Verfahrensgang
BSG (Urteil vom 12.07.2001; Aktenzeichen 4 StR 550/00) |
LG Magdeburg (Urteil vom 15.05.2000; Aktenzeichen 24 KLs 3/99) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.
Soweit sie sich gegen die Präklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2, 222b Abs. 1 StPO und deren Auslegung durch den Bundesgerichtshof richtet, ist sie unbegründet, im Übrigen unzulässig.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Präklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2, 222b Abs. 1 StPO und deren Anwendung auf die verspätete Hinzuziehung eines Ergänzungsschöffen.
1. Der Beschwerdeführer wurde vom Landgericht wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Während des Prozesses hatte ein Schöffenwechsel stattgefunden, weil der Beschwerdeführer eine Schöffin sogleich nach Aufruf der Sache erfolgreich abgelehnt hatte. Am ersten Hauptverhandlungstag hatte der Beschwerdeführer außer dem Ablehnungsantrag zunächst weitere prozessuale Anträge, unter anderem auf Ausschließung bestimmter Presseberichterstatter, gestellt. Im Zusammenhang mit dem Ausschließungsantrag rügte der Beschwerdeführer die Zurschaustellung seiner Person, eine Instrumentalisierung der Presse seitens der Staatsanwaltschaft und eine Voreingenommenheit der Richter. Hierauf hob das Landgericht zwei weitere Verhandlungstermine auf. Der Kammervorsitzende ordnete die Zuziehung eines Ergänzungsschöffen an und teilte dem Beschwerdeführer noch vor dem Fortsetzungstermin per Fax mit, dass der nächstbereite Hilfsschöffe zu diesem Termin geladen worden sei. In dem Termin gab der Vorsitzende die Zuziehung des Ergänzungsschöffen bekannt. Dieser trat – nach Verhandlung weiterer, von der Verteidigung schon vor der Hauptverhandlung gestellter, prozessualer Anträge und erneuter Unterbrechung der Hauptverhandlung – am dritten Hauptverhandlungstag dem Gericht bei. Sodann wurde die Hauptverhandlung nach Beratungen des Gerichts und Stellung prozessualer Anträge der Verteidigung abermals unterbrochen. Am vierten Verhandlungstag erfolgten nach Bescheidung weiterer prozessualer Anträge der Verteidigung die Verlesung des Anklagesatzes und die Feststellung, dass das Hauptverfahren durch Beschluss der Kammer eröffnet worden sei. Hiernach vernahm das Landgericht den Beschwerdeführer über seine persönlichen Verhältnisse und zur Sache. Anschließend führte es in zahlreichen Fortsetzungsterminen die Beweisaufnahme durch, und zwar in gleich bleibender Besetzung, in der es sodann das Urteil fällte.
2. Der Beschwerdeführer legte Revision ein. Mit ihr rügte er gemäß § 338 Nr. 1 StPO, dass der dem Quorum beigetretene Ergänzungsschöffe entgegen der zwingenden Vorschrift des § 226 StPO (und entgegen § 192 Abs. 2, 3 GVG) am ersten Hauptverhandlungstag nicht mitgewirkt habe.
Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision durch Urteil vom 12. Juli 2001 (NJW 2001, S. 3062 ff.).
3. Gegen die Urteile des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs richtet sich die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit Art. 20 Abs. 3 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) rügt. Zugleich wendet sich die Beschwerde mittelbar gegen die Präklusionsnormen der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2, 222b StPO, die nach Auffassung des Beschwerdeführers gegen Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt das landgerichtliche Urteil seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren, da es entgegen §§ 226, 261 StPO unter Mitwirkung eines Richters zustandegekommen sei, der den “Inbegriff der Hauptverhandlung” im Sinne des § 261 StPO nicht vollständig miterlebt habe. Der Bundesgerichtshof habe, indem er die von ihm in der Sache als berechtigt anerkannte Besetzungsrüge der Präklusionsvorschrift des § 338 Nr. 1 i.V.m. §§ 222a, 222b StPO unterworfen habe, den Bedeutungsgehalt der durch die Teilabwesenheit eines Schöffen in der Hauptverhandlung verletzten Prozessgrundrechte auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren verkannt. Die genannte Präklusionsregelung beziehe sich auf Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Besetzungsmängel, die nicht erst in der Hauptverhandlung entstehen, sondern schon vor deren Beginn vorliegen. Durch die Erstreckung der Rügepräklusion auf Anwesenheitsverletzungen im Sinne des § 226 StPO habe der Bundesgerichtshof die insoweit verletzten Prozessgrundrechte, den Anspruch auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren, “ohne gesetzliche Legitimation … durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ersetzt”, der gegenüber den zuerst genannten Prozessgarantien stärkeren Einschränkungen unterliege. Weiterhin verstoße es gegen das Willkürverbot, dass der Bundesgerichtshof die erst am zweiten Hauptverhandlungstag erfolgte Mitteilung von der Hinzuziehung des Ergänzungsschöffen noch als rechtzeitig im Sinne des § 222a Abs. 1 Satz 3 StPO angesehen habe, weil sie noch vor der Vernehmung des Beschwerdeführers zur Person erfolgt sei. Hierdurch habe er zudem unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsschutz gegen Anwesenheitsverstöße im Sinne des § 226 StPO leer laufen lassen und so die Verletzungen der Prozessgrundrechte des Beschwerdeführers durch das Landgericht perpetuiert. Schließlich unterliege die Präklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2, 222b StPO Bedenken im Hinblick auf das Gleichheitsgebot und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.
