Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 19.09.2003; Aktenzeichen 12 S 78/03) |
AG Köln (Urteil vom 19.03.2003; Aktenzeichen 220 C 291/02) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. September 2003 – 12 S 78/03 – und das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 19. März 2003 – 220 C 291/02 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Landgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die zivil-gerichtliche Verurteilung zur Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung.
I.
1. Die Beschwerdeführerin, Beklagte des Ausgangsverfahrens, ist seit 1989 Mieterin einer den Klägern gehörenden Wohnung. Diese wollen die Wohnung veräußern und verlangten von der Beschwerdeführerin mehrfach Zutritt zu der Wohnung, um sie mit Kaufinteressenten zu besichtigen.
Anfang Mai und im Juni 2002 kündigten die Kläger das Mietverhältnis fristgerecht und fristlos, weil die Beschwerdeführerin mehrere Besichtigungstermine mit Kaufinteressenten nicht eingehalten habe und die Fortsetzung des Mietverhältnisses ihnen auch wegen des desolaten Zustands der Wohnung unzumutbar geworden sei.
Das Amtsgericht hat der sodann erhobenen Räumungsklage der Kläger stattgegeben, das Landgericht unter Bezugnahme auf die Begründung des Amtsgerichts die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Die fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses sei nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gerechtfertigt, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin ihre Pflicht, den Klägern gemäß § 16 Abs. 2 des Mietvertrags die Besichtigung der Wohnung mit Kaufinteressenten zur ermöglichen, mehrfach schuldhaft nicht unerheblich verletzt habe. Sie habe den zuvor vereinbarten Besichtigungstermin am 2. Februar 2002 und den Besprechungstermin am 23. März 2002 nicht eingehalten und auf ein Schreiben wegen eines weiteren Besichtigungstermins am 6. April 2002 nicht reagiert. Das Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin stelle, insbesondere auch im Zusammenhang mit einer bereits 1998 erfolgten Verurteilung zur Duldung von Wohnungsbesichtigungen und der mangelnden Pflege der Wohnung, ein vertragswidriges Verhalten dar, das jedenfalls eine fristgerechte Kündigung rechtfertige.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die beiden zivilgerichtlichen Urteile. Sie rügt unter anderem die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG.
3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und die Kläger des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Die Kläger sind der Auffassung, dass die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet ist.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Eigentumsgrundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Die angegriffenen Urteile verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht nur die Eigentumsposition des Vermieters. Auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪5 ff.≫). Die Befugnisse von Mieter und Vermieter zuzuordnen und abzugrenzen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Er muss die schutzwürdigen Interessen beider Seiten berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Die allgemein zuständigen Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften des einfachen Rechts ebenfalls die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten; sie müssen die im Gesetz auf Grund verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeeinträchtigungen vermeidet (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪8≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 2658 ≪2659≫).
Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist allerdings erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪9 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.).
b) Diese Grenze ist hier überschritten.
Nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist als ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses, das ihn nach § 573 Abs. 1 BGB zur Kündigung dieses Verhältnisses berechtigt, die schuldhafte nicht unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten anzusehen. Die Zivilgerichte haben im Ausgangsverfahren dieses Tatbestandsmerkmal insbesondere deshalb bejaht, weil die Beschwerdeführerin ihrer Verpflichtung aus § 16 Abs. 2 des Mietvertrags nicht nachgekommen sei, den Klägern die Besichtigung der Mietwohnung zusammen mit Kaufinteressenten zu ermöglichen. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Vereinbarung ist neben Art. 14 Abs. 1 GG auch Art. 13 Abs. 1 GG zu beachten (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪12 f.≫). Die Gerichte waren danach gehalten, bei der Auslegung und Anwendung sowohl der vertraglichen als auch der gesetzlichen Regelung die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfGE 90, 27 ≪33 f.≫).
Dem werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Das Amts- und das Landgericht haben bei der Abwägung der widerstreitenden Belange dem Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin und im Zusammenhang damit auch ihrem Recht aus Art. 13 Abs. 1 GG, in ihren Mieträumen in Ruhe gelassen zu werden (vgl. BVerfGE 32, 54 ≪75≫), nicht die von Verfassungs wegen gebührende Bedeutung beigemessen. Den Mieter trifft zwar aus dem Mietvertrag die Nebenpflicht, dem Vermieter die Besich-tigung seiner Wohnung mit Kaufinteressenten zu ermöglichen. Diese Pflicht besteht aber nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur bereits einfachrechtlich nur in engem Rahmen und zu vertretbaren Zeiten (vgl. Emmerich, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Zweites Buch §§ 535-563, 13. Bearbeitung 1995, §§ 535, 536, Rn. 186 ff.; Kraemer, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. 1999, III.A Rn. 1128). Im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG sind vor Annahme einer eine Räumungskündigung rechtfertigenden Pflichtverletzung des Mieters darüber hinaus einerseits das Eigentumsrecht des Mieters am Besitz der Mietwohnung, in diesem Zusammenhang auch die Dauer des Mietverhältnisses und die von Besichtigungen ausgehende Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG sowie andererseits das Eigentum des Vermieters an der Mietsache und seine Beeinträchtigung durch das Verhalten des Mieters umfassend zu würdigen.
Das ist hier nicht geschehen. Weder das Amts- noch das Landgericht hat eine Abwägung der gegensätzlichen Interessen vorgenommen, sondern einseitig auf das Besichtigungsrecht der Kläger abgestellt und dabei schon nicht hinreichend geprüft, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Rechts stets erfüllt waren. In § 16 Abs. 2 des Mietvertrags ist ausdrücklich geregelt, dass Besichtigungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der Mietsache wochentags nur in der Zeit von 10.00 bis 13.00 Uhr und von 15.00 bis 18.00 Uhr gestattet sein sollen. Die Gerichte haben insoweit nicht gewürdigt, dass die Besichtigung, die am 2. Februar 2002 stattfinden sollte, auf 14.00 Uhr anberaumt war und damit im Mietvertrag keine Grundlage hatte. Es finden sich in den angegriffenen Urteilen auch keine Ausführungen dazu, ob der rechtzeitige Zugang der Terminsmitteilung gewährleistet und ein Besichtigungstermin in der Mittagszeit an einem Samstag ohne vorherige mündliche Absprache unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 GG für die Beschwerdeführerin zumutbar war.
Hinsichtlich des Vorwurfs der Nichteinhaltung des Termins am 23. März 2002 ist weder das Amts- noch das Landgericht darauf eingegangen, dass es sich dabei ausschließlich um einen Besprechungstermin mit dem Hausverwalter wegen Renovierungsmaßnahmen und nicht um einen Besichtigungstermin mit potentiellen Käufern handeln sollte. § 16 Abs. 2 des Mietvertrags konnte deshalb insoweit eine vertragliche Verpflichtung der Beschwerdeführerin nicht begründen. Nicht erörtert ist, ob unter Berücksichtigung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG überhaupt ein Anspruch auf einen Besprechungstermin in ihrer Wohnung bestand.
Die angegriffenen Urteile lassen die gebotene Grundrechtsbeachtung weiter auch insoweit nicht erkennen, als sie die Kündigung darauf stützen, dass die Beschwerdeführerin auf ein Schreiben vom 28. Februar 2002, in dem ein Besichtigungstermin mit Kaufinteressenten für den 6. April 2002 angekündigt worden war, nicht reagiert habe. Aus den Entscheidungen ist weder ersichtlich, woraus sich eine Verpflichtung der Beschwerdeführerin ergeben haben könnte, aktiv durch Telefonate oder Schreiben auf ein Zustandekommen dieses Termins hinzuwirken, noch sind Feststellungen dazu getroffen worden, dass die Kläger oder deren Hausverwalter sich selbst um die Aufrechterhaltung des Termins noch bemüht hätten.
Auch die Gesamtschau der weiteren Umstände, die nach Ansicht der Gerichte die Kündigung rechtfertigen soll, ist verfassungsrechtlichen bedenklich. Dies gilt zunächst für den Vorhalt des Umstands, dass die Beschwerdeführerin bei dem durchgeführten Besichtigungstermin im Mai 2002, als der Kläger versucht habe, Fotos von ihrer Wohnung zu fertigen, geäußert habe, dieser komme nun nicht mehr in ihre Wohnung. Das Amtsgericht hat mit keinem Wort erörtert, ob der Kläger zur Fertigung von Fotos anlässlich eines Besichtigungstermins mit potentiellen Käufern berechtigt war. Auch fehlt jede Würdigung der Äußerung der Beschwerdeführerin im Hinblick auf diese für sie möglicherweise besonders belastende Situation.
Soweit die Gerichte aus einem Urteil von 1998, durch das die Beschwerdeführerin verpflichtet wurde, den Klägern Zutritt zu ihrer Wohnung zu gewähren, Sorgfaltspflichten abgeleitet haben, mangelt es verfassungsrechtlich wiederum an jeder Interessenabwägung, insbesondere an Ausführungen, aus denen gefolgert werden könnte, dass auch die Interessen der Beschwerdeführerin an ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Besitzrecht und ihrem Recht aus Art. 13 Abs. 1 GG auf ein ungestörtes Wohnen berücksichtigt worden sind.
Schließlich ist es verfassungsrechtlich bedenklich, dass dem ungepflegten Zustand der Wohnung, der nach Ansicht des Amtsgerichts “für sich nicht eine Kündigung des Mietverhältnisses” gerechtfertigt hat, gleichwohl für die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Nichteinhaltung von Besichtigungsterminen Bedeutung beigemessen worden ist. Auch hier haben die Gerichte das Eigentumsgrundrecht der Beschwerdeführerin nicht in dem erforderlichen Maße beachtet. Gänzlich unberücksichtigt ist insoweit geblieben, dass die Beschwerdeführerin ausweislich des Mietvertrags die Wohnung 1989 in unrenoviertem Zustand übernommen hatte, in der Wohnung im Jahre 2002 schon rund 13 Jahre gelebt hat und die Kläger noch im März 2002 bereit waren, selbst Renovierungsmaßnahmen durchzuführen.
c) Die angegriffenen Urteile beruhen auf den festgestellten Verfassungsverstößen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, der Beschwerdeführerin günstigen Entscheidung gelangt wären.
2. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das Urteil des Landgerichts auf und verweist die Sache an dieses zurück.
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 1097433 |
DWW 2004, 146 |
NJW-RR 2004, 440 |
NZM 2004, 186 |
ZMR 2004, 566 |
MDR 2004, 266 |
WuM 2004, 80 |
RdW 2004, 379 |
JWO-MietR 2004, 73 |
www.judicialis.de 2004 |