Entscheidungsstichwort (Thema)
Würdigung eines Sachverständigengutachtens im Asylverfahren
Beteiligte
Rechtsanwälte Reinhard Engel und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 26. April 2001 – 13 A 4017/98 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Oldenburg zurückverwiesen.
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 2001 – 11 LA 1890/01 – wird damit gegenstandslos.
Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren und das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die fachgerichtliche Würdigung eines im Asylverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens.
I.
1. a) Der 1976 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, stammt aus der Provinz Diyarbakir. Im April 1995 reiste er auf dem Luftwege in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte politisches Asyl. Zur Begründung seines Asylantrags gab er im Wesentlichen an, er habe in seiner Heimat Dorfschützer werden sollen, was er abgelehnt habe. Am 24. Mai 1994 sei es deswegen zu einem Gefecht mit anderen Dorfschützern gekommen, wobei er drei Dorfschützer verletzt habe. Wegen des daraufhin am 27. Mai 1994 ergangenen Haftbefehls sei er bis zum 30. Mai 1994 in Haft gewesen und dann gegen Kaution freigelassen worden. Bis zu seiner Reise nach Istanbul am 15. April 1995 habe er sich in den Dörfern seiner Region aufgehalten.
b) Mit Urteil vom 9. Juli 1998 wurde die Klage des Beschwerdeführers gegen den den Asylantrag ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgewiesen. Aufgrund einiger Widersprüche bestünden Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Selbst wenn man sein Vorbringen als wahr unterstelle, ergäbe sich hieraus nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung. Ausweislich der vorgelegten Haftbefehle schwebe gegen den Beschwerdeführer lediglich ein Verfahren beim Amtsgericht Diyarbakir wegen Körperverletzung. Die Befürchtung des Beschwerdeführers, er werde als Terrorist eingestuft, weil er in eine Auseinandersetzung mit Dorfschützern verwickelt gewesen sei, sei nicht begründet.
2. Den nach rechtskräftigem negativem Abschluss des Asylerstverfahrens gestellten Antrag des Beschwerdeführers vom 10. September 1998 auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 14. Oktober 1998 ab.
3. a) In dem hiergegen angestrengten Klageverfahren erhob das Verwaltungsgericht Beweis durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes zu den Fragen, ob ein vom Beschwerdeführer überreichter Beschluss des Strafgerichts erster Instanz in Diyarbakir vom 26. März 1997 echt sei und ob ihm wegen des in diesem Beschluss erwähnten Vorfalls vom 24. Mai 1994 auch derzeit noch strafrechtliche Ermittlungen oder eine strafrechtliche Verurteilung drohten. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit des vorgelegten Gerichtsbeschlusses und führte ergänzend aus, dass die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Straftat keinen politischen Hintergrund habe. Nachforschungen eines Vertrauensanwalts hätten ergeben, dass es sich um einen Streit zwischen zwei Familien handele. Gegen den Beschwerdeführer bestehe ein Haftbefehl in Abwesenheit. An dieser Beurteilung des Sachverhalts ändere sich selbst dann nichts, wenn die Person, die der Beschwerdeführer mit dem Gewehr verletzt haben solle, Dorfschützer gewesen sei.
b) Das Verwaltungsgericht holte ein Gutachten des Sachverständigen O. ein. Der Gutachter führte aus, dass das Strafverfahren nicht die entscheidende Bedeutung für das mögliche Schicksal des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in die Türkei habe. In Bezug auf das zu erwartende Strafmaß könne allerdings nicht unbedingt gefolgert werden, dass der Beschwerdeführer (automatisch) eine härtere Strafe zu erwarten habe, weil es sich bei der Gegenseite um Dorfschützer handele, die als Milizionäre auf der Seite des türkischen Staates kämpften und gewissermaßen zu den Streitkräften des Landes zu rechnen seien. Ein Anwalt in Diyarbakir, den er kontaktiert habe, teile die vom Auswärtigen Amt geäußerte Meinung, dass es sich bei dem Verfahren nicht um ein politisches Verfahren im engeren Sinne handele.
