Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Restitutionsklage, mit der der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens erstrebt, in dem er erfolglos auf das Hausvermögen des früheren preußischen Königshauses bezogene Pflichtteilsansprüche geltend gemacht hatte. Es geht dabei um die Frage, ob die Aufhebung einer fachgerichtlichen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht einen Restitutionsgrund gegen eine andere fachgerichtliche Entscheidung, in der die aufgehobene Entscheidung zustimmend zitiert war, darstellen kann.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist einer von mehreren Söhnen des Erblassers. Er hatte in einem Vorprozess gegen den testamentarisch bestimmten Alleinerben, seinen Neffen, einen Pflichtteilsanspruch eingeklagt. Im Streit war dabei, ob der Pflichtteil sich auch auf das Hausvermögen des früheren preußischen Königshauses bezog. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn das Hausvermögen zum Nachlass des Erblassers gehört hätte und nicht auf den Alleinerben im Wege der Nacherbfolge nach dem Vater des Erblassers übergegangen wäre.
Dies wiederum hing davon ab, ob die Anordnung der Vor- und Nacherbfolge in einem zwischen dem Erblasser und seinem Vater im Jahre 1938 abgeschlossenen Erbvertrag wirksam war. Nach der vertraglichen Regelung sollten die Mannesstammabkömmlinge des als Vorerbe eingesetzten Erblassers nach dem Grundsatz der Erstgeburtsfolge Nacherben werden. Von der Nacherbfolge als erbunfähig ausgeschlossen sollte jedoch sein, wer nicht in einer hausverfassungsmäßigen Ehe lebte oder aus einer solchen stammte. Nach der Hausverfassung musste der angeheiratete Ehepartner aus einer dem Hause Preußen ebenbürtigen Familie stammen (vgl. zu den Einzelheiten BVerfGK 3, 112 ≪113≫).
Die Fachgerichte hatten die Wirksamkeit dieser vertraglichen Regelungen bejaht, wobei das Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 23. Mai 2002 zur Begründung einen in einem vorangegangenen Erbscheinsverfahren erlassenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1998 (BGHZ 140, 118) zitiert und ausgeführt hatte, dass und warum es den darin enthaltenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs zur Frage der Wirksamkeit der Anordnung von Vor- und Nacherbfolge und insbesondere der Erbunfähigkeitsklausel folge.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte die Kammer mit Beschluss vom 26. April 2004 (1 BvR 795/03) mangels Zulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Auf die Verfassungsbeschwerde des ältesten Bruders des Beschwerdeführers gegen die im Erbscheinsverfahren ergangenen Entscheidungen hob das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. März 2004 (– 1 BvR 2248/01 – BVerfGK 3, 112) unter anderem den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1998 auf. Es sah den ältesten Bruder, der in einer nicht hausverfassungsmäßigen Ehe lebte, somit unter die erbvertragliche Erbunwürdigkeitsklausel fiel und deshalb als Nacherbe ausschied, als in seinem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt an.
3. Nunmehr erhob der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Restitutionsklage wegen seines Pflichtteilsanspruchs. Er machte geltend, der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO liege vor, weil der Beschluss des Bundesgerichtshofs aus dem Erbscheinsverfahren vom 2. Dezember 1998 aufgehoben und die Abweisung seiner Pflichtteilsklage auf diesen Beschluss gegründet gewesen sei.
Das Oberlandesgericht wies die Restitutionsklage mit Urteil vom 10. Dezember 2004 ab, weil es die Tatbestandsvoraussetzungen des § 580 Nr. 6 ZPO nicht für gegeben erachtete. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs im Erbscheinsverfahren sei weder präjudiziell noch das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil darauf gegründet gewesen.
