Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 28.03.2008; Aktenzeichen 2-18 O 90/08) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Kontroll- und Betretungsanspruch nach § 54g des Urheberrechtsgesetzes in der Fassung des Art. 1 Nr. 14 des Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (im Folgenden: § 54g UrhG n.F.).
1. Das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 (BGBl I S. 2513, in Kraft getreten zum 1. Januar 2008) hat unter anderem eine Neuregelung der durch die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke entstehenden Vergütungspflicht unternommen. Im Ansatz unverändert besteht auch nach der Neuregelung ein Anspruch des Urhebers auf Zahlung einer Vervielfältigungsvergütung nicht nur gegen den Hersteller, den Händler oder den Importeur von Vervielfältigungsgeräten, sondern auch gegen denjenigen, der Geräte für die entgeltliche Herstellung von Ablichtungen bereithält (§ 54c Abs. 1 UrhG n.F.). Neu ist, dass der Gesetzgeber dem Urheber zur Durchsetzung seines Vergütungsanspruchs nicht nur einen Auskunftsanspruch einräumt (vgl. § 54f UrhG n.F.), sondern ihm das Recht auf einen Kontrollbesuch zuspricht. § 54g UrhG n.F. lautet:
Soweit dies für die Bemessung der vom Betreiber nach § 54c geschuldeten Vergütung erforderlich ist, kann der Urheber verlangen, dass ihm das Betreten der Betriebs- und Geschäftsräume des Betreibers, der Geräte für die entgeltliche Herstellung von Ablichtungen bereithält, während der üblichen Betriebs- oder Geschäftszeit gestattet wird. Der Kontrollbesuch muss so ausgeübt werden, dass vermeidbare Betriebsstörungen unterbleiben.
Ausweislich der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/1828 S. 31) ist das Kontrollbesuchsrecht zur Durchsetzung des Vergütungsanspruchs erforderlich, da die Betreiber von Vervielfältigungsgeräten oftmals nicht bereit seien, ihren urheberrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Die den Vergütungsanspruch der Urheber wahrnehmende Verwertungsgesellschaft Wort habe daher in der Praxis trotz der bestehenden Auskunftspflicht Schwierigkeiten, den Anspruch zu realisieren.
2. Die Beschwerdeführerin betreibt einen Lohnkopierbetrieb. Sie nimmt von Dritten Kopieraufträge an, die in ihren Betriebsräumen ausgeführt werden. Im Ausgangsverfahren weigerte sie sich, den Kontrolleuren der Verwertungsgesellschaft Wort das Betreten ihrer Geschäftsräume zu gestatten. Die Verwertungsgesellschaft Wort erwirkte daraufhin vor dem Landgericht eine einstweilige Verfügung, nach der die Beschwerdeführerin bei Meidung von Zwangsmitteln dazu verpflichtet wurde, der Verwertungsgesellschaft Wort zu den üblichen Betriebs- oder Geschäftszeiten den Zutritt zu ihren Geschäftsräumen zum Zwecke der Kontrolle und Erfassung der von ihr bereitgehaltenen Vervielfältigungsgeräte ohne Einschränkung zu dulden.
Gegen diese einstweilige Verfügung erhob die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die ihr gegenüber ihren Auftraggebern obliegenden Vertraulichkeitsverpflichtungen Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte sie die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 936, 924 Abs. 3 Satz 2, § 707 ZPO. Dieser Antrag wurde mit dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts zurückgewiesen.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Sie fürchtet in erster Linie um die Vertraulichkeit der in ihren Geschäftsräumen aufbewahrten Unterlagen. Die Beschwerdeführerin beantragt ergänzend, die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung des Landgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer des Verfahrens auszusetzen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG ist nicht gegeben. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines Kontroll- und Betretungsrechts sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt (vgl. BVerfGE 32, 54 ≪69 ff.≫; 97, 228 ≪265 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. März 2007 – 1 BvR 2138/05 –, EuGRZ 2007, S. 486 ≪488 f.≫). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist in der Sache ohne Aussicht auf Erfolg. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
1. Art. 13 Abs. 1 GG erklärt die „Wohnung” für unverletzlich. Die Verfassungsnorm soll die Privatsphäre in räumlicher Hinsicht schützen. In diese dürfen der Staat oder von ihm ermächtigte Dritte grundsätzlich nicht gegen den Willen der Bewohner eindringen. Im Interesse eines wirksamen Schutzes hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „Wohnung” weit ausgelegt. Er umfasst auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (vgl. BVerfGE 32, 54 ≪68 ff.≫; 76, 83 ≪88≫; 97, 228 ≪265≫). Die von dem Kontrollbesuch betroffenen Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin sind damit vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG umfasst.
2. Die Versagung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung des Landgerichts stellt einen Eingriff in diesen Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG dar, weil sie im Ergebnis einen Kontrollbesuch der Verwertungsgesellschaft Wort ermöglicht. Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt.
a) Die Weite des Wohnungsbegriffs in Art. 13 Abs. 1 GG hat zur Folge, dass an die Zulässigkeit von Eingriffen und Beschränkungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG je nach der Nähe der Örtlichkeiten zur räumlichen Privatsphäre unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt werden. Während bei Räumen, in denen sich das Privatleben im engeren Sinn abspielt, das Schutzbedürfnis am größten ist und der Schutzzweck des Grundrechts daher in vollem Umfang durchgreift, wird das Schutzbedürfnis bei reinen Betriebs-, Geschäfts- oder Arbeitsräumen durch den Zweck gemindert, den sie nach dem Willen des Inhabers besitzen. Je größer ihre Offenheit nach außen ist und je mehr sie zur Aufnahme sozialer Kontakte für Dritte bestimmt sind, desto schwächer wird der grundrechtliche Schutz (vgl. BVerfGE 32, 54 ≪75 f.≫; 97, 228 ≪266≫). Rechte zum Betreten von Betriebsräumen verstoßen daher dann nicht gegen Art. 13 Abs. 1 GG, wenn sie auf einer besonderen gesetzlichen Grundlage beruhen, das Betreten einem erlaubten Zweck dient und für dessen Erreichung erforderlich ist, das Gesetz Zweck, Gegenstand und Umfang des Betretens erkennen lässt und das Betreten auf Zeiten beschränkt wird, in denen die Räume normalerweise für die betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 97, 228 ≪266≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15. März 2007 – 1 BvR 2138/05 –, EuGRZ 2007, S. 486 ≪488 f.≫).
b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der von der Beschwerdeführerin mit dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung vergeblich angegriffene Verfügungsanspruch der Verwertungsgesellschaft Wort stützt sich auf § 54g UrhG n.F. Diese Norm dient dem legitimen Zweck der Durchsetzung des urheberrechtlichen Vergütungsanspruchs aus § 54c Abs. 1 UrhG n.F. Die Einschätzung des Gesetzgebers, der Anspruch auf Gestattung eines Kontrollbesuchs sei zur Erreichung dieses Zwecks auch erforderlich, da die Betreiber von Vervielfältigungsgeräten oftmals nicht bereit seien, ihren urheberrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen (vgl. BTDrucks 16/1828 S. 31), ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Das in der einstweiligen Verfügung des Landgerichts ausgesprochene Gebot der Duldung eines Kontrollbesuchs nach § 54g UrhG n.F. verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die einstweilige Verfügung beschränkt das Zutrittsrecht der Verwertungsgesellschaft Wort in räumlicher Hinsicht auf die Geschäftsräume der Beschwerdeführerin, in zeitlicher Hinsicht auf die üblichen Betriebs- und Geschäftszeiten und in inhaltlicher Hinsicht auf die Kontrolle und Erfassung der von der Beschwerdeführerin im Sinne von § 54c Abs. 1 UrhG n.F. bereitgehaltenen Vervielfältigungsgeräte. Die von der Beschwerdeführerin befürchtete Einsichtnahme in vertrauliche Dokumente ihrer Geschäftspartner oder in eigene Unterlagen ist danach nicht zu besorgen; die bei den Vervielfältigungsgeräten ausliegenden Papiere können im Falle eines Kontrollbesuchs ohne weiteres entfernt oder verdeckt werden. Im Ergebnis hat das Landgericht einen Ausgleich zwischen dem Kontrollanspruch des Berechtigten aus § 54g UrhG n.F. und dem Recht des Kontrollierten aus Art. 13 Abs. 1 GG erzielt, der die hinreichende Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin angeführten Interessen der Vertraulichkeit der von ihr zu vervielfältigenden Unterlagen erlaubt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 16. November 2007 – 1 BvR 2818/07 –).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2055407 |
NJW 2008, 2426 |
ZUM 2008, 681 |
GRUR-RR 2008, 377 |
RÜ 2008, 730 |