Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 14.03.2006; Aktenzeichen 1 Ws 150/05) |
LG Karlsruhe (Beschluss vom 03.06.2005; Aktenzeichen 151 StVK 547/04) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2006 – 1 Ws 150/05 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach § 116 Abs. 1 StVollzG.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die auf 25 Jahre festgesetzte Mindestverbüßungsdauer wird am 2. November 2014 erreicht sein. Seit 1991 ist er verheiratet; seit 1996 führt er, mit finanzieller Unterstützung seiner Ehefrau, eine Gesprächstherapie bei dem als Konsiliararzt in der Anstalt tätigen Facharzt für Psychiatrie Dr. R… durch, um die persönlichkeitsbedingten Ursachen seiner Straftaten aufzuarbeiten.
2. In der Fortschreibung des Vollzugsplans vom 9. Mai 2001 wurden dem Beschwerdeführer zwei Ausführungen jährlich bewilligt, die im Folgenden beanstandungsfrei durchgeführt wurden. Im Rahmen der Vollzugsplankonferenz vom 14. September 2004 beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Ausführungen gemäß der Fortschreibung von 2001, die Gewährung von Begleitausgängen zur Vorbereitung auf die Offene Abteilung sowie die Anerkennung der Behandlung durch Dr. R… als Alternative zur Sozialtherapie. Sollte bei einer Begutachtung die Indikation für die Sozialtherapie durch den Gutachter festgestellt werden, werde er sich dieser Empfehlung beugen. Er strebe einen möglichst langen Aufenthalt in der Offenen Abteilung an, um die Meisterschule absolvieren zu können.
3. Die Fortschreibung des Vollzugsplans vom 25. Oktober 2004 hielt fest, dass dem Beschwerdeführer “Ausführungen zu bzw. in Begleitung seiner engsten Bezugspersonen” im Sinne der Fortschreibung von 2001 weiter gewährt würden. Ob dabei die Höchstzahl von zwei Ausführungen jährlich erreicht werden könne, werde davon abhängen, ob es gelinge, durch Einsparungen an anderer Stelle die dafür erforderlichen Ressourcen zu schaffen. Ausführungen über die Zeitdauer einer normalen Dienstschicht (acht Stunden) hinaus würden nicht befürwortet. Unter der Überschrift “Betreffend Behandlungsmaßnahmen” wird ausgeführt: Aufgrund der verbleibenden Haftzeit sei eine konkrete Prüfung der Indikation für die Sozialtherapie bisher nicht erfolgt. Gleichwohl sprächen für eine solche Indikation die begangenen schwersten Straftaten und die Tatsache, dass eine Aufarbeitung dieser Taten und eine Auseinandersetzung mit Persönlichkeitsdefiziten bisher nicht erkennbar sei; erkennbar sei lediglich, dass der Beschwerdeführer mit allen Mitteln ausschließlich um seinen eigenen Vorteil bemüht sei. An der Option einer Sozialtherapie werde weiterhin festgehalten. Die Indikation werde zu gegebener Zeit auch gutachterlich zu prüfen sein; denkbar sei eine Begutachtung im Jahre 2009. Über weitere Lockerungen sei vor dieser Begutachtung nicht zu entscheiden.
4. Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Beschwerdeführer daraufhin die Anerkennung der Behandlung durch Dr. R… als Alternative zur Sozialtherapie; er habe einen Anspruch auf fehlerfreie und rechtzeitige Ermessensausübung auch hinsichtlich der Prüfung der Indikation der Sozialtherapie. Ferner beantragte er die Verpflichtung zur Gewährung von Begleitausgängen. In der Vollzugsplankonferenz habe er ausdrücklich mitgeteilt, dass er Begleitausgänge mit seiner Ehefrau, seinen Eltern oder Dr. R… wünsche. Letzterer habe seine Bereitschaft hierzu der Anstalt gegenüber schriftlich mitgeteilt. Es fehle an einer hinreichend substantiierten Begründung der Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch die Justizvollzugsanstalt; auf eine kriminalprognostische Begutachtung komme es nur für vollstreckungsrechtliche Entscheidungen nach § 57a, § 57b StGB an. Schließlich wandte der Beschwerdeführer sich gegen die zeitliche Einschränkung der zwei jährlichen Ausführungen.
5. Das Landgericht gab durch Beschluss vom 3. Juni 2005 dem Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der zeitlichen Einschränkung der Ausführungen auf acht Stunden statt. Den Antrag bezüglich der Anerkennung der Sozialtherapie verwarf es als unzulässig, da die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Alternative zur Sozialtherapie keine anfechtbare Maßnahme sei. Im Übrigen – hinsichtlich der Gewährung von Begleitausgängen – sei der Antrag unbegründet. Der Gefangene habe insoweit lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Ermessensfehler seien angesichts der verbleibenden Mindestverbüßungszeit von neun Jahren nicht ersichtlich. Es sei nicht zu beanstanden, dass vor einer Begutachtung im Jahre 2009 weitergehende Lockerungen nicht vorgesehen seien.