Demgegenüber war der Bundesgerichtshof in seinem die Revision des Beschwerdeführers zurückweisenden Urteil vom 26. April 2006 (ZEV 2006, S. 509) der Auffassung, die streitigen Fragen zur Auslegung des § 580 Nr. 6 ZPO bedürften aus Anlass dieses Falles keiner Klärung. Denn § 79 BVerfGG regele besonders und abschließend die Folgen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, mit denen die Zivilgerichte angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln oder sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen des bürgerlichen Rechts die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit ihre wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibe. Das gelte allerdings nur, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Verfehlung verfassungsrechtlicher Vorgaben im Einzelfall beanstande, sondern für die Auslegung des bürgerlichen Rechts über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe setze, an welche die Zivilgerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen gebunden seien. Dies sei bei dem im Erbscheinsverfahren ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts der Fall. Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG müsse mithin das unanfechtbar abgeschlossene Verfahren Bestand behalten. Es könne daher auch nicht im Wege einer Restitutionsklage einer neuen Sachentscheidung zugeführt werden. Ein Wandel der Rechtsauffassung sei kein Restitutionsgrund.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die ihm die Restitution versagenden Entscheidungen an. Er rügt unter anderem die Verneinung der Voraussetzungen des § 580 Nr. 6 ZPO durch das Oberlandesgericht und die Anwendung des § 79 BVerfGG durch den Bundesgerichtshof als willkürlich und macht geltend, in seinem durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Pflichtteilsrecht verletzt zu sein.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG ist nicht gegeben. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussicht hat.
1. Der Bundesgerichtshof hat den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eröffnet gesehen und sich dabei im Wesentlichen auf den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (– 1 BvR 1905/02 – FamRZ 2006, S. 253) gestützt. Darin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auch dann analog anwendbar ist, wenn die Zivilgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen des bürgerlichen Rechts vom Bundesverfassungsgericht zur interpretationsleitenden Berücksichtigung der Grundrechte angehalten werden, sofern für die Auslegung des bürgerlichen Rechts über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe gesetzt werden. Der Bundesgerichtshof hat § 79 BVerfGG als besondere und abschließende Regelung für diese Fälle angesehen und nicht erörtert, ob § 580 Nr. 6 ZPO eine besondere gesetzliche Regelung im Sinn des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG darstellt.
2. Das ist jedenfalls im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn schon der § 79 Abs. 2 BVerfGG zugrunde liegende Rechtsgedanke, dass unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zustande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden sollen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Dezember 2005, a.a.O., S. 254 m.w.N.), verbietet eine Restitution in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens. Deshalb kommt es vorliegend auf eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG und die Frage, ob § 580 Nr. 6 ZPO hierzu eine Sonderregelung trifft, nicht an.
a) Mit § 79 BVerfGG sollten die Rechtsfolgen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden. Der Gesetzgeber entschied sich in verfassungsrechtlich zulässiger Weise für die Rechtssicherheit und gegen einen Vorrang der Einzelfallgerechtigkeit (vgl. BVerfGE 2, 380 ≪404 f.≫; 7, 194 ≪195 ff.≫). Damit ist als notwendige Konsequenz verbunden, dass die Durchsetzung von Grundrechten nur mittels der Verfassungsbeschwerde gegen den jeweils belastenden Akt der öffentlichen Gewalt erfolgen kann; in rechtskräftig abgeschlossenen, nicht (mehr) der Verfassungsbeschwerde zugänglichen Verfahren ist sie dagegen nicht mehr möglich (vgl. BVerfGE 7, 194 ≪196≫). Diese Zielrichtung und Systematik besteht unverändert fort (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Dezember 2005, a.a.O.).
b) Werden um der Rechtssicherheit willen sogar staatliche Akte aufrechterhalten, die auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhen, dann wäre es umso mehr mit dem Gedanken der Rechtssicherheit unverträglich, wenn Gerichtsentscheidungen, die aufgrund gültiger Gesetze und in einem gerichtsförmigen Verfahren zustande gekommen sind, wegen einer Änderung der Rechtsprechung beseitigt werden könnten. Ein Wandel der Rechtsauffassung kann daher keinen Restitutionsgrund darstellen (vgl. BVerfGE 2, 380 ≪395, 405≫). Darauf hat der Bundesgerichtshof im angefochtenen Urteil zutreffend hingewiesen. Nicht anders ist der Fall zu beurteilen, dass ein Gericht zur Stützung seiner Rechtsauffassung in einem unanfechtbar gewordenen Urteil die Rechtsauffassung eines anderen Gerichts heranzieht, und zu einem späteren Zeitpunkt das Bundesverfassungsgericht die in der zitierten Entscheidung vertretene Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts als verfassungswidrig beanstandet. Denn auch darin liegt ein die Durchbrechung der Rechtssicherheit nicht rechtfertigender Rechtsprechungswandel.
Ließe man demgegenüber in derartigen Fällen die Restitution zu, würde das nicht nur zu Rechtsunsicherheit, sondern auch zu unerträglichen Wertungswidersprüchen führen. Der Verfassungsbeschwerde zugänglich sind aufgrund des Gebots der Rechtswegerschöpfung in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG vor allem obergerichtliche und höchstrichterliche Entscheidungen, die nach ihrer Veröffentlichung von den Fachgerichten in breitem Umfang gerade zu Rechtsfragen zitiert zu werden pflegen. Im Falle der Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht unterläge daher – je nach einfachrechtlicher Bedeutung der aufgehobenen Entscheidung und der bis zur Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht vergangenen Zeit – eine unüberschaubare Zahl fachgerichtlicher Entscheidungen der Restitution. Inwieweit ihre Rechtskraft durchbrochen werden könnte, hinge dabei wesentlich davon ab, ob die Fachgerichte sich gerade auf die aufgehobene Entscheidung gestützt und sie insbesondere auch zitiert haben.
c) Etwas anderes gilt vorliegend nicht etwa, weil die zitierte und die zitierende Entscheidung denselben Tatsachenkomplex betreffen. Insbesondere ist es wegen der konzeptionellen Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 78, 123 ≪126≫) hinzunehmen, dass im Einzelfall die gerichtliche Beurteilung der Rechtslage für an einem einheitlichen Lebensgeschehen Beteiligte aufgrund unterschiedlich zuständiger Gerichte und/oder zeitlich versetzt stattfindender Gerichtsverfahren differieren und zu voneinander abweichenden Ergebnissen führen kann.
Das Oberlandesgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein im Erbscheinsverfahren ergehender Beschluss das Prozessgericht nicht bindet und der Erbschein bei später festgestellter Unrichtigkeit jederzeit gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB eingezogen werden kann. Deshalb hatte das Bundesverfassungsgericht auch keine Veranlassung, mit der aufhebenden Entscheidung (BVerfGK 3, 112) der bei ihrem Erlass ebenfalls vorliegenden Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Versagung des auf das Hausvermögen bezogenen Pflichtteils im Vorprozess stattzugeben. Denn der Beschluss des Bundesgerichtshofs im Erbscheinsverfahren stand mit dieser Klageabweisung weder in untrennbarem Zusammenhang (vgl. dazu BVerfGE 1, 322 ≪332≫; 17, 224 ≪226 f.≫) noch entfaltete er eine Bindungswirkung (vgl. dazu BVerfGE 10, 136 ≪141≫).
3. Die Rügen des Beschwerdeführers haben daher keine Erfolgsaussicht, ganz abgesehen davon, dass entgegen seiner Auffassung mit dem inzwischen erteilten neuen, den Erblasser als Vollerben auch des Hausvermögens ausweisenden Erbschein ein Pflichtteilsanspruch für ihn in keiner Weise festgestellt ist. Dass er am Hausvermögen nicht partizipiert, ist im Übrigen – anders als bei seinem ältesten Bruder – nicht (unmittelbar) der Erbunwürdigkeitsklausel geschuldet. Vielmehr ist es die Folge der Anordnung von Vor- und Nacherbschaft, die die Fachgerichte im Pflichtteilsprozess für wirksam erachtet haben. Dass diese rechtliche Würdigung verfassungsrechtlich zu beanstanden war, ist der aufhebenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu entnehmen. Im Gegenteil: Die Kammer hat explizit darauf hingewiesen, dass die Frage, ob bei Annahme einer Sittenwidrigkeit der Ebenbürtigkeitsklausel auch die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft unwirksam wäre, allein auf der Ebene des einfachen Rechts liegt und für die verfassungsrechtliche Prüfung irrelevant ist (vgl. BVerfGK 3, 112 ≪123≫). Dass der Beschwerdeführer nun an diesem Ergebnis festgehalten wird, resultiert verfassungsrechtlich unbedenklich aus der Rechtskraft des mit der Restitutionsklage angegriffenen Urteils und ist auch mit Blick auf das grundgesetzlich geschützte Pflichtteilsrecht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 1676484 |
NJW 2007, 1802 |
FamRZ 2007, 337 |
ZEV 2007, 338 |
JuS 2007, 954 |