Verfahrensgang
OLG Bamberg (Beschluss vom 10.01.2012; Aktenzeichen 1 Ws 726/11) |
LG Bayreuth (Beschluss vom 30.11.2011; Aktenzeichen StVK 1083/09) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 30. November 2011 – StVK 1083/09 – und des Oberlandesgerichts Bamberg vom 10. Januar 2012 – 1 Ws 726/11 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.
Die genannten Entscheidungen werden aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Bayreuth zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
Gegen die ansonsten strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getretene 66-jährige Beschwerdeführerin, die im August 1997 ihren Ehemann getötet hatte, wurde durch Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Januar 1999 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, die seit Juli 1999 vollstreckt wird.
1. Zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann hatte es jahrelang erhebliche Spannungen gegeben, weil die ansonsten ruhige Beschwerdeführerin infolge eines sich zunehmend verschlimmernden „Vermüllungssyndroms” beziehungsweise „Sammelwahns” Unrat in erheblichen Mengen zuhause gelagert hatte und dabei gelegentlich „geradezu zur Furie” geworden war. Sie hatte ihren Ehemann des Öfteren betäubt und ihn schon früher mehrfach angebunden, weil sie sich von seiner ständigen Gegenwart bei der Verwertung des Mülls behindert gefühlt hatte. Im August 1997 betäubte die Beschwerdeführerin ihren Ehemann sodann erneut und band ihn fest. Nachdem er aufgewacht war und sich von der Fesselung befreit hatte, schlug sie ihm mehrmals mit einer vollen Mineralwasserflasche auf den Hinterkopf, wodurch er verstarb. Den Leichnam zerteilte die Beschwerdeführerin mit einem Küchenmesser sowie einem Küchenbeil und entsorgte die Leichenteile. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Einsichtsfähigkeit der Beschwerdeführerin zur Tatzeit krankheitsbedingt aufgehoben.
2. Im März 2011 kam eine Begutachtung durch eine psychiatrische Sachverständige zu dem Ergebnis, dass negative prognostische Faktoren noch überwögen. Sollten sich erneut Straftaten manifestieren, so sei mit Taten wie zum Beispiel Körperverletzungen zu rechnen, die sich auf Personen aus dem privaten Umfeld der Beschwerdeführerin beziehen würden. Hinsichtlich des Sammelverhaltens blieben Belastungssituationen abzuwarten, doch sei nicht mit raptusartigem Auftreten von aggressiven Durchbrüchen zu rechnen, sondern es bestehe – bei einer engmaschigen sozialen Kontrolle – die Möglichkeit rechtzeitiger therapeutischer Intervention.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 30. November 2011 ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth erneut die Fortdauer der Unterbringung an, da nicht zu erwarten sei, dass die Beschwerdeführerin keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Wesentliche therapeutische Ziele hätten nach dem zutreffenden Gutachten der Sachverständigen noch nicht erreicht werden können. Auch wenn die Beschwerdeführerin nicht beabsichtige, eine neue Partnerschaft aufzunehmen, sei darauf hinzuweisen, dass sie gegenüber der Sachverständigen erklärt habe, sie wolle mit einem pflegebedürftigen Menschen zusammenziehen und jenem helfen. Weitere Ausführungen dazu erübrigten sich.
4. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Bamberg mit der ebenfalls angegriffenen Entscheidung vom 10. Januar 2012. Auch das Oberlandesgericht ging davon aus, dass weitere rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Nach dem Sachverständigengutachten, dem sich der Senat anschließe, drohten außerhalb des beschützenden Settings „der Anlasstat vergleichbare” Taten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei auch unter Berücksichtigung der Dauer der Unterbringung weiterhin gewahrt. Zur Begründung nahm der Senat Bezug auf eine frühere Entscheidung, in der er ausgeführt hatte, bei Aussetzung der Maßregel sei mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen, die – wie das Anlassdelikt zeige – die weitere Unterbringung zum Schutz der Allgemeinheit rechtfertigten.
Entscheidungsgründe
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin vor allem eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Während der Unterbringung sei die Beschwerdeführerin nie gewalttätig geworden. Da es sich außerdem um eine Beziehungstat gehandelt habe, bestehe entgegen der Einschätzung der Sachverständigen kein Risiko erneuter Taten. Wegen der zunehmenden Dauer des Freiheitsentzugs stiegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe der Entscheidung. Im Übrigen könne einer etwaigen Gefahr durch geeignete Auflagen begegnet werden.
III.
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Diese sei unbegründet. Das Oberlandesgericht habe angenommen, dass ein erneuter Mord begangen werden könne. Eine Aussetzung einer Maßregel dürfe nicht zu einem erneuten Kapitaldelikt führen. Sowohl die Anlasstat als auch die Therapiefortschritte, die Entlassungssituation und die drohenden Straftaten seien umfassend abgewogen worden. Eine nicht hinreichende Berücksichtigung des Freiheitsgrundrechts der Beschwerdeführerin sei nicht ersichtlich. Da als Anlasstat ein Mord zugrunde liege, bestünden auch angesichts der Dauer des Maßregelvollzugs von 13 Jahren keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer.
Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
IV.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere die anzulegenden Maßstäbe bei der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297 ff.). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Prüfung der Fortdauer der Maßregel verkannt.
1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann „die Freiheit der Person” und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich” bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 ≪190≫; 109, 133 ≪157≫; 128, 326 ≪372≫).
Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 22, 180 ≪219≫; 29, 312 ≪316≫; 35, 185 ≪190≫; 45, 187 ≪223≫; stRspr). Kollidiert der Freiheitsanspruch der Person mit der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder dem Erfordernis, die Allgemeinheit vor zu erwartenden Rechtsgutverletzungen zu schützen, sind beide Belange gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪172≫; 109, 133 ≪157≫; 128, 326 ≪372 f.≫). Dabei gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist. Die verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriffstatbestände haben insoweit auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie nicht nur den Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Interesse erlauben, sondern zugleich die äußersten Grenzen zulässiger Grundrechtseinschränkungen bestimmen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫; 75, 329 ≪341≫; 126, 170 ≪195≫; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 27. März 2012 – 2 BvR 2258/09 –, juris, Rn. 56).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidungen über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311≫). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist daher in die Prüfung der sogenannten Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die dem Richter auferlegte Prognose erfordert eine wertende Entscheidung. Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪312 f.≫).
Es ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten abzustellen, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin „erheblich” im Sinne des § 63 StGB sein. Die Beurteilung hat sich demnach darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist vor allem aber auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Dazu gehören nicht nur der Zustand des Untergebrachten, sondern auch die zu erwartenden Lebensumstände. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann es auf die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahme der Aufsicht und Hilfe ankommen (vgl. §§ 68a, 68b StGB), insbesondere also die Tätigkeit eines Bewährungshelfers und die Möglichkeit bestimmter Weisungen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪313 f.≫).
Da es sich bei der Gesamtwürdigung der für die Frage der Aussetzung (§ 67d Abs. 2 StGB) maßgeblichen Umstände um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen. Je länger aber die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs sein. Das Freiheitsgrundrecht gewinnt wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht für die Wertungsentscheidung des Strafvollstreckungsrichters. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪314 f.≫).
Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wirkt sich bei langdauernden Unterbringungen in einem Psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auch auf die an die Begründung einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 StGB zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem immer stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist mithin vor allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus. Bleibt das Bemühen des Richters um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2010, – 2 BvR 660/09 –, FamRZ 2010, S. 532 f.).
Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63, § 67d Abs. 2 StGB) diesen Maßstäben nicht, so führt das dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten auf solcher Grundlage nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪316 f.≫).
