Verfahrensgang
LG Kaiserslautern (Beschluss vom 29.12.2005; Aktenzeichen 2 Qs 32/05) |
LG Kaiserslautern (Beschluss vom 20.10.2005; Aktenzeichen 2 Qs 25/05) |
AG Kaiserslautern (Beschluss vom 18.10.2005; Aktenzeichen 2a Gs 60/05) |
LG Kaiserslautern (Beschluss vom 01.06.2005; Aktenzeichen 2 Qs 14/05) |
LG Kaisersautern (Beschluss vom 02.05.2005; Aktenzeichen 2 Qs 10/05) |
AG Kaiserslautern (Beschluss vom 26.04.2005; Aktenzeichen 2a Gs 1042/05) |
AG Kaiserslautern (Beschluss vom 11.01.2005; Aktenzeichen 2a Gs 60/05) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Kaiserslautern vom 2. Mai 2005 – 2 Qs 10/05 –, vom 1. Juni 2005 – 2 Qs 14/05 –, vom 20. Oktober 2005 – 2 Qs 25/05 – und vom 29. Dezember 2005 – 2 Qs 32/05 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kaiserslautern zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen strafprozessualen Arrest zum Zwecke der so genannten Rückgewinnungshilfe.
I.
1. Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betruges, der Untreue und der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, als Leiter der H… GmbH andere Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt und hierfür geldwerte Vorteile entgegengenommen zu haben.
2. Um Ansprüche der durch die vorgeworfenen Taten Verletzten zu sichern, ordnete das Amtsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 11. Januar 2005 den dinglichen Arrest in Höhe von zwei Millionen Euro in das Vermögen des Beschwerdeführers an. Es seien bei Durchsuchungen Aufzeichnungen aufgefunden worden, die den dringenden Verdacht begründeten, dass der Beschwerdeführer mindestens den genannten Betrag als Bargeld sowie als geldwerte Vorteile und Leistungen erhalten habe. Der Arrestbeschluss wurde durch die Pfändung sämtlicher Forderungen des Beschwerdeführers gegen verschiedene Gläubiger sowie durch die Eintragung von drei Höchstbetragshypotheken vollzogen.
3. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung des dinglichen Arrests sowie der Pfändungsbeschlüsse. Neben dem Tatverdacht bestritt er, dass bei ihm ein Vermögenszufluss in Höhe des Arrestbetrags eingetreten sei. Die Arrestanordnung sei, da ihm und seiner Familie sämtliche finanziellen Mittel entzogen würden, eine unbillige Härte. Dies gelte vor allem mit Blick auf den Familienunterhalt, das Erfordernis der freien (Wahl-)Verteidigung und wegen des drohenden Wegfalls der privaten Krankenversicherung.
4. Das Amtsgericht half der Beschwerde mit dem angegriffenen Beschluss vom 26. April 2005 nicht ab. Das Landgericht verwarf die Beschwerde mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. Mai 2005. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tathandlungen ergäben sich hinreichend konkret aus dem angefochtenen Beschluss. An die Voraussetzungen der unbilligen Härte seien regelmäßig hohe Anforderungen zu stellen. Ausnahmen würden insbesondere in Fällen gutgläubiger Drittbetroffener zugelassen; diese Konstellation liege hier aber nicht vor. Auch die Beachtung des Übermaßverbots gebiete mit Blick auf den vorgeworfenen Schaden keine andere Betrachtung.
5. Der Beschwerdeführer beantragte am 16. April 2005 Akteineinsicht. Unter Hinweis auf die Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 147 Abs. 2 StPO) lehnte die Staatsanwaltschaft “derzeit” die Akteneinsicht ab. Am 25. April 2005 übermittelte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer einen Ermittlungsbericht des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 9. Februar 2005. Am 27. April 2005 beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO die gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel der Gewährung unbeschränkter Akteneinsicht oder hilfsweise der Gewährung der Akteneinsicht in die nach § 147 Abs. 3 StPO privilegierten Teile der Ermittlungsakten. Das Landgericht lehnte den Antrag wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks ab. Es sei bereits teilweise Akteneinsicht durch Berichtsübersendung gewährt worden. Zudem solle ein weiterer, aktueller Ermittlungsbericht unverzüglich dem Verteidiger übersandt werden. Am 23. Mai 2005 übermittelte die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer den zweiten Zwischenbericht des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 20. Mai 2005.
