Leitsatz (amtlich)

Die Vermutung fehlenden Verschuldens bei der Versäumung der Beschwerdefrist infolge unzutreffender Rechtsbehelfsbelehrung wird widerlegt durch vorhandene Kenntnis über die Rechtsmittel, wie es beim anwaltlich vertretenden Beteiligten regelmäßig der Fall ist. Von einem Rechtsanwalt kann erwartet werden, dass er die grundlegende Entscheidung des BGH v. 28.9.2011 - XII ZB 2/11 kennt, aus der sich eindeutig ergibt, dass isolierte Kostenentscheidungen in Ehe- und Familienstreitsachen mit der binnen zwei Wochen ab Zustellung einzulegenden sofortigen Beschwerde nach den §§ 567 ff. ZPO anfechtbar sind.

 

Normenkette

FamFG § 39; ZPO § 233

 

Verfahrensgang

AG Fürstenwalde (Aktenzeichen 10 F 363/12)

 

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Wiedereinsetzung gegen die versäumte Beschwerdefrist kann der Antragstellerin nicht gewährt werden. Denn sie hat die Beschwerdefrist nicht unverschuldet versäumt. Insoweit muss sie sich das Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

1. Die Beschwerdefrist ist versäumt.

Bei dem Unterhaltsverfahren handelt es sich um eine Familienstreitsache, §§ 231 Abs. 1 Nr. 2, 112 Nr. 1 FamFG. Rechtsmittel gegen die Kostenentscheidung nach Antragsrücknahme, Erledigung oder Anerkenntnis ist daher die sofortige Beschwerde, die binnen zwei Wochen nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung einzulegen ist, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. §§ 269 Abs. 5 ZPO, 91a Abs. 2, 99 Abs. 2, 569 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH NJW 2011, 3654 = FamRZ 2011, 1933; Schael, FPR 2009, 11, 12 f.).

Der Beschluss des AG vom 5.4.2013 ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ausweislich des in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 17.4.2013 zugestellt worden, so dass die Beschwerdefrist am 2.5.2013 abgelaufen ist. Die Beschwerde der Antragstellerin ist erst am 17.5.2013 beim AG eingegangen und somit verspätet.

2. Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht gegeben.

In Familienstreitsachen gelten hinsichtlich der Wiedereinsetzung die Vorschriften der §§ 233 ff. ZPO, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG (vgl. BGH NJW 2011, 2887 Rz. 14; Hahne/Munzig/Gutjahr, BeckOK/FamFG, Edition 8, § 39 Rz. 29). Im Rahmen dieser Vorschriften muss sich ein Beteiligter das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (BGH, a.a.O., Rz. 8). So liegt es hier.

Allerdings war die Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Beschluss fehlerhaft. Obwohl das AG nach Erledigung des Verfahrens nur noch eine Kostenentscheidung getroffen hat, die - wie ausgeführt - mit der sofortigen Beschwerde binnen zwei Wochen nach Zustellung anfechtbar ist, enthält die Rechtsmittelbelehrung den Hinweis, gegen die Entscheidung finde die Beschwerde statt, die innerhalb eines Monats beim AG einzulegen sei. Trotz dieser fehlerhaften Belehrung war die Antragstellerin aber gehalten, die Frist von zwei Wochen gem. §§ 113 Abs. 1 Satz FamFG, 569 Abs. 1 ZPO einzuhalten. Auf fehlende Kenntnis der Frist kann sie sich nicht berufen.

Indes bestimmt § 17 Abs. 2 FamFG, dass ein fehlendes Verschuldens an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist vermutet wird, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Eine entsprechende Vorschrift ist mit Wirkung zum 1.1.2014 durch Gesetz vom 5.12.2012 (BGBl. I, 2418) als Satz 2 in § 233 ZPO angefügt worden. Aber auch jetzt schon ist anzunehmen, dass die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 FamFG in Ehe- und Familienstreitsachen entsprechend gilt (BGH NJW-RR 2012, 1025 Rz. 7).

Die Vermutung fehlenden Verschuldens wird aber widerlegt durch vorhandene Kenntnis über die Rechtsmittel, wie es beim anwaltlich vertretenden Beteiligten regelmäßig der Fall ist (vgl. BT-Drucks. 16/6308, 183). Bei anwaltlicher Vertretung ist ein durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung verursachter Irrtum über die Rechtsmittelfrist regelmäßig verschuldet (BGH NJW 2011, 3240 Rz. 18; OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, NJOZ 2012, 1625; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2011, 1016). Dies gilt uneingeschränkt in den Fällen einer gesetzlich vorgeschriebenen, aber fehlenden bzw. unvollständigen Rechtsbehelfsbelehrung (BGH NJW-RR 2012, 1025 Rz. 9; OLG Oldenburg FamRZ 2012, 1829). Ist die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung hingegen inhaltlich unrichtig, darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf deren Richtigkeit vertrauen. Da er aber die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennen muss, kann er Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat, nicht jedoch, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und desh...

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