Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 17.10.2001; Aktenzeichen 23 S 549/00) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 17. Oktober 2001 – 23 S 549/00 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Der Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 4.000 EUR (viertausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Abweisung einer Klage auf Geldentschädigung wegen beleidigender Äußerungen.
I.
1. Die Beschwerdeführerin, eine Frau griechischer Abstammung, und die mit ihr bekannte Ehefrau des späteren Beklagten des Ausgangsverfahrens hatten eine Auseinandersetzung. Am Abend des selben Tages sprach ein Anrufer, den die Beschwerdeführerin für den späteren Beklagten hielt, auf den Anrufbeantworter der Beschwerdeführerin unter anderem folgenden Text:
Hallo, Du fette hässliche Griechenhure, jetzt geht es erst richtig los, wir werden Dich fertig machen vor Gericht, Du wirst zahlen, Du wirst büßen, Du fettes hässliches Griechenscheißenstück, Du Hurenbastard, O.K., verstanden, alles klar, vor Gericht geht es weiter, viel Freude.
Nachdem das Amtsgericht Ratingen ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 DM zugesprochen hatte, wies das Landgericht die Klage ab. Selbst wenn der Vortrag der Beschwerdeführerin als wahr unterstellt werde, komme die Verurteilung zu einer Schmerzensgeldzahlung nicht in Betracht. Es fehle an den Voraussetzungen, unter denen auf Grund einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts ein Schmerzensgeld zu zahlen sei, nämlich einer schwer wiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der Unmöglichkeit, anderweitig eine Genugtuung zu erlangen.
Auf Grund einer Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände könne die streitgegenständliche Äußerung nicht als schwer wiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin bewertet werden, obwohl es sich um eine erhebliche Beleidigung und Herabsetzung der Beschwerdeführerin handele. Zu berücksichtigen sei, dass die Äußerung als Überreaktion im Rahmen eines Streits unter Freunden beziehungsweise Bekannten getätigt worden sei. Es handele sich überdies um einen einmaligen Vorfall, Wiederholungen drohten nicht. Auch sei eine fortwährende Beeinträchtigung nicht vorgetragen worden. Die Ehefrau des Beklagten habe sich am folgenden Tag bemüht, eine vernünftige Basis zwischen den Familien der Parteien zu erreichen. Schließlich sei bedeutsam, dass die Äußerung nicht öffentlich bekannt geworden sei.
Zudem könne die Beeinträchtigung der persönlichen Ehre der Beschwerdeführerin dadurch beseitigt werden, dass sich der Beklagte, sofern er die Äußerung getätigt haben sollte, bei der Beschwerdeführerin entschuldige. Die Beschwerdeführerin habe jedoch vom Beklagten keine Entschuldigung verlangt.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gericht habe insbesondere die Tragweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verkannt.
3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat dahingehend Stellung genommen, dass nach der Rechtsprechung des zuständigen Senats eine Geldentschädigung bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts auch dann in Betracht komme, wenn die Rechtsverletzung nicht öffentlich begangen worden sei. Ob auch auf einen privaten Anrufbeantworter gesprochene Beleidigungen für einen Anspruch ausreichen könnten, habe der zuständige Senat noch nicht zu entscheiden gehabt. Dasselbe gelte für die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dem Geschädigten ein Anspruch auf eine Entschuldigung zustehen könne.
Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Der Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG stattgegeben, da dies zur Durchsetzung des in Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin angezeigt ist.
1. Das angegriffene Urteil verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Das Landgericht hat die Äußerungen des Beklagten auf Grund der verwendeten Schimpfwörter und der ausländerfeindlichen Bezeichnungen als erhebliche Beleidigung und Herabsetzung bewertet, aber die für die Geldentschädigung besondere Intensität wegen der Umstände der Äußerung verneint. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Dieses greift nur bei der Verletzung von Verfassungsrecht durch die Gerichte ein, etwa wenn die Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruht (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 68, 361 ≪372≫; stRspr). So liegt es hier.
a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als eigenständiges Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt worden. Es gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 54, 148 ≪153≫; 72, 155 ≪170≫) und damit auch den Schutz der persönlichen Ehre (vgl. BVerfGE 54, 208 ≪217≫; 93, 266 ≪290≫). Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt eine Verpflichtung der staatlichen Gewalt, dem Einzelnen die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪220 f.≫; 63, 131 ≪142 f.≫; 96, 56 ≪64≫) und ihn vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen (vgl. BVerfGE 73, 118 ≪201≫; 97, 125 ≪146≫; 99, 185 ≪194 f.≫). Auf diesen Schutzauftrag geht der Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen zurück (vgl. BVerfG, NJW 2000, 2187 ≪2187≫; vgl. auch BGHZ 35, 363 ≪367 f.≫; 128, 1 ≪15≫).