6. Der Beschwerdeführer beantragte am 25. Mai 2005 die Gewährung nachträglichen Gehörs gemäß § 33a StPO sowie eine erneute Entscheidung in der Sache. Das Landgericht lehnte diese Anträge mit dem angegriffenen Beschluss vom 1. Juni 2005 ab. Dem Beschwerdeführer sei durch Teilakteneinsicht mittlerweile umfassend rechtliches Gehör gewährt worden. Insbesondere angesichts eines detaillierten, an den Beschwerdeführer übermittelten Ermittlungsberichts sei eine erneute Entscheidung nicht veranlasst. Über § 33a StPO könne auch nicht der Regelungszusammenhang des § 147 StPO ausgehebelt werden. Ein Fall der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs liege nicht vor.
Im August erhielt der Beschwerdeführer einen dritten Zwischenbericht. Im September 2005 lehnte die Staatsanwaltschaft einen erneuten Antrag auf Akteneinsicht unter Berufung auf § 147 Abs. 2 StPO wiederum ab und übersandte dann einen im Ermittlungsverfahren eingeholten Prüfungsbericht eines Wirtschaftsprüfers.
7. Auf erneut erhobene Beschwerde verringerte das Amtsgericht mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 18. Oktober 2005 den Arrestbetrag auf 560.657,87 Euro. Die weiteren Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem weiteren Beschuldigten Vorteile in Höhe jenes Betrages, nicht in Höhe der zunächst festgesetzten zwei Millionen Euro, erlangt habe. Im Übrigen verwarf das Landgericht die Beschwerde mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. Oktober 2005. Der Beschwerdeführer sei in zwölf Fällen der Untreue und der Bestechlichkeit, jeweils im besonders schweren Falle, und in acht weiteren Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung dringend verdächtig. Dazu verwies das Landgericht auf einen Haftbefehl vom 22. August 2005, der dem Beschwerdeführer am selben Tage eröffnet worden war. In diesem Haftbefehl wird das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tatgeschehen eingehend beschrieben. Er enthält eine Aufstellung von Bauleistungen und deren jeweiligem Wert, die der Beschwerdeführer und ein weiterer Beschuldigter für ihre je eigenen, privaten Zwecke hätten ausführen und durch Täuschungen und Untreuehandlungen von den Hafenbetrieben bezahlen lassen. Das Landgericht berechnete den Arrestbetrag nach dem Wert der für den Beschwerdeführer und den weiteren Beschuldigten erbrachten Leistungen und an sie ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlungen und führte aus, erlangt und deshalb durch den Arrest zu sichern seien auch die Zuwendungen an einen Mittäter.
8. Eine erneute Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 29. Dezember 2005, weil eine auf eine Beschwerde ergangene Entscheidung nicht weiter angefochten werden könne.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und seines Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Die Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stützt der Beschwerdeführer, der unter einer schweren Herz- und Schilddrüsenerkrankung leide, auf den Umstand, dass wegen des dinglichen Arrests, der sein gesamtes Vermögen erfasse, der endgültige Verlust des privaten Krankenversicherungsschutzes drohe.
b) Art. 6 Abs. 1 GG sei verletzt, weil es ihm wegen der Arrestanordnung derzeit nicht möglich sei, seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern nachzukommen. Die familiäre Wirtschaftsgemeinschaft werde durch den Arrest, der keinen monatlichen Freibetrag vorsehe, finanziell aufgehoben. Die Einstellung der vertraglichen Zahlungen für die bestehenden Kredite führe zudem zum Verlust der Familienwohnung.
c) Die angegriffenen Beschlüsse verletzten Art. 14 Abs. 1 GG, weil sie den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Grundsätzen zum Schutz des Eigentums des Beschwerdeführers nicht gerecht geworden seien (Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 –, StV 2004, S. 409, und vom 7. Juni 2005 – 2 BvR 1822/04 –, EuGRZ 2005, S. 430). In den Beschlüssen vom 11. Januar 2005 und 26. April 2005 werde nicht dargelegt, welche dem Beschwerdeführer unbekannten Aufzeichnungen den Verdacht begründeten, ihm seien zwei Millionen Euro zugeflossen; eine Darstellung der angeblich zugeflossenen Summen fehle. Der Zwischenbericht vom 9. Februar 2005 decke die gerichtlichen Feststellungen jedenfalls nicht; nach diesem Zwischenbericht seien lediglich Zuflüsse in Höhe von 477.000 Euro nachweisbar. Auch der weitere Zwischenbericht komme nur zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer angeblich 500.920 Euro zugeflossen seien. Eine Zurechnung des Erlangten im Rahmen einer Mittäterschaft komme nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür sei eine gemeinsame Verfügungsgewalt, die hier nicht vorgelegen habe.
