Tenor
Die Anträge werden verworfen.
Tatbestand
A.
Das Landesorganstreitverfahren (Art. 99 GG, § 13 Nr. 10 BVerfGG) betrifft die Frage, ob der Antragsgegner dadurch die Rechte der Antragstellerin verletzt hat, dass er anlässlich der Änderung des Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz in der Fassung vom 19. März 1997, GVOBl S. 152 – GKWG –) durch Gesetz vom 10. Oktober 2001 (GVOBl S. 180) die 5 v.H.-Sperrklausel bei Kommunalwahlen beibehalten hat.
I.
1. Das Gemeinde- und Kreiswahlgesetz sah bereits in der ursprünglichen Fassung vom 25. März 1959 (GVOBl S. 13) in § 11 Abs. 1 die 5 v.H.-Sperrklausel vor. In seiner nunmehr geltenden Fassung vom 19. März 1997 (GVOBl S. 152) ist sie in § 10 Abs. 1 Satz 1 enthalten; es heißt dort:
An dem Verhältnisausgleich nimmt jede politische Partei oder Wählergruppe teil, für die ein Listenwahlvorschlag aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie mindestens eine unmittelbare Vertreterin oder ein unmittelbarer Vertreter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt mindestens 5 v.H. der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erzielt hat.
2. Die 5 v.H.-Sperrklausel war Gegenstand der Beratungen der vom Landtag in der 13. Legislaturperiode eingesetzten “Enquetekommission Kommunalverfassungsreform”. Diese empfahl in ihrem Schlussbericht vom 9. Juni 1993, die Sperrklausel aufrechtzuerhalten (LTDrucks 13/1111, S. 103). Sämtliche im Anschluss daran in der 13. und 14. Legislaturperiode (1992-2000) verabschiedeten Änderungen der Kommunalverfassung und des Kommunalwahlgesetzes ließen die 5 v.H.-Sperrklausel unberührt; es sind dies:
das Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung vom 21. Juni 1994 (GVOBl S. 304); es änderte die Bestimmungen über das Verfahren zur Prüfung des Gemeindehaushalts;
das Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 8. Dezember 1995 (GVOBl S. 480); es führte unter anderem das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger ein;
das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22. Dezember 1995 (GVOBl 1996, S. 33); es führte neben anderem die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte ein;
das Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 27. Februar 1997 (GVOBl S. 101 ber. S. 146); es setzte das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre herab;
das Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften vom 18. März 1997 (GVOBl S. 147); es verlängerte unter anderem die Frist für die Stichwahl der hauptamtlichen Bürgermeister;
das Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung vom 16. Dezember 1997 (GVOBl S. 474); es änderte die Bestimmung über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat.
3. Am 17. Mai 2001 beantragte die FDP-Fraktion, der Landtag möge die Landesregierung auffordern, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vorzulegen, das die Verhältniswahl mit freier Liste einführt, das Kumulieren und Panaschieren ermöglicht, die Sitze nach dem System Hare-Niemeyer verteilt und die 5 v.H.-Sperrklausel abschafft (Drucks 15/966). Der Landtag überwies diesen Antrag in der 34. Sitzung am 1. Juni 2001 zur weiteren Beratung in seinen Sonderausschuss “Fortschreibung des kommunalen Verfassungsrechts” (PlPr 15/34). Dieser empfahl dem Landtag am 3. Juni 2002 (Drucks 15/1909), den Antrag abzulehnen. In seiner 63. Sitzung am 19. Juni 2002 folgte der Landtag dieser Empfehlung (PlPr 15/63).
4. Zuvor hatten am 28. Juni 2001 die Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes eingebracht (Drucks 15/1070). Er sah vor, die am 1. April 2003 beginnende Wahlzeit der Gemeinde- und Kreisvertretungen einmalig um zwei Monate bis zum 31. Mai 2008 zu verlängern, künftig die Gemeinde- und Kreiswahlen am Ende der Wahlperiode jeweils im Mai abzuhalten und die Wahlzeit jeweils am 1. Juni beginnen zu lassen. Dieser Gesetzentwurf wurde in der 40. Sitzung des Landtags am 28. September 2001 verabschiedet (PlPr 15/40), das Änderungsgesetz wurde am 10. Oktober 2001 ausgefertigt und am 29. November 2001 im Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein (GVOBl S. 180) verkündet. Die 5 v.H.-Sperrklausel blieb unberührt.
II.
Die Antragstellerin hat am 25. März 2002 Organklage erhoben. Sie macht geltend, der Antragsgegner habe ihr Recht auf Wahlgleichheit und auf Chancengleichheit verletzt, indem er die 5 v.H.-Sperrklausel bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10. Oktober 2001 nicht aufgehoben, abgemildert oder überprüft, sondern ohne hinreichende Begründung beibehalten habe.
1. Die Antragstellerin ist der Auffassung, der Beschluss des Antragsgegners vom 28. September 2001 (PlPr 15/40) über den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verlängerung der kommenden Wahlperiode und zur Verschiebung des Wahltermins in den Mai (Drucks 15/1070) sei ein zulässiger Angriffsgegenstand, weil er eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG darstelle.
Er beschäftige sich zwar – wie auch das Gesetz vom 10. Oktober 2001 – nicht mit der Sperrklausel des § 10 Abs. 1 GKWG. Der Beschluss dürfe jedoch nicht für sich allein gewürdigt werden. Vielmehr seien der Entschließungsantrag der FDP-Fraktion zur Abschaffung der 5 v.H.-Sperrklausel vom 17. Mai 2001 und die am 1. Juni 2001 hierüber geführte Plenardebatte (PlPr 15/34) in die Betrachtung einzubeziehen. Ergebnis dieser Aussprache sei gewesen, dass ein Festhalten an der Fünf-Prozent-Hürde nicht zwingend erforderlich sei. Weil aber zum damaligen Zeitpunkt noch ein gegen die 5 v.H.-Sperrklausel gerichtetes Organstreitverfahren der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) – 2 BvK 1/97 – beim Bundesverfassungsgericht anhängig gewesen sei, sei das Plenum übereingekommen, die Beratung über die Sperrklausel nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortzusetzen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. März 2001 (BVerfGE 103, 164) sei dem Antragsgegner am 21. Juni 2001 bekannt gegeben worden. Gleichwohl habe weder der Gesetzentwurf vom 28. Juni 2001 noch der Gesetzesbeschluss vom 28. September 2001 (PlPr 15/40) irgendeine Stellungnahme zur Sperrklausel enthalten. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Gesetzesbeschluss den parlamentarischen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bilde, habe der Antragsgegner mit der Beschlussfassung vom 28. September 2001 zum Ausdruck gebracht, dass die Sperrklausel beibehalten werde.
Sollte der Schwerpunkt des angegriffenen Verhaltens ein Unterlassen darstellen, läge ebenfalls ein zulässiger Angriffsgegenstand vor. Ein gesetzgeberisches Unterlassen sei – wie in der Rechtsprechung einiger Landesverfassungsgerichte bereits anerkannt – im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar.
2. Die Anträge seien auch begründet. Die Frage, ob eine Sperrklausel erforderlich sei, um die Funktionsfähigkeit der Volksvertretungen zu wahren, könne nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden. Der Gesetzgeber müsse die Sperrklausel vielmehr ständig kontrollieren, weil sich die Umstände, die ihr zu Grunde lägen, ändern könnten. Er müsse die jeweiligen Rahmenbedingungen überwachen und eine Prognoseentscheidung darüber treffen, ob es hinreichend wahrscheinlich sei, dass den Kommunalvertretungen tatsächlich eine Funktionsstörung oder gar eine Funktionsunfähigkeit drohe.
Diesen Anforderungen sei der Antragsgegner nicht gerecht geworden. Weder in dem Gesetzentwurf vom 28. Juni 2001 noch im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren habe er sich mit der Zulässigkeit der Sperrklausel auseinander gesetzt, obwohl dies auf Grund der Plenardebatte über den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion am 1. Juni 2001 geboten gewesen wäre. Hätte er seiner Prüfungspflicht genügt, wäre er möglicherweise zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sperrklausel aufzuheben sei, zumal in der Debatte über den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion von verschiedenen Parteien geäußert worden sei, sie hielten die Sperrklausel für verfassungswidrig.
III.
Der Antragsgegner und die ihm beigetretene Schleswig-Holsteinische Landesregierung halten die Anträge für unzulässig.
Der Antragstellerin gehe es allein um die Feststellung, dass sie in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt worden sei, indem die Sperrklausel bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes am 28. September 2001 oder bei seiner Ausfertigung am 10. Oktober 2001 ungeprüft und pflichtwidrig aufrechterhalten worden sei. Sie rüge somit nicht ein Unterlassen, sondern ein Handeln des Gesetzgebers. So verstanden seien die Anträge offenkundig unzulässig. Es fehle bereits an einem zulässigen Streitgegenstand, weil die Antragstellerin durch die angegriffene Maßnahme nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt sein könne und daher kein beide Parteien umschließendes Verfassungsrechtsverhältnis bestehe. Das Änderungsgesetz vom 10. Oktober 2001 und der ihm zu Grunde liegende Gesetzesbeschluss vom 28. September 2001 stünden in keinem Zusammenhang mit der 5 v.H.-Sperrklausel des § 10 Abs. 1 GKWG. Fehle es aber an einem Sachzusammenhang zwischen der in einem Gesetzgebungsverfahren geregelten Materie und der Sperrklausel, so sei der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, in diesem Verfahren die Sperrklausel zu überprüfen. Ein Sachzusammenhang bestehe auch nicht, wenn der Entschließungsantrag der FDP-Fraktion und die hierüber in der 34. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages am 1. Juni 2001 geführte Debatte berücksichtigt würden.
Die Anträge seien selbst dann unzulässig, wenn sie dahin auszulegen wären, dass ein gesetzgeberisches Unterlassen gerügt werde. Ihre Zulässigkeit scheitere in diesem Fall schon daran, dass ein Unterlassen des Gesetzgebers nur Gegenstand eines Organstreits sein könne, wenn gegen gesetzgeberische Handlungspflichten verstoßen worden sei, die in der Verfassung ausdrücklich normiert seien. Die Verletzung von ungeschriebenen, sich aus der Verfassung indirekt ergebenden Beobachtungs-, Prüfungs-, Nachbesserungs-, Korrektur- oder sonstigen Handlungspflichten des Gesetzgebers sei kein zulässiger Angriffsgegenstand einer Organklage; andernfalls wäre eine uferlose, von den zuständigen gesetzgebenden Körperschaften nicht mehr vorhersehbare und beherrschbare Ausdehnung der Prüfungsgegenstände im Organstreit zu befürchten.
Entscheidungsgründe
B.
Die Organklage ist jedenfalls wegen Fristversäumung unzulässig (§ 73 Abs. 2 BVerfGG i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG).
1. Die Antragstellerin wendet sich nach dem Wortlaut ihres Hauptantrags dagegen, dass der Antragsgegner bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10. Oktober 2001 beschlossen habe, die 5 v.H.-Sperrklausel in § 10 Abs. 1 GKWG beizubehalten. Ihre Hilfsanträge richten sich dagegen, dass der Antragsgegner es unterlassen habe, bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10. Oktober 2001 die 5 v.H.-Sperrklausel des § 10 Abs. 1 GKWG aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen.
Aus dem Sinn des prozessualen Begehrens und der Begründung der Anträge (vgl. BVerfGE 1, 14 ≪39≫; 68, 1 ≪68≫) ergibt sich, dass die Antragstellerin auch mit dem Hauptantrag ein gesetzgeberisches Unterlassen, nicht aber eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 4, 144 ≪147 f.≫; 60, 53 ≪63≫) angreift. Damit wird der Verfahrensgegenstand nicht ausgetauscht, sondern der Sinn des Begehrens der Antragstellerin klargestellt (vgl. BVerfGE 68, 1 ≪69≫).
a) Der Erlass des Änderungsgesetzes vom 10. Oktober 2001 kommt als Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG nicht in Betracht. In dem Erlass des Gesetzes unter Beibehaltung der Sperrklausel liegt kein unvollständiges Handeln des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 92, 80 ≪87≫; 103, 164 ≪169≫), denn es fehlt an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem Änderungsgesetz vom 10. Oktober 2001 und der Sperrklausel, auf Grund dessen der Gesetzgeber verpflichtet gewesen sein könnte, bei der Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes zugleich auch die Regelung über die Sperrklausel zu novellieren. Mit der Gesetzesänderung ist keine Veränderung der normativen Grundlagen der Sperrklausel, die der Begründung ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dienten, einhergegangen.
Das Änderungsgesetz vom 10. Oktober 2001 regelt ausschließlich die einmalige Verlängerung der Wahlperiode und die Verschiebung des Wahltermins auf den Monat Mai. Die Sperrklausel wird von diesen Änderungen nicht berührt. Dementsprechend wurde auch weder im Gesetzentwurf vom 28. Juni 2001 noch im anschließenden Gesetzgebungsverfahren die Überprüfung oder Änderung der Sperrklausel erwogen. Die Sperrklausel war allein Gegenstand des mit diesem Gesetzgebungsvorhaben in keinem Zusammenhang stehenden Entschließungsantrags der FDP-Fraktion, der sich während der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens im Sonderausschuss “Fortschreibung des kommunalen Verfassungsrechts” zur weiteren Beratung befand. Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, der Antragsgegner habe mit der Beschlussfassung am 28. September 2001 konkludent zum Ausdruck gebracht, die Sperrklausel aufrechterhalten zu wollen. Die Ablehnung des Antrags der FDP-Fraktion durch Beschluss des Landtags vom 19. Juni 2002 hat die Antragstellerin nicht mit der Organklage angegriffen.
b) Angriffsgegenstand des auf Nachbesserung und Überprüfung gerichteten Klagebegehrens der Antragstellerin kann auch nicht die angeblich nachbesserungsbedürftige Norm (§ 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG) selbst sein. Als Gegenstand eines Organstreitverfahrens kommt allenfalls der Erlass der Norm in Betracht (vgl. BVerfGE 2, 143 ≪177≫; 20, 119 ≪129≫; 20, 134 ≪141≫; 99, 332 ≪337≫). Der Erlass der Norm wird indes nicht angegriffen, wenn die Antragstellerin rügt, der Antragsgegner habe es versäumt, die Sperrklausel des § 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG den sich im Laufe der Zeit gewandelten Umständen anzupassen oder sie zumindest zu überprüfen. Damit macht sie vielmehr geltend, der Gesetzgeber habe eine Pflicht nicht befolgt, die nach Erlass der Norm neu entstanden sei. Sie rügt mithin ein erst nach Erlass der Norm zu Tage getretenes gesetzgeberisches Unterlassen.
2. Die damit aufgeworfene, bislang vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bloße Untätigkeit des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar ist (vgl. BVerfGE 92, 80 ≪87≫; 103, 164 ≪168 f.≫; zustimmend VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl 1972, S. 783 ≪784 f.≫; VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBl 1999, S. 1271; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, NordÖR 2001, S. 64 ≪65≫), bedarf auch hier keiner abschließenden Antwort. Die Organklage bliebe in jedem Fall unzulässig, weil die Antragstellerin zwar antragsbefugt wäre (a), sie aber jedenfalls die Frist des § 73 Abs. 2 BVerfGG i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG nicht eingehalten hat (b).
a) Die Antragsbefugnis ist entsprechend § 64 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 27, 44 ≪51≫; 60, 53 ≪63≫) gegeben, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsgegner Rechte der Antragstellerin, die aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsen, durch das beanstandete gesetzgeberische Unterlassen verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪362 f.≫; 99, 19 ≪28≫). Dies setzt voraus, dass sich die Antragstellerin auf eine Verfassungsnorm berufen kann, aus der sich eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers und damit korrespondierend ein ihr zustehendes Recht ergeben kann.
aa) Aus dem in Art. 21 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein gewährleisteten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien kann sich eine Pflicht des Gesetzgebers und ein entsprechender Anspruch der politischen Parteien ergeben, eine die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch eine Entwicklung in Frage gestellt wird, die bei ihrem Erlass nicht abzusehen war. Es kann sich die vom Wahlgesetzgeber vorausgesetzte tatsächliche oder normative Grundlage geändert oder die bei Erlass der Bestimmung getroffene Prognose als irrig erwiesen haben (vgl. BVerfGE 73, 40 ≪94≫; 82, 322 ≪338 f.≫).
bb) Die Antragstellerin hat solche Umstände, die im Zeitpunkt der Novellierung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10. Oktober 2001 eine Rechtspflicht des Antragsgegners zur Aufhebung, Änderung oder Überprüfung der Sperrklauselregelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG hätten begründen können, nicht dargelegt (§§ 75, 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Ihrem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, inwiefern sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Sperrklausel maßgeblichen Grundlagen verändert haben sollen.
Die Antragstellerin trägt nur vor, der Antragsgegner sei auf Grund des Entschließungsantrags der FDP-Fraktion und der hierüber geführten Plenardebatte am 1. Juni 2001 verpflichtet gewesen, die Sperrklausel in § 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG aufzuheben, abzumildern oder zumindest zu überprüfen. Es sei Grundtenor der Debatte gewesen, an der Sperrklausel müsse nicht zwingend festgehalten werden; einige Fraktionen hätten sogar die Ansicht vertreten, die Sperrklausel sei verfassungswidrig. Damit beruft sich die Antragstellerin lediglich auf allgemein-politische Anliegen einzelner Fraktionen, die eine möglicherweise aus veränderten tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen folgende Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht jedoch nicht zum Gegenstand hatten.
Soweit in der Plenardebatte pauschal darauf hingewiesen wurde, die Erfahrungen anderer Länder, z.B. Baden-Württembergs, machten deutlich, dass die für die Sperrklausel angeführte Begründung – Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen – nicht oder nicht mehr trage, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Allein damit wird ein für den Normbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG bedeutsamer tatsächlicher Umstand, der zu einer neuen verfassungsrechtlichen Bewertung führen könnte, nicht aufgezeigt. Denn für die Einschätzung des Antragsgegners, ob die Sperrklausel aufrechtzuerhalten sei, ist grundsätzlich nicht von Bedeutung, wie andere Länder die Funktionsfähigkeit ihrer Kommunalvertretungen beurteilen und welche rechtlichen Vorkehrungen sie diesbezüglich für erforderlich halten.
Der Antragsgegner ist nicht schon deshalb verpflichtet, die Einführung einer Sperrklausel zu unterlassen oder diese aufzuheben, weil andere Länder ohne sie auskommen (vgl. BVerfGE 1, 208 ≪259≫; 6, 104 ≪119 f.≫; 12, 139 ≪143≫; 82, 322 ≪338≫); bei der Beurteilung der Sperrklausel sind die Verhältnisse im Lande Schleswig-Holstein maßgebend (vgl. BVerfGE 1, 208 ≪259≫; 82, 322 ≪338≫). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn mit einem anderen Land, dessen Kommunalwahlrecht keine Sperrklausel kennt, wesentliche Übereinstimmungen in den Kommunalverfassungen (Aufgabenverteilung zwischen der Kommunalvertretung, dem Hauptverwaltungsbeamten und den Ausschüssen), in den Kommunalwahlgesetzen, in der Struktur der Kommunen, in der Parteienlandschaft und im bürgerschaftlichen Engagement in Wählergruppen oder als Einzelbewerber bestünden. Derartige Umstände sind jedoch von der Antragstellerin weder dargelegt worden noch sind solche ersichtlich.
Gleichwohl ist die Antragstellerin antragsbefugt, weil sich der normative Rahmen der Sperrklausel offenkundig durch das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22. Dezember 1995 (GVOBl 1996, S. 33) verändert hat, mit dem die Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister und der Landräte eingeführt wurde. Durch diese Veränderung könnte der Sperrklausel die verfassungsrechtliche Rechtfertigung entzogen und eine Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht des Antragsgegners begründet worden sein, die im Zeitpunkt der Novellierung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes durch das Gesetz vom 10. Oktober 2001 fortbestand.
b) aa) Der Geltendmachung einer derartigen Rechtsverletzung im vorliegenden Organstreitverfahren steht jedoch der Fristablauf entgegen (§ 73 Abs. 2 BVerfGG i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG). Die Ausschlussfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber die angeblich unerfüllte gesetzgeberische Handlungspflicht nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern fortdauernd nicht befolgt hat (fortdauerndes Unterlassen, vgl. BVerfGE 92, 80 ≪89≫; 103, 164 ≪170≫). Sie bezweckt, im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtssicherheit nach einer bestimmten Zeitspanne außer Streit zu stellen (vgl. BVerfGE 80, 188 ≪210≫). Dieses Interesse besteht auch bei fortdauerndem gesetzgeberischen Unterlassen. Wann in einem solchen Fall die Antragsfrist zu laufen beginnt, lässt sich nicht generell und für alle Fallgestaltungen festlegen. Die Frist wird allerdings spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass sich der Gesetzgeber erkennbar und eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (vgl. BVerfGE 92, 80 ≪89≫ m.w.N.; 103, 164 ≪171≫; stRspr).
bb) Der Antragsgegner hat das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22. Dezember 1995 am 11. Januar 1996 verkündet. Dadurch hat er es für die Antragstellerin, die sich zu diesem Zeitpunkt als politische Partei am Verfassungsleben in Schleswig-Holstein beteiligt hatte, erkennbar abgelehnt, die Regelung über die 5 v.H.-Sperrklausel aufzuheben, abzumildern oder zu überprüfen (vgl. BVerfGE 103, 164 ≪171≫). Ändert der Gesetzgeber Vorschriften, die bisher zur Begründung der Sperrklausel dienten, so bringt er damit zum Ausdruck, dass er die Rechtslage, die er durch die Rechtsänderung herbeiführt, nicht für verfassungswidrig hält und sich zu weiteren Rechtsänderungen nicht veranlasst sieht. Dies macht er mit der Verkündung des Änderungsgesetzes deutlich (vgl. BVerfGE 103, 164 ≪171≫); zu diesem Zeitpunkt gilt das Gesetz als allgemein bekannt geworden (vgl. BVerfGE 16, 6 ≪18 f.≫; 24, 252 ≪258≫; 103, 164 ≪171 f.≫). Die demnach mit Verkündung des Gesetzes vom 22. Dezember 1995 in Lauf gesetzte Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG war bei Eingang des Antrags im vorliegenden Verfahren am 25. März 2002 verstrichen.
cc) Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 13. Juni 1989 (BVerfGE 80, 188 ≪210 ff.≫). Danach ist eine Vorschrift der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erst von dem Zeitpunkt an als Maßnahme im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG zu beurteilen, zu dem sie beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslöst. Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen führen unmittelbar zur rechtlichen Betroffenheit einer politischen Partei, ohne Rücksicht auf ihren Willen zur Beteiligung an der nächsten Wahl (vgl. BVerfGE 92, 80 ≪91≫; 103, 164 ≪170 ff.≫). Zum Begriff der politischen Partei im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG gehört ihr grundsätzlicher Wille, an Wahlen im Bund oder in den Ländern teilzunehmen (vgl. BVerfGE 6, 367 ≪372 f.≫; 24, 260 ≪263 f.≫; 79, 379 ≪384≫; 92, 80 ≪88, 91≫; 103, 164 ≪170≫). Wahlgesetze und wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen des Gesetzgebers betreffen daher unmittelbar den verfassungsrechtlichen Status der Parteien (vgl. BVerfGE 92, 80 ≪88, 91≫; 103, 164 ≪170≫).
3. Sämtliche anderen zwischen dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts 1995 vom 22. Dezember 1995 und dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10. Oktober 2001 verabschiedeten Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung hatten – wie das Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 10. Oktober 2001 selbst – keine Auswirkungen auf die Sperrklauselregelung. Sowohl das Änderungsgesetz vom 27. Februar 1997 (Herabsetzung des aktiven Wahlalters) als auch das Änderungsgesetz vom 18. März 1997 (Verlängerung der Frist für die Stichwahl der hauptamtlichen Bürgermeister – vgl. BVerfGE 103, 164 ≪170≫) sowie das Änderungsgesetz vom 16. Dezember 1997 (Unvereinbarkeit von Amt und Mandat) stehen mit der Sperrklauselregelung in keinem Zusammenhang. Ob das Gleiche für nach dem 10. Oktober 2001 vorgenommene Änderungen des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalverfassung gilt, bedarf keiner Erörterung. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, ob es der Antragsgegner im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsgesetzes vom 10. Oktober 2001 pflichtwidrig unterlassen hat, die Sperrklausel in § 10 Abs. 1 Satz 1 GKWG zu korrigieren oder zumindest zu überprüfen (vgl. BVerfGE 68, 1 ≪63, 68 f.≫; 73, 1 ≪28≫).
Unterschriften
Hassemer, Sommer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
Haufe-Index 946076 |
BVerfGE 2004, 286 |
JuS 2004, 69 |