Er habe aber im Rahmen seiner Recherche erfahren, dass die Sache doch einen „Haken” habe: Die Gegenseite der Auseinandersetzung vom 24. Mai 1994 habe die Abwesenheit des Beschwerdeführers dazu genutzt, ihn als jemanden anzuzeigen, der sich „der PKK angeschlossen” habe. Diese Aussage des von ihm kontaktierten Anwalts, an deren Richtigkeit er – der Gutachter – keine Zweifel habe, bedeute eine vollkommen neue Sachlage. Im Fall einer Denunzierung durch die Dorfschützer – und das sei nun ja schon geschehen – müsse der Beschwerdeführer damit rechnen, als vermeintlich aktiver Kämpfer oder Unterstützer der PKK bei der politischen Polizei intensiven Verhören zu eigenen Aktivitäten bzw. seinem Wissen über die Aktivitäten von führenden Kadern ausgesetzt zu werden. Diese Verhöre gingen routinemäßig mit Folter einher und der Beschwerdeführer habe in den ersten vier Tagen nicht die Möglichkeit, einen Rechtsbeistand beizuziehen. Abhängig von seinem Aussageverhalten – die meisten Personen belasteten sich im Sinne des „Anfangsverdachts” – müsse er anschließend damit rechnen, wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK angeklagt zu werden. Dies könne mehrere Monate Untersuchungshaft und eine langjährige Haftstrafe bedeuten.
c) Mit Schriftsatz vom 22. März 2001 beantragte der Beschwerdeführer vorsorglich, den Sachverständigen für den Fall zur mündlichen Verhandlung zu laden, dass das Gericht Zweifel an dessen Ausführungen haben sollte, wonach der Beschwerdeführer damit rechnen müsse, als vermeintlicher Kämpfer oder Unterstützer der PKK von der politischen Polizei intensiv verhört zu werden und dabei die konkrete Gefahr bestehe, dass er der Folter ausgesetzt werde. Für den Fall des Bestehens derartiger Zweifel sollten dem Sachverständigen Fragen zur Erkenntnisgewinnung und zur Darlegung entsprechender Erkenntnisse zur Foltergefahr gestellt werden. Halte das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen hingegen für überzeugend und nachvollziehbar, sei dessen Ladung entbehrlich.
d) In der mündlichen Verhandlung am 26. April 2001 wies das Gericht darauf hin, dass es eine Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung für nicht notwendig erachte. Dies wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls „im Einzelnen begründet”. Der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers hob im weiteren Verlauf der Verhandlung hervor, es sei von besonderer Bedeutung, dass der Beschwerdeführer von Dorfschützern denunziert worden sei und dass ein Haftbefehl gegen ihn bestehe. Vor diesem Hintergrund sei den Ausführungen des Gutachters ein besonderes Gewicht beizumessen.
e) Mit dem angegriffenen Urteil wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Das Gericht sei davon überzeugt, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei keine asylerhebliche politische Verfolgung drohe. Zwar stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass in der Türkei aufgrund des in Abwesenheit ergangenen Haftbefehls landesweit nach dem Beschwerdeführer gefahndet werde. Nachdem der Tatvorwurf zwischenzeitlich auf „Versuch des vorsätzlichen Totschlags und einer handgreiflichen Auseinandersetzung” ausgeweitet worden sei, sei davon auszugehen, dass ihm im Fall einer Verurteilung in der Türkei eine mehrjährige Haftstrafe drohe. Die drohende Strafverfolgung sei jedoch keine politische Verfolgung, vielmehr handele es sich um eine reine Strafverfolgung im Sinne der Ahndung kriminellen Unrechts, dem ein Streit zwischen zwei verfeindeten Familien zugrunde liege.
Eine dem Beschwerdeführer drohende politische Verfolgung ergebe sich auch nicht aus seiner neueren Behauptung, er sei von den Dorfschützern denunziert worden. Dabei lasse es das Gericht dahingestellt, ob diese Behauptung zutreffe oder nicht. Der Sachverständige O. habe diesen Aspekt erstmals in seinem Gutachten vom 10. Januar 2001 angesprochen. Der schriftsätzlich angeregten Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung, die in der mündlichen Verhandlung selbst nicht förmlich beantragt worden sei, habe es nicht bedurft. Das Gericht lasse insoweit dahingestellt, ob die Behauptung, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich von der Gegenseite denunziert worden sei, tatsächlich zutreffe. Denn selbst wenn eine entsprechende Denunzierung erfolgt sein sollte, resultiere hieraus keine Gefahr politischer Verfolgung. Denn der Beschwerdeführer habe weder im Asylerstverfahren noch im Folgeverfahren eigene nennenswerte politische Aktivitäten dargelegt. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 22. Mai 1995 habe er auf Befragen erklärt, dass er nicht Mitglied einer politischen Partei sei. Politische Aktivitäten habe er nicht geschildert. Er habe lediglich behauptet, dass sein Vater, seine Brüder und er gezwungen worden seien, Dorfschützer zu werden. Auch auf exilpolitisches Engagement habe er sich nicht berufen. Vor diesem Hintergrund handele es sich bei der behaupteten Denunzierung um eine schlichte Behauptung, die offensichtlich jeder Grundlage entbehre. Im Übrigen seien auch die Angaben des Sachverständigen in dem Gutachten vom 10. Januar 2001 diesbezüglich sehr allgemein gehalten. Danach erschöpfe sich der Vorwurf im Wesentlichen darin, dass der Beschwerdeführer angezeigt worden sei mit der Behauptung, „sich der PKK angeschlossen zu haben”. Weitere Details oder Hintergründe würden weder in dem Gutachten noch vom Beschwerdeführer selbst mitgeteilt. Aufgrund des pauschalen Vortrags habe das Gericht auch keinen Anlass, weitere Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen.
4. a) Seinen fristgerechten Antrag, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen, stützte der Beschwerdeführer auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Das Gericht hätte den rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung nicht übergehen dürfen. Ein solcher Antrag dürfe nur abgelehnt werden, wenn nach Lage der Dinge ausgeschlossen sei, dass die Befragung des Sachverständigen etwas Sachdienliches erbringen könne.
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs werde auch deshalb verletzt, weil das Gericht in der angegriffenen Entscheidung davon ausgehe, die behauptete Denunzierung entbehre jeglicher Grundlage, da der Beschwerdeführer politische Aktivitäten nie vorgetragen habe. Dies treffe nicht zu. Der Beschwerdeführer habe in der Begründung zum Asylerstantrag unter Anderem vorgebracht, er habe sich im Juli 1993 gemeinsam mit vier Freunden der Guerilla und der PKK anschließen wollen. Er sei jedoch nicht als Guerilla-Angehöriger aufgenommen worden und habe stattdessen die Aufgabe erhalten, als so genannter Milizionär Informationen, Lebensmittel und Medikamente für die Guerilla zu sammeln. Diesen Vortrag habe das Gericht schlichtweg übergangen. Überdies habe der Gutachter ausgeführt, dass es für die Gefährdung des Betroffenen keineswegs darauf ankomme, ob der Vorwurf tatsächlich zutreffe, sondern dass allein eine Denunziation reiche, um verfolgt zu werden.
Bei dem Urteil handele es sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Der Beschwerdeführer habe angesichts der Ausführungen des Sachverständigen und in Anbetracht des Umstandes, dass das Gericht dem Antrag auf Ladung des Sachverständigen nicht nachgekommen sei, davon ausgehen können, dass es dessen Einschätzung folgen werde. Zumindest wäre andernfalls ein entsprechender ausdrücklicher Hinweis erforderlich gewesen.
b) Mit Beschluss vom 8. Oktober 2001 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Die geltend gemachten Zulassungsgründe lägen nicht vor.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 16a Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG durch das Urteil des Verwaltungsgerichts.
a) Die Gefahr politisch motivierter Verfolgung ergebe sich vor allem aufgrund der Denunzierung durch die Dorfschützer seines Heimatdorfes. Ihretwegen drohe die vom Gutachter skizzierte Verfolgungsgefahr (Verhöre durch die politische Polizei und Anwendung von Folter). Das Verwaltungsgericht hätte die vom Gutachter aufgezeigte Verfolgungsgefahr nicht als unerheblich behandeln dürfen. Die von den Dorfschützern vorgenommene Denunziation des Beschwerdeführers sei dem vom Gutachter kontaktierten Anwalt in der Türkei, der auch als Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft tätig sei, bekannt geworden. Es handele sich mithin nicht um eine Behauptung des Beschwerdeführers, sondern um eine Feststellung des vom Gericht beauftragten Gutachters. Das Gericht setze sich ohne schlüssige Erklärung über die Gefahrenprognose des Gutachters hinweg. Tragfähige Gründe hierfür würden nicht benannt. Die Argumentation des Gerichts, der Beschwerdeführer habe weder im Asylerstverfahren noch im Asylfolgeverfahren eigene nennenswerte politische Aktivitäten dargelegt und die Denunzierung durch die Dorfschützer entbehre jeglicher Grundlage, sei zum einen unschlüssig und stimme zum anderen nicht mit dem tatsächlichen Vorbringen des Beschwerdeführers überein. Der Gutachter habe in seiner Gefahrenprognose nicht voraus gesetzt, dass nur eine denunzierte Person, auf die die erhobenen Vorwürfe tatsächlich zuträfen, gefährdet sei. Er habe vielmehr eine generelle Gefahrenprognose für den Beschwerdeführer angestellt.
Sei das Gericht der Auffassung, die Ausführungen des Gutachters seien allgemein und wenig detailliert, so verletze die unterbliebene Ladung des Gutachters oder gegebenenfalls die Aufforderung, zu diesen Punkten ergänzend Stellung zu nehmen, die Sachaufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts. Angesichts der Feststellungsbedürftigkeit des Asylgrundrechts habe die Sachaufklärungspflicht verfassungsrechtliches Gewicht. Zu den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe gehöre es in der Regel, den tatsächlichen oder vermeintlichen Widersprüchen im Sachvortrag des Asylbewerbers – etwa durch dessen Befragung – nachzugehen. Dies habe umso mehr für ein vom Gericht eingeholtes Gutachten zu gelten, wenn das Gericht von den Feststellungen des Gutachters abweichen wolle. Insoweit werde das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 16a GG verletzt.
b) Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liege darin, dass das Gericht das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen eigenen politischen Aktivitäten in der Türkei sowie den Antrag auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung übergangen habe. Des Weiteren verstoße das Urteil gegen das Verbot unzulässiger Überraschungsentscheidungen.
2. Zugleich mit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Insoweit hat er unter Vorlage eines Schreibens der Ausländerbehörde vorgetragen, dass er nach dem 31. Dezember 2001 jederzeit mit seiner Abschiebung rechnen müsse.
3. Den gemäß § 94 BVerfGG Äußerungsberechtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Entscheidungsgründe
B. – I.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise – auch offensichtlich begründet; denn die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Asyl gemäß Art. 16a Abs. 1 GG.
II.
