Entscheidungsstichwort (Thema)
Versammlung: Auflagen
Beteiligte
Rechtsanwälte Markus Beisicht und Koll. |
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Polizeipräsidiums Bochum vom 9. April 2001 – VL 1.2-231 – wird mit folgenden Maßgaben wieder hergestellt:
- Die Benutzung von Trommeln und Fahnen – außer der Bundesflagge und den Flaggen der Bundesländer – und von Transparenten strafbaren Inhalts, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung sind untersagt.
- Möglichen weiteren von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen, insbesondere über die Streckenführung, ist Folge zu leisten.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Antragsteller zwei Drittel der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft den versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug einer Anordnung, mit der eine für Karsamstag, den 14. April 2001, beim Polizeipräsidium in Bochum angemeldete Demonstration untersagt worden ist. Laut Anmeldung soll sie unter dem Thema stehen: „Gegen Kriminalisierung nationaler Patrioten”.
Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs im Beschluss vom 11. April 2001 – 3 L 430/01 – abgelehnt. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat im Beschluss vom 12. April 2001 – 5 B 496/01 – den Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 ≪161≫; 88, 185 ≪186≫; 91, 257 f.; stRspr) führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Gefahrenprognose der Behörde oder des Gerichts auf Umstände gestützt wird, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt der Art. 5 und 8 GG offensichtlich widerspricht, oder wenn das für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut und die angewandten Normen in rechtlicher Hinsicht die Einschränkung offensichtlich nicht tragen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. März 2001 – 1 BvQ 15/01 –). Die Argumentation des Antragsgegners und des Oberverwaltungsgerichts ist anhand der Maßstäbe zur Überprüfung im Eilrechtsschutzverfahren weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht tragfähig.
1. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, das Verbot könne sich auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung stützen, weil der angemeldete Aufzug wegen seiner Ausrichtung den Charakter des bevorstehenden Osterfestes und des Passahfestes missachte, verkennt die Spezialität des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. April 1989 gegenüber § 15 VersG. Dieses Gesetz schützt in § 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 den Karfreitag und die Ostertage als Sonn- und Feiertage sowie in § 9 bestimmte jüdische Festtage als Feiertage. § 5 Abs. 1 Buchstabe a bestimmt für Sonntage und für die in § 2 benannten Feiertage, dass unter anderem öffentliche Aufzüge, die nicht mit dem Gottesdienst zusammenhängen, während der Hauptzeit des Gottesdienstes verboten sind. Der Karsamstag ist kein Feiertag im Sinne dieses Gesetzes. § 9 sieht für die dort benannten jüdischen Festtage, zu denen das Passahfest ebenfalls nicht gehört, zeitliche und örtliche Versammlungsbegrenzungen vor. Diese Spezialregelungen schließen einen Rückgriff auf § 15 VersG insoweit aus, als es um den Schutz von Sonn- und Feiertagen vor öffentlichen Versammlungen geht. Ein weiter gehender Schutz vor Versammlungen bestimmten Typs ist im Gesetz nicht vorgesehen.
2. Soweit das Oberverwaltungsgericht ein Verbot der Versammlung allein deshalb für rechtmäßig hält, weil sie durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sei und deshalb die öffentliche Ordnung störe, hat es keine hinreichenden tatsächlichen Ausführungen zum Charakter der geplanten Versammlung gemacht und zudem den rechtlichen Gehalt der maßgebenden Rechtsnormen offensichtlich verkannt.
In tatsächlicher Hinsicht ersetzt der Hinweis auf länger zurückliegende Straftaten des Antragstellers und auf seine Zugehörigkeit und die vorgesehener Redner zum rechtsextremen Spektrum nicht die zur rechtlichen Subsumtion erforderlichen konkreten Anhaltspunkte über die Ausrichtung und die sonstigen Begleitumstände der geplanten Versammlung.
In rechtlicher Hinsicht verkennt das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG. Diese Norm bildet den Maßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die den Inhalt von Meinungsäußerungen beschränken. Die im Strafgesetzbuch auch zur Abwehr nationalsozialistischer Bestrebungen geschaffenen Strafnormen (insbesondere §§ 84 ff. StGB) sind abschließend in dem Sinne, dass daneben ein Verbot von Meinungsäußerungen allein wegen ihres Inhalts unter Rückgriff auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 7. April 2001 – 1 BvQ 17/01 und 18/01 –). Der Antragsgegner und das Oberverwaltungsgericht haben keinerlei Anhaltspunkte für die bevorstehende Begehung dieser oder anderer Straftaten, wie etwa nach § 130 StGB, angeführt.
Darüber hinaus ist es offensichtlich fehlsam, wenn das Oberverwaltungsgericht meint, die Verbreitung von Gedankengut, das „grundlegende soziale und ethische Anschauungen einer Vielzahl von Menschen” verletze, rechtfertige „an jedem Tag des Jahres” ein staatliches Einschreiten zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Das Oberverwaltungsgericht beruft sich zu Unrecht auf den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 –. Dieser Beschluss hat auf die spezifische Provokationswirkung des Aufzugs am Holocaust-Gedenktag abgestellt und wegen des mit diesem Tag verbundenen Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus die Auflage der zeitlichen Verschiebung eines Aufzugs, der von Personen aus dem Umfeld so genannter rechtsextremer Kameradschaften geplant war, für zulässig gehalten.
Die historische, mit dem Nationalsozialismus verbundene Schuld der Deutschen hebt den Holocaust-Gedenktag gegenüber Feiertagen heraus und kann spezifische Vorkehrungen zum Schutz der ungestörten Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust rechtfertigen. Das am Karsamstag, dem Tag der geplanten Versammlung, bevorstehende Osterfest und das Passahfest sind wichtige, in langer Tradition gefestigte Feiertage der Christen und Juden, die aber nicht in der gleichen, spezifischen Weise schutzbedürftig sind.
Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein über die im Gesetz über die Sonn- und Feiertage enthaltenen Vorkehrungen hinausgehender Schutz der Kartage sowie des Oster- und des Passahfestes gegenüber Versammlungen wegen besonderer Umstände in Betracht kommt. Der Antragsgegner und das Oberverwaltungsgericht haben keinerlei Anhaltspunkte für die angenommene nachhaltige Störung des Friedens der religiösen Feiern benannt, die einer Überprüfung am Maßstab der Art. 5 und 8 GG standhalten könnten.
3. Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die auf Grund ihrer Sach- und Ortsnähe am besten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen sind. Wurden solche Auflagen nicht erlassen und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es hilfsweise die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nach § 32 BVerfGG, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs mit Auflagen zu verbinden. Diese Auflagen dienen dem Ziel, die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren, die im Interesse des effektiven Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen