Verfahrensgang
OLG Zweibrücken (Beschluss vom 27.01.2009; Aktenzeichen 1 Ws 431-433/08) |
LG Frankenthal (Pfalz) (Beschluss vom 19.11.2008; Aktenzeichen StVK 608/08 (Vollz)) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Widerruf der Gewährung von Vollzugslockerungen.
Der wegen Totschlags strafinhaftierte Beschwerdeführer verbüßt seit 2003 eine Freiheitsstrafe von acht Jahren. Die Strafvollstreckungskammer hatte – nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1. Juli 2008 – mit Beschluss vom gleichen Tage eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und zur Begründung der Annahme fortbestehender Gefährlichkeit auf ein Sachverständigengutachten, auf fehlende Therapiemotivation sowie darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer sich in Anhörungsterminen vor der Kammer völlig uneinsichtig gezeigt habe. In dem Beschluss führte die Kammer weiter aus, es sei nicht recht nachvollziehbar, weshalb angesichts dieser der Anstalt seit langem bekannten Umstände nicht bereits die Ablösung des Beschwerdeführers aus dem offenen Vollzug erfolgt sei. Dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gebühre Vorrang vor dem Resozialisierungsinteresse des Beschwerdeführers. Auch die Justizvollzugsanstalt nehme eine „Neigung zu Wutreaktionen” und fehlende Therapiemotivation des Beschwerdeführers an. Im Falle der Bekanntgabe des Kammerbeschlusses sei möglicherweise mit entsprechenden Reaktionen zu rechnen; die Anstalt werde daher über den Beschluss vorab per Fax informiert, damit entsprechende Vorkehrungen getroffen werden könnten. Der Beschluss schließt mit dem Satz „Insofern liegt die Verantwortung nunmehr allein bei der Anstalt.”. Im Gegensatz zu allen sonstigen Ausführungen im Beschluss ist dieser Schlusssatz unterstrichen.
Die Justizvollzugsanstalt widerrief im Anschluss die dem Beschwerdeführer gewährten Vollzugslockerungen. Der den Widerruf gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVollzG rechtfertigende Umstand sei das Verhalten des Beschwerdeführers während des Anhörungstermins im Verfahren der Reststrafenaussetzung und nach der Rückkehr von diesem Termin. Dieses Verhalten sei im Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung während der durchgeführten Therapie zu sehen. Hierfür sei zunächst die beim Beschwerdeführer vorliegende Persönlichkeitsstörung von Bedeutung; zu seiner Straftat, der Tötung seiner Ehefrau, sei es aufgrund seiner Unfähigkeit, Konflikte angemessen zu lösen, gekommen. Während der Therapie in der Sozialtherapeutischen Anstalt sei bei dem Beschwerdeführer intensive Persönlichkeitserforschung betrieben worden. Als tatursächliche Persönlichkeitsproblematik spiele die egozentrische Sichtweise mit mangelhafter Fähigkeit zum Perspektivenwechsel eine wesentliche Rolle. Hinzu komme ein hohes Durchsetzungsmotiv bei gleichzeitig defizitärer sozialadäquater Durchsetzungsfähigkeit. Dies wirke sich beim Beschwerdeführer insbesondere in Konfliktsituationen negativ aus. Misslingende Umsetzung seiner egozentrischen Bedürfnisse erzeuge in ihm Spannung, die er nicht adäquat abbauen könne. Er zeige sich in solchen Situationen nach außen meist ruhig, lediglich in Mimik und Gestik würden Zeichen emotionaler Anspannung erkennbar. Der Beschwerdeführer neige in solchen Situationen meist zu depressiven Reaktionen, die jedoch bei entsprechender Dauer und Stärke impulshaft-aggressiv kompensiert würden, wie dies beispielsweise beim abgeurteilten Tötungsdelikt der Fall gewesen sei. Nachdem absehbar gewesen sei, dass sich die Justizvollzugsanstalt angesichts der sich schwierig gestaltenden Therapie gegen eine vorzeitige Entlassung aussprechen werde, habe ein deutlicher Rückzug des Beschwerdeführers begonnen. Das Risiko unangemessener Reaktionen vor dem Hintergrund der unzureichend therapierten Persönlichkeitsstörung sei von dem Behandlungsteam als deutlich zunehmend angesehen worden. Der Antragsteller habe sich gegenüber den Maßnahmen der Anstalt mehr und mehr uneinsichtig und unzugänglich gezeigt. Dieses Verhalten habe seinen Höhepunkt erreicht, als der Beschwerdeführer am 1. Juli 2008 der Strafvollstreckungskammer zur Anhörung vorgeführt worden sei. Neben dem zuständigen Richter, der in seinem Beschluss die Überprüfung der Lockerungseignung angeregt habe, habe mit Schreiben vom gleichen Tage auch die Staatsanwaltschaft die Auffassung geteilt, dass der Beschwerdeführer infolge seines Verhaltens bei der Anhörung von Vollzugslockerungen abzulösen sei. Dieser Einschätzung von Richter und Staatsanwaltschaft habe auch der von der Anstalt nach Rückkehr des Beschwerdeführers von dem Anhörungstermin gewonnene Eindruck entsprochen. In dem gegenüber dem Behandlungsteam nach der Rückkehr gezeigten Verhalten sei ein hoher emotionaler Druck infolge der beim Anhörungstermin empfundenen Frustration spürbar gewesen, der jederzeit in einen unkontrollierbaren Wutausbruch münden könne, wie er auch der begangenen Tat zugrundegelegen habe. Ferner habe der Beschwerdeführer gegenüber dem Behandlungsteam zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht mehr sozial verpflichtet fühle. In der Gesamtabwägung habe sich hieraus eine neue Gewichtung der Gefährlichkeit der Situation ergeben. Konkret sei impulshaft irrationales Verhalten, wie aggressive Handlungen gegenüber Personen oder Sachen oder Nichtrückkehr bei Lockerungen, befürchtet worden. Eine weitere Gewährung unbegleiteter Vollzugslockerungen sei daher zum Schutz der Allgemeinheit nicht mehr verantwortbar gewesen.
Anträge auf gerichtliche Entscheidung, mit denen der Beschwerdeführer sich gegen den Widerruf wandte und die Feststellung begehrte, dass die Anordnung, der Beschwerdeführer sei beim Ausgang zu einer anstehenden Prüfung zu begleiten, rechtswidrig gewesen sei, wies die Strafvollstreckungskammer durch den Richter, der auch den vorausgegangenen Beschluss über die Reststrafenaussetzung erlassen hatte, mit dem angegriffenen Beschluss zurück. Die Kammer machte sich die Ausführungen der Justizvollzugsanstalt zu eigen und verwies auf Ausführungen zur Rückfallgefahr aus der Begründung ihres Beschlusses vom 1. Juli 2008. Die Kammer selbst habe angeregt, die Ablösung von Vollzugslockerungen zu prüfen, nachdem der Beschwerdeführer bei der Anhörung beantragt habe, sofort freigelassen zu werden, und erklärt habe, nicht weiter therapiert werden zu wollen. Damit habe sich bestätigt, dass der Beschwerdeführer nicht mehr therapiemotiviert sei. Für die Justizvollzugsanstalt habe sich infolgedessen eine neue Prüfungspflicht ergeben.
Das Oberlandesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde – gemäß § 119 Abs. 3 StVollzG ohne nähere Begründung – als unzulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde trägt der Beschwerdeführer vor, die angegriffenen Entscheidungen verletzten seine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Er habe Anspruch auf Vertrauensschutz. Das mit der Gewährung von Vollzugslockerungen in ihn gesetzte Vertrauen habe er zu keinem Zeitpunkt enttäuscht. Grund für den Widerruf der Lockerungen seien ausschließlich die kritischen Worte der Strafvollstreckungskammer bei der Anhörung am 1. Juli 2008 gewesen. Das Gericht habe der Anstalt den Widerruf nahegelegt und sich damit unveranlasst und ohne zu einem solchen Verhalten ermächtigt oder angerufen gewesen zu sein, in eine primär von der Anstalt zu regelnde Angelegenheit eingemischt. Seiner Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen der Justizvollzugsanstalt zu prüfen und dabei die Resozialisierungsfunktion der Vollzugslockerungen in den Blick zu nehmen, sei es nicht gerecht geworden. Da das Gericht die Vollzugsbehörde zu einer Widerrufsentscheidung geradezu aufgefordert habe, sei es außerstande gewesen, die ergangene Entscheidung der Anstalt objektiv zu prüfen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie nach dem Grundsatz der Subsidiarität unzulässig ist. Nach dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde muss ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen haben, um die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen in den jeweils sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 68, 384 ≪388 f.≫; 112, 50 ≪60≫ – stRspr).
Dieser Obliegenheit ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen, da er die bestehende Möglichkeit nicht genutzt hat, die Befangenheit des Richters der Strafvollstreckungskammer, die er sinngemäß geltend macht, im fachgerichtlichen Verfahren mit einem Ablehnungsantrag zu rügen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. September 1987 – 2 BvR 814/87 –, juris, Rn. 3; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. April 1991 – 2 BvR 383/91 –, juris, Rn. 1, und vom 26. August 1991 – 2 BvR 964/90 –, NJW 1993, S. 2926).
Ein solcher Antrag, der in Strafvollzugssachen gemäß § 120 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit §§ 22 ff. StPO gestellt werden kann (vgl. statt vieler OLG Dresden, Beschluss vom 9. Februar 2000, NStZ-RR 2000, S. 285; Arloth, StVollzG, 2. Aufl. 2008, § 120 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 120 Rn. 2), war hier nicht deshalb entbehrlich, weil er von vornherein aussichtslos gewesen wäre (zur Unzumutbarkeit der Ausschöpfung offensichtlich aussichtsloser Rechtsbehelfe vgl. BVerfGE 70, 180 ≪186≫; 86, 15 ≪22 f.≫; 102, 197 ≪208≫ – stRspr). Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30 ≪38≫; 108, 122 ≪126≫ – stRspr). Es bedarf keiner Feststellung dazu, ob eine derartige Besorgnis von vornherein auszuscheiden und ein Befangenheitsantrag daher als aussichtslos zu gelten hätte, wenn der Richter der Strafvollstreckungskammer in dem vorausgegangenen Beschluss über die Reststrafenaussetzung tatsächlich nur, wie im hier angegriffenen Beschluss angegeben, angeregt hätte, die Ablösung von den gewährten Vollzugslockerungen zu prüfen. Ein Befangenheitsantrag wäre hier jedenfalls deshalb nicht von vornherein aussichtslos gewesen, weil der Richter sich auf eine entsprechende Anregung nicht beschränkt, sondern mit besonderem Nachdruck auf eine positive Widerrufsentscheidung gedrungen hatte, indem er unter anderem es als nicht recht nachvollziehbar bezeichnete, dass die Ablösung nicht bereits erfolgt sei, und mit dem besonders unterstrichenen Schlusssatz „Insofern liegt die Verantwortung nunmehr allein bei der Anstalt.” die Anstalt zusätzlich unter Druck setzte.
Das Unterbleiben eines rechtzeitigen Befangenheitsantrages hat hier zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde auch hinsichtlich der Rügen, die der Beschwerdeführer neben der sinngemäß erhobenen Rüge der Mitwirkung eines zur Entscheidung nicht berufenen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) vorgebracht hat, unzulässig ist. Hat ein Beschwerdeführer die Nutzung eines Rechtsbehelfs unterlassen, der zwar nur zur Abwehr bestimmter Grundrechtsverstöße statthaft ist, bei erfolgreicher Nutzung aber auch zur Korrektur weiterer Grundrechtsverstöße hätte dienen können, so führt dies nach dem Grundsatz der Subsidiarität zur Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde auch insoweit, als sie die weiteren Grundrechtsverletzungen betrifft (vgl. für den Fall der Anhörungsrüge BVerfGK 5, 337 ≪339≫, m.w.N.). Denn der Beschwerdeführer hat in einem solchen Fall nicht, wie es ihm nach diesem Grundsatz obliegt (vgl. BVerfGE 68, 384 ≪388 f.≫; 112, 50 ≪60≫), alle Möglichkeiten genutzt, eine Korrektur der gerügten Grundrechtsverletzungen im sachnächsten – fachgerichtlichen – Verfahren zu erreichen. Im vorliegenden Fall wäre nicht nur ein Befangenheitsantrag gegen den entscheidenden Richter nicht von vornherein aussichtslos gewesen; es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass es in der Folge zu einer anderen als der getroffenen Sachentscheidung und damit nicht zu einer Berührung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten weiteren Grundrechte gekommen wäre. Schon weil die Justizvollzugsanstalt in ihrer von der Strafvollstreckungskammer zu überprüfenden Widerrufsentscheidung den als Widerrufsgrund im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 1 StVollzG angeführten Umstand – das Verhalten des Beschwerdeführers im Anhörungstermin vom 1. Juli 2007 – nicht in einer Weise spezifiziert hat, die ohne weiteres erkennen ließe, dass die von ihr getroffene Entscheidung rechtmäßig oder gar alternativlos gewesen wäre, kann keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer keine Aussicht gehabt hätte, auf dem Weg über einen Befangenheitsantrag sein Rechtsschutzziel hinsichtlich aller als verletzt gerügten Grundrechte zu erreichen.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
Haufe-Index 2223014 |
NJW 2010, 669 |
JA 2010, 557 |
StV 2010, 284 |