Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Beschluss vom 23.08.2006; Aktenzeichen 24 CS 06.1881) |
VG Augsburg (Beschluss vom 06.07.2006; Aktenzeichen Au 5 S 06.696) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die unter Anordnung des Sofortvollzugs ergangene Untersagung der Annahme und Vermittlung von Sportwetten durch den Beschwerdeführer.
I.
1. Der Beschwerdeführer betreibt in seiner Gaststätte in L. ein Wettbüro als privater Wettunternehmer und Wettvermittler. Er steht in vertraglichen Beziehungen zu dem in B. (Vorarlberg) ansässigen Unternehmen „T.”. Dieses verfügt über eine befristete Genehmigung der Vorarlberger Landesregierung zur gewerbsmäßigen Vermittlung und zum gewerbsmäßigen Abschluss von Wetten, mit Ausnahme von Wetten, die dem Glücksspielgesetz unterliegen.
2. Mit dem angegriffenen, auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) sowie § 12 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 1, 4 und 5 Abs. 3 und 4 des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (LottoStV) gestützten Bescheid vom 31. Mai 2006 untersagte das Landratsamt Lindau unter Anordnung des Sofortvollzugs dem Beschwerdeführer die Annahme und Vermittlung von Sportwetten sowie die Werbung für das Sportwettenbüro „T.” und ordnete die Einstellung des Betriebs für den auf die Zustellung des Bescheides folgenden Werktag an. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer die untersagten Tätigkeiten nicht innerhalb der festgelegten Frist einstellen sollte, wurde ihm die Festsetzung von Zwangsgeldern angedroht.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Widerspruch, über den bislang noch nicht entschieden ist, und stellte außerdem beim Verwaltungsgericht Augsburg einen Antrag auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.
4. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 6. Juli 2006 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg diesen Antrag ab. Zur Begründung hieß es unter anderem: In der vorliegenden Sache überwiege das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Interesse des Antragstellers, von dem Vollzug der Verfügung zunächst verschont zu bleiben. Bei der Vermittlung von Sportwetten handele es sich um die Veranstaltung eines Glücksspiels im Sinne von § 284 StGB. Das Vermitteln von Sportwetten an einen Veranstalter, der nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Erlaubnis sei, sei nach dieser Vorschrift strafbar. § 284 StGB verstoße, wie sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 – (NJW 2006, S. 1261) ergebe, nicht gegen das Grundgesetz. Auch gemeinschaftsrechtlich sei § 284 StGB unbedenklich. Zwar stelle § 284 Abs. 1 StGB einen Eingriff in den Schutzbereich der nach Art. 43 und 49 EG garantierten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dar. Dieser sei jedoch zum Schutz der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 46 Abs. 1 EG gerechtfertigt. Eine Vorlage der Rechtssache an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) scheide im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aus.
5. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. August 2006 zurück. Zur Begründung hieß es unter anderem: Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG seien erfüllt, da der objektive Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB gegeben sei. Die Untersagungsverfügung begegne auch im Hinblick auf die in Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsausübungsfreiheit keinen Bedenken, da das staatliche Sportwettenmonopol in Bayern derzeit aufrechterhalten werden solle. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 28. März 2006 geklärt, welche Anforderungen das Grundrecht der Berufsfreiheit an die Einrichtung eines staatlichen Sportwettenmonopols stelle und inwieweit damit einhergehende Beschränkungen gerechtfertigt sein könnten. Nach diesem Urteil sei zwar der Gesetzgeber in Bayern verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten neu zu regeln. Während der Übergangszeit bleibe aber die bisherige Rechtslage mit der Maßgabe anwendbar, dass der Freistaat Bayern unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herzustellen habe. Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet würden, dürften weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden. Die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Anforderungen an das staatliche Wettverhalten würden – nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung – gewahrt. Der Freistaat Bayern sei ernsthaft gewillt, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in geeigneter Weise zeitnah umzusetzen, und habe dies auch schon in die Wege geleitet. Auch im Hinblick auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben begegne das Verbot keinen durchgreifenden Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Senats sei der in Bayern bestehende Erlaubnisvorbehalt für Glücksspiele durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt. Die derzeitige Rechtslage und Praxis in Bayern werde den Anforderungen, die der EuGH an die Zulässigkeit einer Beschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gestellt habe, gerecht und stehe damit im Einklang mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts. Damit bedürfe es keiner abschließenden Klärung der Frage, ob die jetzige Rechtslage in Bayern selbst bei einem Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben dem sofort vollziehbaren Verbot entgegenstehe, weil diese Rechtslage für eine Übergangsfrist hinzunehmen sei, wie es in der Rechtsprechung verschiedentlich vertreten werde. Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG komme nicht in Betracht. Angesichts der geringen Erfolgsaussichten in der Hauptsache sei es grundsätzlich sachgerecht, dass die Interessenabwägung zugunsten des Vollziehungsinteresses ausfalle.
Entscheidungsgründe
II.
1. Durch diese Entscheidungen sieht sich der Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Augsburg und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs werde der Beschwerdeführer seinem gesetzlichen Richter entzogen, weil diese Gerichte es unterlassen hätten, den Rechtsstreit nach Art. 234 EG dem EuGH vorzulegen. Die angegriffenen Entscheidungen gingen davon aus, dass Art. 43 und 49 EG für eine Übergangszeit in Bayern nicht oder nur eingeschränkt anwendbar seien. Entsprechend der auch in Eilverfahren bestehenden Vorlagepflicht nationaler Gerichte bei der Aussetzung eines auf Gemeinschaftsrecht beruhenden nationalen Verwaltungsaktes hätten die Gerichte diese Frage der temporären Suspendierung primären Gemeinschaftsrechts dem EuGH vorlegen müssen. Der Verstoß gegen unmittelbar anwendbares primäres Gemeinschaftsrecht führe zur Unanwendbarkeit einer gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Norm. Nehme ein Gericht eine faktische Suspendierung primären Gemeinschaftsrechts vor, so bestehe eine Verpflichtung, diese Frage nach Art. 234 EG vorzulegen. Eine derartige Suspendierung primären Gemeinschaftsrechts könne nicht durch nationale Gerichte, sondern ausschließlich durch den EuGH erfolgen. Die Gerichte berücksichtigten die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH auch im Übrigen nicht ausreichend. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Augsburg und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verletzten ferner den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, da nicht von einer voraussichtlichen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ausgegangen werden könne. Die Entscheidungen stellten außerdem einen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit dar und verletzten Art. 3 Abs. 1 GG, da die private Veranstaltung von Pferdewetten erlaubnisfähig sei, während für alle anderen vergleichbaren Sportwetten eine Erlaubnis nicht erteilt werden könne.
2. Der Beschwerdeführer hat ferner beantragt, den Vollzug des angegriffenen Bescheides des Landratsamtes Lindau bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) sind nicht erfüllt. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie teilweise unzulässig und im Übrigen jedenfalls unbegründet ist.
1. Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Augsburg und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entziehen den Beschwerdeführer nicht seinem gesetzlichen Richter.
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Durch diese grundrechtsähnliche Gewährleistung wird das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr beurteilt das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeitsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebots, das auch die Beachtung der Kompetenzregeln fordert, die den oberen Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung überträgt und auf den Instanzenzug begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet deshalb die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (BVerfGE 82, 159 ≪194≫).
b) Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339 ≪366≫). Die Voraussetzungen, unter denen eine Vorlage eines Rechtsstreits an den EuGH in Betracht kommt, ergeben sich aus Art. 234 EG. Das Bundesverfassungsgericht überprüft aus den dargelegten Gründen indessen nur, ob diese Zuständigkeitsregel in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden ist (BVerfGE 82, 159 ≪195≫).
c) Diesen Maßstäben genügen die angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse schon deswegen, weil sie eine Pflicht zur Vorlage des Rechtsstreits im vorliegenden Fall im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH verneint haben und daher von einer unhaltbaren Handhabung der Zuständigkeitsregel nicht die Rede sein kann. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. November 1991 – 2 BvR 1642/91 –, NVwZ 1992, S. 360). Art. 234 Abs. 3 EG (früher Art. 177 Abs. 3 EWGV) ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, nicht verpflichtet ist, dem Gerichtshof eine Auslegungsfrage im Sinne von Absatz 1 dieses Artikels vorzulegen, wenn sich die Frage in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptsacheverfahren vorgelegt wird, nicht bindet, sofern es jeder Partei unbenommen bleibt, – auch vor den Gerichten eines anderen Gerichtszweigs – ein Hauptverfahren, in dem jede in summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage nach Art. 234 EG bilden kann, entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen (EuGH, Urteile vom 24. Mai 1977, Rs. 107/76, Hoffmann-La Roche/Centrafarm, Slg. 1977, S. 957, Rn. 6, und vom 27. Oktober 1982, verbundene Rs. 35 und 36/82, Morson und Jhanjan/Niederländischer Staat, Slg. 1982, S. 3723, Rn. 10). Auf dieser Grundlage haben das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG von einer Vorlage abgesehen. Die Frage, ob die angefochtene Untersagungsverfügung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, kann im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren erneut geprüft werden, ohne dass die Gerichte an ihre im Eilverfahren vertretene Rechtsauffassung gebunden wären.
d) Für die Gerichte bestand auch nicht ausnahmsweise eine Pflicht zur Vorlage wegen der „Suspendierung primären Gemeinschaftsrechts”. Die angegriffene Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beruht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht auf der Annahme, das primäre Gemeinschaftsrecht sei für eine Übergangszeit in Bayern nicht anwendbar. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellt ausdrücklich fest, dass die derzeitige bayerische Rechtslage und Praxis nach der im Eilverfahren gebotenen und möglichen Prüfung den vom EuGH aufgestellten Anforderungen an eine zulässige Beschränkung der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit gerecht werde, und begründet diese Auffassung ausführlich (S. 15 ff. des Beschlusses). Die Frage, ob ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht für eine Übergangsfrist hinzunehmen sei, lässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich offen, weil es auf sie nach seiner – einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht verneinenden – Rechtsauffassung nicht ankommt. Dies ergibt sich eindeutig aus der Formulierung „Damit bedarf es keiner abschließenden Klärung…”, mit der der fragliche Abschnitt des Beschlusses (S. 18 f.) eingeleitet wird. Die sich daran anschließenden Ausführungen stellen ein obiter dictum dar, wobei im Übrigen der Verwaltungsgerichtshof dazu neigt, sich gegen die Zulässigkeit einer solchen Übergangsfrist auszusprechen.
e) Abgesehen davon wäre selbst dann, wenn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die dargestellte Rechtsansicht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, eine Vorlagepflicht nicht ohne weiteres zu bejahen. Eine Pflicht zur Vorlage einer Rechtssache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lässt sich der Rechtsprechung des EuGH nur für den Fall entnehmen, dass ein nationales Gericht die Aussetzung der Vollziehung eines auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden nationalen Verwaltungsakts anordnen will (EuGH, Urteil vom 21. Februar 1991, verbundene Rs. C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, Slg. 1991, S. I-415, Rn. 22 ff.). Darum geht es im vorliegenden Fall aber nicht, was auch der Beschwerdeführer einräumt. Nach seiner Auffassung ist vielmehr die Vorlagepflicht im Eilverfahren auf den Fall einer temporären Aussetzung der Anwendbarkeit von primärem Gemeinschaftsrecht zu erstrecken. Damit nimmt der Beschwerdeführer jedoch lediglich eine von ihm erwartete Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG durch den EuGH vorweg. Allein hierauf lässt sich aber eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Vorlage der Sache an den EuGH nicht stützen.
2. Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (BVerfGE 93, 1 ≪13≫). Den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪74≫). Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet zwar nicht schlechthin die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgesehene Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss aber nur insoweit zurückstehen, als es im Einzelfall um die Anwendung gewichtiger konkreter Interessen geht. Denn die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes setzt ein besonderes öffentliches Interesse voraus, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪402≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2005 – 1 BvR 223/05 –, BVerfGK 5, 196 ≪202≫).
b) Gemessen an diesen Maßstäben verstoßen die angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Durch die im Ergebnis zu Lasten des Beschwerdeführers ausfallende Interessenabwägung wird dem Beschwerdeführer effektiver Rechtsschutz nicht versagt. Denn nach den vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 28. März 2006 formulierten verfassungsrechtlichen Anforderungen ist zwar das in Bayern bestehende staatliche Sportwettenmonopol aufgrund seiner derzeitigen Ausgestaltung mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Das bayerische Staatslotteriegesetz ist jedoch nicht nichtig. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bleibt die bisherige Rechtslage daher mit der Maßgabe anwendbar, dass das gewerbliche Vermitteln von Sportwetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Sportwetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, unabhängig davon, ob in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB vorliegt, weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden darf, sofern der Freistaat Bayern unverzüglich damit beginnt, das bestehende staatliche Sportwettenmonopol konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht auszurichten (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006, a.a.O., S. 1267; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2006 – 1 BvR 138/05 –, WM 2006, S. 1644 ≪1645 f.≫).
c) Nicht zu beanstanden ist die Annahme der Verwaltungsgerichte, der Freistaat Bayern habe bereits entsprechend den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits hergestellt. Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs legt ausführlich und unter Angabe zahlreicher Belege dar, welche Maßnahmen der Freistaat Bayern auf dieser Grundlage ergriffen hat, und erwähnt hier die Einschränkung der Werbung, die aktive Aufklärung über die Gefahren des Wettens, die Einführung einer Kundenkarte, den Ausschluss Minderjähriger und Angebote zur Suchtprävention. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zieht daraus den Schluss, dass die derzeitige Rechtslage und Verwaltungspraxis den Anforderungen genügt, die das Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung aufgestellt hat. Dies begegnet keinen Bedenken. Der Beschwerdeführer setzt der Wertung des Verwaltungsgerichtshofs lediglich seine eigene Einschätzung der Sach- und Rechtslage entgegen. Allein der Hinweis auf Defizite, die ein Rundfunksender bei der Verwirklichung des Jugendschutzes festgestellt habe, vermag nicht die Wirkungslosigkeit oder mangelnde Ernsthaftigkeit der vom Freistaat Bayern eingeleiteten Maßnahmen insgesamt zu begründen. Die Verfassungsbeschwerde bemängelt im Übrigen angebliche Defizite dieser Maßnahmen – etwa im Hinblick auf die Einrichtung unabhängiger Kontrollstellen –, zieht dabei aber Vorgaben heran, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 für die vom Gesetzgeber zu schaffende Neuregelung gelten, während für die derzeitige Übergangssituation von Verfassungs wegen nur ein Mindestmaß an Konsistenz verlangt ist.
d) Auf die – vom Beschwerdeführer und den angegriffenen Entscheidungen unterschiedlich beurteilte – Frage, ob die Vermittlung von Wetten durch den Beschwerdeführer den objektiven Tatbestand des § 284 StGB erfüllt, kommt es damit im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes derzeit nicht entscheidend an. Denn die Behörden könnten auch unabhängig von der Frage der Strafbarkeit in der Übergangszeit ordnungsrechtlich gegen die Wettvermittlung vorgehen. Es bedarf daher im Rahmen der Beurteilung der hier in Rede stehenden Untersagungsverfügung auch keines Eingehens auf die Frage, welche Bedeutung den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 16. Mai 2006 in den verbundenen Rechtssachen C-338/04, C-359/04 und C-360/04 für die Beurteilung der Strafbarkeit der vom Beschwerdeführer betriebenen Wettvermittlung beizumessen ist.
e) Damit ist eine Untersagung der Wettvermittlung durch den Beschwerdeführer jedenfalls derzeit zulässig. Hieraus ergibt sich zugleich – unabhängig von der Frage der Strafbarkeit seines Verhaltens – ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung (Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2006, a.a.O., S. 1646). Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs greift diese Begründung ausdrücklich auf. In der Entscheidung wird zudem darauf hingewiesen, dass nur eine konsequente Durchsetzung des Verbots zur Bekämpfung der von Glücksspielen und Wetten ausgehenden Gefahren geeignet sei. Diese zusätzliche Begründung dafür, dass das behördliche Vollzugsinteresse das Interesse des Beschwerdeführers, vorläufig von der Durchsetzung der Untersagungsverfügung verschont zu bleiben, überwiegt, ist ebenfalls nicht zu beanstanden, zumal die Abwehr von Gefahren, die der Bevölkerung durch das Glücksspiel drohen, ein legitimes Ziel staatlicher Maßnahmen ist (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006, a.a.O., S. 1263; BVerfGE 102, 197 ≪216≫).
3. Daraus folgt zugleich, dass der Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt ist. Da die Vermittlung von Sportwetten in der Übergangszeit bis zu einer Neuregelung als ordnungsrechtlich verboten angesehen werden darf, stellt ihre Untersagung auch einen zulässigen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit dar.
4. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gerügt wird. Ihrer Zulässigkeit steht insoweit der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) entgegen. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt auch im Hinblick auf Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dass der Beschwerdeführer die behaupteten Grundrechtsverletzungen im Instanzenzug geltend macht (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2002 – 1 BvR 2305/02 –, NJW 2003, S. 418 ≪419≫). Den vom Beschwerdeführer vorgelegten Entscheidungen und Schriftsätzen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass er im bisherigen Verfahren eine Rüge der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG erhoben hätte.
5. Da die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird, erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen