Immer öfter Schmerzensgeld für frauenfeindliche Beleidigungen

Der Journalist und ehemalige Vorsitzende der „Ludwig-Erhard-Stiftung“ Roland Tichy muss 10.000 EUR Schmerzensgeld an die SPD-Politikerin Sawsan Chebli wegen einer sexistischen Beleidigung zahlen. Auch andere Frauen setzten sich zunehmend erfolgreich gegen sexistische Veröffentlichungen zu ihren Lasten zu Wehr.

"Hate Speech“ ist nicht nur im Netz zunehmend zu einer unerfreulichen gesellschaftlichen Alltagsrealität geworden. Sexistische Beleidigungen sind dabei keinesfalls die Ausnahme. Die Reaktionen der Justiz auf diese Phänomene sind eher uneinheitlich. Neue Urteile zeigen jedoch eine erhöhte Bereitschaft der Gerichte den von solchen verbalen Ausfällen Betroffenen nennenswerte Schmerzensgeldansprüche zuzuerkennen.

Der Fall: 

Ein Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung ist das Urteil des Berliner Landgerichts im Fall der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli und des Journalisten Roland Tichy. Das Gericht verurteilte Tichy wegen sexistischer Beleidigung zur Zahlung von 10.000 EUR Schmerzensgeld an die Politikerin. Tichy ist Herausgeber des laut Eigenwerbung „liberal-konservativen Meinungsmagazins“ „Tichys Einblick“. Verbunden mit dem Magazin ist eine Online-Plattform, die  mal als „von der Tendenz her eher rechtspopulistisch und nationalkonservativ" beschrieben wird und laut Urteil des Stuttgarter Landgerichts auch - möglicherweise "überspitzt" - als  als „neurechte Plattform“ bezeichnet werden darf, „deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht“. Tichy war von 2007-2014 Chefredakteur des Magazins „Wirtschaftswoche“ und darüber hinaus einige Jahre Vorsitzender der CDU nahen „Ludwig-Erhard-Stiftung“.

Als Satire getarnter Sexismus

In einem satirischen Text der Druckausgabe von „Tichys Einblick“, der nicht von Tichy selbst verfasst wurde, wurde im Kontext der Bundestagswahl 2021 die Bundestagskandidatur der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli kritisch satirisch kommentiert. Wörtlich heißt es dort:

„Was spricht für Sawsan? Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer“.

Chebli klagte auf Schmerzensgeld

Im Anschluss an die Veröffentlichung dieses Textes kam es auf Initiative der damaligen Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, Dorothee Bär, zu mehreren Austritten von Politikern aus der Ludwig-Erhard-Stiftung, andere ließen ihre Mitgliedschaft ruhen. Die Politikerin Chebli verklagte den Herausgeber des Magazins, Roland Tichy, wegen sexistischer Beleidigung auf Schmerzensgeld.

Gericht bewertete Satirebeitrag als Angriff auf das Persönlichkeitsrecht

Die Klage war vor dem LG Berlin nun erfolgreich. Das LG sprach der Politikerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EUR zu. In einem vorausgegangenen Verfahren hatte die Politikerin bereits eine Unterlassungserklärung gegen Tichy erwirkt. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, bei den Äußerungen in dem von Tichy herausgegebenen Magazin handle es sich um

  • eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Politikerin sowie
  • um eine Verletzung der Menschenwürde.

Einzelheiten der Urteilsbegründung sind noch nicht bekannt. Ein Sprecher des Berliner Gerichts hat daher bisher keine näheren Angaben zur Begründung des Urteils gemacht. (LG Berlin, Urteil v. 16.12.2021, 27 O 195/21). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann noch Berufung beim Kammergericht eingelegt werden.

6.000 Euro Schmerzensgeld für Klimaaktivistin Neubauer

Die Reihe der Verurteilungen zu Schmerzensgeldzahlungen wegen sexistischer Beleidigungen wird in der deutschen Justiz länger. Einen ähnlichen Erfolg wie die SPD-Politikerin Chebli erzielte Ende des vergangenen Jahres die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Wegen sexistischer Beleidigungen in einem Facebook-Kommentar hatte sie gegen den Blogger Akif Pirincci geklagt. Das LG Frankfurt hatte auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 Euro wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klimaaktivistin erkannt (LG Frankfurt, Urteil vom 2.12.2021, 2-03 O 329/20).

