Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 21.11.2003; Aktenzeichen 1 Verg 3/03)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

 

Gründe

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Entscheidungen in einem Vergabeverfahren.

I.

  • Die Beschwerdeführerin und die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens beteiligten sich an einer Ausschreibung für die Bereederung von Schiffen. Die erste Ausschreibung wurde aufgehoben. Eine zweite Ausschreibung erfolgte im Juli 2002 mit dem Ziel, die Bereederung ab 1. Januar 2003 zu vergeben.

    Im Leitfaden zur Ausschreibung wird darauf eingegangen, dass möglicherweise § 613a BGB einschlägig ist. Die Antragstellerin teilte im Rahmen der Bietergespräche mit, dass sie lediglich die Offiziere nach dem HTV (Heuer-TarifV See) bezahlen wolle, die Decksmannschaft jedoch nach dem ITF-Tarif, der erheblich darunter liegt. Dem lag die Annahme zu Grunde, § 613a BGB greife für das von ihr entwickelte unternehmerische Konzept nicht ein. Die Beschwerdeführerin kalkulierte ihr Angebot demgegenüber auf der Basis einer Betriebsübernahme. Die Vergabestelle schloss die Antragstellerin mangels Eignung aus dem Vergabeverfahren aus; die an zweiter Stelle liegende Beschwerdeführerin sollte den Zuschlag erhalten. Im weiteren Verlauf wurde die Ausschreibung aus Gründen, die für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde keine Bedeutung haben, nach § 26 Nr. 1b VOL/A aufgehoben.

  • Die Antragstellerin betrieb daraufhin ein Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 102 ff. GWB. Die Vergabekammer hob die Aufhebung der Ausschreibung auf und verpflichtete die Vergabestelle, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen.

    Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein. Sie wandte ein, die möglichen Auswirkungen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB seien fälschlicherweise unberücksichtigt geblieben; der von der Antragstellerin angebotene Preis müsse daher als nicht auskömmlich angesehen werden. Außerdem trug sie vor, die Antragstellerin betreibe Lohnwucher.

    Das Oberlandesgericht wies das Rechtsmittel zurück. In den Gründen der Entscheidung heißt es, die Prüfung der von der Antragstellerin angebotenen Preise sowie des Preis-Leistungs-Verhältnisses führe nicht zum Ausschluss des Angebots. Die Unterbietung des HTV um mehr als zwei Drittel wird nicht beanstandet. Die Heuer könne frei ausgehandelt werden, weil die betreffenden Schiffe nicht tarifgebunden seien. Auch seien die Voraussetzungen von § 138 Abs. 1 oder 2 BGB nicht erfüllt. Die Vergabestelle habe davon ausgehen dürfen, dass die Lohnkalkulation sich im Rahmen des Zulässigen halte. Es liege in der Entscheidungsmacht der Vergabestelle, sich für eine vertretbare Interpretation des § 613a BGB zu entscheiden. Dies sei ohne Rechtsfehler geschehen.

  • Mit der fristgerecht eingereichten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Mit dem Eilantrag strebt sie die vorläufige Untersagung des Zuschlags an.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen; sie hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil das Bundesverfassungsgericht die hier einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt hat. Des Weiteren ist die Annahme nicht nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

  • Die in zweifacher Hinsicht gerügte Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor.

    a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Oberlandesgericht habe die Sache dem Bundesgerichtshof vorlegen müssen, weil es in der Beurteilung des von ihr behaupteten Lohnwuchers von einer Grundsatzentscheidung zur Auslegung von § 302a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB (BGH, NJW 1997, S. 2689 ≪2691≫) abgewichen sei.

    Behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht zur Vorlage an ein anderes Gericht, kommt es darauf an, ob die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts willkürlich ist oder ob das Ausgangsgericht Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl. BVerfGE 87, 282 ≪284 f.≫). Das ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Eine willkürliche Missachtung oder eine grundlegende Verkennung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG legt die Beschwerdeführerin nicht dar. Ihr Vorbringen besteht im Wesentlichen aus einer Wiederholung des einfachrechtlichen Standpunktes zur Frage des Lohnwuchers.

    b) Darüber hinaus rügt die Beschwerdeführerin, das Oberlandesgericht habe es unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verabsäumt, die Sache nach Art. 234 Abs. 3 EGV dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Zwingender Anlass für eine Vorlage sei die Auslegung von § 97 Abs. 2 GWB gewesen. Hierzu trägt sie vor, der in dieser Vorschrift normierte Gleichbehandlungsgrundsatz sei verletzt, weil die Entscheidung des Oberlandesgerichts der Antragstellerin die Möglichkeit eröffne, ohne Berücksichtigung eines Betriebsübergangs ein Angebot abzugeben, wohingegen sie selbst einen solchen in ihre Berechnungen einbeziehen müsse. Die Anwendbarkeit des § 613a BGB dürfe im Vergabeverfahren nicht offen bleiben. Zur Berücksichtigung der Norm im Rahmen des § 97 Abs. 2 GWB liege eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes noch nicht vor.

    Mit dieser Rüge hat sie ebenfalls keinen Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht prüft eine auf die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützte Rüge der Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof nur darauf hin, ob die Vorlagepflicht in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden ist (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195≫; 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2002, S. 1486 f.; NJW 2003, S. 418 f.; 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 BvR 1685/01 –; 3. Kammer des Zweiten Senats, NVwZ 1999, S. 293). Dies ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

    Das Oberlandesgericht hat es unter ausführlicher Darlegung der einschlägigen rechtlichen Gesichtspunkte als vertretbar angesehen, dass die Vergabestelle ein Angebot berücksichtigt, das nicht von der Anwendbarkeit des § 613a BGB ausgeht. Soweit dies die Kalkulation der von den Bewerberin abgegebenen Angebote beeinflusst, wird damit den verschiedenen unternehmerischen Konzepten der Anbieter Rechnung getragen. Die Beschwerdeführerin vermag mit einschlägigen verfassungsspezifischen Erwägungen nicht darzutun, dass hierdurch der Gleichbehandlungsgrundsatz berührt wäre.

  • Die übrigen Rügen greifen ebenfalls nicht durch. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG.
  • Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt sich durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung, weil er ausschließlich die vorläufige Durchsetzung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Ziels zum Gegenstand hat.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Haas, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 1083221

NZBau 2004, 164

WuW 2004, 339

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