Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 07.01.2010; Aktenzeichen 7 U 3130/09) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Beschluss, mit dem das Oberlandesgericht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Berufung des Beschwerdeführers zurückgewiesen hat.
I.
Der Beschwerdeführer nahm als Insolvenzverwalter den ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin zum einen auf Ersatz für Zahlungen in Anspruch, die dieser nach Eintritt der Insolvenzreife entgegen dem Verbot des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. geleistet habe, und zum anderen gemäß § 43 GmbHG wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens, die zur Nichtbeitreibung von Außenständen geführt habe.
Auf Antrag der Insolvenzschuldnerin vom Dezember 2001 wurde das Insolvenzverfahren am 1. August 2002 eröffnet. Der Beschwerdeführer behauptete, dass Insolvenzreife bereits zum Mai 1998 eingetreten sei. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 drohte er dem ehemaligen Geschäftsführer eine Klage über 4 Mio. EUR an. Beigefügt waren Auflistungen über Zahlungen der Insolvenzschuldnerin betreffend die Jahre 2000 und 2001 sowie Buchungsdaten über offene Forderungen aus den Jahren 1999 bis 2003. Der Beschwerdeführer erwirkte schließlich einen Mahnbescheid über 2 Mio. EUR gegen den ehemaligen Geschäftsführer.
Auf den Widerspruch des Beklagten hin wies das Landgericht die Klage ab, weil die Zahlungen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns entsprochen hätten. Auf die Berufung des Beschwerdeführers setzte der Vorsitzende des Berufungssenats zunächst Termin zur mündlichen Verhandlung an. Nach Eingang der Berufungsbegründung hob das Berufungsgericht den Termin wieder auf, gab dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme und wies nach Eingang der Replik darauf hin, die Berufung nunmehr gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen zu wollen. Der Anspruch sei verjährt. Der Mahnbescheid habe die Forderungen nicht hinreichend individualisiert. Ein auf seiner Grundlage erlassener Vollstreckungsbescheid sei nicht vollstreckungsfähig gewesen. Auch die Bezugnahme im Mahnbescheid auf das vorprozessuale Aufforderungsschreiben vom 13. Oktober 2006 reiche nicht. Dort seien Zahlungen von Oktober bis Dezember 2001 sowie Sorgfaltspflichtverletzungen wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens Gegenstand gewesen. Allein für November 2001 seien dort etwa ersatzpflichtige Zahlungen von 6.102.082,39 EUR geltend gemacht worden. Angekündigt sei eine Klage über mindestens 4 Mio. EUR. Welche der genannten Forderungen in der Mahnbescheidsforderung in Höhe von 2 Mio. EUR enthalten gewesen seien, habe der Beklagte nicht erkennen können. Die Anlagen zum Schreiben vom 13. Oktober 2006 gäben keinen Aufschluss darüber, welche der dort genannten Beträge dem Beklagten in Rechnung gestellt würden. Die erstmals ausreichende Konkretisierung der Forderungen in der Klagebegründung wirke nicht auf den Zeitpunkt des Mahnbescheiderlasses zurück, so dass Verjährung eingetreten sei. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Oktober 2008 (XI ZR 466/07, juris) sei entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers einschlägig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe sich dadurch aber nicht geändert. Grundsatzbedeutung fehle, da die Frage einer hinreichenden Individualisierung und späteren Heilung einer unbestimmten Bezeichnung von Forderungen im Mahnbescheid jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhänge.
In dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, es dürfe auch dann noch nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheiden, wenn die Sache zunächst terminiert gewesen sei. Dass bis zu dem die Berufung zurückweisenden Beschluss fünf Monate vergangen seien, verletze das Unverzüglichkeitsgebot des § 522 Abs. 2 ZPO nicht. Die darauf erhobene Anhörungsrüge wies das Berufungsgericht zurück.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG auf Justizgewährung, effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren, in Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot, in Art. 103 Abs. 1 GG und in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Das Berufungsgericht habe willkürlich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO angenommen. Eine Entscheidung fünf Monate nach Eingang der Berufung sei nicht unverzüglich. Der Fall weise wegen einer Änderung der Rechtsprechung zur Verjährungshemmung grundsätzliche Bedeutung auf; eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Das nachträgliche Umschwenken auf das Verfahren der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nach zunächst erfolgter Terminierung habe ihn, den Beschwerdeführer, überrascht, da er sich auf die andere Verfahrenweise eingestellt habe und verstoße damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das Vorgehen des Berufungsgerichts stehe zudem nicht mit der in § 523 ZPO normierten Verfahrensweise in Einklang, wonach erst terminiert werden dürfe, wenn die Berufung nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werde. Die einschneidende Wirkung des endgültigen Rechtsmittelausschlusses bei der Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO rechtfertige sich nur in klaren Fällen substanzloser Berufungen. Das Verfahren des § 522 Abs. 2 ZPO solle dem Gericht daher nur zu Beginn des Berufungsverfahrens und nicht zu jeder Zeit weiterhin offen stehen. Das widersprüchliche Verhalten des Gerichts verstoße auch gegen das Gebot des fairen Verfahrens. Schließlich sei Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, weil nach dem Geschäftsverteilungsplan der falsche Senat entschieden habe.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu, noch ist sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫).
1. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, das Berufungsgericht habe die Berufung nicht unverzüglich im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, hat er eine Beschwer nicht dargetan. Das gesetzliche Erfordernis, der Zurückweisungsbeschluss müsse „unverzüglich” ergehen, wenn die Voraussetzungen für seinen Erlass vorliegen, dient vorrangig dem Interesse des in der ersten Instanz obsiegenden Berufungsbeklagten (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 97). Der Beschwerdeführer hat nicht vorgetragen, welche Nachteile gerade ihm durch die nach seiner Auffassung nicht unverzügliche Zurückweisung seiner Berufung entstanden sind. Ein solcher Vortrag oblag ihm aber nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, weil ein solcher Nachteil bei Nichtbeachtung der Zeitvorgabe des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der Regel fehlt und auch hier nicht erkennbar ist (vgl. BVerfGK 3, 329 ≪330≫).
2. Im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg.
Den Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt ein Berufungsgericht, das die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückweist, nur, wenn die Verfahrenswahl auf einer willkürlichen Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO beruht (vgl. BVerfGK 11, 235 ≪238≫) oder wenn sie schlechterdings nicht vertretbar ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und so einer Partei den Zugang zu einer durch die Zivilprozessordnung grundsätzlich eröffneten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. BVerfGK 5, 189 ≪193≫; 12, 341 ≪343 f.≫).
a) Das Oberlandesgericht ist nicht objektiv willkürlich davon ausgegangen, die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Das Oberlandesgericht hat bereits in seinem Hinweisbeschluss darauf abgestellt, dass auch unter Berücksichtigung des vorprozessualen Forderungsschreibens vom 13. Oktober 2006 nebst Anlagen die Einzelforderungen, die der Teilklage zugrunde lagen, nicht hinreichend individualisiert waren. Für nicht hinreichend bestimmte Forderungen hemmt der Erlass des Mahnbescheids die Verjährung nach ständiger fachgerichtlicher Rechtsprechung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 – XI ZR 312/99 –, juris Rn. 17 m.w.N.; Urteil vom 23. September 2008 – XI ZR 253/07 –, juris Rn. 18; Urteil vom 17. November 2010 – VIII ZR 211/09 –, juris Rn. 9 m.w.N.). Die Anforderungen an die Individualisierung eines Anspruchs im Mahnbescheid gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind in ständiger fachgerichtlicher Rechtsprechung geklärt. Art und Umfang der erforderlichen Angaben hängen im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis ab (stRspr, zuletzt BGH, Urteil vom 17. November 2010 – VIII ZR 211/09 –, juris Rn. 9). Dass das Oberlandesgericht angenommen hat, die Forderungen seien nicht hinreichend bezeichnet, ist als tatrichterliche Würdigung des Einzelfalls aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls vertretbar. Darauf, dass zudem unklar war, aus welchen Beträgen der ursprünglich geltend gemachten einzelnen Forderungen sich die Teilklage zusammensetzte, kam es nicht an.
b) Das Bundesverfassungsgericht ist bislang nicht mit der Frage befasst gewesen, ob nach Terminierung noch eine Berufungszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO zulässig ist (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2006 – 2 BvR 1701/04 –, juris Rn. 11). In der Literatur und fachgerichtlichen Rechtsprechung wird der Verfahrenswechsel überwiegend für zulässig erachtet (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 2005, S. 833 f.; OLG Celle, Beschluss vom 6. Mai 2009 – 9 U 162/08 –, juris Rn. 2; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 522 Rn. 20; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 522 Rn. 31; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, 69. Aufl. 2011, § 522 Rn. 20; a.A.: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. Mai 2004 – 7 U 2/04 –, juris Rn. 2; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2004, § 522 Rn. 79; vgl. zu einer anderen Fallgestaltung auch BGH, Beschluss vom 15. März 2007 – V ZB 170/06 –, juris Rn. 8).
Zu den verfahrensrechtlichen Sicherungen, von denen die Verfassungsmäßigkeit des § 522 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO im Hinblick auf die Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz und gleichen Zugang zu den Gerichten abhängt, gehört neben der Übereinstimmung von Ausgangs- und Berufungsgericht, der obligatorischen Einstimmigkeit des Spruchkörpers des Berufungsgerichts über die fehlende Erfolgsaussicht sowie das Fehlen eines Bedürfnisses revisionsgerichtlicher Klärung auch, dass die Berufung von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg ist (BVerfGK 14, 8 ≪11 f.≫; 14, 118 ≪120≫; 14, 316 ≪321≫). Daran fehlt es, wenn das Berufungsgericht einmal zu erkennen gegeben hat, dass es nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO vorgehen will und daher offenbar die Berufung nicht für von vornherein – nämlich nach Aktenlage spätestens bis zum Eingang der Replik ohne mündliche Erörterung (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 97) – für aussichtslos hält.
Eine bindende Entscheidung des Berufungsgerichts darüber, die Berufung nicht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, lag hier nicht vor. Die Entschließung des Vorsitzenden des Spruchkörpers, Termin anzuberaumen, stellt keine Entscheidung des Spruchkörpers als Ganzes dar (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 522 Rn. 31). Die vorgelegte Terminsverfügung stammt allein von dem Vorsitzenden und trifft keine Aussage dahin, dass ein Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht komme. Zu Recht weist das Oberlandesgericht in dem angegriffenen Beschluss darauf hin, dass zwar die Terminierung der Sache gemäß § 216 Abs. 2 ZPO allein dem Vorsitzenden zusteht, nicht aber die Entscheidung über ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO. Zwar kann nur einstimmig nach § 522 Abs. 2 ZPO entschieden werden; es ist aber nicht zwingend, in der Terminierungsverfügung vor Eingang der Berufungserwiderung bereits eine Entschließung des Vorsitzenden zu sehen, nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO vorgehen zu wollen (vgl. auch OLG Düsseldorf, NJW 2005, S. 833 unter 3.). Zu einer den Spruchkörper bindenden Entscheidung ist er jedenfalls nicht befugt. Auch eine ihn persönlich unabänderlich festlegende Bewertung mit der Folge, dass Einstimmigkeit auch nach Beratung nicht mehr erreichbar sei, kann in der Terminsverfügung nicht gesehen werden.
c) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG wegen der Aufhebung des anberaumten Termins liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, sich zu dem beabsichtigten Vorgehen und zum Hinweis des Gerichts zu äußern.
d) Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht ersichtlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Schluckebier, Baer
Fundstellen
Haufe-Index 2909271 |
NJW 2011, 3356 |