1. Die Prüfung der Asylberechtigung betrifft unmittelbar die Anwendung der Grundrechtsbestimmung des Art. 16a Abs. 1 GG. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „politisch Verfolgter” sowohl hinsichtlich der Ermittlung des Sachverhalts als auch hinsichtlich seiner rechtlichen Bewertung zu prüfen, ob die tatsächliche und rechtliche Wertung der Gerichte sowie Art und Umfang ihrer Ermittlungen Art. 16a Abs. 1 GG gerecht werden (vgl. BVerfGE 54, 341 ≪356≫; 76, 143 ≪162≫). Die Verfassungsbeschwerde eröffnet allerdings auch im Asylverfahren keine weitere Tatsachen- oder Revisionsinstanz. Den Fachgerichten ist vielmehr ein gewisser Wertungsrahmen eröffnet, der sich einerseits auf die rechtliche Bewertung des ermittelten Sachverhalts, andererseits auf die Einschätzung von Sachverhaltselementen selbst bezieht. Die fachgerichtlichen Ermittlungen zum Tatbestand sind vom Bundesverfassungsgericht freilich daraufhin zu überprüfen, ob sie einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweisen und auch dem Umfang nach, bezogen auf die besonderen Gegebenheiten im Asylbereich, zureichend sind (vgl. BVerfGE 76, 143 ≪162≫; 83, 216 ≪234≫). Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist eine fachgerichtliche Beurteilung dann, wenn sie anhand der gegebenen Begründung nicht mehr nachvollziehbar ist und/oder nicht auf einer verlässlichen Grundlage beruht (vgl. Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1990 – 2 BvR 1727/89 –, InfAuslR 1991, S. 85 ≪88≫; vom 12. März 1992 – 2 BvR 721/91 –, InfAuslR 1992, S. 231 ≪233≫; vom 22. Juli 1996 – 2 BvR 1416/94 –, InfAuslR 1996, S. 355 ≪357≫; vom 15. Februar 2000 – 2 BvR 752/97 –, InfAuslR 2000, S. 254 ≪258≫). Angesichts der Feststellungsbedürftigkeit des Asylgrundrechts (vgl. dazu BVerfGE 56, 216 ≪236≫; 60, 253 ≪295≫; 94, 166 ≪199 f.≫) hat die Sachaufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2000, a.a.O., S. 258 m.w.N.).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen halten die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den Ausführungen des von ihm beauftragten Gutachters betreffend die Denunziation des Beschwerdeführers als vermeintliches PKK-Mitglied und die daraus für ihn bei einer Rückkehr in die Türkei resultierenden Gefahren der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Angesichts der Ausführungen des Gutachters zu den Gefahren, die für den Beschwerdeführer aus einer Denunzierung resultieren, konnte das Gericht es nicht dahingestellt sein lassen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich denunziert worden ist. Dies wäre nur möglich, wenn eine falsche Verdächtigung keine asylrechtlich erhebliche Gefährdung des Beschwerdeführers mit sich bringen würde. Der Gutachter hat indessen darauf abgehoben, dass der Beschwerdeführer wegen der Denunzierung alsvermeintlich aktiver Kämpfer oder Unterstützer der PKK damit rechnen müsse, bei der politischen Polizei intensiven Verhören zu eigenen Aktivitäten oder doch zu seinem Wissen über die Aktivitäten von führenden Kadern ausgesetzt zu werden. Diese Verhöre gingen routinemäßig mit Folter einher, und der Beschwerdeführer habe in den ersten vier Tagen nicht die Möglichkeit, einen Rechtsbeistand beizuziehen. Damit hat der Gutachter Gefahren aufgezeigt, die dem Beschwerdeführer gerade auch bei einer falschen Verdächtigung drohen. Das Gericht verweist dem gegenüber darauf, dass der Beschwerdeführer weder im Asylerstverfahren noch im Folgeverfahren eigene nennenswerte politische Aktivitäten dargelegt habe. Damit geht es offenbar davon aus, er könne die falsche Verdächtigung ohne Weiteres entkräften, ohne dass es dabei bereits zu asylerheblichen Übergriffen komme. Diese Möglichkeit ist aber nach den Feststellungen des Gutachters gerade nicht gegeben. Andere Erkenntnisquellen, die seine Auffassung stützen könnten, führt das Verwaltungsgericht in seinem Urteil nicht an. Unerheblich ist auch, aus welchen Motiven heraus die Denunziation des Beschwerdeführers erfolgt ist. Durch eine falsche Verdächtigung ausgelöste Maßnahmen des Staates, die beispielsweise zur Klärung eines Verdachts der Trägerschaft asylerheblicher Merkmale eingesetzt werden, verlieren nicht dadurch ihre asylerhebliche Qualität, dass der möglicherweise aus asylirrelevanten Motiven handelnde Denunziant sich gewissermaßen als mittelbarer Täter des staatlichen Machtapparates als Werkzeug bedient. Die Lage des davon Betroffenen kann in diesem Fall von der gleichen Ausweglosigkeit geprägt sein, wie sie beim tatsächlichen Träger verfolgungsverursachender Merkmale vorliegen kann; zu denken ist hierbei vor allem an den Fall, dass der Betroffene den Verdacht nicht zu entkräften und die wahren Zusammenhänge nicht aufzuzeigen vermag (vgl. hierzu Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1990 – 2 BvR 933/90 –, InfAuslR 1991, S. 25 ≪28≫; vom 17. April 1991 – 2 BvR 1686/90 –, InfAuslR 1992, S. 66 ≪69≫; vom 14. Januar 1992 – 2 BvR 472/91 –, InfAuslR 1992, S. 222 ≪225 f.≫, und vom 28. Januar 1993 – 2 BvR 1803/92 –, InfAuslR 1993, S. 142 ≪144≫, alle im Anschluss zu BVerfGE 80, 315 ≪340≫; 81, 142 ≪151≫).
b) Möglicherweise wollte das Verwaltungsgericht wegen der von ihm angenommenen Haltlosigkeit der von den Denunzianten aufgestellten Behauptungen und des pauschalen Inhalts der Anzeige Zweifel daran äußern, dass die staatlichen Stellen den Vorwurf, der Beschwerdeführer habe sich der PKK angeschlossen, überhaupt ernst nehmen würden. Sollte das Gericht deshalb davon ausgegangen sein, es werde aus diesem Grunde gar nicht erst zu einem Verhör des Beschwerdeführers kommen, so beruhte auch eine solche Annahme nicht auf hinreichend tragfähigen Feststellungen; sie durfte schon angesichts des Umstandes, dass es sich bei den Denunzianten um Dorfschützer handelte, nicht ohne nähere Aufklärung des Sachverhalts der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
c) Nicht nachvollziehbar ist schließlich, weshalb das Gericht den Sachverständigen nicht zur Erläuterung seines Gutachtens zur mündlichen Verhandlung geladen hat, wenn es dessen Ausführungen zur Denunzierung des Beschwerdeführers für „sehr allgemein” gehalten und weitere Details und Hintergründe vermisst hat. Hierin liegt ein verfassungsrechtlich erheblicher Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
d) Das angegriffene Urteil beruht auf dem dargestellten Verstoß gegen Art. 16a Abs. 1 GG.
III.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist demnach aufzuheben, ohne dass es noch auf die zusätzlich erhobenen Gehörsrügen ankommt. Die Sache ist an das Verwaltungsgericht Oldenburg zurückzuverweisen (vgl. § 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG), damit über das Asylbegehren des Beschwerdeführers erneut entschieden werden kann. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG wird damit gegenstandslos (vgl. BVerfGE 7, 99 ≪109≫).
2. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 2001 ist damit gegenstandslos.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG. Die Erstattung der Auslagen auch für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entspricht der Billigkeit, weil dieser Antrag im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer konkret drohende Abschiebung zunächst erforderlich war und über ihn (nur) deswegen nicht entschieden wurde, weil die Ausländerbehörde später zugesagt hat, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorläufig abzusehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Broß, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 708135 |
NVwZ 2002, 74 |
ZAR 2002, 245 |
DVBl. 2002, 833 |