Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 01.06.1999; Aktenzeichen 7 U 121/98) |
LG Hamburg (Urteil vom 04.09.1998; Aktenzeichen 324 O 208/98) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin zu 1 verlegt das monatlich erscheinende Magazin “Capital”. In der Ausgabe vom November 1997 veröffentlichte sie unter der Überschrift “Marsch in den Untergang” einen von dem Beschwerdeführer zu 2 verfassten Beitrag. Der Artikel setzt sich kritisch mit der DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) – der Klägerin des Ausgangsverfahrens – auseinander.
Der Beitrag war in dem Inhaltsverzeichnis wie folgt angekündigt:
Gewerkschaftsskandal:
Von Arbeitgebern geschmiert und vor der Pleite: DIE NGG.
Der Artikel selbst ist mit verschiedenen Bildern und Schaubildern versehen. Unterhalb des Bildes auf der ersten Seite des Artikels und oberhalb der Titelüberschrift heißt es wörtlich wie folgt:
NGG. Die DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hat sich jahrelang von den Arbeitgebern finanzieren lassen. Trotzdem steht sie vor der Pleite. Ihr droht der Verlust der Tariffähigkeit.
In dem streitgegenständlichen Artikel heißt es an späterer Stelle wörtlich unter anderem wie folgt:
Wegen rechtswidriger Finanzierungspraktiken steht die Existenz der Gewerkschaft auf dem Spiel. …
Nach Capital vorliegenden Informationen wird die NGG seit 1970 bis heute mittelbar teilweise vom Arbeitgeberlager bezahlt. So hat das Förderungswerk für die Beschäftigten des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. über die Jahre zweistellige Millionenbeträge an den für gemeinnützige Zwecke gegründeten Verein Bildung und Beruf überwiesen, offiziell Träger des NGG-Bildungszentrums Oberjosbach (BZO). Nach 1989 flossen jährlich 1,5 Millionen Mark. Im Gegenzug setzte sich die NGG für die Interessen des Bäckerhandwerks ein: die Aufrechterhaltung des Nachtbackverbots gegen die Konkurrenz der Brot- und Backwarenindustrie – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. …
Die NGG hat sich demnach jahrelang von den Arbeitgebern korrumpieren lassen – seit 1990 unter der Verantwortung Möllenbergs. Das hat rechtliche Konsequenzen. “Es stellt sich die Frage”, so Arbeitsrechtler Heinze, “ob man unter derartigen Voraussetzungen noch von einer Gegnerunabhängigkeit der NGG sprechen kann”. Die hohen Summen, die geflossen sind, legen nahe, dass die NGG unter Möllenberg die Grundlagen ihres Gewerkschaftsstatus verspielt hat. …
Die Klägerin nahm die Beschwerdeführer vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erfolgreich auf Unterlassung unter anderem der folgenden Äußerungen in Anspruch:
6. “Die DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hat sich jahrelang von den Arbeitgebern finanzieren lassen.”
7. “Wegen rechtswidriger Finanzierungspraktiken steht die Existenz der Gewerkschaft auf dem Spiel.”
8. “Die NGG hat sich demnach jahrelang von Arbeitgebern korrumpieren lassen.”
9. “Von Arbeitgebern geschmiert und vor der Pleite: Die NGG.”
Die Beschwerdeführer sehen sich hierdurch in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG verletzt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (vgl. zu den Annahmevoraussetzungen BVerfGE 90, 22 ≪25 ff.≫).
1. Die angegriffenen Entscheidungen sind an dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) zu messen, nicht auch an dem Grundrecht auf Pressefreiheit. Vorliegend geht es ungeachtet des Verbreitungsmediums allein um die Frage, ob ein Dritter eine für ihn nachteilige Äußerung hinzunehmen hat (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪13≫).
2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004 BGB, §§ 185, 186 StGB zählen, auf die die Gerichte die Verurteilung der Beschwerdeführer gestützt haben. Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist grundsätzlich Sache der Zivilgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob die Zivilgerichte die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit verkannt haben (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫; 93, 266 ≪292≫). Dies ist nicht der Fall.
a) Die von dem Klageantrag zu Ziffer 6 erfasste, in den Einleitungssätzen des Artikels besonders hervorgehobene Äußerung hat das Oberlandesgericht als selbständige Sachaussage über direkte finanzielle Zahlungen an die NGG gedeutet. Da aber unstreitig Zahlungen nicht an die NGG geflossen sind, sondern nur an den gemeinnützigen, rechtlich eigenständigen Verein Bildung und Beruf geleistet wurden, hat es die Aussage als unwahre Tatsachenäußerung bewertet, die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht gedeckt sei. Dass dieser Verein Träger einer NGG-Bildungseinrichtung sei, ändere daran nichts. Diese Bewertung und die darauf gestützte Verurteilung zur Unterlassung der Äußerung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Einwand der Beschwerdeführer, sie würden durch die gerichtlichen Entscheidungen gehindert, die Öffentlichkeit in einer journalistisch nach ihren Vorstellungen aufbereiteten Form zu unterrichten, verkennt die Sorgfaltsobliegenheiten der Presse. Das Erfordernis journalistischer Aufbereitung rechtfertigt auch in plakativ hervorgehobenen Sätzen keine Entstellungen. Zwar folgen in dem Presseartikel mehrere Seiten später differenzierende Erläuterungen. Eine Relativierung des schweren Vorwurfs ist den einleitend besonders hervorgehobenen Sätzen aber nicht zu entnehmen. Derart herausgestellte Sätze wollen auch den flüchtigen Leser erreichen. Werden sie für sich genommen, haben sie einen eigenständigen Aussagegehalt. Da die hervorgehobene Äußerung auch nicht mehrdeutig ist, bestand kein Anlass, sie unter Einbeziehung des textlichen Zusammenhangs auszulegen.
Auf die vom Landgericht in den Vordergrund gestellte Frage, ob die Aussage in irreführender Weise auf Zahlungen von erheblichem Umfang hindeutet, kam es nach der für sich allein tragfähigen Argumentation des Oberlandesgerichts nicht mehr an.
b) Bei ihrer rechtlichen Bewertung sind die Gerichte hinsichtlich der Klaganträge zu Ziffern 8 und 9 davon ausgegangen, dass die Äußerungen durch eine Gemengelage aus Tatsachenbehauptung und Wertung geprägt waren und sie haben die Einordnung in eine der beiden Kategorien offen gelassen. Dies ist verfassungsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die rechtliche Bewertung der Äußerungen im Übrigen.
aa) Die Gerichte haben die von dem Klageantrag zu Ziffer 8 erfasste Äußerung aus der Sicht eines Durchschnittslesers gedeutet und ihr die Aussage entnommen, dass die Klägerin durch Gewährung ungerechtfertigter Vergünstigungen über mehrere Jahre für zweifelhafte Interessen gewonnen worden sei. Als Tatsachenbehauptung wäre diese Äußerung unwahr, da nach den als solchen nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts und des Landgerichts keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Zahlungen ursächlich für das Engagement der Klägerin für das Nachtbackverbot waren.
Eine Verletzung der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführer kann aber auch dann nicht festgestellt werden, wenn die Äußerung als Wertung qualifiziert wird. Eine solche Qualifizierung kommt in Betracht, weil die Benutzung des Wortes “korrumpieren” jedenfalls auch ein Unwerturteil hinsichtlich des in Rede stehenden Vorgangs – dieser wird missbilligt – bedeutet. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Äußerung als tatsächliches Element die Behauptung enthält, dass mit den Zahlungen durch die Arbeitgeberseite irgendwelche Gegenleistungen der Klägerin verknüpft waren. Nach den Feststellungen der Gerichte entspricht dies jedoch nicht der Wahrheit. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, bei einer Meinungsäußerung, die wertende und tatsächliche Bestandteile enthält, im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Tatsachenbehauptung, auf der die Wertung aufbaut, unrichtig ist und die Äußerung deshalb gegenüber einem kollidierenden Schutzgut, hier dem Ruf der Klägerin, zurücktreten zu lassen (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪17≫). Hierauf haben die Gerichte im Kern auch ihre Entscheidungen gestützt, wenn sie den Beschwerdeführern vorhalten, “keine tatsächlichen Bezugspunkte” für ihren Vorwurf dargelegt zu haben. Da die Meinungsfreiheit im Zuge der Abwägung zurückzutreten hat, ist es im Ergebnis nicht erheblich, dass die Gerichte die Passage als – unzulässige – Schmähkritik bezeichnet haben, obwohl ihr ein Sachbezug nicht abgesprochen werden kann.
bb) Auch die Verurteilung der Beschwerdeführer entsprechend dem Klageantrag zu Ziffer 9 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zunächst haben die Gerichte diese Äußerung nachvollziehbar dahingehend gedeutet, hiermit sei der Vorwurf verbunden, dass die Klägerin entweder auf Grund von Zahlungen nicht gebotene Handlungen vorgenommen oder gebotene Handlungen unterlassen habe. Es fehlt jedoch an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die Klägerin auf Grund der Zuwendungen an den Verein Bildung und Beruf bestimmte Maßnahmen vorgenommen oder unterlassen hat. Wird die Äußerung als Tatsachenbehauptung gedeutet, ist sie daher als unwahr anzusehen.
Aber auch bei einer Einordnung als Wertung muss die Meinungsfreiheit im Rahmen der Abwägung wegen der in der Äußerung enthaltenen unwahren Tatsachenbehauptung zurücktreten. In ihrer Verfassungsbeschwerde weisen die Beschwerdeführer ohne nähere Präzisierung insoweit lediglich darauf hin, es lasse sich nicht ernsthaft bestreiten, “dass mit den Zuwendungen zugleich auch ein seitens der Arbeitgeber mit der NGG gemeinsam verfolgtes Ziel beabsichtigt” gewesen sei. Zu diesem Ziel enthält die Verfassungsbeschwerde jedoch keine näheren Erläuterungen. In dem Artikel wird ausdrücklich nur darauf hingewiesen, dass mit den Zuwendungen der Einsatz der NGG für die Aufrechterhaltung des Nachtbackverbots verbunden sein sollte. Dieser Vorwurf hat sich jedoch im Rahmen der Tatsachenfeststellung der Gerichte nicht beweisen lassen.
c) Bei der im Klagantrag zu Ziffer 7 aufgeführten Äußerung handelt es sich nach Auffassung der Gerichte um ein Werturteil, das sie als unzulässige Schmähkritik beurteilt haben. Deshalb haben sie keine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und kollidierendem Schutzgut vorgenommen. Schmähkritik ist eine unsachliche Kritik, die auch vom Standpunkt des Kritikers aus der Grundlage entbehrt und auf persönliche Diffamierung abzielt (vgl. BGHZ 45, 296 ≪306 ff.≫; BVerfGE 82, 43 ≪52≫; 82, 272 ≪283 f.≫; 93, 266 ≪294, 303≫). Hierunter fällt nicht schon eine überzogene, ausfällige Kritik, selbst wenn sie polemisch oder überspitzt ist (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪294≫).
Ein Sachbezug kann der Äußerung jedoch nicht abgesprochen werden, da in dem Artikel anknüpfend an die Ausführungen zu den – unstreitigen – indirekten Zuwendungen von der Arbeitgeberseite an Institutionen in der Trägerschaft der NGG der Vorwurf der “rechtswidrigen Finanzpraktiken” näher behandelt und die Frage der Gegnerunabhängigkeit der NGG aufgeworfen wird. Dabei beziehen sich die Beschwerdeführer auf ein Interview mit dem Arbeitsrechtler Heinze, der auf die Gefahr hinweist, dass die NGG ihren Charakter als tariffähige Koalition verlieren könnte. Von einer Schmähung, also einer jeden Grundlage entbehrenden Diffamierung, ist unter diesen Umständen nicht auszugehen.
Gleichwohl ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Die Entscheidung beruht nicht auf der fehlerhaften Einordnung als Schmähkritik. Das Oberlandesgericht legt nachvollziehbar dar, dass tatsächliche Bezugspunkte rechtswidriger Finanzpraktiken fehlen, und das Landgericht führt aus, das Interview des Arbeitsrechtlers stütze die Aussage zur Existenzgefährdung der NGG nicht und es fehlten sonstige tatsächliche Anhaltspunkte als Grundlage einer solchen Folgerung. Damit verweisen die Gerichte auch hinsichtlich dieser Äußerung auf das Fehlen einer tatsächlichen Fundierung des Werturteils, das im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen ist. Diese ist allerdings unterblieben. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht allein deshalb angezeigt, um die unterbliebene Abwägung nachzuholen. Das Fehlen einer Tatsachengrundlage wiegt angesichts des massiven Vorwurfs und der weit reichenden Aussage zur Existenzgefährdung der Gewerkschaft schwer und rechtfertigt die Zuerkennung eines Unterlassungsanspruchs.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Haas, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 971110 |
NJW 2004, 277 |
NVwZ 2004, 721 |
AfP 2003, 535 |