darf nicht gegen seinen (natürlichen) Willen zu einer Aussage gezwungen werden (vgl. hierzu BGH, NJW 1960, 1396; OLG Stuttgart FamRZ 1985, 1154/1155).
Vorliegend hat K. am 8.10.2009 ggü. der Ermittlungsrichterin nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht erklärt, nicht aussagen zu wollen. Mangels Aussagebereitschaft ist kein Raum für eine Ergänzungspflegschaftsbestellung für K. Im Übrigen kann nach den zur Akte gereichten polizeilichen Vernehmungsprotokollen vom 6.10.2009 ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die vor der Vollendung ihres 17. Lebensjahres stehende K. angesichts ihres Alters die für eine selbstverantwortliche Entscheidung erforderliche Verstandesreife besitzt (vgl. hierzu BGHSt 20, 234/235; BayObLG FamRZ 1998, 257/258)...