Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung der Eigentümer planunterworfener Grundstücke im Normenkontrollcerfahren eines Bebauungsplans
Beteiligte
Rechtsanwalt Dr. Volker Gronefeld |
Verfahrensgang
BVerwG (Zwischenurteil vom 07.05.1993; Aktenzeichen 4 NB 14/93) |
Bayerischer VGH (Urteil vom 16.11.1992; Aktenzeichen 14 N 91.2258) |
Bayerischer VGH (Zwischenurteil vom 12.11.1992; Aktenzeichen 14 N 91.2258) |
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 26.10.1992; Aktenzeichen 14 N 91.2258) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft im Wesentlichen die Frage, ob Eigentümer planunterworfener Grundstücke in einem Normenkontrollverfahren, in dem über die Gültigkeit des Bebauungsplans entschieden wird, beigeladen werden müssen.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen für ihre Annahme nicht vorliegen (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG).
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).
a) Sie wirft zwar eine verfassungsrechtliche Frage auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt. An ihrer Klärung besteht auch ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse, da sie ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫). Denn eine Auslegung der prozessrechtlichen Vorschriften, nach der eine Beiladung der Eigentümer planunterworfener Grundstücke in einem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren generell ausscheidet, ist insbesondere im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich umstritten (vgl. insoweit Ferdinand O. Kopp, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 1979, S. 205 ≪215 ff.≫; Dienes, DVBl 1980, S. 672 ff.; Bettermann, DVBl 1982, S. 954 ≪955 ff.≫; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 3. Auflage, 1998, § 19 Rn. 12). Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf diese verfassungsrechtlichen Bedenken scheidet jedoch aus, da es auf die aufgeworfene Grundsatzfrage nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Denn die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig.
b) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 1992 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde nicht fristgemäß erhoben. Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde binnen eines Monats zu erheben und zu begründen. Nach Satz 2 des § 93 Abs. 1 BVerfGG beginnt die Frist mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist, im Übrigen entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 3 BVerfGG mit der sonstigen Bekanntgabe an den Beschwerdeführer. In Fällen, in denen ein von einer gerichtlichen Entscheidung unmittelbar rechtlich Betroffener an dem gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt war, ist für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt abzuheben, von dem an der Betroffene von der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung Kenntnis nehmen konnte (vgl. BVerfGE 28, 88 ≪93≫).
Die Monatsfrist begann danach mit der Zusendung des Urteils vom 16. November 1992 an den Bevollmächtigten der Beschwerdeführer am 23. Januar 1993, nicht erst mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 1993 am 27. Mai 1993. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtvorlagebeschwerde auf Grund der fehlenden Beteiligtenstellung der Beschwerdeführer als unzulässig verworfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird durch die Einlegung eines offensichtlich unzulässigen oder unstatthaften und deshalb aussichtslosen Rechtsmittels und einer daraufhin ergangenen Entscheidung die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht neu in Lauf gesetzt. Offensichtlich unzulässig ist das Rechtsmittel dann, wenn der Rechtsmittelführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsmittels über die Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 28, 1 ≪6≫).
Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Urteil vom 26. August 1971 (– BVerwG VIII C 44.70 – BVerwGE 38, 290 ≪296≫) und Beschluss vom 12. Dezember 1990 (– BVerwG 4 NB 14.88 – Buchholz 310, § 47 VwGO Nr. 52) entschieden, dass ein Rechtsmittel immer nur derjenige einlegen könne, der schon Beteiligter der Vorinstanz gewesen sei. Auch ein zu Unrecht nicht Beigeladener sei – so das Bundesverwaltungsgericht in einem Beschluss vom 23. Februar 1977 (– BVerwG VII CB 74.75 – Buchholz 310, § 65 VwGO Nr. 45) – nicht Verfahrensbeteiligter. Nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 1982 (– BVerwG 4 N 1.80 – BVerwGE 65, 131 ≪134≫) vermittelt auch die Anhörung im Normenkontrollverfahren in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 2 Satz 3 VwGO nicht die notwendige Beteiligtenstellung. In Anbetracht dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführer – wie sich aus der Nichtvorlagebeschwerde ergibt – auch bekannt war, hätten die Beschwerdeführer seit dem 23. Januar 1993 innerhalb eines Monats gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Verfassungsbeschwerde erheben müssen.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die – die Beiladung ablehnenden – Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs richtet, ist sie ebenfalls wegen Fristversäumung aus den oben dargestellten Gründen unzulässig.
Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde auch insoweit, als sie sich gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 1993 wendet, weil die Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt haben (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG), dass das Bundesverwaltungsgericht von Verfassungs wegen die Nichtzulassungsbeschwerde als zulässig hätte erachten müssen, obwohl die Beschwerdeführer nicht Beteiligte der Vorinstanz waren. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Bundesverwaltungsgericht insoweit vertretene Auffassung sind auch nicht ersichtlich.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist aus diesem Grund mangelnder Zulässigkeit auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Im Übrigen ist die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten ohne besonderes Gewicht, da insbesondere von einer groben Verkennung grundrechtlicher Maßgaben, einem leichtfertigen Umgang mit den Grundrechten der Beschwerdeführer oder einer krassen Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze im vorliegenden Verfahren keine Rede sein kann (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Dies gilt zumal im Hinblick auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Beschwerdeführern im konkreten Fall vor Erlass seines Urteils Akteneinsicht gewährt, ihnen die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten zugeleitet, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und ihr Vorbringen bei seiner Entscheidung berücksichtigt.
3. Anlässlich des vorliegenden Verfahrens sei aber zu den oben geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken angemerkt:
Es ist fraglich, ob der generelle und unbedingte Ausschluss der Beiladung von Grundstückseigentümern, denen die Nichtigerklärung des Bebauungsplans zum Nachteil gereichen würde, im Normenkontrollverfahren dem Umstand hinreichend gerecht wird, dass das Verfahrensrecht nicht nur dem Ziel dient, einen geordneten Verfahrensgang zu sichern, sondern im grundrechtlich relevanten Bereich auch das Mittel ist, im konkreten Fall dem Grundrechtsträger zu seinem verfassungsmäßigen Recht zu verhelfen (vgl. BVerfGE 49, 252 ≪257≫).
So ergibt sich unmittelbar aus dem materiellen Grundrecht des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 252 ≪257≫ m.w.N.). Der grundrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz bedeutet, dass die Gerichte im jeweiligen Verfahren den Grundrechten tatsächliche Wirksamkeit verschaffen müssen. Dem Verfahrensrecht kommt hierbei eine wesentliche Rolle zu. Demgemäß muss das Verfahrensrecht im Blick auf die Grundrechte ausgelegt und angewendet werden. Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten ist diejenige zu wählen, die dem Gericht ermöglicht, die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten durchzusetzen und zu verwirklichen (vgl. BVerfGE 49, 252 ≪257≫).
Das Grundrecht privater Grundstückseigentümer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist durch das Urteil, das einen Bebauungsplan für ungültig erklärt, berührt, da dieses unmittelbar auf das Eigentum an den planunterworfenen Grundstücken und deren zulässige Nutzung einwirkt. Zwar hat das normverwerfende Urteil keine gestaltende, sondern nur eine feststellende Wirkung. Es erscheint aber verfassungsrechtlich bedenklich, wenn es den von dieser verbindlichen Feststellung Betroffenen nicht möglich sein sollte, im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, dass der angefochtene Bebauungsplan eben nicht nur einen Rechtsschein erzeugt habe, sondern gültiges Recht sei. Nur so können sie den durch den – ihrer Meinung nach wirksamen – Bebauungsplan vermittelten rechtlichen Status ihres Grundstückseigentums zur Geltung bringen.
Es ist zwar nicht zu verkennen, dass eine Beiladung der betroffenen Grundstückseigentümer je nach deren Anzahl für das Gericht die Verfahrensführung erschweren kann. Einschränkungen des Rechtsschutzes im Interesse einer übersichtlichen Prozessführung unterliegen aber den Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben. Sie müssen mit den Prinzipien einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den Rechtsschutz nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 –, NJW 2000, S. 1175 ≪1177 m.w.N.≫: zu Art. 19 Abs. 4 GG). Die Gerichte könnten diesen widerstreitenden Belangen dadurch gerecht werden, dass sie – etwa im Rahmen der von § 65 Abs. 1 VwGO verlangten Ermessensentscheidung – im Einzelfall abwägen, ob eine Verfahrensbeteiligung der betroffenen Grundstückseigentümer die Durchführung eines rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Verfahrens derart behindern würde, dass auch bei Ausschöpfung aller prozessrechtlichen Möglichkeiten der Ausschluss der Beiladung gerechtfertigt erscheint. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass Bebauungspläne zwar als Satzungen zu beschließen sind (§ 10 BauGB), der Kreis der unmittelbar betroffenen Normadressaten aber individuell bestimmt ist. Die Beiladung wird daher wohl nicht generell unter Hinweis auf die regelmäßig für Rechtsnormen kennzeichnende Unbestimmtheit des Adressatenkreises versagt werden können. Auch dürfte eine Differenzierung nach der Anzahl der betroffenen Grundstückseigentümer aus Gründen der Rechtsklarheit nicht grundsätzlich ausscheiden (vgl. BVerfGE 60, 7 ≪15≫). Im Übrigen ist zu beachten, dass der Gesetzgeber – wie sich allgemein aus §§ 56 a, 67 a VwGO und im Besonderen für Fälle einer notwendigen Beiladung aus § 65 Abs. 3 VwGO ergibt – die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an einem gerichtlichen Verfahren für möglich gehalten und sich um einen Ausgleich zwischen den Rechten der Betroffenen und den Anforderungen an ein rechtsstaatlich geordnetes und zugleich effizientes Verfahren bemüht hat.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565107 |
NJW 2001, 1270 |
BauR 2000, 1720 |
NVwZ 2000, 1283 |
BRS 2000, 291 |
BayVBl. 2001, 16 |
DVBl. 2000, 1842 |
GV/RP 2001, 149 |
NordÖR 2000, 410 |
UPR 2000, 449 |
FSt 2000, 900 |
FuBW 2000, 939 |
FuHe 2001, 139 |
FuNds 2001, 144 |
VA 2001, 41 |