Verfahrensgang
LG Bonn (Beschluss vom 14.05.2007; Aktenzeichen 32 Qs 157/06) |
LG Bonn (Beschluss vom 02.04.2007; Aktenzeichen 32 Qs 157/06) |
AG Siegburg (Beschluss vom 12.06.2006; Aktenzeichen 262 AR - 3/04) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Bonn vom 2. April 2007 – 32 Qs 157/06 – und vom 14. Mai 2007 – 32 Qs 157/06 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht Bonn zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung der Fortdauer der Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus.
Der heute 24 Jahre alte Beschwerdeführer wurde im Jahre 2004 wegen versuchten Totschlags zu Lasten seiner Exfreundin zu einer Jugendstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zugleich wurde die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, die seither vollzogen wird.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 12. Juni 2006 ordnete die zuständige Vollstreckungsleiterin des Amtsgerichts Siegburg die Fortdauer der Unterbringung an, nachdem der Beschwerdeführer vom ersuchten Richter am Amtsgericht Köln angehört worden war.
Im Beschwerdeverfahren holte das Landgericht ein externes fachpsychiatrisches Gutachten zur Frage der Erforderlichkeit der Fortsetzung des Maßregelvollzuges ein. Die Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer weiterhin an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide. Der bisherige Therapieverlauf habe nur zu einer mäßigen Besserung der Symptomatik geführt, es verblieben erhebliche Defizite, die zurzeit eine positive Prognosestellung noch nicht erlaubten. Dies ergebe sich unter anderem aus der mangelnden Krankheitseinsicht und dem Fehlen von realistischen Zukunftsperspektiven. Die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit bestehe fort.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. April 2007 verwarf daraufhin das Landgericht die Beschwerde. Aus dem eingeholten Gutachten ergebe sich, dass die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts zutreffend sei.
Gegen den Beschluss erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung. Entgegen § 454 Abs. 2 Satz 3 stopp sei die Sachverständige nicht angehört worden, der Beschwerdeführer habe keine Gelegenheit gehabt, sich persönlich zu dem Gutachten zu äußern und der Sachverständigen Fragen zu stellen.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 14. Mai 2007 verwarf das Landgericht die Gegenvorstellung. Das Amtsgericht habe zu Recht kein Gutachten eingeholt, weil es eine Aussetzung nicht erwogen habe; angesichts der ihm vorliegenden Stellungnahme der Klinik habe es der Möglichkeit der Aussetzung der Unterbringung auch nicht näher treten müssen. Die Kammer habe gleichwohl ein ergänzendes externes Gutachten eingeholt, um den im Beschwerdeverfahren geäußerten sachlichen Bedenken Rechnung zu tragen; dies führe aber nicht zu einer anderen Beurteilung. Auch aus dem Gutachten ergäben sich keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für eine Aussetzung, so dass kein Anlass bestanden habe, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Die Anhörung der Sachverständigen sei entbehrlich gewesen, weil dem Verteidiger das Gutachten mit einer Stellungnahmefrist und der Anfrage, ob die Beschwerde zurückgenommen werde, übersandt worden sei, ohne dass daraufhin eine Reaktion erfolgt sei. Damit habe die Kammer klar erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie eine weitere Anhörung der Sachverständigen für entbehrlich erachte. Der Verteidiger habe durch sein Schweigen einen konkludenten Verzicht auf die Anhörung der Sachverständigen erklärt. Ergänzend weist das Landgericht darauf hin, dass bei der nächsten Überprüfung der Unterbringung eine Anhörung der Sachverständigen durch das Amtsgericht erforderlich werden dürfte, wenn deren Stellungnahme Grundlage von Folgeentscheidungen der Klinik würde.
Mit Beschluss vom 26. Juni 2007 hat das Amtsgericht turnusmäßig erneut die Fortdauer der Unterbringung angeordnet; die dagegen gerichtete Beschwerde wurde zurückgewiesen. Hiergegen hat der Beschwerdeführer keine Verfassungsbeschwerde erhoben.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 1 GG.
Die angegriffene Entscheidung lasse nicht erkennen, dass sich das Gericht der Grundrechtsrelevanz der Entscheidung bewusst gewesen sei und zeige eine kritiklose Gefolgschaft gegenüber der Sachverständigen. Das Gutachten sei handwerklich mangelhaft und enthalte keine konkreten Anhaltspunkte für ein fortbestehendes Gefährdungspotential. Art und Umfang etwaiger neuerlicher Taten seien nicht angegeben, auch nicht deren Wahrscheinlichkeit. Die Frage, ob andere Maßnahmen anstelle der Aussetzung der Maßregel denkbar seien, werde weder im Gutachten noch in den angegriffenen Entscheidungen erörtert. Es fehle auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.
Durch die Vorgehensweise der Kammer werde das Recht auf rechtliches Gehör völlig ausgehebelt. Der Beschwerdeführer sei persönlich weder vom Amtsgericht noch vom Landgericht angehört worden, das Sachverständigengutachten sei nicht mündlich mit der Gutachterin erörtert worden. Ein konkludenter Verzicht auf die Anhörung sei nicht beabsichtigt gewesen, zumal sich das Erfordernis der mündlichen Anhörung der Sachverständigen aus dem Gesetz ergebe.
III.
Das nordrhein-westfälische Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BverfGG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist trotz der inzwischen ergangenen Entscheidungen über die Fortdauer der Unterbringung zulässig. Im Hinblick auf die angegriffenen Entscheidungen, durch die die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung erneut abgelehnt und die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verworfen wurde, besteht zwar kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine den vergangenen Zeitraum betreffende erneute Entscheidung der Strafvollstreckungsgerichte über die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung. Im Hinblick auf den mit dem Freiheitsentzug verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriff besteht ein solches aber gleichwohl für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen (vgl. BverfGE 70, 297 ≪322≫).
2. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.
a) Im Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf der Untergebrachte, ebenso wie auch sonst im Straf- und Strafvollstreckungsverfahren, nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein (vgl. BverfGK 6, 326 ≪331≫). Es muss sichergestellt sein, dass der Beschuldigte auf den Gang und das Ergebnis des gegen ihn geführten Verfahrens Einfluss nehmen kann (vgl. BverfGE 63, 380 ≪391≫; 70, 297 ≪323≫). Verfahrensrechtlich muss gewährleistet sein, dass das Vollstreckungsgericht die Notwendigkeit weiterer Maßregelvollstreckung regelmäßig überprüft und dabei besonderen Anforderungen an die Wahrheitserforschung gerecht wird (vgl. BverfGE 109, 133 ≪162≫; BverfGK 4, 176 ≪181≫).
Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 2 und 3, § 67e StGB), über die dazu regelmäßig erforderliche Anhörung des Betroffenen (§ 463 Abs. 1, § 454 Abs. 1 stopp) und über die Vorbereitung einer in Erwägung gezogenen Aussetzung gebotene sachverständige Begutachtung (§ 463 Abs. 1, § 454 Abs. 2 stopp) dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. BverfGE 18, 85 ≪93≫; 72, 105 ≪114 f.≫; 109, 133 ≪163≫; BverfGK 4, 176 ≪181≫).
b) Das Landgericht hat bei der angegriffenen Entscheidung Verfahrensvorschriften der Strafprozessordnung nicht eingehalten (aa) und dadurch zugleich gegen das verfassungsrechtliche Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren verstoßen (bb).
aa) Entgegen der insoweit unabdingbaren Regelung des § 454 Abs. 2 Satz 3 stopp hat das Landgericht weder die Sachverständige noch den Beschwerdeführer zum Inhalt des Gutachtens persönlich angehört.
Im Verfahren über die Aussetzung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, holt das Gericht nach § 463 Abs. 1, 3 Satz 1, § 454 Abs. 2 stopp ein externes Sachverständigengutachten ein, wenn es erwägt, die Maßregel auszusetzen. Nach § 454 Abs. 2 Satz 3 stopp ist der Sachverständige mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. „Mitwirkung des Verurteilten” bedeutet dabei ein Anwesenheitsrecht. Von der Anhörung des Sachverständigen kann nach Satz 4 nur abgesehen werden, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten, oder, ausnahmsweise, auch dann, wenn der Aussetzungsantrag aussichtslos ist. Stützt das Gericht seine Entscheidung aber auf das Ergebnis eines Gutachtens, so ist der Sachverständige auch bei Aussichtslosigkeit des Antrags anzuhören; denn die Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 3 stopp ist zwingendes Recht und dient auch dem Anspruch des Verurteilten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2003 – 1 Ws (L) 9/03 –, NStZ 2005, S. 55 ≪56≫).
Das Landgericht hat seine Entscheidung ausdrücklich auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens gestützt, so dass hier die Gutachterin in Anwesenheit des Beschwerdeführers hätte angehört werden müssen. Soweit das Landgericht davon ausgeht, der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers habe auf die Anhörung des Sachverständigen und seines Mandanten „konkludent” verzichtet, ist dem nicht zu folgen. Die Anfrage des Kammervorsitzenden, ob nach Vorliegen des Gutachtens die Beschwerde zurückgenommen werde, führt nicht dazu, dass ein Schweigen des Prozessbevollmächtigten einen Verzicht auf die Anhörung zum Ausdruck bringt. Der Prozessbevollmächtigte hat durch sein Schweigen umgekehrt zum Ausdruck gebracht, dass die Beschwerde nicht zurückgenommen werde, so dass das Verfahren unter Beachtung von § 463 Abs. 1, § 454 Abs. 2 stopp zu Ende zu führen war.
bb) Die Vorschriften über die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Mitwirkung des Beschuldigten dienen der Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gebotes der bestmöglichen Sachaufklärung und sollen ein faires Verfahren gewährleisten (vgl. BverfGE 109, 133 ≪162 f.≫). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kann der Richter nach sachverständiger Beratung eine eigenständige Prognoseentscheidung, bei der er dem ärztlichen Gutachten richterliche Kontrolle entgegensetzt (vgl. BverfGE 70, 297 ≪310≫; 109, 133 ≪164≫), im Regelfall nur treffen, wenn er nicht nur das schriftliche Gutachten zur Kenntnis genommen, sondern den Sachverständigen auch mündlich angehört hat.
Die Verfahrensweise der Strafkammer hat vorliegend überdies dazu geführt, dass der Beschwerdeführer überhaupt nicht von einem der über seinen Antrag entscheidenden Richter angehört worden ist: Erstinstanzlich wurde er nicht von seiner Vollstreckungsleiterin selbst, sondern von einem von dieser ersuchten Richter angehört. Die Strafkammer hat ausschließlich aufgrund des schriftlich vorliegenden Sachverständigengutachtens, der ebenfalls schriftlich vorliegenden Stellungnahme der Klinik und den Ausführungen der Vollstreckungsleiterin im Beschluss des Amtsgerichts entschieden, in denen auf die persönliche Anhörung nicht näher eingegangen wird. Die Beteiligung des Beschwerdeführers am Verfahren war damit insgesamt nur marginal und auf einen letztlich unwesentlichen Teil des Verfahrens beschränkt; es musste sich aus seiner Sicht der Eindruck aufdrängen, dass er lediglich Objekt des Verfahrens war. Dies ist mit dem verfassungsrechtlichen Leitbild eines fairen Verfahrens nicht zu vereinbaren, auch wenn der Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers dem Gericht unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens ohnehin als aussichtslos erschienen sein mag.
3. Auf die weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der inhaltlichen Bewertung des Sachverständigengutachtens durch die Strafkammer kommt es nicht mehr an, weil bereits die festgestellte Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde führt.
4. Das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Das Landgericht hat dem Verteidiger das Sachverständigengutachten übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
V.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG durch das Landgericht festzustellen. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts ist erledigt. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen