Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 03.02.2012; Aktenzeichen 20 U 169/11) |
Tenor
1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Februar 2012 – 20 U 169/11 – verletzt die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches Verfahren über die Rückzahlung von Versicherungsprämien wegen angeblicher Unwirksamkeit von Versicherungsverträgen. Sie beanstandet das Unterlassen einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union durch das Berufungsgericht.
1. Die Beschwerdeführer schlossen im Wege des sogenannten „Policenmodells” zwei Versicherungsverträge ab. Dieses in § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag im Geltungszeitraum vom 29. Juli 1994 bis 31. Dezember 2007 (im Folgenden: VVG a.F.) geregelte Verfahren war dadurch gekennzeichnet, dass der potenzielle Versicherungsnehmer (im Folgenden: Versicherungsnehmer) zunächst das von ihm unterzeichnete Antragsformular auf Abschluss des Versicherungsvertrages an den Versicherer übermittelte und dieser dem Versicherungsnehmer die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes in seiner vor dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) erst zusammen mit der Versicherungspolice zukommen ließ. Widersprach der Versicherungsnehmer nicht binnen 14 Tagen (bei Lebensversicherungen zuletzt binnen 30 Tagen) nach Überlassung der Unterlagen schriftlich, so galt der Vertrag auf Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der weiterhin für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen (§ 5a Abs. 1 VVG a.F.). In dem Antrag des Versicherungsnehmers war das Vertragsangebot, in der nachfolgenden Übersendung der Vertragsunterlagen die Annahme durch den Versicherer zu sehen. Außerdem setzte der wirksame Vertragsschluss das Unterbleiben des Widerspruchs innerhalb der 14-tägigen (bzw. 30-tägigen) Widerspruchsfrist voraus; bis zu diesem Zeitpunkt war der Versicherungsvertrag nach herrschender Meinung schwebend unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2010 – IV ZR 252/08 –, VersR 2011, S. 337 ≪338≫ Rn. 22; Urteil vom 16. Juli 2014 – IV ZR 73/13 –, juris Rn. 14; jeweils m.w.N.). Die Widerspruchsfrist begann nach dieser Regelung erst dann zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer mit Aushändigung der Versicherungspolice über sein Widerspruchsrecht belehrt worden war; abweichend hiervon erlosch das Widerspruchsrecht – auch bei fehlender Belehrung – nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.
2. Die Beschwerdeführer, die ihre Lebensversicherungsverträge nach dem „Policenmodell” abgeschlossen und später den Widerspruch erklärt hatten, nahmen im Ausgangsverfahren den Versicherer auf Rückzahlung der Prämien, soweit diese über den zuvor erstatteten Rückkaufswert hinausgingen, in Anspruch. Sie machten unter anderem geltend, die Versicherungsverträge seien von Anfang an nicht wirksam zustande gekommen oder jedenfalls auch durch den deutlich nach Ablauf der Widerspruchsfrist gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch unwirksam geworden. Das durch § 5a VVG a.F. eröffnete „Policenmodell” sei unvereinbar mit den Vorgaben der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung; ABl. EG Nr. L 360, S. 1-27 vom 9. Dezember 1992) beziehungsweise mit den Vorgaben der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (Abl. EG Nr. L 345, S. 1-51 vom 19. Dezember 2002). Entgegen den dortigen Vorgaben seien die Verbraucherinformationen nicht „vor” Vertragsschluss erteilt worden, so dass kein wirksamer Vertrag zustande gekommen sei oder ihnen, den Beschwerdeführern, jedenfalls ein unbefristetes Widerspruchsrecht zustehe. Die Befristung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. verstoße ebenfalls gegen die Vorgaben der Richtlinien.