Mit der Beleidigung von Renate Künast tat sich das LG Berlin schwer

In der deutschen Rechtsprechung existieren allerdings auch Gegenbeispiele. Als die grüne Politikerin Renate Künast sich gegen beleidigende und teilweise sexistische Pöbeleien in sozialen Medien wie „Drecksfotze“ und ähnliches wehrte, hatte ihre Klage zunächst keinen Erfolg. Das LG Berlin vertrat zunächst die Auffassung, die Äußerungen hätten sich auf einen Zwischenruf der Politikerin im Bundestag zum Thema „Sexueller Umgang mit Kindern“ bezogen und hätten damit einen - wenn auch indirekten - Sachbezug aufgewiesen. In der öffentlichen Kritik stehende Politiker müssten in der Lage sein, solche Äußerungen auszuhalten. Später änderte das gleiche Gericht auf eine Beschwerde der Politikerin die Entscheidung teilweise ab und bewertete Äußerungen wie „Schlampe“, „Drecksfotze“ und „Drecksau“ nachträglich als Formalbeleidigungen, die lediglich der Herabsetzung der Person dienten und keinen Sachbezug aufgewiesen hätten (LG  Berlin, Abhilfebeschluss v. 21.1.2020, 27 AR 17/19).

Nach welchen Kriterien bemessen sich die Schmerzensgeldbeträge?

Eine interessante Frage ist, nach welchen Kriterien die Gerichte in Fällen sexistischer Beleidigungen die Höhe des Schmerzensgeldes beziffern. Die Beurteilung richtet sich nach § 253 BGB. Nach dieser Vorschrift ist Schmerzensgeld im Fall einer Beleidigung dann zu gewähren, wenn es sich um eine schwerwiegende, rechtswidrige, schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt, die nicht auf andere Weise als durch eine Entschädigung in Geld in angemessener Weise beseitigt werden kann (BGH, Urteil v. 15.9.2015, VI ZR 175/14).

Kriterien für die Schmerzensgeldbemessung

Diese vom BGH gezogene Grenzlinie können Äußerungen dann überschreiten, wenn sie beispielsweise die Intimsphäre der Zielperson beeinträchtigten und deren Persönlichkeitsrecht mindern. Reine Schmähkritik, die ausschließlich der Herabsetzung der Würde des Betroffenen gilt, überschreitet in der Regel diese Schwelle. Ansatzpunkte sind darüber hinaus die in den Äußerungen zu Tage getretene Gehässigkeit, die Wortwahl, Anlass und Beweggrund der Äußerungen, der Grad des Verschuldens, die beim Beleidigten ausgelöste Betroffenheit und nicht zuletzt der Grad der Verbreitung der Beleidigung zum Beispiel in öffentlichen Medien (BGH, Urteil v. 24.5.2016, VI ZR 496/15 und Urteil v. 21.4.2015, VI ZR 245/14). Sowohl im Fall Neubauer als auch im Fall Chebli dürften der hohe Verbreitungsgrad der Äußerungen und die erzielte hohe öffentliche Aufmerksamkeit eine erhebliche Rolle bei der Bemessung des Schmerzensgeldes gespielt haben.

Selbst grobe Beleidigungen führen nicht immer zu Schmerzensgeldansprüchen

Der BGH gewährt Schmerzensgeld selbst bei groben Beleidigungen nicht in jedem Fall. Eine Geldentschädigung in Form von Schmerzensgeld ist nach der Rechtsprechung des BGH unter anderem dann nicht angezeigt, wenn eine Beleidigung erkennbar ein Einzelfall ohne Wiederholungsgefahr bleibt und keinen nennenswerten Verbreitungsgrad erreicht (BGH, Urteil v. 14.11.2017, VI ZR 534/15). Insgesamt bleibt sowohl die rechtliche Bewertung als auch die Bemessung der Höhe des Schmerzensgelds damit stets eine Einzelfallentscheidung, die eine umfassende Würdigung der Gesamtsituation erfordert.


Schlagworte zum Thema:  Persönlichkeitsrecht, Schmerzensgeld