b) Der Anspruch auf Geldentschädigung setzt nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung eine schwer wiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts und die mangelnde Möglichkeit anderweitiger Genugtuung voraus (vgl. BGHZ 39, 124 ≪133≫; NJW 1996, 985 ≪986≫ m.w.N.; vgl. auch BVerfGE 34, 269 ≪286 ff.≫). Bei der Anwendung dieser Tatbestandsmerkmale haben die Gerichte die Fundierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Würde des Menschen zu beachten. Verfehlen sie dies, so liegt darin nicht nur eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, sondern auch ein Verstoß gegen die subjektiven Grundrechte des Betroffenen (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪206 f.≫; 99, 185 ≪195≫; stRspr).
Ob eine hinreichende schwer wiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs ab, dabei insbesondere vom Anlass und Beweggrund sowie von dem Grad des Verschuldens des Handelnden (vgl. BGH, VersR 1988, 405 ≪405≫; BGH, VersR 1989, S. 628 ≪629≫; BGHZ 128, 1 ≪12≫). Die Verankerung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG wirkt auf die Anwendung solcher Kriterien ein. Für die Beurteilung der besonderen Schwere der Verletzung ist daher auch erheblich, ob die Äußerung den Achtungsanspruch berührt, der sich aus der Menschenwürde ergibt, oder nur eine Persönlichkeitsbeeinträchtigung geringerer Intensität darstellt. Dies hat das Landgericht bei der Prüfung der Schwere der Persönlichkeitsverletzung und der Möglichkeit, anderweitig Genugtuung zu erhalten, nicht hinreichend berücksichtigt.
aa) (1) Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes kommt dem Menschen ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu. Jedem Menschen ist sie eigen, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt (vgl. BVerfGE 87, 209 ≪228≫; 96, 375 ≪399≫; 101, 275 ≪287≫). Dieser Anspruch ist insbesondere verletzt, wenn die Diffamierung einer Person Ausdruck ihrer Missachtung ist, etwa durch Leugnung oder Herabsetzung der persönlichen Eigenschaften und Merkmale, die das Wesen des Menschen ausmachen. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen (vgl. BVerfGE 1, 97 ≪104≫; 102, 347 ≪367≫). Der Schutz der Menschenwürde ist absolut und erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Auch die Privatsphäre ist daher geschützt (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99 –, C I 3 b).
(2) Die Feststellung, ob der auf der Menschenwürde beruhende Achtungsanspruch durch eine Äußerung verletzt wird, setzt deren Deutung voraus. Zu berücksichtigen sind ihr Wortlaut und die Begleitumstände.
(a) Die auf dem Anrufbeantworter aufgezeichneten Worte stellen eine gehässige Schmähung dar. Sie würdigen die Beschwerdeführerin in mehrfacher Hinsicht herab: Als Frau durch die Bezeichnung als Prostituierte „Hure”), wegen ihrer Herkunft, die als ehrenrührig und verächtlich hingestellt wird „Griechenhure”, „Griechenscheißenstück”) und in ihrer äußeren Erscheinung „fett”, „hässlich”). Überdies wird ihr in herabsetzender Weise eine nichteheliche Abstammung von einer Prostituierten unterstellt „Hurenbastard”). Schließlich stehen diese Äußerungen im Zusammenhang der Drohung des Beklagten, die Beschwerdeführerin vor Gericht „fertig zu machen”. Diese Äußerungen sind Ausdruck tiefer Missachtung der Beschwerdeführerin und diffamieren sie in einem durch Einschüchterung geprägten Zusammenhang.
(b) Der Kontext einer Äußerung kann ergeben, dass die Worte nicht so gemeint waren und eventuell auch nicht so verstanden wurden. Ausdrücke, die in manchen Kreisen oder unter Freunden im Rahmen eines eher rauen Umgangstons gängig sind, können in anderem Zusammenhang intensiv verletzen. Die vom Landgericht aufgeführten Begleitumstände nehmen der Äußerung nicht ihr Gewicht als gehässige Schmähung, die den auf der Menschenwürde aufbauenden Achtungsanspruch auf schwere Weise verletzt.
Ist eine Äußerung ihrem Wortlaut nach Ausdruck tiefer Verachtung, indiziert dies eine besondere Schwere der Verletzung. Die vom Landgericht aufgeführten Begleitumstände reichen nicht, das Gewicht der Verletzung zu verringern. Der schon in der Äußerung selbst liegende Angriff auf die Menschenwürde erlangt nicht erst dann erhebliches Gewicht, wenn eine Wiederholung der Äußerung, also eine weitere Persönlichkeitsverletzung, zu befürchten ist. Unmaßgeblich ist auch, ob ein Dritter – hier die Ehefrau des Beklagten – sich anschließend um ein besseres nachbarschaftliches Verhältnis bemüht hat. Dass außer der Beschwerdeführerin und ihrem Mann niemand die Beleidigungen wahrgenommen hat, mag zwar für weitere Folgen einer Beeinträchtigung der Persönlichkeit bedeutsam sein. An der Schwere der Verletzung durch die Äußerung selbst ändert dies jedoch nichts. Der Persönlichkeitsschutz ist unabhängig davon, wie viele Personen an der Kommunikation beteiligt sind. Die vom Landgericht festgestellten „freundschaftlichen Beziehungen” der Parteien, insbesondere der Beschwerdeführerin und der Ehefrau des Beklagten, verringern für sich allein das Gewicht der Verletzung ebenfalls nicht. Eine Freundschaft kann sogar darüber zerbrechen. Dass die Äußerung – wie das Landgericht ausführt – durch eine Handlung im Rahmen eines „Streits unter Freunden bzw. Bekannten” erfolgte, steht im Übrigen damit im Widerspruch, dass der Beklagte bei dem tagsüber stattgefundenen Streit gar nicht anwesend war und die Aufzeichnung auf dem Anrufbeantworter erst am Abend erfolgt ist.
bb) Das Landgericht hat die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ebenfalls nicht zutreffend gewürdigt, als es die zweite Voraussetzung einer Geldentschädigung verneint und ausgeführt hat, die Beschwerdeführerin hätte auf andere Weise Genugtuung erfahren können, nämlich durch Herbeiführen einer Entschuldigung durch den Beklagten.
Ob eine Entschuldigung Genugtuung für eine vorher erfolgte Verletzung des sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruchs schaffen kann, mag dahinstehen. Jedenfalls müsste sie dann von dem Schädiger ausgehen. Dem Opfer einer Persönlichkeitsverletzung zuzumuten, den Täter um eine versöhnliche Geste zu bitten, kann eine weitere Demütigung bedeuten. Dies darf die Rechtsordnung nicht als Voraussetzung für einen rechtlichen Anspruch, hier auf Geldentschädigung, verlangen, der gerade dazu führen soll, die Folgen der erfolgten Persönlichkeitsverletzung abzumildern. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte sich für die Äußerung entschuldigen wollte und die Beschwerdeführerin dies abgelehnt hätte, sind nicht ersichtlich.
2. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Form einer Willkürentscheidung liegt hingegen nicht vor (dazu vgl. BVerfGE 57, 39 ≪42≫; 87, 273 ≪278 f.≫; 89, 1 ≪13 f≫). Die bloße Fehlgewichtung im Rahmen der Subsumtion eines tatsächlichen Vorgangs unter die zutreffend erkannten Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage stellt grundsätzlich keine Willkürentscheidung dar.
3. In ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG ist die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht verletzt. Grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen (vgl. BVerfGE 66, 116 ≪147≫; 74, 1 ≪5≫). Eine solche Pflicht besteht nur dann ausnahmsweise, wenn das Gericht seiner Entscheidung einen rechtlichen Gesichtspunkt zu Grunde legt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188 ≪190≫; 86, 133 ≪144 f.≫). So lag es hier nicht.
4. Die Entscheidung beruht auf der ungenügenden Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Anwendung der Tatbestandsmerkmale der besonderen Schwere der Beleidigung und bei der Beurteilung der Möglichkeit anderweitiger Genugtuung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht die Klage der Beschwerdeführerin nicht abgewiesen hätte, wenn es die Äußerung im Lichte der Bedeutung der Menschenwürde bewertet hätte.
5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO in Verbindung mit den durch das Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerfGE 79, 357 ≪361 ff.≫; 79, 365 ≪366 ff.≫).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1262371 |
NJW 2004, 2371 |
NVwZ 2004, 1350 |
JT 2005, 34 |