Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 16.05.2007; Aktenzeichen 3 U 258/06) |
LG Essen (Urteil vom 06.10.2006; Aktenzeichen 19 O 215/06) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde hat das Verhältnis von postmortalem Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit zum Gegenstand. Sie richtet sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, durch die eine Klage auf Unterlassung der Aufführung eines Theaterstücks abgewiesen wurde.
I.
1. Die Tochter der Beschwerdeführerin wurde im Mai 2004 im Alter von 14 Jahren Opfer eines Tötungsverbrechens. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen hatte sie den späteren Täter am Vorabend der Tat kennen gelernt und mit ihm einverständlichen Geschlechtsverkehr ausgeübt. Am Tag darauf unternahm sie mit dem Täter und zwei weiteren Personen einen Ausflug. Dabei kam es zwischen ihr und dem Täter zu einem Streit, in dessen Verlauf die Tochter der Beschwerdeführerin den Täter dadurch provozierte, dass sie die Möglichkeit einer Schwangerschaft ausmalte. Der Täter wurde durch diesen Streit in erhebliche Aufregung versetzt, da für ihn undenkbar war, die Tochter der Beschwerdeführerin seiner Familie als Freundin oder als künftige Ehefrau vorzustellen, zumal in seiner Familie als Ehefrau kein Mädchen in Betracht kam, das bereits kurz nach dem Kennenlernen mit einem jungen Mann den Geschlechtsverkehr vollzogen hat. Er tötete daher die Tochter der Beschwerdeführerin bei einem Zwischenhalt. Über diesen so genannten „Hagener Mädchenmord-Fall” ist regional und überregional in den Medien berichtet worden.
Der Autor H. verfasste im Jahr 2005 das Theaterstück „Ehrensache”, dem die Ereignisse um die Tötung der Tochter der Beschwerdeführerin als Vorlage dienten. In dem Stück werden episodenhaft und zum Teil in Form von Rückblenden der Ablauf des Tages bis zur Tat und Ereignisse aus dem Leben der getöteten Ellena erzählt, deren Figur an die Tochter der Beschwerdeführerin angelehnt ist.
Die Beschwerdeführerin erhob im Ausgangsverfahren Klage, um eine Aufführung des Theaterstücks an den Städtischen Bühnen in Essen zu verhindern. Die Klage blieb vor Landgericht und Oberlandesgericht erfolglos.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter. Sie verkenne nicht, dass es sich bei dem in Rede stehenden Bühnenstück um eine eigenständige schöpferische Leistung des Autors handelt, in dem der zugrunde liegende Kriminalfall nicht lediglich dokumentarisch wiedergegeben, sondern dramaturgisch aufgearbeitet werde, und so als Ausgangspunkt diene, um die Problematik des Aufeinandertreffens von Personen aus verschiedenen Kulturkreisen mit unterschiedlichen Ehrvorstellungen darzustellen. Die wesentlichen Handlungsstränge des Theaterstücks orientierten sich allerdings gewollt am realen Geschehen. In der Figur der Ellena sei ihre Tochter wiederzuerkennen. Durch die Darstellung werde ungeachtet der Veränderung des Namens und einiger Details das Lebensbild der Tochter entstellt und deren Wert- und Achtungsanspruch verletzt. Diese Darstellung beschränke sich darauf, die Frühreife und starke sexuelle Ausrichtung der Verstorbenen sowie ihre charakterliche und moralische Haltlosigkeit zu betonen. Gerade die in dem Bühnenstück dargestellten Vorgänge aus dem Intimbereich der Getöteten seien Ausgangs- und Schwerpunkt der Problematik, die in dem Stück thematisiert werde. Sie bildeten den Grund sowie den Anlass für das Entstehen der Konfliktsituation und seien conditio sine qua non für die Tötung der Hauptfigur Ellena. Durch die angegriffenen Entscheidungen werde das hohe Interesse der individuellen Persönlichkeit, ihre Intimsphäre zu schützen, verletzt, dies umso mehr, als es sich um eine minderjährige Person gehandelt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, da das Bundesverfassungsgericht die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt hat (vgl. BVerfGE 30, 173; BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen das durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beschwerdeführerin nicht.
1. Die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, endet nicht mit dem Tod. Ein Verstorbener wird allerdings nicht durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, weil Träger dieses Grundrechts nur lebende Personen sind (vgl. BVerfGE 30, 173 ≪194≫).
a) In der Folge sind die Schutzwirkungen des verfassungsrechtlichen postmortalen Persönlichkeitsrechts nicht identisch mit denen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG für den Schutz lebender Personen ergeben. Postmortal geschützt wird zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht, zum anderen der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat.
Steht fest, dass eine Handlung das postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, ist zugleich ihre Rechtswidrigkeit geklärt. Der Schutz kann nicht etwa im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 5. April 2001 – 1 BvR 932/94 –, Rn. 19; Beschluss vom 22. August 2006 – 1 BvR 1168/04 –, Rn. 25; www.bundesverfassungsgericht.de).
b) Da nicht nur einzelne, sondern sämtliche Grundrechte Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es jedoch einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫). Wenn – wie hier – zu untersuchen ist, ob ein dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG unterstehendes Kunstwerk die Menschenwürde eines Verstorbenen beeinträchtigt, kommt es auf eine Interpretation des Aussagegehalts dieses Kunstwerks an. Bei dieser Interpretation sind die Besonderheiten der künstlerischen Ausdrucksform zu berücksichtigen.
Zu den Spezifika der Kunstform des Theaterstücks gehört, dass solche Stücke zwar häufig an die Realität anknüpfen, der Künstler dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Das erfordert eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch das Theaterstück im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahe gelegten Wirklichkeitsbezugs, um auf dieser Grundlage die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bewerten zu können. Die künstlerische Darstellung ist an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab zu messen. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das „Abbild” gegenüber dem „Urbild” durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur” objektiviert ist. Ein literarisches Werk, vorliegend ein Theaterstück, ist zunächst als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Die Vermutung der Fiktionalität gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Figuren reale Personen als Urbilder erkennbar sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, Rn. 82 ff.).
2. Nach diesen Maßstäben bestehen gegen die angegriffenen Entscheidungen im Ergebnis keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beschwerdeführerin wird durch die Aufführung des umstrittenen Theaterstücks nicht verletzt, da bei kunstspezifischer Betrachtung das Stück die Menschenwürde der Verstorbenen nicht antastet.
Die Beschwerdeführerin bringt zur Begründung einer Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter vor, diese werde in dem Theaterstück verzerrt und einseitig negativ dargestellt. Soweit die Beschwerdeführerin damit lediglich rügt, in dem Theaterstück würden Begebenheiten gezeigt, die sich so nicht zugetragen hätten, begründet dies keine Verletzung der Menschenwürde. Auf diese Weise macht die Beschwerdeführerin dem Autor des Theaterstücks gerade die Fiktionalität seines Werks zum Vorwurf. Allein daraus, dass eine bestimmte Person erkennbar Vorbild einer Figur in einem literarischen Kunstwerk ist, wird dem Leser oder Zuschauer nicht nahe gelegt, alle Handlungen und Eigenschaften dieser Figur seien dieser Person zuzuschreiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, Rn. 94).
Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist vielmehr kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter diesen Umständen verfehlte es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in bestimmten negativen Zügen der Figur andererseits sähe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, Rn. 99). Die Beschwerdeführerin bringt über die bloße Erkennbarkeit ihrer Tochter als Vorbild der Figur der Ellena hinaus keine Anhaltspunkte vor, die es nahe legen würden, bestimmte in dem Stück dargestellte Ereignisse als tatsächlich geschehen und die grundsätzlich geltende Vermutung der Fiktionalität daher als widerlegt anzusehen. Solche Anhaltspunkte sind auch nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdeführerin sich zu einem beträchtlichen Teil gegen Passagen wendet, in denen andere Figuren, deren Unzuverlässigkeit im Laufe des Stücks sogar ausdrücklich thematisiert wird, Handlungen und Eigenschaften der Figur der Ellena schildern und bewerten.
Das Theaterstück tastet die Menschenwürde der Tochter der Beschwerdeführerin auch insoweit nicht an, als in ihm Handlungen mit sexuellem Gehalt geschildert oder gezeigt werden. Zwar kann die realistische und detaillierte Erzählung derartiger Handlungen lebender Personen in einem literarischen Text die absolut geschützte Intimsphäre des Betroffenen beeinträchtigen und deshalb unzulässig sein. Inwieweit sich dieser Gesichtspunkt auf das postmortale Persönlichkeitsrecht übertragen lässt, bedarf hier indes keiner Entscheidung. Eine Beeinträchtigung der Intimsphäre setzt jedenfalls voraus, dass sich durch den Text die naheliegende Frage stellt, ob sich die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse begreifen lassen, beispielsweise deshalb, weil es sich um eine aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung entsprechender Geschehnisse und die genaue Schilderung intimster Details einer Frau handele, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, Rn. 102). Daran fehlt es hier.
Schließlich ist das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beschwerdeführerin nicht deshalb besonders schutzbedürftig, weil sie zum Zeitpunkt ihres Todes noch minderjährig war. Der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannte verstärkte Schutz des Persönlichkeitsrechts Minderjähriger findet seinen Grund in dem Bedürfnis, deren weitere Persönlichkeitsentwicklung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪385 f.≫; BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, Rn. 72). Dieser Gesichtspunkt lässt sich auf Verstorbene nicht übertragen.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1979235 |
NJW 2008, 1657 |
EuGRZ 2008, 335 |
NVwZ 2008, 549 |
GRUR 2008, 549 |
AfP 2008, 161 |
JA 2008, 827 |
JuS 2008, 733 |
RDV 2008, 123 |
ZUM 2008, 323 |
GRUR-RR 2008, 206 |