Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 31.07.2007; Aktenzeichen 13 B 929/07) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2007 – 13 B 929/07 – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung des Ruhens seiner Approbation als Arzt sowie der Einziehung seiner Approbationsurkunde.
1. Der Beschwerdeführer ist griechischer Staatsangehöriger. Ihm wurde 1982 die Approbation als Arzt erteilt. Er ist Facharzt für innere Medizin und betreibt als zugelassener Vertragsarzt eine eigene Praxis, in der er im Wesentlichen Dialysebehandlungen durchführt. Privatpatienten behandelt er nicht.
a) Im Dezember 2004 erstattete die Kassenärztliche Vereinigung gegen den Beschwerdeführer Anzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung durch die Durchführung von medizinisch nicht indizierten Dialysebehandlungen und wegen Betrugs. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens wurde hierüber informiert.
Daraufhin wurde im Juli 2005 die Vertragsarztzulassung des Beschwerdeführers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung widerrufen. Das Landessozialgericht ordnete die aufschiebende Wirkung der hiergegen erhobenen Klage an.
Hinsichtlich des bereits im Januar 2005 erfolgten und für sofort vollziehbar erklärten Widerrufs der Genehmigung zur Durchführung von Dialysebehandlungen ordnete das Landessozialgericht ebenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage an. Zugleich erging gemäß § 86b Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Auflage, dass der Beschwerdeführer von der Dialysegenehmigung nur zur Weiterbehandlung der sich bei ihm gegenwärtig in laufender Behandlung befindlichen Dialysepatienten Gebrauch machen darf. Die sofortige Vollziehung des Widerrufs komme wegen der existentiellen Bedeutung der Genehmigung für den Beschwerdeführer nur zur sofortigen Abwehr konkreter Gefahren für Leib und Gesundheit der Patienten in Betracht. Dieser Gefahr könne durch die Auflage wirksam begegnet werden, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass bei den gegenwärtig in Dialysebehandlung befindlichen Patienten die medizinische Indikation fehle.
Im Januar 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Körperverletzung und Betrugs gegen den Beschwerdeführer. Ihm wird zur Last gelegt, im Zeitraum von April 2001 bis Februar 2005 sowie im Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2004 sechs Patienten in 1.222 Fällen vorsätzlich ohne medizinische Indikation dialysiert und dadurch gesundheitlich geschädigt sowie diese Leistungen unberechtigt abgerechnet zu haben. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist bisher nicht entschieden.
b) Im Mai 2007 ordnete die Beklagte des Ausgangsverfahrens das Ruhen der Approbation des Beschwerdeführers und die Herausgabe der Approbationsurkunden sowie die sofortige Vollziehung der Verfügungen an. Der Widerspruch des Beschwerdeführers wurde zwischenzeitlich zurückgewiesen. Eine hiergegen erhobene Klage ist anhängig.
c) Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab. Die angegriffenen Verfügungen seien offensichtlich rechtmäßig. Die allgemeine Interessenabwägung gehe zu Lasten des Beschwerdeführers. Die Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz müsse auch bei Berücksichtigung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Schranken gegenüber den Interessen der Allgemeinheit zurücktreten. Der Beschwerdeführer beharre auf der Vertretbarkeit seiner fachlichen Auffassung. Das zwinge zu dem Schluss, dass die konkrete Gefahr bestehe, er werde weiterhin nicht notwendige Dialysen einleiten und bereits eingeleitete fortführen. Dem stünden die Entscheidungen des Landessozialgerichts nicht entgegen. Es sei unhaltbar, aufgrund der Erklärung und Auflage, keine Neupatienten aufzunehmen, eine zukünftige Gefährdung zu verneinen. Es gebe kein Indiz dafür, dass sich der Beschwerdeführer an die Auflage halten werde. Außerdem werde die Gesundheit der Altpatienten gefährdet, weil bisher nicht gutachterlich festgestellt sei, dass deren Behandlung medizinisch indiziert sei. Der Umstand, dass keine weiteren Fälle bekannt geworden seien, könne allein auf einer fehlenden Überprüfung beruhen.
d) Mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurück. Der Senat schloss sich zunächst den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an. Nach den ärztlichen Gutachten seien die beanstandeten Dialysebehandlungen nicht indiziert gewesen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er halte sich strikt an die Auflage des Landessozialgerichts und nehme keine Neupatienten an, könne die Entscheidung nicht in Frage stellen. Bei der Anordnung des Ruhens der Approbation handele es sich um eine vorübergehende Maßnahme, die dazu bestimmt sei, in unklaren oder Eilfällen dem Arzt die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit zu untersagen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit und zum Schutz der Patienten geboten sei. Sie sei damit von ihrer Natur her auf schnellen Vollzug angelegt.
Vorliegend begegne die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken. Verfassungsrechtlich erforderlich sei die Feststellung, dass der Sofortvollzug schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich sei. Eine solche Gefahr sei gegeben. Die lange Dauer und systematische Durchführung medizinisch nicht notwendiger Dialysebehandlungen offenbare Charaktereigenschaften, die eine Wiederholung gleicher oder ähnlicher Verstöße befürchten ließen. Dem Beschwerdeführer fehle weiterhin die Einsicht. Das Wohlverhalten seit nunmehr über zwei Jahren sei mit großer Wahrscheinlichkeit durch die laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren veranlasst, lasse aber keinen Schluss auf eine nachhaltig geänderte Einstellung zur Indikation von Dialysebehandlungen zu. Unter anderem vor dem Hintergrund finanzieller Probleme bestehe die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer nicht an die Selbstbeschränkung auf Altpatienten halte. Es könne kein Verständnis unter Patienten und Ärzten erwartet werden, wenn der Beschwerdeführer weiterhin praktizieren dürfte. Die wirtschaftlichen und persönlichen Auswirkungen des Ruhens der Approbation lägen als Folge seines Fehlverhaltens allein in seinem Verantwortungsbereich und seien deshalb nicht geeignet, einen Vorrang gegenüber den Interessen der Patienten zu begründen. Die Entscheidung ergehe in Kenntnis des Beschlusses der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Dezember 2004 (1 BvR 2820/04 und 2851/04). Das dortige Entscheidungsergebnis zum Orientierungsmaßstab zu machen würde bedeuten, dass die zum Schutz der Patienten bestehenden approbationsrechtlichen Bestimmungen ins Leere gingen und ihre Wirksamkeit verlören. Darüber hinaus schließe man sich der Entscheidung auch deshalb nicht an, weil es dort (nur) um Abrechnungsbetrug gegangen sei, während es vorliegend um den Schutz von Personen gehe.
2. a) Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG.
Er könne sich als EU-Bürger auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Jedenfalls stehe ihm über Art. 2 Abs. 1 GG ein entsprechender Schutz zu. Die angegriffene Entscheidung verletze ihn in diesem Recht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer die Berufsfreiheit beeinträchtigenden Verfügung nur unter strengen Voraussetzungen und zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes statthaft. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, denn konkrete Gefahren seien durch seine weitere Berufstätigkeit nicht zu befürchten. Konkrete Gefahren seien in der angegriffenen Entscheidung auch nicht benannt. Eine Gefährdung von Patienten sei insbesondere deshalb ausgeschlossen, weil er nur noch Altpatienten behandele. Privatpatienten habe er ohnehin nicht. Er halte sich strikt an den Beschluss des Landessozialgerichts; er habe keine neuen Patienten aufgenommen und werde das weiterhin nicht machen. Auch habe er seine Einstellung hinsichtlich der Indikation einer Dialysebehandlung geändert. Insofern sei nicht richtig berücksichtigt worden, dass ihm seit über zwei Jahren kein neuer Vorwurf gemacht worden sei.
Unhaltbar sei die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, er werde aus finanziellen Gründen neue Patienten annehmen. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Seine laufenden Kosten seien durch die Behandlung der verbliebenen Patienten gedeckt. Dessen ungeachtet sei bisher nicht erwiesen, dass ihm überhaupt ein ärztlicher Fehler vorzuwerfen sei. Es fehle somit an konkreten Gründen für den Sofortvollzug. Außerdem seien die schwerwiegenden beruflichen Folgen nicht richtig gewichtet worden. Er müsse seine Praxis schließen, seine zwei Angestellten entlassen und verliere seine Patienten, ohne dass dieser Schaden reparabel sei.
Angesichts dessen sei es auch nicht gerechtfertigt, seinen Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) einstweilen zurückzustellen.
b) Auf den mit der Verfassungsbeschwerde gestellten Antrag hat die Kammer durch einstweilige Anordnung die sofortige Vollziehung der Verfügung der Beklagten des Ausgangsverfahrens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, vorläufig ausgesetzt.
3. Dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Bundesverwaltungsgericht, der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der Bundesärztekammer und dem Hartmannbund – Verband der Ärzte Deutschlands e.V. – wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt.
1. Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Ruhens der Approbation sowie der Einziehung der Approbationsurkunde ist ein Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit des Beschwerdeführers. Die Abweichung von der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Grundverfügung (§ 80 Abs. 1 VwGO) stellt einen selbständigen Eingriff dar (vgl. BVerfGK 2, 89 ≪93≫), da die berufliche Betätigung des Beschwerdeführers schon vor einer Entscheidung in der Hauptsache beeinträchtigt wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind derartige Eingriffe in die bei Deutschen durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 44, 105 ≪117 ff.≫; stRspr). Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob sich der Beschwerdeführer als EG-Ausländer ebenfalls auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann; er hat jedenfalls über die Grundrechtsgewährleistung aus Art. 2 Abs. 1 GG Anspruch auf eine entsprechende Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪400 f.≫; stRspr).
Hierbei können es überwiegende öffentliche Belange ausnahmsweise rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug des Ruhens einer Approbation sind hierfür jedoch nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen und die ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptverfahrens ausschließen (vgl. dazu BVerfGK 2, 89 ≪93 f.≫). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (vgl. BVerfGE 44, 105 ≪121≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. März 2004 – 1 BvR 540/04 –, NVwZ-RR 2004, S. 545 ≪545 f.≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2004 – 1 BvR 2820/04 und 2851/04 –).
b) Die angegriffene Entscheidung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage wird zwar bejaht. Allerdings wird diese Annahme nicht mit hinreichend konkreten Tatsachen begründet (aa). Bei der Folgenabwägung werden die dem Beschwerdeführer im Falle der sofortigen Vollziehung der Anordnung des Ruhens der Approbation drohenden Konsequenzen nicht angemessen gewichtet (bb). Schließlich verkennt das Oberverwaltungsgericht Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers bereits bezüglich der Grundverfügung und relativiert deshalb die dargestellten Anforderungen an die Prüfung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise (cc).
aa) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es bestehe eine Wiederholungsgefahr mit dementsprechender Gefährdung von Patienten mit dem Risiko, dass der Beschwerdeführer sich nicht an die Beschränkung einer Dialysebehandlung ausschließlich von Altpatienten halten werde, beruht nicht auf hinreichend konkreten Tatsachenfeststellungen.
Das Oberverwaltungsgericht sieht die Wiederholungsgefahr vor dem Hintergrund offenbar gewordener Charaktereigenschaften des Beschwerdeführers und einer mangelnden Einsicht in die fehlende medizinischen Notwendigkeit der Dialysemaßnahmen trotz des Vorliegens mehrerer anders lautender ärztlicher Stellungnahmen. Ungeachtet der noch ausstehenden strafrechtlichen Klärung der Vorwürfe reicht diese Überlegung jedenfalls unter Berücksichtigung der Auflage des Landessozialgerichts und der dementsprechenden Selbstbeschränkung der Dialysebehandlung nur von Altpatienten als solche nicht aus, um eine konkrete Gefährdung von Patienten gerade während des laufenden Hauptsacheverfahrens zu begründen.
Soweit nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts aus dem beanstandungsfreien Verhalten des Beschwerdeführers seit Februar 2005 kein Schluss auf eine nachhaltig geänderte Einstellung gezogen werden kann, weil es mit Wahrscheinlichkeit durch die laufenden Verfahren veranlasst sei, wird verkannt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausschließlich zum Schutz vor Gefährdungen während des laufenden Hauptsacheverfahrens zulässig ist. Wenn schon der Verfahrensdruck zu einer Verhaltensänderung jedenfalls für die Dauer des Hauptsacheverfahrens führt, ist ein Sofortvollzug gerade nicht erforderlich und muss unterbleiben.
Ferner ist mangels näherer Darlegung nicht nachvollziehbar, welche konkreten finanziellen Probleme das Oberverwaltungsgericht beim Beschwerdeführer sieht, wenn es hieraus eine Gefahr der Missachtung der Beschränkung auf Altpatienten herleitet. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers erzielt er durch die Behandlung der vorhandenen Patienten ausreichende Einnahmen und hat zudem den Rückhalt seiner Bank. Hiermit hätte sich das Oberverwaltungsgericht ebenso auseinander setzen müssen wie mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Auflage im Beschluss des Landessozialgerichts die Behandlung neuer gesetzlich versicherter Dialysepatienten mit der Kassenärztlichen Vereinigung ohnehin nicht abrechnen könnte. Das Oberverwaltungsgericht zeigt zudem keine Anhaltspunkte dafür auf, dass der Beschwerdeführer entgegen seiner Selbstbeschränkung aus finanziellen (oder anderen) Gründen Privatpatienten angenommen hat, obwohl die Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung bereits seit dem Jahr 2005 läuft. Weitere Gründe werden vom Oberverwaltungsgericht für die angenommene Gefahr einer Missachtung der Auflage nicht genannt, so dass es an einer tragfähigen Begründung der Prognose fehlt.
Auch der von der angegriffenen Entscheidung in Bezug genommene Beschluss des Verwaltungsgerichts trifft die Gefahrenprognose nicht auf tragfähiger Grundlage. Das Verwaltungsgericht sieht ebenfalls eine Wiederholungsgefahr, weil der Beschwerdeführer auf seiner fachlichen Auffassung beharre. Es geht jedoch nicht darauf ein, dass der Beschwerdeführer erklärt hat, bis zur endgültigen Klärung der Frage, wann die Einleitung einer Dialyse indiziert ist, von seiner Auffassung Abstand zu nehmen und derartige Dialysen zumindest vorläufig nicht durchzuführen, und dass er sich hieran nach dem derzeitigen Kenntnisstand hält.
Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, durch die Selbstbeschränkung und die Auflage des Landessozialgerichts sei eine Gefährdung von Patienten nicht ausgeschlossen, ist unvertretbar begründet. Wenn das Gericht kein Indiz dafür sieht, dass der Beschwerdeführer dem nicht zuwider handeln werde, verkennt es die vorliegend grundrechtlich geschützte Verteilung der Feststellungslast. Da die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage der gesetzliche Normalfall ist (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat nicht der Beschwerdeführer zu belegen, dass von seiner weiteren Tätigkeit keine Gefahren drohen. Im Gegenteil ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nur bei Feststellung konkreter für eine Gefahr sprechender Tatsachen möglich.
In gleicher Weise fehlerhaft begründet ist die Feststellung einer Gefährdung der Altpatienten. Dazu heißt es, es sei nicht gutachterlich bestätigt, dass deren Behandlung indiziert sei, und dass keine weiteren Fälle bekannt geworden seien, könne allein auf einer fehlenden Überprüfung beruhen. Hierbei handelt es sich um eine Vermutung, die das Erfordernis der Benennung konkreter Anhaltspunkte für eine fehlerhafte oder nicht indizierte Behandlung der Altpatienten nicht ersetzen kann. Sofern sich die Überprüfung durch die Kassenärztliche Vereinigung tatsächlich nicht auf die jetzt noch in Behandlung befindlichen Patienten erstreckt haben sollte, was sich dem entsprechenden Protokoll der Dialyse-Kommission nicht eindeutig entnehmen lässt, wäre zumindest darzulegen gewesen, inwiefern eine hieraus gegebenenfalls resultierende Ungewissheit in Anbetracht einer Verfahrensdauer von über zwei Jahren seit der erstmaligen Kenntnis der Beklagten und der unterdessen gegebenen Möglichkeiten einer Überprüfung der Behandlung dieser Patienten im Entscheidungszeitpunkt eine konkrete Gefahr begründen kann.
bb) Zudem entspricht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall nicht den grundrechtlich gebotenen Maßstäben. Das Oberverwaltungsgericht weist insoweit lediglich darauf hin, dass die wirtschaftlichen und persönlichen Auswirkungen des Ruhens der Approbation als Folge seines Fehlverhaltens im Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers lägen und deshalb keinen Vorrang vor den Interessen der Patienten beanspruchen könnten. Damit wird der Abwägungsmaßstab schon im Ansatz verfehlt. Bei der Folgenabwägung sind die konkreten Nachteile für die Allgemeinheit bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Anordnung des Ruhens der Approbation nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Beschwerdeführer, wenn sich die Ruhensanordnung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte, gegenüber zu stellen. Im letztgenannten Fall würde es sich aber gerade nicht um die Folgen eines Fehlverhaltens des Beschwerdeführers handeln, sondern um die Folgen einer Fehlentscheidung der Behörde. Da das Oberverwaltungsgericht diesen Zusammenhang verkennt, stellte es die dem Beschwerdeführer drohenden Nachteile der sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung ein.
cc) Von Verfassungs wegen zu beanstanden ist schließlich die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, das Entscheidungsergebnis des Beschlusses der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Dezember 2004 (1 BvR 2820/04 und 2851/04) könne – jedenfalls wenn es nicht (nur) um Abrechnungsbetrug, sondern um den Schutz von Patienten gehe – nicht zum Orientierungsmaßstab genommen werden, weil dadurch die bestehenden approbationsrechtlichen Bestimmungen ins Leere gingen und ihre Wirksamkeit verlören.
Insoweit wird in der angegriffenen Entscheidung zwar zutreffend dargelegt, dass es sich bei der Ruhensanordnung um eine vorübergehende Maßnahme handele, die dazu bestimmt sei, in unklaren oder Eilfällen einem Arzt die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit zu untersagen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit und zum Schutz der Patienten geboten sei. Die Maßnahme sei daher von ihrer Natur her auf schnellen Vollzug ausgelegt.
Jedoch führen Charakter und Zweck der Maßnahme nicht dazu, dass die Anforderungen an ihre sofortige Vollziehung reduziert werden könnten. Im Gegenteil ist bereits die Anordnung des Ruhens der Approbation eine Präventivmaßnahme nach Art eines vorläufigen Berufsverbots, durch die schwerwiegend in Grundrechte des Betroffenen eingegriffen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat daher schon wiederholt klargestellt, dass auch die Grundverfügung nur zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig ist (vgl. BVerfGE 44, 105 ≪119≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. Dezember 2004 – 1 BvR 2820/04 und 2851/04 –; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. Oktober 2006 – 1 BvR 2403/06 –, JURIS). Aufgrund des Charakters der Maßnahme sind mithin nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung zu relativieren, sondern bereits strenge Anforderungen an den Erlass der Grundverfügung zu stellen. Das beachtet das Oberverwaltungsgericht bei seinen Überlegungen nicht. Außerdem ist der grundrechtlich gebotene Prüfungs- und Abwägungsmaßstab nicht davon abhängig, ob Gefahren (nur) in Gestalt eines Abrechnungsbetrugs oder aber für Patienten drohen. Das ist vielmehr im Rahmen der Folgenabwägung durch entsprechende Gewichtung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen.
2. Zugleich verletzt die angegriffene Entscheidung das – auch Ausländern zustehende – Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG.
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Grundrechtsträger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 263 ≪274≫; 35, 382 ≪401 f.≫; 93, 1 ≪13≫; stRspr). Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen (vgl. BVerfGE 35, 263 ≪274≫). Nur überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dabei ist der Rechtsschutzanspruch umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfGE 35, 382 ≪402≫).
Dem wird die angegriffene Entscheidung wegen der unzureichend fundierten Gefahrenprognose und der fehlerhaften Folgenabwägung nicht gerecht.
3. Der angegriffene Beschluss ist demnach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Gaier, Kirchhof
Fundstellen