2. Die angegriffenen Entscheidungen tragen den von Verfassungs wegen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu stellenden Anforderungen nicht hinreichend Rechnung. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung dauerte der Maßregelvollzug bereits über 12 Jahre. Die Anordnung der Fortdauer hätte daher angesichts des zunehmenden Gewichts des Freiheitsanspruchs der Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sorgfältiger Begründung bedurft. Daran fehlt es.
Das Landgericht hat zur Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung überhaupt keine Erwägungen angestellt, was besorgen lässt, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vorgenommen wurde.
Das Oberlandesgericht geht bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung von falschen Voraussetzungen aus. Soweit dort ausgeführt wird, die Verhältnismäßigkeit sei nach wie vor gewahrt, weil „der Anlasstat vergleichbare rechtswidrige Taten” drohten, was die weitere Unterbringung zum Schutz der Allgemeinheit rechtfertige, lässt sich dies nicht auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens stützen.
Nach Einschätzung der Sachverständigen ist allenfalls mit Taten wie zum Beispiel Körperverletzungen zu rechnen, die sich auf Personen aus dem privaten Umfeld der Beschwerdeführerin beziehen. Aus dem Gutachten ergibt sich nicht, dass die Gefahr eines weiteren Tötungsdelikts oder einer Körperverletzungshandlung besteht, die – etwa aufgrund besonderer Intensität – unbeabsichtigte tödliche Folgen haben könnte. Auch in Belastungssituationen im Zusammenhang mit dem Sammelverhalten der Beschwerdeführerin – welches der Auslöser für die Ausgangstat war – ist nach den Angaben der Sachverständigen nicht mit raptusartigem Auftreten von aggressiven Durchbrüchen zu rechnen, sondern besteht die Möglichkeit rechtzeitiger therapeutischer Intervention.
Wenn das Oberlandesgericht hinsichtlich der drohenden Taten vom Sachverständigengutachten hätte abweichen wollen, hätte dies angesichts der ausführlichen Herleitung des Ergebnisses des Gutachtens sorgfältiger Begründung bedurft. Da sich das Oberlandesgericht jedoch dem nach seinen eigenen Feststellungen „umfangreichen, wissenschaftlich fundierten schriftlichen Gutachten” sogar anschließt, ist nicht nachvollziehbar, woraus es die Gefahr zukünftiger einem Tötungsdelikt vergleichbarer Delikte ableitet. Bereits wegen der nicht näher begründeten Annahme dieser Gefahr genügt die angegriffene Entscheidung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer des Maßregelvollzugs nicht.
Ferner hätte das Oberlandesgericht darlegen müssen, wie hoch die Gefahr der Begehung der – laut Gutachten lediglich zu befürchtenden – Körperverletzungshandlungen ist. Nicht jede Negativprognose kann schematisch in gleicher Weise Berücksichtigung finden. Vorliegend ist nach dem Gutachten vielmehr von einem Grenzfall auszugehen, welcher die Gutachterin gerade noch zu einer negativen Prognose führte. Im Historical, Clinical, Risk Management-20 (HCR 20) ergab sich ein niedriger Punktewert, wonach gerade kein erhöhtes Risiko für zukünftige Gewalttaten der Beschwerdeführerin besteht. Wenn die Sachverständige sodann trotz positiver Basisraten, positiver prädeliktischer und postdeliktischer Faktoren, des Charakters des Deliktes als Beziehungstat und trotz weiterer günstiger Umstände vorsichtig feststellt, es finde sich „noch” ein Überwiegen negativer Faktoren, mag dies nicht unvertretbar sein. Gleichwohl hätte das Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung das Maß der Gefährdung und das Gewicht der bedrohten Rechtsgüter konkretisieren und auf dieser Grundlage eine Abwägung mit dem Freiheitsanspruch der Beschwerdeführerin vornehmen müssen.
Schließlich fehlt auch eine Auseinandersetzung damit, inwieweit etwaigen Gefahren durch geeignete Auflagen entgegengewirkt werden könnte.
3. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Gerhardt, Hermanns, Müller
Fundstellen