6. Gegen den Beschluss des Landgerichts, soweit abschlägig, erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde. Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil das Landgericht sowohl hinsichtlich der Überprüfbarkeit eines Vollzugsplanes als auch hinsichtlich der Nichtgewährung weiterer Lockerungen von näher bezeichneter obergerichtlicher, teilweise auch verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen sei. Darüber hinaus sei die Entscheidung des Landgerichts aus Gründen der Fortbildung des Rechts einer Überprüfung unter anderem im Hinblick auf die in der Literatur vertretene Auffassung zu unterziehen, ob bei vorliegender Zustimmung des Gefangenen Voraussetzung zur Gewährung von Begleitausgängen nur noch das Fehlen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr sei. Die Rechtsbeschwerde sei auch begründet. Das Landgericht habe seinen Antrag in Bezug auf Begleitausgänge nicht als unzulässig ablehnen dürfen. Zwar bestehe kein Anspruch auf Aufnahme einer bestimmten Maßnahme in den Vollzugsplan, sondern lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Er befinde sich aber seit 1988 in Haft und habe seit dem Jahr 2000 insgesamt acht Ausführungen völlig beanstandungsfrei absolviert. Dass eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr bestehe, habe die Justizvollzugsanstalt nicht vorgetragen. Das Landgericht habe seine eigenen Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen der Anstalt gesetzt, indem es Ermessensfehler mit der Erwägung verneint habe, bis zur vollständigen Vollstreckung der Mindestverbüßungsdauer stünden noch neun Jahre Strafvollzug an. Die Anstalt habe Erwägungen zur verbleibenden Strafzeit an keiner Stelle angestellt; zur ermessensfehlerfreien Begründung einer ablehnenden Entscheidung wären solche Erwägungen im Übrigen ungeeignet gewesen. Das Landgericht hätte zur Sachverhaltsaufklärung ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Die Ablehnung von Lockerungen durch Anstalt und Gericht sei nicht auf einer gesicherten Grundlage erfolgt. Dr. R… habe seine Eignung zu Begleitausgängen bejaht.
7. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 14. März 2006, dem Beschwerdeführer zugegangen am 27. März 2006, die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Es sei nicht geboten, die Nachprüfung der Entscheidung des Landgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Fragen seien bereits obergerichtlich geklärt. Soweit die Anstalt und das Landgericht in ihren Entscheidungen hiervon abgewichen seien, sei von einer Beachtung bei der zukünftigen Aufstellung von Vollzugsplänen auszugehen, so dass durch die angefochtene Einzelfallentscheidung die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht gefährdet sei. Die im Vollzugsplan enthaltene Festlegung, für eine Prüfung der Indikation der Sozialtherapie bestehe bislang kein Anlass, enthalte eine die Rechtssphäre des Gefangenen berührende Regelung und könne daher zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden (Verweis auf OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2004 – 2 Ws 3/04 –, Die Justiz 2004, S. 495 f.). Das Landgericht habe den Antrag des Beschwerdeführers in Bezug auf die Sozialtherapie deshalb nicht als unzulässig behandeln dürfen. Allerdings habe der Gefangene keinen Anspruch auf Aufnahme einer bestimmten Behandlungsmaßnahme in den Vollzugsplan, sondern lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Die Anstalt sei aber verpflichtet, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und das Ergebnis ihrer Abwägungen – zumindest in groben Zügen – in den Vollzugsplan aufzunehmen.
Soweit der Vollzugsplan entgegen der ausdrücklichen Antragstellung des Strafgefangenen zur Gewährung von Begleitausgängen keine Ausführungen enthalte, werde die Anstalt zukünftig zu bedenken haben, dass sich die im Rahmen der Vollzugsplanung zu treffenden Entscheidungen über Vollzugslockerungen nach § 11 Abs. 2 StVollzG zu richten hätten. Um die gerichtliche Kontrolle des dort vorgesehenen Versagungsgrundes der Flucht- oder Missbrauchsgefahr zu ermöglichen, bedürfe die diesbezüglich von der Anstalt zu treffende Prognoseentscheidung einer hinreichend substantiierten Begründung. Dabei sei auf vom Gefangenen vorgebrachte tatsächliche Einwände einzugehen, falls Anlass zu deren Nachprüfung und Erörterung bestehe. Auch bei Nichtvorliegen der Ausschlussgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG sei die Anstalt grundsätzlich nicht verpflichtet, Lockerungen zu gewähren; vielmehr stehe ihr ein Ermessensspielraum zu. Insoweit sei aber darauf hinzuweisen, dass eine fehlerfreie Ermessensabwägung nur vorliegen könne, wenn die Anstalt zuvor das Vorliegen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr bewertet habe.
