Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 17.02.2012; Aktenzeichen 4 Ws 003/12 (R)) |
OLG München (Beschluss vom 18.01.2012; Aktenzeichen 4 Ws 003/12 (R)) |
LG München I (Beschluss vom 28.11.2011; Aktenzeichen StVK 957/11) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde kann nicht zur Entscheidung angenommen werden, weil sie unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht in der gebotenen Weise erschöpft.
1. Kann ein Beschwerdeführer mit einem Rechtsmittel, für das ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, erreichen, dass seine Rechte im Wege des fachgerichtlichen Rechtsschutzes gewahrt werden, so ist regelmäßig von ihm zu verlangen, dass er diesen Weg beschreitet, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegt (vgl. BVerfGE 10, 274 ≪281≫; 42, 252 ≪256 f.≫; 77, 275 ≪282≫). Im vorliegenden Fall besteht diese Möglichkeit, obwohl der Beschwerdeführer sich bereits mit einem erfolglos gebliebenen Wiedereinsetzungsantrag an das Oberlandesgericht gewandt hat.
2. Die vom Oberlandesgericht festgestellte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde beruhte nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern darauf, dass sie von dem zuständigen Geschäftsstellenbeamten nicht in einer den Anforderungen der fachgerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Weise aufgenommen worden war. Ursächlich für die Unzulässigkeit war somit ein Fehler der Justiz. In derartigen Fällen besteht die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BVerfGK 8, 303 ≪304≫).
Eine Wiedereinsetzung scheidet im vorliegenden Fall nicht wegen Fristablaufs aus.
a) Jedenfalls in den Fällen, in denen der Wiedereinsetzungsgrund in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, fordert der Grundsatz fairer Verhandlungsführung eine Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz im Wege der Wiedereinsetzung zu erreichen. Erst diese Belehrung setzt die Wiedereinsetzungsfrist in Lauf (vgl. BVerfGK 8, 303 ≪304≫). Ein solcher Fall liegt hier vor. Die vom Beschwerdeführer erhobene Rechtsbeschwerde war nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht formgerecht (§ 118 Abs. 3 StVollzG) erhoben, weil der Rechtspfleger sie nicht in der erforderlichen Weise protokolliert hatte. Die danach gebotene Belehrung, dass und wie der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung erlangen konnte (vgl. BVerfGK 8, 303 ≪304, 306≫), ist ihm nicht erteilt worden.
b) Eine Belehrung des Beschwerdeführers über den Weg, auf dem er Wiedereinsetzung erlangen kann, war nicht deshalb entbehrlich, weil – zumindest in rückblickender Betrachtung – davon ausgegangen werden könnte, dass der Beschwerdeführer über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung zu erlangen, unabhängig von einer solchen Belehrung hinreichend unterrichtet war. So war dem Beschwerdeführer offenkundig nicht bekannt, dass innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Handlung – nämlich die innerhalb der Rechtsbeschwerdefrist nicht formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde – nachgeholt, die Rechtsbeschwerde also erneut, diesmal formgerecht, erhoben werden musste, damit der Wiedereinsetzungsantrag Erfolg haben konnte (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).
c) Den Beschwerdeführer über das richtige Vorgehen zur Korrektur des Justizfehlers zu belehren erübrigte sich im vorliegenden Fall auch nicht deshalb, weil das Oberlandesgericht in dem Beschluss, mit dem es die Rechtsbeschwerde als formwidrig verwarf, zusätzlich angemerkt hat, dass der Beschwerdeführer die Anforderungen an die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde auch mangels hinreichender Darlegungen zum Inhalt des Schadensersatz- oder Folgenbeseitigungsanspruchs, mit dem er vor dem Landgericht sein Feststellungsinteresse begründet hatte, nicht erfüllt habe.
Die aus Gründen der Verfahrensfairness und zur Gewährleistung der Effektivität des Rechtsschutzes erforderliche Belehrung ist grundsätzlich auch dann nicht verzichtbar, wenn das Gericht der Rechtsbeschwerde aus anderen Gründen als wegen der für formwidrig erachteten Protokollierung keine Erfolgsaussichten einräumt. Sinn des in § 118 Abs. 3 StVollzG – wie in der Parallelvorschrift § 345 Abs. 2 StPO – aufgestellten Formerfordernisses ist es, sicherzustellen, dass das Vorbringen des Betroffenen in sachlich und rechtlich geordneter Weise in das Verfahren eingeführt wird. Das Formerfordernis des § 118 Abs. 3 StVollzG soll demnach einerseits der Entlastung der Gerichte dienen. Daneben soll es aber auch zugunsten des regelmäßig unkundigen Rechtsmittelführers dazu beitragen, dass sein Rechtsmittel nicht von vornherein an Formfehlern oder anderen Mängeln scheitert (vgl. BVerfGK 8, 303 ≪305≫; zu § 345 Abs. 2 StPO siehe BVerfGE 64, 135 ≪153≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 –, Rpfleger 2002, S. 279; BGHSt 25, 272 ≪273≫). Die Feststellung, dass eine Rechtsbeschwerde nicht in der durch § 118 Abs. 3 StVollzG geforderten Weise vom Rechtspfleger überprüft und verantwortet ist, schließt demnach die Feststellung ein, dass die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Unterstützung des Rechtspflegers dem Rechtsschutzsuchenden nicht zuteil geworden ist und dem Gericht somit die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Grundlage für die Prüfung des Rechtsschutzbegehrens nicht vorliegt. Die Erfolgsaussichten einer zur Niederschrift der Geschäftsstelle erhobenen Rechtsbeschwerde, einschließlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, dürfen daher grundsätzlich erst dann beurteilt werden, wenn eine unter Beteiligung des Rechtspflegers ordnungsgemäß zustande gekommene Rechtsbeschwerde tatsächlich vorliegt (vgl. BVerfGK 8, 303 ≪305≫).
Zwar bleibt es den Gerichten unbenommen, einen Rechtsschutzsuchenden, der aus Gründen der Verfahrensfairness über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung zu belehren ist, zugleich auf rechtliche Gesichtspunkte hinzuweisen, von denen abhängt, ob er sein letztlich verfolgtes Rechtsschutzziel wird erreichen können. Der Zweck der Formvorschrift wird jedoch insbesondere dann in besonders offensichtlicher Weise verfehlt, wenn einem Rechtsbeschwerdeführer neben einer auf unzureichender Aufgabenwahrnehmung des Rechtspflegers beruhenden Formwidrigkeit seiner Rechtsbeschwerde vorgehalten wird, sein Rechtsbeschwerdevortrag genüge nicht den Darlegungsanforderungen. Denn der Sinn des Formerfordernisses besteht unter anderem gerade darin, dem Beschwerdeführer die notwendige Unterstützung bei der Erfüllung der Darlegungsanforderungen zu sichern.
3. Da der Beschwerdeführer über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, erst durch den vorliegenden Beschluss in der notwendigen Weise informiert wird, beginnt die maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist erst mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen (BVerfGK 8, 303 ≪306≫, m.w.N.).
Der Beschwerdeführer kann daher innerhalb einer Woche seit Zustellung dieses Beschlusses durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Landgerichts oder der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Vollzugsanstalt liegt, in der er untergebracht ist (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 299 StPO), erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem er gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 120 Abs. 1 StVollzG, § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Hierzu ist ihm rechtzeitig Gelegenheit zu geben. Nutzt der Beschwerdeführer diese Möglichkeit, so wird die Amtsperson, die als Rechtspfleger tätig wird, auf die Wahrung der nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts bestehenden Form- und Darlegungserfordernisse zu achten haben.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Huber, Kessal-Wulf
Fundstellen
Haufe-Index 3495234 |
NJW 2013, 446 |