4. Die Bundesregierung, der Präsident des Bundesgerichtshofs und der Generalbundesanwalt, die im Verfassungsbeschwerde-Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, halten die Präklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2, 222b Abs. 1 StPO in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1984 (2 BvR 249/84, NStZ 1984, S. 370 f.) für verfassungsgemäß. Zur Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschriften im Ausgangsfall weisen der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner vom Präsidenten des Bundesgerichtshofs übermittelten Stellungnahme und der Generalbundesanwalt darauf hin, dass der mit der Verfassungsbeschwerde beanstandete Besetzungsfehler für den Beschwerdeführer erkennbar gewesen sei. Die in dem angegriffenen Urteil nachgewiesene herrschende Auslegung des § 222a Abs. 1 Satz 3 StPO, wonach die Mitteilung einer Besetzungsänderung vor Vernehmung des Angeklagten zur Person noch rechtzeitig sei, belasse dem Angeklagten eine effektive Rügemöglichkeit.
II.
1. Die Präklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2, 222b Abs. 1 StPO ist – wie der Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 14. März 1984 (2 BvR 249/84, NStZ 1984, S. 370 f.) ausgeführt hat – mit dem Grundgesetz vereinbar.
2. Auch die vom Bundesgerichtshof im Ausgangsfall vorgenommene Auslegung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
a) Diese Auslegung hat die Möglichkeit des Beschwerdeführers, den auf einem Anwesenheitsverstoß beruhenden Besetzungsfehler im Verfahren vor dem Landgericht (§ 192 Abs. 2 und 3 GVG, § 226 StPO) mit der Revision zu rügen, nicht unzumutbar verkürzt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Einschränkung von Rechtsverfolgungs- oder -verteidigungs-möglichkeiten durch Präklusionsvorschriften mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar, wenn diese dem Verfahrensbeteiligten hinreichend Gelegenheit zur Äußerung belassen und nachteilige Rechtsfolgen nur an eine von dem Betroffenen zu vertretende Verspätung knüpfen (vgl. BVerfGE 36, 92 ≪97 ff.≫; 59, 330 ≪333≫; 60, 1 ≪5 f.≫; 69, 126 ≪137≫; 75, 183 ≪191≫; 81, 264 ≪269 ff.≫). Wegen ihrer einschneidenden Folgen für den säumigen Verfahrensbeteiligten haben Präklusionsvorschriften aber einen strengen Ausnahmecharakter, der aus Gründen der Rechtsklarheit ihre entsprechende Anwendung grundsätzlich verbietet (vgl. BVerfGE 59, 330 ≪333 f.≫; 60, 1 ≪5 f.≫; 69, 126 ≪137≫).
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die Auslegung des Bundesgerichtshofs gerecht.
aa) Der Beschwerdeführer und sein Verteidiger hatten hinreichend Gelegenheit, den mit der erst am zweiten Hauptverhandlungstag, also verspätet, erfolgten Zuziehung des Ergänzungsschöffen verbundenen Verstoß gegen § 192 Abs. 2 und 3 GVG (und gegen § 226 StPO) im Wege eines Besetzungseinwands gemäß § 222b StPO geltend zu machen.
Die Zuziehung des Schöffen war dem Beschwerdeführer – nach Vorabmitteilung ihrer Anordnung per Fax am 19. Januar 2000 – am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 21. Januar 2000, bekanntgegeben worden. Bereits zu diesem Zeitpunkt war – ohne dass es hierzu einer näheren Prüfung bedurft hätte – für jedermann erkennbar, dass der Ergänzungsschöffe den ersten Hauptverhandlungstag nicht miterlebt hatte (zur Einbeziehung von Ergänzungsschöffen in die Rügepräklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 8/976, S. 45).
Die rechtliche Einordnung der Teilabwesenheit eines Richters oder Schöffen als Besetzungsmangel im Sinne der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO entsprach – wie der Beschwerdeführer selbst ausführt – schon damals der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BGHSt 2, 14 ≪16≫; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Februar 1996 – 1 StR 23/96 –, NStZ-RR 1996, S. 337 sowie die Nachweise im Urteil des Bundesgerichtshofs, NJW 2001, S. 3062; das dort zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. November 1991 – 4 StR 252/91 – JURIS spricht die Anwendbarkeit des § 338 Nr. 1 StPO auf den Fall des teilabwesenden Ergänzungsschöffen ausdrücklich aus). Da eine Rügepräklusion nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in dem – hier offensichtlich nicht vorliegenden – Ausnahmefall ausscheidet, dass der Besetzungsfehler auf einem Mangel in der Person des – z.B. schlafenden oder blinden – Richters beruht, war auch die Anwendung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b StPO auf den Fall des teilabwesenden Schöffen für den Beschwerdeführer bei sorgfältiger rechtlicher Prüfung vorhersehbar. Dasselbe gilt für die Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass die Mitteilung einer Besetzungsänderung jedenfalls bis zur Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse noch rechtzeitig im Sinne des § 222a Abs. 1 Satz 1 StPO sei (vgl. die Nachweise im Urteil des Bundesgerichtshofs, NJW 2001, S. 3062).
Auch angesichts dieser Auffassung stand dem Beschwerdeführer und seinem Verteidiger nach der Bekanntgabe der Schöffenzuziehung am 21. Januar 2000 genügend Zeit für die Geltendmachung eines Besetzungseinwands gemäß § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO zur Verfügung. § 222b Abs. 1 StPO lässt die Erhebung eines Besetzungseinwands bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache zu, die im Ausgangsverfahren am vierten Hauptverhandlungstag, dem 27. Januar 2000, stattfand. Sahen sich der Beschwerdeführer und sein Verteidiger selbst innerhalb dieses vergleichsweise langen Zeitraums nicht in der Lage, ausreichend zu prüfen, ob die Teilabwesenheit des Schöffen einen Besetzungsfehler im Sinne des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO begründete, so konnten sie entweder gemäß § 222a Abs. 2 StPO eine Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragen und hierdurch weitere Zeit für die rechtliche Prüfung gewinnen oder den Besetzungseinwand unter Hinweis auf die evidente Teilabwesenheit des Ergänzungsschöffen mit geringem Begründungsaufwand vorsorglich erheben.
Da der Beschwerdeführer diese Möglichkeiten ungenutzt ließ, hat er die Versäumung des Besetzungseinwands zu vertreten. Dies gilt auch, soweit die Versäumung auf einem Sorgfaltsverstoß seines Verteidigers beruhte. Denn die Zurechnung eines solchen Anwaltsverschuldens ist – wie bereits der Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 14. März 1984 (a.a.O.) ausgeführt hat – von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
bb) Die Anwendung der Präklusionsregelung der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO auf den Fall der verspäteten Hinzuziehung eines Ergänzungsschöffen beruht auch nicht auf einer unzulässigen Analogie, sondern auf einer mit Wortlaut und Zweck dieser Vorschriften vereinbaren Auslegung.
Dies gilt zunächst für die dem angegriffenen Urteil zu Grunde liegende Auffassung, die Teilabwesenheit des verspätet zugezogenen Ergänzungsschöffen habe (auch) zu einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts im Sinne des § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b StPO geführt. Der Bundesgerichtshof hat sie darauf gestützt, dass ein Eintritt des verspätet zugezogenen Ergänzungsschöffen ins Quorum wegen § 226 StPO von vornherein ausgeschlossen gewesen sei, weshalb bereits seine Hinzuziehung gegen § 192 Abs. 2, Abs. 3 GVG verstoßen und damit zu einer vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung geführt habe. Dass die so begründete Einordnung der verspäteten Zuziehung eines Ergänzungsschöffen als Besetzungsfehler mit dem Wortlaut oder dem Regelungszweck der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO unvereinbar sei, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und wäre auch nicht richtig.
Auch der weiteren Annahme des Bundesgerichtshofs, dass – an sich auch vom Wortlaut des § 338 Nr. 5 StPO erfasste – Anwesenheitsverstöße im Sinne des § 226 StPO dem § 338 Nr. 1 StPO als speziellerer Regelung unterfallen, wenn sie zugleich zu einer vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts führen, steht der Wortlaut dieser Vorschrift nicht entgegen. Ebenso wenig widerspricht es dem Zweck der Rügepräklusionsvorschriften der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO, wenn in ihren Anwendungsbereich Besetzungsmängel einbezogen werden, die auf einem Anwesenheitsverstoß beruhen. Der Gesetzgeber wollte mit diesen Vorschriften erreichen, dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfahrensstadium erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein möglicherweise mit großem justiziellen Aufwand zu Stande gekommenes Strafurteil allein wegen eines Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben und in der Folge die gesamte Hauptverhandlung – mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl für die Strafjustiz als auch für den Angeklagten – wiederholt werden muss (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 8/976, S. 25 ff.).
Dieser Regelungszweck greift unabhängig davon ein, ob die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts auf einem Verstoß gegen den Geschäftsverteilungsplan oder auf einem Anwesenheitsverstoß beruht. Auch ein durch verspätete Zuziehung eines Ergänzungsschöffen entstandener Besetzungsmangel kann durch Wiederholung aller vorangegangenen Verfahrensabschnitte frühzeitig geheilt und so eine Urteilsaufhebung in der Revision vermieden werden. Dass der Gesetzgeber auf einem Anwesenheitsverstoß beruhende und damit möglicherweise gehörsrelevante Besetzungsfehler von der Rügepräklusion ausnehmen wollte, ist nicht ersichtlich. Zwar nimmt die Begründung zum Entwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1979 an, dass der Revisionsgrund der vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts das Verbot der Richterentziehung absichert und im Falle einer begründeten Besetzungsrüge häufig auch eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vorliegt (vgl. BTDrucks 8/976). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Besetzungsfehler, die neben dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter zugleich das rechtliche Gehör des Angeklagten berühren können, von der Regelung nicht erfasst werden sollten. In der Begründung zum Entwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1979 ist von einer solchen Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht die Rede. Auch der Wortlaut der §§ 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchstabe b, 222b Abs. 1 StPO, der allein auf die “vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts” abstellt, bietet keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung nach Art, Ursache oder verfassungsrechtlicher Relevanz des Besetzungsfehlers. Hätte der Gesetzgeber die Rügepräklusion nur für bestimmte Besetzungsfehler einführen wollen, wäre angesichts der in Rechtsprechung und Literatur seit langem vorherrschenden Auffassung, die Richter und Schöffen betreffende Anwesenheitsverstöße revisionsrechtlich ausschließlich als Besetzungsfehler behandelt, insoweit ein klarstellender Hinweis zu erwarten gewesen.
Die Auffassung des Bundesgerichtshofs, das Landgericht habe der ihm gemäß § 222a Abs. 1 Satz 3 StPO obliegenden Verpflichtung, die infolge der Hinzuziehung des Ergänzungsschöffen geänderte Besetzung des Gerichts spätestens bis zum “Beginn der Hauptverhandlung” mitzuteilen, durch die am zweiten Hauptverhandlungstag erfolgte Bekanntgabe genügt, steht ebenfalls im Einklang mit dem Wortlaut dieser Bestimmung. Dass der Bundesgerichtshof den Beginn der Hauptverhandlung in diesem Regelungszusammenhang abweichend von dem – bei der Auslegung des § 226 StPO zu Grunde gelegten – Zeitpunkt des § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmt hat, begründet für sich allein weder einen Wortlautverstoß noch einen inneren Widerspruch seiner Rechtsauffassung. Es entspricht den juristischen Auslegungsmethoden, den selben rechtlichen Begriff in verschiedenen Regelungszusammenhängen nach Entstehung, Zweck und systematischem Aufbau der jeweiligen Vorschrift unterschiedlich zu deuten. § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO regelt den äußeren Ablauf der Verhandlung und bestimmt den Zeitpunkt ihres Beginns in einem rein formalen Sinn. Eine solche streng formale Anknüpfung wird bei der Bestimmung des für die Besetzungsmitteilung nach § 222a Abs. 1 Satz 1 StPO maßgeblichen Zeitpunkts schon deshalb nicht für sinnvoll gehalten (vgl. die Nachweise im Urteil des Bundesgerichtshofs, NJW 2001, S. 3062), weil die Besetzungsmitteilung an alle Verfahrensbeteiligten zu erfolgen hat, deren Anwesenheit aber erst nach dem in § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Zeitpunkt (Aufruf der Sache) vom Vorsitzenden festgestellt wird (vgl. § 243 Abs. 1 Satz 2 StPO). Dass hiervon auch der Gesetzgeber ausgegangen ist, zeigen verschiedene Äußerungen in der Begründung des Gesetzentwurfs, in der es unter anderem heißt: “Der zwingend vorgeschriebene letzte Zeitpunkt für die Besetzungsmitteilung ist der Beginn der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 1). Aus sachlogischen Gründen wird allerdings der Mitteilung der Aufruf der Sache vorgehen müssen, auch ist es unbedenklich, wenn zuvor noch die Präsenz festgestellt wird (§ 243 Abs. 1 Satz 2). Jedenfalls muss die Mitteilung vor der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse (§ 243 Abs. 2) erfolgen. (Auch bei der Mitteilung von Besetzungsänderungen) … ist der Endzeitpunkt, zu dem die Besetzung endgültig feststehen muss, der Beginn der Hauptverhandlung. Einen früheren Zeitpunkt … vorzuschreiben, empfiehlt sich deshalb nicht, weil sich nicht selten Besetzungsänderungen erst kurz vor der Hauptverhandlung ergeben” (BTDrucks 8/976, S. 46).
Hat der Gesetzgeber den Beginn der Hauptverhandlung im Sinne des § 222a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht am Aufruf der Sache, sondern (spätestens) an dem in § 243 Abs. 2 StPO bestimmten Zeitpunkt festgemacht, so spricht der Zweck der Präklusionsregelung, Besetzungsfehler frühzeitig aufzudecken und zu heilen, dafür, sie auf alle bis zu diesem Zeitpunkt eintretenden Besetzungsänderungen zu erstrecken.
Der Bundesgerichtshof war auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsmittelklarheit von Verfassungs wegen gehalten, den in § 222a Abs. 1 StPO verwendeten Begriff “Beginn der Hauptverhandlung” abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO auszulegen, um hierdurch mögliche Missverständnisse der Verfahrensbeteiligten auszuschließen. Zwar müssen sich Vorschriften über die Voraussetzungen und Erfordernisse von Rechtsmitteln, insbesondere Präklusionsvorschriften, durch ein besonderes Maß an Klarheit auszeichnen (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 54, 277 ≪293≫; 60, 1 ≪5 f.≫; 69, 126 ≪136≫ und 381 ≪385 f.≫; 74, 228 ≪234≫; 87, 48 ≪65≫, 88, 118 ≪124 f.≫). Dass der Gesetzgeber den Begriff “Beginn der Hauptverhandlung” in § 222a Abs. 1 StPO ohne klarstellenden Zusatz in einem von § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO abweichenden Sinn verwendet hat, führt aber, nachdem sich zum Mitteilungszeitpunkt des § 222a Abs. 1 StPO in Rechtsprechung und Literatur eine gefestigte Meinung gebildet hat, im Anwendungsbereich der eine anwaltliche Beratung und Verteidigung zwingend voraussetzenden Besetzungsrügepräklusionsvorschriften (zur maßgeblichen Bedeutung des Anwaltszwangs vgl. BVerfGE 93, 99 ≪107 f., 108, 112≫) für den Rügeführer nicht zu einer rechtsstaatlich unerträglichen Unsicherheit, die der Bundesgerichtshof durch eine restriktive verfassungskonforme Auslegung hätte beseitigen müssen. Auch die besondere Gestaltung des Ausgangsverfahrens gebot keine verfassungskonforme Einschränkung der Rügepräklusion.
3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das landgerichtliche Urteil richtet, ist sie mangels ordnungsgemäßer Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig.
Der Beschwerdeführer hat es versäumt, sich die Besetzungsrüge des § 338 Nr. 1 StPO durch rechtzeitige Erhebung eines Besetzungseinwands im Sinne des § 222a Abs. 1 StPO zu erhalten.
Von einer weiter gehenden Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 952219 |
NJW 2003, 3545 |
www.judicialis.de 2003 |