Entscheidungsgründe
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet der Beschwerdeführer sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, obwohl es festgestellt habe, dass das Landgericht den hinsichtlich der Sozialtherapie gestellten Antrag nicht als unzulässig hätte zurückweisen dürfen. Da die Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nicht nachträglich erkannt und aktenkundig gemacht habe, sei die Annahme des Oberlandesgerichts, dass Anstalt und Landgericht bei der zukünftigen Aufstellung von Vollzugsplänen die obergerichtliche Rechtsprechung beachten werden, nicht nachvollziehbar. Die Versagung der Begleitausgänge verletze seinen Resozialisierungsanspruch. Er habe Anspruch auf eine Ermessensausübung. Auf die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände – vollzugliches Verhalten, Ausführungen, soziale Bindungen, therapeutische Gespräche – sei nicht eingegangen worden. Der pauschale Hinweis auf die Restverbüßungsdauer entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Rechtsstaatsprinzip sei verletzt, da die Entscheidungen des Landgerichts sowie des Oberlandesgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt nachvollziehbar seien.
III.
Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hat ausgeführt, die Vollzugsplankonferenz habe aufgrund der in den Straftaten des Beschwerdeführers zutage getretenen schweren Persönlichkeitsstörung die Absolvierung der Sozialtherapie für notwendig erachtet. Die aktuelle, vom Landgericht Karlsruhe bestätigte Vollzugsplanfortschreibung vom 27. Juli 2007 sehe weiterhin zwei Ausführungen pro Jahr vor, lehne weitergehende Vollzugslockerungen jedoch ab. An der Auffassung, im Hinblick auf die Sozialtherapie sei eine Begutachtung im Jahr 2009 vorzusehen, werde festgehalten.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe verletzt das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende Vollzugsplanfortschreibung vom 25. Oktober 2004 inzwischen durch eine weitere Fortschreibung vom 27. Juli 2007 aktualisiert wurde. Hierdurch ist, jedenfalls nachdem die jüngste Vollzugsplanfortschreibung ausweislich der Stellungnahme des Ministeriums keine Änderung zugunsten des Beschwerdeführers ergeben hat, das Rechtsschutzinteresse für die Verfassungsbeschwerde nicht entfallen. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts beruht auf einer Auslegung des § 116 Abs. 1 StVollzG, die geeignet ist, den Rechtsbehelf der Rechtsbeschwerde nicht nur für den Rechtsstreit, über den konkret zu entscheiden war, sondern prinzipiell – auch im Hinblick auf praktisch jeden künftigen vom Beschwerdeführer geführten Rechtsstreit – weitgehend ineffektiv zu machen (s. im Einzelnen unter 2.). Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis ist daher hier schon unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 91, 125 ≪133≫; 96, 27 ≪40 f.≫) zu bejahen. Der Beschwerdeführer hat ein berechtigtes Klärungsinteresse, weil es ihm nicht zumutbar ist, gegen die vielfältigen seine Rechte berührenden Maßnahmen, die der Vollzug der über ihn verhängten Freiheitsstrafe mit sich bringt, Rechtsschutz in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur unter der Rechtsunsicherheit und dem unkalkulierbaren Kostenrisiko suchen zu können, denen er in künftigen Fällen ausgesetzt wäre, wenn die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Bestand hätte.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung verletzt Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 ≪58≫; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪61≫; 92, 365 ≪410≫; stRspr). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 54, 94 ≪96 f.≫). Hieraus ergeben sich verfassungsrechtliche Anforderungen sowohl für den Gesetzgeber als auch für die gerichtliche Auslegung der prozessrechtlichen Vorschriften. Der Gesetzgeber muss für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit in einer dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit entsprechenden Weise bestimmen (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 87, 48 ≪65≫; 107, 395 ≪416≫; 108, 341 ≪349≫). Dieser Grundsatz verbietet es, den Rechtssuchenden mit einem unübersehbaren “Annahmerisiko” und dessen Kostenfolgen zu belasten (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ihrerseits ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; 117, 244 ≪268≫; stRspr).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Das Gericht hat die Rechtsbeschwerde mit einer Begründung als unzulässig verworfen, die, sofern das Rechtsmittel nicht in ihrer Folge überhaupt leerläuft, jedenfalls die Voraussetzungen des Zugangs zu einer Sachentscheidung gänzlich unvorhersehbar macht.
Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Zu der Frage, ob die letztere Voraussetzung vorlag, hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Sozialtherapie rechtsfehlerhaft in Abweichung von vorausgegangener Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2004 – 3 Ws 3/04 –, Die Justiz 2004, S. 495 f.) als unzulässig zurückgewiesen hat. Hinsichtlich der Entscheidung über die vom Beschwerdeführer beantragten Begleitausgänge hat es klargestellt, dass insoweit eine fehlerfreie Ermessensabwägung nur vorliegen kann, wenn die Anstalt zuvor das Vorliegen von Flucht- oder Missbrauchsgefahr bewertet hat. Damit war, da die Anstalt eine entsprechende Feststellung unstreitig nicht getroffen hatte, der Sache nach zugleich festgestellt, dass die landgerichtliche Entscheidung, die hinsichtlich der Begleitausgänge einen vollzugsplanerischen Ermessensfehler verneint hatte, auch insoweit rechtsfehlerhaft war. Die Annahme, die Nachprüfung sei dennoch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten, hat das Oberlandesgericht, ohne sich auf weitere Voraussetzungen der Erforderlichkeit einer Nachprüfung zu beziehen, ausschließlich mit der Erwartung begründet, es sei von künftiger Beachtung der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung auszugehen, so dass nur eine der Nachprüfung nicht bedürftige Einzelfallentscheidung vorliege. Diese Begründung ist unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht nachvollziehbar; sie handhabt die gesetzlichen Zulässigkeitsgründe in einer Weise, die jede Vorhersehbarkeit zunichte macht.
Zwar ist anerkannt, dass es auch in Fällen, in denen die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung ausdrücklich oder implizit auf eine unzutreffende oder von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweichende Rechtsauffassung gestützt hat, an der Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung fehlen kann, weil nicht zu erwarten ist, dass der Rechtsfehler in weiteren Fällen Bedeutung erlangen wird, weil also keine Wiederholungsgefahr besteht (vgl. OLG Schleswig, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 – 2 Vollz Ws 78/07 –, NStZ-RR 2007, S. 326, und vom 10. Januar 2006 – 2 Vollz Ws 453/05 –, ZfStrVO 2006, S. 242; OLG Celle, Beschlüsse vom 30. Mai 1990 – 1 Ws 117/90 –, BlStVKunde 1992, Nr. 2, S. 5, und vom 14. Januar 1999 – 1 Ws 296/98 –, StV 1999, S. 554 f.). Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde kann danach insbesondere dann verneint werden, wenn die Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nachträglich erkannt und dies aktenkundig gemacht oder wenn das Oberlandesgericht in anderer Sache zu der Rechtsfrage Stellung genommen und sie anders beantwortet hat als die Strafvollstreckungskammer, diese das aber bei der Entscheidung noch nicht wissen konnte (vgl. Kamann/Volckart, in: Feest, StVollzG-Kommentar, 5. Aufl. 2006, § 116 Rn. 7; s. außerdem für die Möglichkeit, dass der Rechtsfehler einer Wiederholung deshalb nicht zugänglich ist, weil er eine singuläre Fallgestaltung betrifft, Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl. 2005, § 116 Rn. 2).
Das Oberlandesgericht hat jedoch irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass eine Wiederholung der festgestellten Rechtsfehler nicht zu besorgen sei, nicht benannt. Seine Erwartung, das Landgericht werde die obergerichtliche Rechtsprechung künftig beachten, hat ersichtlich keine andere Grundlage als die Vermutung, die Strafvollstreckungskammer werde sich durch die Erwägungen, mit denen das Oberlandesgericht seine die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfende Entscheidung begründet hat, belehren lassen und künftige Entscheidungen nach Maßgabe dieser Gründe treffen. Dies muss einen Rechtsschutzsuchenden überraschen, der Rechtsbeschwerde gerade deshalb erhoben hatte, weil die Strafvollstreckungskammer sich, wie auch das Oberlandesgericht selbst feststellt, schon durch dessen vorausgegangene Rechtsprechung nicht hatte leiten lassen. Das Vorgehen des Oberlandesgerichts macht die Voraussetzungen des Zugangs zur Rechtsbeschwerdeinstanz aber auch unabhängig von diesem besonderen Überraschungsmoment für den Rechtsschutzsuchenden in einer mit dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit nicht mehr vereinbaren Weise unberechenbar. Könnte bei im Übrigen erfüllten Zulässigkeitsvoraussetzungen die Erforderlichkeit obergerichtlicher Nachprüfung allein mit dem Ausspruch der Erwartung verneint werden, das Ausgangsgericht werde einen festgestellten Rechtsfehler künftig vermeiden, so wäre für den Rechtsschutzsuchenden nicht mehr erkennbar, in welchen Fällen er überhaupt noch mit einer Behandlung seiner Rechtsbeschwerde als zulässig rechnen dürfte.
3. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
V.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen