Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 18.08.2011; Aktenzeichen 3 M 309/11) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren auf dem Gebiet des Schulrechts.
1. Der Beschwerdeführer ist Vater eines minderjährigen Sohnes, der im Schuljahr 2010/2011 die 7. Klasse einer Gesamtschule besuchte. Das Schuljahr endete mit Beginn der Sommerferien am Montag, dem 11. Juli 2011. Im Laufe des Schuljahres bestanden zwischen dem Beschwerdeführer und der Schule seines Sohnes Uneinigkeiten über ein vom Beschwerdeführer für sich selbst geltend gemachtes Hospitationsrecht. So beantragte er auch am 13. Mai 2011 bei der Schule, am 27. Mai 2011 im Physikunterricht seines Sohnes hospitieren zu dürfen. Dies lehnte der Schulleiter unter Berufung auf eine missbräuchliche Nutzung des Hospitationsrechts ab.
2. Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2011 beantragte der Beschwerdeführer unter Berufung auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und § 59 Abs. 6 SchulG LSA beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, die Schule zu verpflichten, ihm „noch in diesem Schuljahr die Möglichkeit der Hospitation im Unterricht seines Sohnes […], konkret dem Physikunterricht oder dem Mathematikunterricht […], am 27.05.2011, alternativ am 21.06.2011 zu ermöglichen”. Er sei besorgt über die psychische Entwicklung seines Sohnes und wolle sich ein eigenes Bild vom Unterricht machen, um einschätzen zu können, welche konkreten Hilfsmaßnahmen ergriffen werden sollten. Da er für seinen Sohn einen Schulwechsel zum neuen Schuljahr anstrebe, sei die Gewährung der Hospitation nur noch im verbleibenden Schuljahr möglich aber auch erforderlich.
3. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag am 26. Mai 2011 – per Fax am selben Tag zugestellt – ab. Die Schule habe die Hospitation zu Recht abgelehnt. Es müsse befürchtet werden, dass der Beschwerdeführer mit seiner Anwesenheit den Unterricht erheblich stören werde.
4. Der Beschwerdeführer legte am 9. Juni 2011 beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein, die am 14. Juni 2011 einschließlich der Gerichts- und Beiakten beim Oberverwaltungsgericht einging. Daraufhin wurde die Beschwerde der Gegenseite gegen Empfangsbekenntnis auf dem Postweg zugestellt und diese aufgefordert, bis zum 1. Juli 2011 zu der Beschwerdebegründung Stellung zu nehmen, was diese auch tat. Im Weiteren forderte das Oberverwaltungsgericht eine weitere Akte vom Verwaltungsgericht an und wurden weitere Schriftsätze ausgetauscht. Aufgrund Verfügung vom 5. August 2011 fragte das Oberverwaltungsgericht schließlich beim Beschwerdeführer an, welches Ziel mit der Beschwerde verfolgt werde, da nun das Schuljahr verstrichen sei. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer seinen Antrag um und beantragte nunmehr festzustellen, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts rechtswidrig gewesen sei.
5. Am 18. August 2011 verwarf das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde mit der Begründung, das Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen und ein Fortsetzungsfeststellungsantrag sei im Eilverfahren nicht statthaft.
6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG wegen einer angeblichen Verschleppung des Beschwerdeverfahrens durch das Oberverwaltungsgericht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Zwar begegnet die Dauer des Beschwerdeverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (1.). Jedoch ist die Verfassungsbeschwerde aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig (2.).
1. Bei Würdigung der aus der Verfassungsbeschwerde und der beigezogenen Gerichtsakte ersichtlichen Umstände dürfte die zögerliche Behandlung der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch das Oberverwaltungsgericht den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt haben.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪401 f.≫; 37, 150 ≪153≫; 101, 397 ≪407≫; stRspr). Wirksam ist nur ein Rechtsschutz, der innerhalb angemessener Zeit gewährt wird. Namentlich der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist (vgl. BVerfGE 37, 150 ≪153≫; 65, 1 ≪70≫). Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 ≪226≫; 77, 275 ≪284≫; 93, 1 ≪13 f.≫; stRspr). Wo die Dringlichkeit eines Eilantrages es erfordert, muss das angerufene Gericht, wenn es eine Stellungnahme der Gegenseite einholt, die für eine rechtzeitige Entscheidung erforderliche Zügigkeit der Kommunikation sicherstellen, indem es etwa für Übermittlungen per Fax sorgt, kurze Fristen setzt und etwa benötigte Akten zeitnah beizieht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. August 2011 – 2 BvR 1739/10 –, juris, Rn. 28 f.).
b) Diesen Anforderungen ist das Oberverwaltungsgericht hier wohl nicht gerecht geworden. Sowohl aus der ursprünglichen Antragsschrift als auch aus der Beschwerdeschrift ging deutlich hervor, dass und weshalb der Beschwerdeführer ein besonderes Interesse an der Wahrnehmung des Hospitationsrechts gerade noch im laufenden Schuljahr hatte. Auch enthielt der formulierte Antrag konkrete Daten, für die er alternativ die Hospitation begehrte. Einer dieser Tage, der 21. Juni 2011, war auch noch nicht verstrichen, als das Beschwerdeverfahren beim Oberverwaltungsgericht einging. Anders als das Verwaltungsgericht, das auf dem Fax-Wege eine Stellungnahme der Gegenseite eingeholt und innerhalb von zwei Tagen über den Antrag entschieden hat, hat das Oberverwaltungsgericht von diesen Beschleunigungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr hat es der Gegenseite eine zweiwöchige Stellungnahmefrist gesetzt, bei deren Ablauf der 21. Juni 2011 ersichtlich bereits verstrichen und das Schuljahr beinahe schon abgelaufen war. Auch nach Eingang der Stellungnahme und der weiter angeforderten Akten kam es nicht unmittelbar zu einer Entscheidung, obwohl ersichtlich Entscheidungsreife bestand. Von einer effektiven und den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist vor diesem Hintergrund wohl nicht auszugehen.
2. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG vorliegt, muss jedoch nicht ergehen, weil die Verfassungsbeschwerde bereits aus Gründen der Subsidiarität unzulässig ist. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nach den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) eine Kompensation des gerügten Verstoßes gegen das Verbot überlanger Verfahrensdauer hätte erreichen können.
a) Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde muss ein Beschwerdeführer das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; BVerfGE 107, 395 ≪414≫; 112, 50 ≪60≫; stRspr).
b) Gemessen hieran wäre es dem Beschwerdeführer auch nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch zumutbar gewesen, zu versuchen, den gerügten Grundrechtsverstoß durch die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 ganz oder zumindest teilweise zu beseitigen (so auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2012 – 2 BvR 1565/11 –, juris, Rn. 13 ff.).
Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter infolge unangemessen langer Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 gilt das Gesetz auch für abgeschlossene Verfahren, „deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann”. Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG konnte abweichend von § 198 Abs. 5 GVG bei abgeschlossenen Verfahren sofort und musste spätestens am 3. Juni 2012 erhoben werden (vgl. Art. 23 Satz 6 des Gesetzes).
Danach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nach Erhebung seiner Verfassungsbeschwerde noch Gelegenheit gehabt hätte, einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG geltend zu machen. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3. Dezember 2011 bereits abgeschlossen. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wurde dem Beschwerdeführer am 24. August 2011 zugestellt. Gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK beträgt die Frist zur Erhebung einer Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sechs Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Hierfür war die das instanzgerichtliche Verfahren beendende Entscheidung maßgeblich und nicht die Entscheidung über eine etwaige Verfassungsbeschwerde (Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Art. 35 Rn. 57). Denn jedenfalls bis zur Schaffung eines Rechtsbehelfs zur Rüge der Überlänge eines Verfahrens galt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rüge überlanger Verfahrensdauer nicht als effektiver Rechtsbehelf und musste nicht eingelegt werden, bevor sich ein Beschwerdeführer zur Geltendmachung seiner diesbezüglichen Rechte an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden konnte (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006, Sürmeli/Deutschland, Nr. 75529/01, NJW 2006, S. 2389, Rn. 116; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juni 2013 – 1 BvR 1942/12 –, juris, Rn. 8). Danach hatte der Beschwerdeführer bis zum Ablauf des 24. Februar 2012 Gelegenheit, einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen. Der vorherigen Erhebung einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG bedurfte es gemäß Art. 23 Satz 5 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer von der Möglichkeit einer Entschädigungsklage Gebrauch gemacht hat, so dass seine Verfassungsbeschwerde nicht dem Grundsatz der Subsidiarität gerecht wird.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Gaier, Schluckebier, Paulus
Fundstellen
NJW 2014, 51 |
NVwZ 2014, 62 |