Das Landgericht wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführer wies das Oberlandesgericht mit dem von der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil zurück. Den Beschwerdeführern stehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Prämienrückzahlung nicht zu, weil die beiden Versicherungsverträge auf der Grundlage des „Policenmodells” wirksam zustande gekommen seien und somit die Rechtsgrundlage für die geleisteten Prämien dargestellt hätten. Die Beschwerdeführer hätten dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht binnen der Frist gemäß der auf den Ausgangsfall anzuwendenden Vorschrift des § 5a Abs. 1 VVG a.F. widersprochen. Das durch § 5a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. ermöglichte „Policenmodell” werde den Richtlinienvorgaben inhaltlich gerecht und stehe somit im Einklang mit dem Unionsrecht. Indem der Versicherungsvertrag bis zum Ablauf der ab Überlassung der Unterlagen laufenden Widerspruchsfrist schwebend unwirksam bleibe, sei gewährleistet, dass eine vertragliche Bindung des Versicherungsnehmers erst nach der gebotenen Verbraucherinformation eintrete. Ob die Frage der Richtlinienkonformität des „Policenmodells” im Hinblick auf die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. anders zu beurteilen sei, könne dahingestellt bleiben, weil diese Regelung vorliegend nicht entscheidend sei. Die Revision ließ das Oberlandesgericht nicht zu.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung ihrer Berufung. Sie rügen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Indem das Oberlandesgericht davon abgesehen habe, sich zur unionsrechtlichen Rechtslage hinreichend kundig zu machen und es seine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV mit einer offenkundig nicht tragfähigen Begründung verneint habe, habe es das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. Als letztinstanzlich entscheidendes Gericht sei das Oberlandesgericht verpflichtet gewesen, die Frage, ob das durch § 5a VVG a.F. eröffnete „Policenmodell” den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche, gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen, nach denen dem Versicherungsnehmer die Informationen „vor Abschluss des Versicherungsvertrages” mitzuteilen seien, sei keinesfalls zweifelsfrei. Nach dem Ziel der Richtlinien müssten dem Versicherungsnehmer die Informationen bereits vorliegen, bevor er eine Auswahlentscheidung treffe und seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgebe. Dem damit verfolgten Zweck, dem Versicherungsnehmer die Auswahl eines seinen Bedürfnissen am besten entsprechenden Angebots zu ermöglichen, werde § 5a VVG a.F. nicht gerecht, weil hiernach Versicherer ihre vorvertraglichen Informationspflichten erst nach der Auswahlentscheidung des Versicherungsnehmers erfüllen müssten. Daran ändere auch die Einräumung eines Widerspruchsrechts nichts, weil dem Versicherungsnehmer die Widerspruchslast aufgebürdet werde, was einer effektiven Durchsetzung der vorvertraglichen Informationspflichten widerspreche.
Das Oberlandesgericht sei in der angegriffenen Entscheidung seiner Vorlagepflicht willkürlich nicht nachgekommen. Es habe sich weder mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch mit dem im Jahr 2005 durch die Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) befasst. Indem es stattdessen lediglich auf die unzureichende Begründung eigener Entscheidungen und mehrerer Entscheidungen anderer Berufungsgerichte Bezug genommen habe, habe das Oberlandesgericht einen insgesamt leichtfertigen Umgang mit dem Unionsrecht dokumentiert.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der im Ausgangsverfahren beklagte Versicherer haben von einer Stellungnahme abgesehen.
3. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens wurden beigezogen.
III.
Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil sie unter Berücksichtigung der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 101 Abs.1 Satz 2 GG offensichtlich begründet ist.
1. Das Urteil des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführer wegen der offensichtlich unhaltbaren Handhabung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).
a) Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪366 ff.≫; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 –, juris Rn. 177; stRspr).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs. 283/81 – C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, S. 3415 ≪3430 f.≫ Rn. 21).
b) Das Bundesverfassungsgericht überprüft allerdings nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194 f.≫; 126, 286 ≪315 f.≫; 128, 157 ≪187≫; 129, 78 ≪106≫; zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 –, juris Rn. 179 f.; stRspr).
Bezogen auf die für die Anwendung von Art. 267 Abs. 3 AEUV maßgeblichen Grundsätze (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 26 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. November 2014 – 2 BvR 723/12, 724/12, 725/12 –, juris Rn. 34 ff., jeweils m.w.N.) wird ein letztinstanzliches nationales Gericht, das von einem Vorabentscheidungsersuchen absieht, dem Recht der Prozessparteien auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel nur dann gerecht, wenn es nach Auswertung der entscheidungserheblichen Bestimmungen des Unionsrechts eine vertretbare Begründung dafür gibt, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden oder die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage offenkundig ist. Umgekehrt wird die unionsrechtliche Rechtsfrage dann nicht in zumindest vertretbarer Weise beantwortet, wenn das nationale Gericht eine eigene Lösung entwickelt, die nicht auf die bestehende Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zurückgeführt werden kann und auch nicht einer eindeutigen Rechtslage entspricht. Dann erscheint die fachgerichtliche Rechtsanwendung des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht mehr verständlich und ist offensichtlich unhaltbar (vgl. hierzu BVerfGK 10, 19 ≪29 f.≫).
2. Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht die Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV in nicht mehr vertretbarer Weise übergangen und durch das Unterlassen der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union die Gewährleistung des gesetzlichen Richters verletzt.
a) Das Oberlandesgericht hat in dem Ausgangsverfahren als Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV entschieden, weil sein Urteil nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden konnte. In Fällen der zulassungsgebundenen Revision, in denen die Nichtzulassung der Revision durch das Instanzgericht nicht mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar ist, tritt die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bei dem Gericht ein, das die Revision nicht zulässt. Das war vorliegend das Oberlandesgericht, weil der Wert der mit einer Revision – im Falle ihrer Zulassung – geltend zu machenden Beschwer in dem Ausgangsverfahren 20.000 EUR nicht überstieg und somit die Nichtzulassungsbeschwerde, die „Rechtsmittel” im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV ist, gemäß § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juli 2014 – 1 BvR 543/12 u.a. –, juris Rn. 17; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 32 m.w.N.).
b) Die Begründung des Oberlandesgerichts für seine den Entscheidungen der Sache nach zugrunde liegende Annahme, die Rechtsfrage nach der Richtlinienkonformität des „Policenmodells” sei offenkundig im Sinne eines „acte clair” zu beantworten und daher nicht klärungsbedürftig, entbehrt einer nachvollziehbaren und verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung (eingehend zum verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab und zur fachgerichtlichen Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im Zusammenhang mit der Frage der Richtlinienkonformität des „Policenmodells”: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 31 ff.). Denn eine vertretbare andere Ansicht zu dieser Frage des Unionsrechts, deren Klärungsbedürftigkeit das Außerkrafttreten der Regelung des § 5a VVG a.F. zum 1. Januar 2008 nicht entgegenstand (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 –, VersR 2014, S. 609 ≪612≫ Rn. 32; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juli 2014 – 1 BvR 543/12 u.a. –, juris Rn. 18), erschien auf der Grundlage der hier maßgebenden Richtlinien keinesfalls als ausgeschlossen oder auch nur fernliegend.
Der durch das Oberlandesgericht zur Begründung seines Standpunktes angeführte Hinweis auf eigene Entscheidungen in anderen Verfahren (OLG Köln, Beschluss vom 5. Februar 2010 – 20 U 150/09 –, VersR 2011, S. 245; Beschluss vom 9. Juli 2010 – 20 U 51/10 –, juris; Beschluss vom 29. Oktober 2010 – 20 U 100/10 –, VersR 2011, S. 248 [der auf diesen Hinweisbeschluss Bezug nehmende und die Berufung zurückweisende Beschluss des OLG Köln vom 2. Dezember 2010 – 20 U 100/10 – ist durch Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Mai 2014 – 1 BvR 2020/11 – aufgehoben worden]) und auf Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Dezember 2000 – 4 U 32/00 –, VersR 2001, S. 837; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 10. Dezember 2003 – 7 U 15/03 –, VersR 2005, S. 631) ist vorliegend nicht geeignet, die richtige Anwendung des Unionsrechts als derart offenkundig erscheinen zu lassen, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Die Begründungen der in Bezug genommenen Entscheidungen greifen zu kurz. Zum einen haben sich die zitierten Oberlandesgerichte, sofern es ihnen nach der zeitlichen Abfolge möglich war, mit den beachtlichen Gegenargumenten der Europäischen Kommission in dem von ihr im Jahr 2005 gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) nicht auseinandergesetzt. Zum anderen vermag die Erwägung dieser Gerichte, dass die Richtlinien 92/96/EWG und 2002/83/EG ausschließlich Vorgaben für das Versicherungsaufsichtsrecht enthielten und eine Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts gerade nicht anstrebten, nicht zu überzeugen. Denn sie lässt unberücksichtigt, dass der Inhalt der in § 10a VAG a.F. aufsichtsrechtlich normierten Informationspflicht des Versicherers durch die versicherungsvertragsrechtliche Regelung des § 5a VVG a.F. geprägt war, weshalb die Bundesrepublik Deutschland, sollte der durch § 5a VVG a.F. ermöglichte Versicherungsvertragsabschluss im Wege des „Policenmodells” nicht den Richtlinienvorgaben entsprochen haben, im Ergebnis der Richtlinie aufsichtsrechtlich keine praktische Wirksamkeit verschafft hätte.
Insoweit und wegen der weiteren Begründung wird im Einzelnen auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 – (VersR 2014, S. 609 ≪611 ff.≫ Rn. 18 ff.) und den Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. November 2014 – 2 BvR 723/12, 724/12, 725/12 – Bezug genommen, die in entsprechend gelagerten Verfahren ergangen sind (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 33 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juli 2014 – 1 BvR 543/12 u.a. –, juris Rn. 20).
3. Unter diesen Umständen kam eine Entscheidung über die Berufung durch Urteil ohne Zulassung der Revision schlechterdings nicht in Betracht. Das Oberlandesgericht hätte vielmehr durch Urteil unter Zulassung der Revision (gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) entscheiden müssen, wenn es nicht selbst zur Klärung der für entscheidungserheblich befundenen Frage der Richtlinienkonformität des „Policenmodells” eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einholen und das Verfahren aussetzen wollte (vgl. nunmehr OLG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2013 – 20 U 50/13 –, juris Rn. 35).
4. Das angegriffene Urteil des Oberlandesgerichts über die Zurückweisung der Berufung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 2083/11 –, juris Rn. 47 ff.).
IV.
Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG. Die Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren sind den Beschwerdeführern gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG zu erstatten.
Unterschriften
Landau, Kessal-Wulf, König
Fundstellen
WM 2015, 122 |
VuR 2015, 184 |