Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 04.12.2006; Aktenzeichen (5) 1 Ss 96/06 (14/06)) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG derzeit nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24≫; 96, 245 ≪248≫). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde ist derzeit unzulässig.
Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, wonach ein Beschwerdeführer verpflichtet ist, über das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um es nicht zu einem Verfassungsverstoß kommen zu lassen oder um eine geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen, steht der Zulässigkeit vorliegend entgegen. Die Beschwerdeführerin kann nämlich noch durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fachgerichtlichen Rechtsschutz erreichen (vgl. BVerfGE 10, 274 ≪281≫; 42, 252 ≪256 f.≫, dort unter dem Gesichtspunkt der Rechtswegerschöpfung; 77, 275 ≪282≫).
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch dann zu gewähren, wenn die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels nicht auf eigenem Verschulden, sondern auf einem der Justiz zurechenbaren Fehler beruht (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 –, Rpfleger 2002, S. 279; Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2005 – 2 BvR 975/03 –, NStZ-RR 2005, S. 238 und vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04 u.a. –, NJW 2005, S. 3629).
2. Eine Wiedereinsetzung ist hier nicht offensichtlich aussichtslos, da ein Fall gerichtlichen Verschuldens im Rahmen der Protokollierung der Anträge durch den Rechtspfleger nicht auszuschließen ist. In diesem Fall darf eine Revision aber erst dann als unzulässig verworfen werden, wenn zuvor eine Korrektur der Entscheidung durch Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – von Amts wegen oder auf Antrag – ermöglicht wurde (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 –, Rpfleger 2002, S. 279 ≪280≫).
a) Die Rolle des den Wiedereinsetzungsantrag und die Revisionsbegründung aufnehmenden Rechtspflegers beschränkt sich im Rahmen der Revisionsbegründung, § 345 Abs. 2 StPO, nicht nur auf eine formelle Beurkundung des von dem Angeklagten Vorgebrachten. Vielmehr hat er sich an der Anfertigung der Revisionsbegründung gestaltend zu beteiligen und die Verantwortung für ihren Inhalt zu übernehmen, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfGE 10, 274 ≪282 f.≫). Die Revisionsgerichte sollen dadurch vor einer Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden; zudem soll so vermieden werden, dass Revisionen rechtsunkundiger Angeklagter schon von vornherein an Formfehlern oder sonstigen Mängeln scheitern (vgl. BVerfGE 64, 135 ≪152≫). Der Rechtspfleger ist dabei an den Wortlaut und die Form des zur Begründung der Revision Vorgebrachten nicht gebunden, wohl aber an dessen sachlichen Kern; er hat den Angeklagten über die richtige Art der Revisionsbegründung zu belehren und auf formgemäße Abfassung hinzuwirken (BVerfGE 10, 272 ≪283≫, m.w.N.). Bleibt dies erfolglos, so kann der Rechtspfleger nichts anderes tun als die Verantwortung abzulehnen. Diese Ablehnung muss nicht ausdrücklich erklärt sein, aber zumindest aus dem Verhalten des Rechtspflegers geschlossen werden können (BVerfGE a.a.O.). Diese im Rahmen der Aufnahme der Revisionsbegründung zu stellenden Anforderungen müssen auch gelten, wenn er im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags die als Prozesshandlung nachzuholende Revisionsbegründung protokolliert.
Im Falle des Vorbringens von Verfahrensrügen, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, muss der Beschwerdeführer die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben, da das Revisionsgericht nicht von sich aus die Ordnungsmäßigkeit des gesamten Verfahrens prüfen kann (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 344, Rn. 20). Dabei ist eine Bezugnahme auf Akten, das Sitzungsprotokoll und andere Schriftstücke unzulässig. Vielmehr müssen die Fundstellen in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben werden. Das Revisionsgericht muss allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen können, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (BGH, Urteil vom 3. März 1982, 2 StR 649/81, NJW 1982, S. 1655; BGH, Beschluss vom 9. März 1995, 4 StR 77/95, NJW 1995, S. 2047). Nach diesen – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden – Anforderungen (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 1984 – 2 BvR 1350/84 –, NJW 1985, S. 125 ≪126≫) wäre detailliert anzugeben gewesen, wann die Beschwerdeführerin welchen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen mit welchem Inhalt gestellt und welche Entscheidung das Gericht hierüber getroffen hat.
Auf diese hohen Begründungs- und Darlegungsanforderungen hätte der das Protokoll aufnehmende Rechtspfleger die Beschwerdeführerin hinweisen und auf eine detaillierte, umfassende Darstellung, an welcher es ersichtlich fehlt, hinwirken müssen. Es lässt sich dem Protokoll vom 9. Oktober 2006 nicht entnehmen, dass der Rechtspfleger dieser Pflicht nachgekommen ist bzw. sich vom Inhalt der Erklärungen der Beschwerdeführerin – nach Belehrung – distanziert hat. Ferner hat auch das Kammergericht – welches den Wiedereinsetzungsantrag gerade wegen fehlender Angabe von Tatsachen zur Begründung des Antrages und formgerechter Nachholung der versäumten Handlung innerhalb der Antragsfrist (vgl. zu diesem Erfordernis, Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 45, Rn. 11) verworfen hat – keine näheren Erkundigungen über die Umstände der Protokollierung angestellt. Gerade im Hinblick auf die vormalige Verfassungsbeschwerde wäre eine nähere Sachverhaltsaufklärung, etwa durch Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des Rechtspflegers, jedoch nahe liegend und angezeigt gewesen.
b) Auch hinsichtlich der versäumten Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags ist der Beschwerdeführerin nach dem Grundsatz fairer Verfahrensführung Wiedereinsetzung zu gewähren. Über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung ist der Betroffene in Fällen möglichen gerichtlichen Verschuldens ausdrücklich zu belehren (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 –, Rpfleger 2002, S. 279; Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2005 – 2 BvR 975/03 –, NStZ-RR 2005, S. 238 und vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04 u.a. –, NJW 2005, S. 3629). Eine solche ist, soweit ersichtlich, unterblieben. Von dem genannten Erfordernis einer Belehrung kann vorliegend nicht aus dem Grund abgesehen werden, weil die Beschwerdeführerin schon aus dem vorangegangenen Verfahren des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 2006 – 2 BvR 1612/06 –) wusste, dass sie bei Fehlern des Gerichtes Wiedereinsetzung beantragen kann. Dies anzunehmen, würde bedeuten, einem Betroffenen nach einmaliger Belehrung künftig in allen ihn betreffenden Verfahren die Prüfung aufzuerlegen, ob und welchen Verschuldensvorwurf man dem Gericht machen kann, und zu ermitteln, ob die Unzulässigkeit des Rechtsmittels auf diesem Fehler beruht. Das kann aber unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und unter Berücksichtigung, dass der Fehler auf Seiten des Gerichts gemacht wurde, nicht Aufgabe eines Rechtsmittelführers sein.
Ob die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzungsfrist mangels Belehrung unverschuldet versäumt hat, oder ob sie nicht aufgrund der ihr gegenüber im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 2006 – 2 BvR 1612/06 –) gemachten Ausführungen, welche im Kern die gleiche Frage betrafen, um die Möglichkeit der Wiedereinsetzung gegen die angefochtene Entscheidung des Kammergerichts vom 4. Dezember 2006 hätte wissen müssen, haben die Fachgerichte zu entscheiden.
Da die Beschwerdeführerin somit innerhalb einer Woche ab Zugang dieses Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Wiedereinsetzungsfrist als auch hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist zur Erhebung formgerechter Verfahrensrügen – unter Nachholung der versäumten Rechtshandlungen – einlegen kann, ist die Verfassungsbeschwerde derzeit unzulässig.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1770287 |
NJOZ 2007, 4397 |