Die Beschlüsse ließen zudem Ermessenserwägungen in Bezug auf das Sicherstellungsbedürfnis vermissen. Bei der Ausübung des Auswahlermessens hätte die tatnähere Firma S… GmbH berücksichtigt werden müssen.
Schließlich sei unberücksichtigt geblieben, dass selbst bei einem strafbaren Verhalten der Beschwerdeführer seine Bereicherung nicht durch die Geschädigte erhalten habe. Es sei die Firma S… GmbH zwischengeschaltet gewesen. Der Beschwerdeführer sei bereit gewesen, die erteilten Aufträge angemessen zu vergüten. Schon deswegen stehe fest, dass er nichts aus einer rechtswidrigen Tat erlangt habe. Die Voraussetzungen für eine alleine in Betracht zu ziehende Inanspruchnahme als Drittbeteiligter lägen wegen der Entgeltlichkeit des Vertrages mit der Firma S… GmbH nicht vor.
Diese Mängel seien auch mit den Beschlüssen nicht behoben worden, die den Arrestbetrag verringert hätten, im Übrigen aber den Einwänden des Beschwerdeführers nicht nachgegangen seien.
d) Die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG stützt der Beschwerdeführer auf die fast vollständig verweigerte Akteneinsicht. Dadurch sei er in seiner Rechtsverteidigung behindert worden. Gerichtliche Entscheidungen in einem Ermittlungsverfahren dürften nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, welche dem Beschuldigten durch Akteneinsicht des Verteidigers bekannt seien. Der Arrestbeschluss sowie die Beschwerdeentscheidungen seien aber auf Ermittlungsergebnisse gestützt worden, die dem Beschwerdeführer bis heute unbekannt seien. Die ihm übermittelten Ermittlungsberichte würden die gerichtlichen Feststellungen zum Umfang eines eventuellen rechtswidrigen Vermögenszuflusses nicht tragen. Im zweiten Ermittlungsbericht sei wertend auf vorhandene Ermittlungsergebnisse Bezug genommen worden. Diese hätten dem Zwischenbericht aber nicht beigelegen und seien dem Beschwerdeführer auch nicht zugänglich gemacht worden.
e) Der dingliche Arrest verletze den Beschwerdeführer auch in seinem Recht auf ein faires Verfahren. Maßgebliche Ausprägung des fairen Verfahrens sei die Möglichkeit der freien Wahl und Hinzuziehung eines (Wahl-)Verteidigers. Wegen der Beschlagnahme des gesamten Vermögens sei es dem Beschwerdeführer aber unmöglich, die hierbei entstehenden Honorarforderungen zu erfüllen.
2. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 8. August 2005 abgelehnt.
III.
1. Das Land Rheinland-Pfalz hatte Gelegenheit zur Äußerung. Es hat eine Stellungnahme nicht abgegeben.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 6054 Js 14886/04 Wi der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern vorgelegen.
IV.
Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Kammerzuständigkeit eröffnenden Weise offensichtlich begründet, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Landgerichts wendet. Diese Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. a) Das Grundgesetz sichert das rechtliche Gehör im gerichtlichen Verfahren durch Art. 103 Abs. 1 GG. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein prozessuales Urrecht des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar ist (vgl. BVerfGE 55, 1 ≪6≫). Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 9, 89 ≪95≫). Rechtliches Gehör sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess selbstbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Art. 103 Abs. 1 GG steht in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 81, 123 ≪129≫). Dem kommt besondere Bedeutung zu, wenn im strafprozessualen Ermittlungsverfahren Eingriffsmaßnahmen ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich angeordnet werden (§ 33 Abs. 4 StPO). Dann ist das rechtliche Gehör jedenfalls im Beschwerdeverfahren nachträglich zu gewähren (vgl. BVerfGK 3, 197 ≪204≫).
b) Der dingliche Arrest zur Sicherung des Verfalls von Vermögensteilen und dessen Vollziehung durch Pfändungsmaßnahmen fügt dem Betroffenen einen erheblichen Nachteil zu. Für die Zeit der Aufrechterhaltung der Maßnahme ist seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit gravierend beeinträchtigt. Mittelbare Beeinträchtigungen, etwa im Beruf oder bei der Kreditwürdigkeit, sind auch nach einer eventuellen Aufhebung der Maßnahme und einer strafrechtlichen Entschädigung (vgl. §§ 2 Abs. 2 Nr. 4, 5 Abs. 1 Nr. 4 StrEG) irreparabel. Daher ist dem Betroffenen bereits zu dem Rechtseingriff im Arrestverfahren und nicht erst zur endgültigen (Verfall-)Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. BVerfGK 3, 197 ≪205≫ und für den Fall der Einziehung BVerfGE 18, 399 ≪404≫).
c) Ist – wie hier im Bereich des Strafprozesses – ein “in camera”-Verfahren mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbar, so folgt daraus, dass eine dem Betroffenen nachteilige Gerichtsentscheidung jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nur auf der Grundlage solcher Tatsachen und Beweismittel getroffen werden kann, über die dieser zuvor sachgemäß unterrichtet wurde und zu denen er sich äußern konnte. §§ 33, 33a StPO beschränken die gebotene Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse; vielmehr ist über den Wortlaut der Bestimmungen im engeren Sinn hinaus jeder Aspekt des rechtlichen Gehörs davon erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 ≪250≫). Zum Anspruch auf Gehör vor Gericht gehört demnach auch die Information über die entscheidungserheblichen Beweismittel. Namentlich für Haftfälle gehen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in ähnlicher Weise auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt werden darf, die dem Beschuldigten durch Akteneinsicht der Verteidigung bekannt sind (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 1994 – 2 BvR 777/94 –, NJW 1994, S. 3219 ≪3220 f.≫; EGMR, NJW 2002, S. 2013 ≪2014≫). Auf Haftfälle ist die Anwendung des Art. 103 Abs. 1 GG aber nicht beschränkt (vgl. BVerfGK 3, 197 ≪205 f.≫).
d) Ein ausreichender Grund für eine Entscheidung auf der Grundlage eines Akteninhalts, der dem Beschuldigten nicht zugänglich ist, besteht im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht. Die Gewährung von Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren richtet sich nach § 147 StPO. Danach kann im Einzelfall die Akteneinsicht verweigert werden, wenn bestimmte Strafverfolgungsinteressen dies gebieten. Staatlichen Geheimhaltungsbedürfnissen könnte für sich genommen dadurch Rechnung getragen werden, dass die Kenntnisnahme von den maßgeblichen Informationen auf das Gericht beschränkt bliebe (vgl. bezogen auf ein verwaltungsgerichtliches “in camera”-Verfahren unter ausdrücklichem Ausschluss des Strafverfahrens BVerfGE 101, 106 ≪128 ff.≫). Das verträgt sich jedoch im Bereich des Strafprozesses nicht mit den besonderen Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪288 f.≫; 67, 100 ≪133 ff.≫; BGH, NStZ 2000, S. 265 ≪266≫; und für das strafprozessähnliche Parteiverbotsverfahren BVerfGE 107, 339 ≪369≫). Im Strafverfahren wirken Geheimhaltungsinteressen der Exekutive “in dubio pro reo” (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪130≫). Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, dass der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme betroffene Beschuldigte jedenfalls nachträglich, aber noch im gerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs, Gelegenheit erhält, sich in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen gegen die Eingriffsmaßnahme und den zu Grunde liegenden Vorwurf zu verteidigen (vgl. BVerfGE 18, 399 ≪404≫; BVerfGK 3, 197 ≪204≫). Die Ermittlungsbehörden müssen die Unabdingbarkeit dieser rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien mit ihrem etwaigen Interesse, die Ermittlungen zunächst im Verborgenen zu führen, abwägen. Solange sie es für erforderlich halten, die Ermittlungen dem Beschuldigten nicht zur Kenntnis gelangen zu lassen, müssen sie auf solche Eingriffsmaßnahmen verzichten, die, wie die Untersuchungshaft oder der Arrest, nicht vor dem Betroffenen verborgen werden können, schwerwiegend in Grundrechte eingreifen und daher in gerichtlichen Verfahren angeordnet und überprüft werden müssen.
2. Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Der Beschwerdeführer konnte bis zur letzten Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht die von den Fachgerichten ausgewerteten Akten einsehen und er konnte sich zu den Beweisgrundlagen der Entscheidungen nicht äußern.
