Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchsuchungsbeschluss aufgrund eines zwei Jahre zurückliegenden abgehörten Telefongesprächs
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 31.08.2001; Aktenzeichen 506 Qs 51/01) |
AG Berlin-Tiergarten (Beschluss vom 21.12.2000; Aktenzeichen 351 Gs 4926/00) |
Tenor
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. Dezember 2000 – 351 Gs 4926/00 – und des Landgerichts Berlin vom 31. August 2001 – 506 Qs 51/01 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde im Dezember 1998 telefonisch überwacht. Aus den Gesprächen schloss die Staatsanwaltschaft, dass der Beschwerdeführer 10 g Kokain bestellt habe und ein Übergabetermin vereinbart worden sei. Im Dezember 2000 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers zum Zwecke der Auffindung von Betäubungsmitteln und Händlerutensilien an. Im Beschluss heißt es, dem Beschwerdeführer werde vorgeworfen, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel zu treiben.
Bei der Durchsuchung im Januar 2001 wurden 0,35 g Marihuana aufgefunden. Am 17. Juli 2001 legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein und begründete diese mit der Unverhältnismäßigkeit des Durchsuchungsbefehls. Der Durchsuchungszweck habe nicht erreicht werden können, da das Gespräch über die vermutete Bestellung von Kokain zwei Jahre zurückgelegen habe.
Diese Beschwerde verwarf das Landgericht Berlin unter Bezugnahme auf die „zutreffenden Gründe” der angefochtenen Entscheidung als unbegründet. Zweck der Durchsuchung sei weniger gewesen, zwei Jahre zuvor erworbenes Kokain aufzufinden; vielmehr habe aufgrund der Gesamtermittlungen Grund zu der Annahme bestanden, weitere Beweismittel zu finden.
2. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 13 GG rügt. Der Durchsuchungsbeschluss sei unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Auf Ermittlungsergebnisse von vor zwei Jahren könne der Durchsuchungsbeschluss nicht gestützt werden, wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Durchsuchungsbeschluss nach einem halben Jahr seine rechtfertigende Kraft verliere. Das Gericht habe keine eigenverantwortliche Prüfung der Ermittlungen in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit angestellt.
3. Die Senatsverwaltung für Justiz im Land Berlin hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Kammer kann der Verfassungsbeschwerde stattgeben, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen Fragen bereits entschieden hat und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Art. 13 Abs. 1 GG verpflichtet den eine Durchsuchung anordnenden Richter als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Es ist Aufgabe des Richters, von vornherein für eine angemessene Begründung der Zwangsmaßnahme Sorge zu tragen. Ein Durchsuchungsbeschluss, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem weder die Art noch den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lässt, wird diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne Weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind. Die nur schlagwortartige Bezeichnung der mutmaßlichen Straftat und die Anführung des Wortlauts des § 102 StPO genügen in einem solchen Fall nicht (vgl. BVerfGE 42, 212 ≪220≫; vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2000 – 2 BvR 2212/99 –, StV 2000, S. 465 f.). Der Richter darf die Durchsuchung zudem nur anordnen, wenn er sich auf Grund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist. Der richterliche Durchsuchungsbeschluss hat die rechtliche Grundlage der konkreten Maßnahme zu schaffen und muss Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51 f.≫).
2. Diese rechtsstaatlichen Mindestanforderungen erfüllt der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts nicht.
Der Durchsuchungsbeschluss enthält keine tatsächlichen Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs und nennt weder die Art noch den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt. Konkrete Angaben zum Tatvorwurf werden vom Amtsgericht nicht gemacht. Nur die schlagwortartige Bezeichnung der mutmaßlichen Straftat und die Anführung des Wortlauts des § 102 StPO genügen nicht. Der Vorwurf, gegenwärtig mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben, wird nicht weiter konkretisiert. Auch das Landgericht hat den rechtsstaatlichen Forderungen nicht entsprochen. Nachdem die Durchsuchung durchgeführt war, gab es für das Landgericht keine erkennbaren Gründe, nunmehr auf die erforderlichen Angaben zum Tatvorwurf zu verzichten. Die Begründung, Gesamtermittlungen legten den Verdacht des Handeltreibens nahe, reicht für die verfassungsrechtlichen Maßstäbe insoweit nicht aus. Daraus ergibt sich kein nach Ort, Zeit und Umfang nachvollziehbarer konkreter Tatvorwurf. Den Umstand, dass der Beschwerdeführer zwei Jahre zuvor Betäubungsmittel erworben hat, erwähnen die Fachgerichte in ihren Beschlüssen nicht. Es dürfte im Übrigen zweifelhaft sein, daraus ohne weiteres auf ein zwei Jahre später stattfindendes Handeltreiben zu schließen.
Angesichts der ungenauen Formulierung im amtsgerichtlichen Beschluss, die durch das Landgericht keine weitere Präzisierung erfahren hat, ist auch nicht festzustellen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt ist. Es ist daher nicht erkennbar, dass die Stärke des Tatverdachts zum Grundrechtseingriff in Relation gesetzt wurde.
III.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 771848 |
NPA 2002, 0 |
StV 2003, 205 |