Dass dem Beschwerdeführer mehrmals Ermittlungsberichte der Polizei übermittelt wurden, ist von Verfassungs wegen unbehelflich. Diese Berichte enthielten keine hinreichende Unterrichtung über die von den Gerichten für die Entscheidung herangezogenen Tatsachen und Beweismittel. Eine Bewertung des in den Ermittlungsberichten dargestellten Sachverhalts hätte vor allem die Kenntnis der hierbei verwerteten Beweismittel vorausgesetzt. Diese wurden dem Beschwerdeführer indes nicht übermittelt.
Gleiches gilt für die detaillierte Bezeichnung vermeintlich fingierter Rechnungen in dem Haftbefehl, auf den die letzte Beschwerdeentscheidung des Landgerichts verweist. Auch eine genaue Bezeichnung oder Beschreibung der in oder bei den Ermittlungsakten verwahrten Beweisstücke in den Gründen einer im Ermittlungsverfahren ergehenden Gerichtsentscheidung kann die Akteneinsicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht ersetzen. Die Akteneinsicht muss dem Beschuldigten auch dazu dienen können zu überprüfen, ob die bezeichneten Beweismittel vollständig und richtig verwendet und beschrieben wurden und ob ihre vom befassten Gericht dargelegte Bewertung und Einordnung in den sachlichen und rechtlichen Zusammenhang überzeugt oder andere Deutungen näher liegen. Dazu müssen dem Beschuldigten die Beweismittel auf die gleiche Art und Weise zugänglich und anschaulich sein wie dem Richter.
b) Dem Beschwerdeführer sind die Beweisgrundlagen vor allem hinsichtlich des Vermögenszuflusses in der Höhe des angeordneten Arrests im Ausgangsverfahren bis zur Entscheidung des Landgerichts nicht zugänglich gemacht worden, auch nicht im Nachverfahren gemäß § 33a StPO. Während das Amtsgericht gemäß § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers entscheiden durfte, hätte das Landgericht seine Entscheidungsgrundlagen offen legen und dem Beschwerdeführer bekannt machen müssen. Auf dieser Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG können die angegriffenen Beschwerdeentscheidungen beruhen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer sich wirksamer gegen die Arrestanordnung hätte verteidigen können, wenn er die Beweisgrundlagen gekannt und gegen sie oder die Art ihrer Verwertung Einwände erhoben hätte.
c) Soweit das Landgericht im Beschluss vom 1. Juni 2005 die Auffassung vertritt, eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs im Rahmen des Nachverfahrens gemäß § 33 a StPO komme nicht in Betracht, weil dadurch der Regelungsgehalt des § 147 Abs. 2 StPO ausgehöhlt würde, wird der funktionale Zusammenhang des Art. 103 Abs. 1 GG mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes verkannt. Es ist zwar zutreffend und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass vor Abschluss der Ermittlungen bei einer Gefährdung des Untersuchungszwecks eine Akteneinsicht nicht erzwungen werden kann. Das Landgericht zieht hieraus aber nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Schluss, dass zumindest im Beschwerdeverfahren der intensive Eigentumseingriff der Arrestanordnung nicht mehr auf einen Informationsvorsprung der Ermittlungsbehörden gestützt werden darf.
V.
Die Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das Landgericht führt zur Aufhebung der im Beschwerdeverfahren ergangenen Beschlüsse. Ob die Arrestanordnung den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, hat nun zunächst das Landgericht bei der Wiederholung des Beschwerdeverfahrens unter Beachtung des Art. 103 Abs. 1 GG zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht kann sich einer Überprüfung der Arrestanordnung erst annehmen, wenn das fachgerichtliche Verfahren bei Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten abgeschlossen ist; denn die Wahrung und Durchsetzung der Grundrechte obliegt nach der Funktionenteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit zuvörderst den Fachgerichten (vgl. BVerfGE 104, 220 ≪236≫; BVerfGK 2, 290 ≪297 f.≫; stRspr).
Da in Bezug auf die Beschlüsse des Amtsgerichts der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), fehlt der Verfassungsbeschwerde insoweit die Erfolgsaussicht, und sie wird deshalb nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93c Abs. 2 BVerfGG). Der sachlichen Überprüfung der Arrestanordnung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. die Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 –, StV 2004, S. 409, vom 3. Mai 2005 – 2 BvR 1378/04 –, NJW 2005, S. 3630, und vom 7. Juni 2005 – 2 BvR 1822/04 –, EuGRZ 2005, S. 430) wird durch diese Entscheidung nicht vorgegriffen.
VI.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen